Jagdszenen aus Ostdeutschland

Ein Besuch bei der Bürgermeisterin von Quellendorf.

Ein Mann soll nicht Weiberkleider antun; denn wer solches tut, der ist dem Herrn, deinem Gott, ein Greuel. Deuteronomium 22, 5

Wenn es dunkel wird in Quellendorf, verwandeln sich die Häuser in Festungen. Selbst das örtliche Eiscafé weist mit seinen geschlossenen Jalousien unkundige Kunden ab. Serienmörder geht nicht um - mit sechzehn Diebstählen im ersten Halbjahr ist die Kriminalität geringer als in einer Klosterschule. "Das ist eben unser flaches Land hier", sagt ein Kripobeamter fast bedauernd.

Die Rollos bieten Schutz vor einer anderen Gefahr: "Man sitzt sonst auf dem Präsentierteller", erläutert Hans-Joachim Schieferhöfer, der sich als "Chef der Eisdiele" vorstellt. Die anderen sehen viel und reden noch mehr; allzu schnell ist man Thema. "Erblickt-werden heißt, sich als unbekanntes Objekt unerkennbarer Beurteilungen erfassen", schrieb Jean-Paul Sartre.

Michaela Lindner muß sich darüber keine Gedanken machen, denn sie weiß recht gut, wie sie von vielen beurteilt wird: Als "Schande fürs Dorf". Die Resonanz in der Dorfzeitung, wie der Tratsch genannt wird, war nicht immer so. Noch vor zwei Jahren machten bei der Bürgermeisterwahl mehr als 60 Prozent ihr Kreuz bei Lindner. Damals trug sie mit Schnurrbart und Bierbauch noch die Hoheitszeichen der Männlichkeit und nannte sich "Norbert". Die Probleme begannen, als sie 20 Kilo abnahm und die Haare unter der Nase entfernte.

Von den Jahren der Verdrängung, die davor lagen, erzählt sie ebenso anschaulich wie freimütig. Vor ihr sitzen der 60. und der 61. Interviewer; Nummer 62 und 63 werden erwartet. "Ich weiß schon lange, daß ich nicht bin, was ich darstellen muß", sagt sie. Nach unerquicklichen schwulen Experimenten dämmert ihr, daß sie schlicht keine Lust hat, "als Mann durch die Gegend zu wackeln". "Aber das ist ja leider etwas anderes, als es zu akzeptieren. Ich habe mich statt dessen mit meiner Droge betäubt - Arbeit." Fast zehn Jahre hält sie durch, bevor sie in der Frankfurter Transen-Szene in die Lehre geht. "Die haben mir viel beigebracht: Laufen, Sprechen, Anziehen." Die kindliche Lernphase nach der zweiten Geburt dauert nur einige Monate. Im Moment scheint sich die Bürgermeisterin im Stadium eines Teenies zu befinden - alles ist neu und spannend. Kichernd erzählt sie von Kleidungseinkäufen und davon, wie sie zum ersten Mal als Frau angebaggert wurde. Die Pubertät wird, wenn mit Epilation, Sprecherziehung und Operation alles plangerecht läuft, in zwei Jahren abgeschlossen sein.

Der Lernbedarf von Michaela Lindner ist anfangs groß: "Völlig überschminkt" und in Klamotten, "die keine Frau anziehen würde", verläßt sie die Raststätte auf der Autobahn nach Frankfurt. Irgendwann wird sie von einem "ziemlich heruntergekommenen Typen" um ein Bier angehauen. "Dafür habe ich den armen Tropf vollgesabbelt. Nach zwei Stunden hat er zum ersten Mal etwas gesagt: 'Entweder du ziehst dieses Kleid nie wieder aus, oder ich komme in zwei Jahren zu deiner Beerdigung.'"

Wieder daheim, informiert sie die andere Frau Lindner. Die nimmt es gelassen, besteht aber darauf, "alles langsam anzugehen". Es folgen Familienausflüge in andere Städte, wo die jugendlichen Töchter entscheiden, welche Kleider sie in Mamas Kabine schleppen. "Alles, was die ausgesucht haben, ist gut angekommen", lobt die Eingekleidete.

