Der Groove vom Amselfeld

Slobodan Milosevic hat es geschafft, die kommunistische Ikonographie nationalistisch zu wenden, sagt die Kunsthistorikerin Bojana Pejic. Katja Diefenbach sprach mit ihr über die Vernetzung von nationalistischer Politik und Mythen der Populärkultur

Wie sah die politische Situation in der Bundesrepublik Jugoslawien aus, als Slobodan Milosevic die Bühne betrat? Wofür stand er politisch?

Noch sieben Jahre nach dem Tod von Tito, im Mai 1987, lebten wir unter dem Slogan "Nach Tito, Tito". Dieser Slogan bedeutete, daß Jugoslawien ein sozialistisches, kommunistisches Land bleibt und seine blockfreie Politik fortsetzt. Außerdem bedeutete "Nach Tito, Tito", daß auf ihn nicht mehr nur eine Person folgen wird. Sieben Jahre lang gab es ein Präsidium mit acht Repräsentanten der Teilrepubliken und Provinzen. Jedes Jahr war einer von ihnen Präsident, und ich erinnere mich, daß ich manchmal nicht wußte, wer gerade Präsident ist.

Vor einigen Tagen haben Sie auf einer Veranstaltung in Berlin zum Thema "Jugoslawischer Krieg und Medien" gesagt, Milosevic habe schon in den achtziger Jahren begonnen, den kommunistischen Sprachgebrauch mit einer nationalen Rhetorik zu überlagern.

Sehen wir uns das Jahr 1987 an, zwei Ereignisse haben es zu einem wichtigen Jahr für die kulturelle und politische Praxis in der SFR Jugoslawien werden lassen. Das eine war das Auftauchen Milosevics auf der politischen Bühne Serbiens. Das andere spielte sich anläßlich von Titos Geburstag ab: Seit dem Zweiten Weltkrieg war Titos Geburtstag am 25. Mai der "Tag der Jugend". Wir wissen geschichtlich, was so ein Jugendtag bedeutet: ein großes Stadium, Militärparade, Aufzug von Jugendlichen und Pionieren, Tänze.

Jedes Jahr gab es hier einen Plakatwettbewerb, und 1987 gewann die Künstlergruppe "Novi Kolektivizem" die Ausschreibung. Noch im März entwickelte sich daraus ein Skandal. Jemand hatte herausgefunden, daß sie die Kopie eines Nazi-Plakats von Richard Klein eingereicht hatten. Nach ein paar Retuschen, Stern statt Hakenkreuz usw., hatten sie unten auf das Plakat "dan mladosti", "Tag der Jugend", geschrieben.

Es war das erste Zeichen dafür, daß die politische Ikonographie zerstört wurde, die in Jugoslawien vom sozialistischen Realismus bestimmt war. Die Kunst war modernistisch, aber die politische Bildordnung sozialistisch-realistisch. Es ist selten, daß eine subversive künstlerische Aktivität so weit geht und so viel erreicht. Dieser heroische Mann, der auf dem Plakat für Titos Geburtstag eine Fahne trägt, ist eine Ikone des Dreißiger-Jahre-Deutschland - und sie wurde nach dem Austausch der Symbole einfach akzeptiert.

1987 wurden subkulturelle und oppositionelle Praktiken genauso sichtbar wie das stärkere Aufkommen einer nationalen und reaktionären Stimmung.

Ja, und am selben "Tag der Jugend" 1987, Titos Geburtstag, organisierte die Slowenische Jugendorganisation das Schwulen-Festival "Magnus". Das waren die ersten kleinen Zeichen für größere Veränderungen.

Und noch ein anderer Vorfall aus jenem Jahr, das mir im Rückblick entscheidend vorkommt: Die Belgrader Uni-Zeitung Student hatte zu Titos Geburtstag auf ihrem Titelbild ein junges grünes Blatt abgedruckt, das an einer Ecke ausgefressen war. Für dieses symbolische Detail wurde Student stark angegriffen. Derjenige, der damals am heftigsten gegen die Zeitung vorging, war Slobodan Milosevic. Ich glaube, das war das erste Mal, daß ich seinen Namen hörte. Er war irgendein Apparatschik aus dem städtischen Parteikomitee.

Worauf konnte Milosevic zu Beginn seiner politischen Karriere bauen, welche Gruppierungen waren ihm nützlich, um seinen Aufstieg zu befördern?

Bei der Wiedererfindung des serbischen Nationalismus spielten serbische Akademiker eine wichtige Rolle. 1987 veröffentlichte die "Serbische Akademie der Künste und Wissenschaften" einen berüchtigten Text unter dem Titel "Memorandum", den zwar fast niemand las, der aber voll mit nationaler Mythologie war und eine bestimmte Entwicklung andeutete. National orientierte Autoren hatten diesen Text über den Ursprung Serbiens, über die Bedeutung des Kosovo usw. verfaßt. Ähnliche nationale Bemühungen gab es in Slowenien. Im Rückblick erscheint mir 1987 als das Jahr, in dem das titoistische Jugoslawien und der titoistische Weg der politischen Repräsentation kollabierte.

Nur der von Tito praktizierte Personenkult überdauerte.

Ich erinnere mich, daß ein Satiriker aus Belgrad damals sagte: "Slobodan Milosevic ist der erste, der im sozialistischen Jugoslawien verstanden hat, daß Tito tot ist." Und das hieß auch, daß sich der Personenkult, der unter Tito entwickelt wurde, zu verschieben begann und allmählich von Milosevic übernommen wurde.

Auf welche Schriften konnte Milosevics Politik sich sonst noch berufen?

Es gab nicht nur das "Memorandum", sondern auch die Texte von Drobica Cosic, ein Schriftsteller, der als Dissident galt. Er durfte öffentlich nicht auftreten, war aber trotzdem Mitglied der "Serbischen Akademie der Wissenschaften" und schrieb eine Reihe von Romanen. Der erste, ein dreibändiges Ding, hieß "Wurzeln". Milosevic übernahm das sofort als eine