Der endgültige Anstoß zum Coming-out ereignet sich fast so filmreif wie die Initialzündung am Main: Ein Lied im Transen-Musical "La Cage aux folles" bereitet Lindner ihr Damaskus-Erlebnis. "Mensch, war ich bekloppt: Im Anzug im Theater!" Sie kramt nach der CD. Während sich das Lied zwischen Schrankwand, Hochzeitsfoto und Strukturtapete ausbreitet, singt sie leise mit: "Wen stört es, daß ich Federn liebe, Glanz und Glitter, ich brauch's, sonst wär mein Leben trüb und bitter." Den Journalisten auf dem Kunstledersofa geht das Herz auf. Die wichtigste Zeile? "Ich will kein Lob, ich will kein Mitleid", sagt sie und ist dabei so sehr tapfere Frau, daß sich Hillu Schröder vor Neid unpäßlich fühlen müßte.

Zur zweiten Aufführung in Dessau geht sie in adäquater Kleidung. Im zwanzig Kilometer entfernten Quellendorf heißt es nun, der Bürgermeister sei im Kleinen Schwarzen gesehen worden. "Dabei war das gar nicht das Kleine Schwarze", wundert sich Michaela Lindner.

"Wir haben ihn dann im Gemeinderat aufgefordert, zu seinem merkwürdigen Verhalten Stellung zu beziehen", erzählt der parteilose Adolf Hecht. "Er hat eine gute Familie proklamiert und plötzlich - wir hatten ja keinen Fasching - tritt er in Frauenkleidung auf." Das Gremium einigt sich darauf, die Medien herauszuhalten, in der Sommerpause über die Situation nachzudenken und im September gemeinsam über den Umgang mit dem Phänomen zu entscheiden, das weder neu, noch besonders ungewöhnlich ist: Der römische Kaiser Eliogabal forderte für sich den Respekt einer Kaiserin und soll eine Selbstkastration versucht haben. Im konservativen Carterton, Neuseeland, wurde 1993 der ehemalige Mann Georgina Beyer zur Bürgermeisterin gewählt, und in diesem Jahr wurde Jacqui Grant, die "Tranny Granny" der Insel, in ein Gemeindeparlament geschickt. Eine Bürgermeisterin in Ostdeutschland nimmt derzeit männliche Hormone, sein Coming-out ist nur eine Frage der Zeit.

Lindner spricht, wie in der Sitzung am 29. Juni verabredet, mit den Dorfbewohnern. Im Jugendclub fragen die Kids nach der richtigen Anrede. "Machen wir es einfach: Nennt mich Michi", antwortet Lindner, ohne zu ahnen, daß der Vize-Bürgermeister Uwe Pforte versuchen wird, einen Skandal aus dem Duzen zu machen.

Im Juli bringt die Bild-Zeitung den ersten Artikel. Zwei Wochen später wird die Bürgermeisterin schriftlich informiert, daß ein Abwahlantrag gegen sie vorliegt. "Die haben weder die Sommerpause abgewartet, noch mit mir geredet. Da war ich der Meinung, daß die Abmachung nicht mehr gilt." Lindner beginnt, mit der Presse zu reden, die seit Wochen nervt. Für die Medienleute ein Geschenk: Sie ist nicht nur eine begnadete Geschichtenerzählerin, die zwischen Sachinformation, Anekdote und philosophischer Reflexion zu wechseln vermag, sondern sie ist nach dem Schritt ins neue Geschlecht auch gnadenlos offen und spart intime Details nicht aus. Die Journalisten mögen das und honorieren es mit ihren Beiträgen.

Bei der nächsten Gemeinderatssitzung im September kommt nur die Hälfte der Schaulustigen aus dem Dorf, der Rest aus Redaktionen. "Das war wie eine Hexenjagd. Am schlimmsten war, daß sich der Bürgermeister nicht äußern durfte", erinnert sich der Ratsherr Erich Faßhauer, ein dynamischer Rentner, der seit 61 Jahren in Quellendorf lebt.

Ebenso überflüssig wie eine Beteiligung Lindners an der Diskussion findet der Gemeinderat eine Begründung der Abwahl. Uwe Pforte: "Der Beschluß erfolgte auf der Grundlage des Paragraphen 61 der Gemeindeordnung und bedarf keiner Begründung." Eine entsprechende Vorschrift war bislang unnötig - der Abwahlantrag ist der erste in der Bundesrepublik ohne eine Erklärung. Von den acht Ratsmitgliedern stimmen nur Faßhauer und Anna-Maria Stephan (PDS) gegen den Umsturz. Eine Abstimmung der 767 Wahlberechtigten wird auf den 29. November gelegt.

"Warum sollte ich aufgeben? Vielleicht würde ich die Bürger enttäuschen", sagt Lindner. Wenn sie am kommenden Sonntag ihren Posten verlieren sollte, will sie vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Für den Fall, daß die Klage scheitert, hat sie die Auswanderung geplant. "Es gibt Länder die toleranter sind: Schweden, Norwegen, Holland", hofft Lindner. Glaubt man der Tutzinger Anwältin Maria Sabine Augstein, Deutschlands erster Adresse, wenn es um die Rechte von Transsexuellen geht, ist die Emigration wahrscheinlich. Zu einer Anfechtung der Abwahl hat Augstein "eine ganz klare Meinung": "Das hat nicht die geringste Chance."

Natürlich, da besteht Einigkeit im Rat, ist nicht die Transsexualität der Auslöser. "Wir wußten nicht einmal, was das Wort bedeutet", argumentiert Adolf Hecht. Auf einen plausiblen Grund konnten sich die Volksvertreter jedoch nicht einigen. Der Bauausschuß-Vorsitzende Hecht sagt: "Der Grund ist sein Ausbrechen aus unserer Gemeinschaft in den Medienrummel." Der stellvertretende Bürgermeister Pforte sagt: "Er hat Aufträge und andere Sachen festgelegt, wo es eigentlich Gemeinderatsbeschlüssen bedurft hätte." Das klingt einigermaßen gut, ist aber auch nicht der erste Versuch, eine Erklärung zu finden. Ein ganzen Kataloghaben die Zeitungen - selbstverständlich verfälscht - schon zitiert: Lindner habe die "Würde verloren", "sein abnormes Verhalten" verunsichere die Bürger, "er" habe einmal von 1 180 statt von 1 048 Einwohnern gesprochen, man wolle keinen "kranken Bürgermeister", "er" habe Jugendlichen das Du angeboten. Und so weiter.

Die Journalisten mögen auch das. In ihren Artikeln halten sie sich streng an das Bild, das sich ihnen bietet. Läßt man eine Suchmaschine das Internet nach dem Begriffspaar Quellendorf + Lindner durchforsten, kann man zwischen Artikeln in allen wichtigen europäischen und einigen anderen Sprachen wählen. Ob auch die Aussage eines Dorfbewohners übersetzt wurde, daß es Transsexualität bei Pferden und Schweinen auch nicht gebe, ist unbekannt. Möglicherweise fand die Information, welche Lebewesen in Quellendorf soziale Normen setzen, nur nationale Verbreitung.

"Die Medien verkaufen die Quellendorfer für dumm. Man braucht doch nur zwischen den Zeilen zu lesen: 'Die sind Bauernpinkel, die haben keinen Geist.' Nee, nee, wir haben einen guten Geist", findet Schieferhöfer. Transsexualität sei "jedem seine Sache", er werde Lindner aus anderen Motiven abwählen. "Der hat uns von Anfang an getäuscht. Der ist gar kein Quellendorfer, wie geschrieben wird, sondern aus Wolfen", weiß der Eisdielen-Boß. "Der hat sich ins gemachte Nest gesetzt. Das einzige, was er geschaffen hat, war ein Feuerwehrgerätehaus und der Jugendclub." "Und sich selbst", ergänzt sein Kumpel. Eine Frau wird gegen Michaela Lindner stimmen, weil die mehrmals nicht telefonisch erreichbar war, eine andere aus Rücksicht auf die älteren Bürger: "Die haben Probleme, 'Frau Bürgermeister' zu sagen." Der Crashkurs in Medienkommunikation hat Früchte getragen: Eckhard Spanier von der "Bürgerinitiative zur Abwahl des Bürgermeisters" spricht gar nicht mehr mit Journalisten, und die meisten anderen können Abwahlgründe nennen, ohne den Identitätswechsel zu erwähnen.

Einigen Anteil daran haben die Flugblätter der Gemeinderäte um Lindners möglichen Nachfolger Pforte, die in sämtlichen Briefkästen landeten: "Mit Frechheit und Aggressivität fielen die Medien über das Dorf und seine Einwohner her. Lindner (...) witterte das Geschäft. Lindner hat aus seiner angeblichen Krankheit das gemacht, was eines Bürgermeisters nicht würdig ist, nämlich ein Geschäft aus reiner privater Profitgier. (...) Seine Transsexualität ist wirklich seine ureigenste PrivatangelegenheitÖ"

Vorsichtshalber wird dennoch eifrig im Dreck gewühlt: "Er wurde von der Bevölkerung als PDS-Mitglied mit einer intakten Familie gewählt. Noch im April 1998, kurz vor der Landtagswahl wurde diese intakte Familie mit Lorbeer bedacht in einer Tageszeitung vorgestellt. Diese heile und intakte Familie, in der ein idealer männlicher Landtagsabgeordneter geschildert wurde, war damals schon eine Unwahrheit."

Der beste Beweis, daß es nicht ums Geschlecht geht, wäre natürlich, daß Lindner gar nicht transsexuell ist. "Das wird hier viel bezweifelt", sagt Vize Pforte. "Denn er hat sehr viele Schulden, und da behaupten böse Zungen, daß er das nur macht, um abzukassieren." Er wisse von Exklusivverträgen und Geld. In der Tat sprach Lindner anfangs exklusiv mit Pro 7, um, wie sie sagt, "die anderen Sender abwimmeln zu können". Geld war nicht im Spiel, sieht man vom branchenüblichen Spesenausgleich ab. "Das waren ein paar Mark fuffzig, irgend etwas im unteren dreistelligen Bereich", sagt ein Pro 7-Mitarbeiter. Der zweite Vertrag wurde mit stern-TV abgeschlossen. Auch für den Auftritt in Günther Jauchs Jahresrückblick werden, teilt die Redaktion mit, lediglich Spesen für die Anreise gezahlt.

Aber solche Details spielen keine Rolle. Daß ein Reporter der Bild-Zeitung auf einer Gemeinderatssitzung erklärte, der erste Tip sei nicht von Lindner gekommen, hindert Hecht bis heute nicht daran, das Gegenteil zu behaupten, um die Absetzung zu begründen. Er hat bessere Quellen: "Das ist uns zugespielt worden, so wie uns viel in letzter Zeit zugespielt wurde."

Auch Lindners Familie wurde viel zugespielt, häufig telefonisch: "Sag deinem Vater, dem blöden Schwein, er soll sich ins Knie ficken!" Frau und Töchter sind inzwischen ins benachbarte Köthen gezogen; nach dem Transsexuellengesetzes (TSG) wäre eine Trennung ohnehin unausweichlich gewesen. "Meine Frau hat wieder ein funktionierendes Leben. Mein Leben ist nicht funktionierend. Das ist scheiße", sagt Lindner. "Ich habe meine Freunde und meine Arbeit verloren, meine Familie ist weg, mein Auto, das war ein Dienstwagen, bin ich auch los." Das Bauplanungsbüro, in dem die Diplomingenieurin angestellt war, kündigte ihr nach der Diät wegen "Umstrukturierungsmaßnahmen" - der Firma, versteht sich. Arbeitslosengeld gibt es nicht, da Lindner für den Bürgermeisterjob tausend Mark erhält. Moralische Unterstützung bringen die Briefe, die sie seit denersten Medienberichten bekommt, über hundert sind es inzwischen. So sitzt sie nun mit dem siebenfachen Östrogenwert einer Schwangeren im leeren Haus und resümiert: "Das einzige, was mich richtig ärgert, ist, daß ich das nicht zehn Jahre früher gemacht habe."

Was spätestens nach der fünften Unterhaltung mit Bürgern auffällt, ist - neben der Tatsache, daß oft das Flugblatt wiedergegeben wird - die maßlose Aggression, die zutage tritt und bisweilen in unverhohlene Gehässigkeit abgleitet. Die Augen werden schmal und die Stimmen schneidend bei Sätzen wie "Frau Lindner hat sich unter Zeugen offenbart, wie schlecht es ihr geht unter der Herrschaft ihres Mannes. Aber die Familie Lindner ist ja intakt! Die Frau ist ja nun gottseidank ausgezogen." Der individuelle Frust scheint endlich ein Ventil gefunden zu haben. Natürlich gibt es auch Leute wie Bärbel Gräfe, die für Lindner stimmen wird und findet, "daß er, oder man muß ja jetzt 'sie' sagen, ganz schön viel hat einstecken müssen". Aber die sind selten.

Die Journalisten mögen Sprüche wie "Die Operation machen wir mit dem Hackmesser!" oder "Der gehört an den Strick!" und zitieren sie ausgiebig. Schön finden sie die allerdings nicht, zumal den meisten nicht entgehen dürfte, daß sie als ungebetene Zeugen selbst Haßobjekt sind. "Es ist nicht korrekt, zwei Bauern als repräsentativ für das Dorf hinzustellen, aber ich werde es tun", sagt der Mitarbeiter einer Tageszeitung, nachdem ihn nur die alkoholbedingte Koordinationsschwäche seiner Gesprächspartner vor Prügel bewahrt hat. Ungefragt betont Adolf Hecht, daß "Herr Lindner in keiner Weise angegriffen worden" sei: "Sein Haus ist nicht beshcmiert worden. Dem ist keinHaar gekrümmt worden." Es wäre unfair, daraus Plan B zu deuten.

Rainer Herrn, der sich mit Transsexualität in der historischen Perspektive befaßt und derzeit am Wissenschaftszentrum Berlin die Auswirkungen der Wende auf das Leben schwuler Männer erforscht, stieß bei seinen Interviews auf die Figur des "stigmatisierten Dorfschwulen" und auf die des integrierten Homosexuellen. Letzterer paßt sich den dörflichen Normen weitestgehend an und ist Teil der Gemeinschaft. Seine Männerliebe wird als Privatsache behandelt und ist kein Thema. Mit dem Dorfschwulen hingegen darf man sich nicht sehen lassen, will man einen Prestigeverlust vermeiden. Die Homosexualität ist Teil des dörflichen Diskurses, jeder ist gezwungen, Position zu beziehen - in der Regel eine, die vermeintlichen Normen entspricht.

Lindner ist ein härterer Brocken. Sie demontiert eine der wenigen Lebensorientierungen, indem sie vorführt, daß Geschlecht nichts mit Schwanz und Möse zu tun hat. Was für Frauen verkraftbar sein mag - ihre Identität wird durch die neue Schwester bestätigt - ist für Männer ein Tiefschlag: Kastration um des Verrates willen! Daß es das Alpha-Männchen der Gemeinde ist, macht alles noch schlimmer. "Na hören Sie mal, der Mann ist noch zeugungsfähig; da hab ich gar keinen Anlaß, ihn als Frau anzureden", poltert ein Gemeinderat. "Bei diesen Abgrenzungsmechanismen geht es vor allem darum, das gar nicht so weit an sich heran zu lassen, daß es auf einer reflexiven Ebene bearbeitet wird", glaubt der Verhaltensgenetiker Herrn. "Das ist für diese Leute einfach der größte Schweinkram." Lindner sei "der lebende Beleg für die Zerbrechlichkeit der Geschlechterrollen" und werde "als Inkarnation der Sichtbarkeit das Skandalon im Dorf bleiben".

Das Pulver ist noch nicht verschossen, die Gegenoffensive in Form von Flugblättern vorbereitet. Auf der einen Seite Gysi: "Selten habe ich so viel Hochachtung vor einem Menschen gehabt wie vor Ihrer Bürgermeisterin." Auf der Rückseite Jürgen Fliege: "'Lieber Gott, warum hast Du einige Menschenseelen in einen falschen Körper gesteckt? Bitte antworte mir, bitte!' - und irgendwann kam es: Jeder Mensch hat eine Botschaft des Himmels für alle. Jeder! (...) Kein Mensch wird geboren, den Erwartungen der Eltern zu entsprechen. Keiner! Also, geh und folge deinem Herzen. Und unter deinen Füßen werde ich das Feuer löschen und die Wasser trocknen lassen. Passen Sie gut auf sich auf!"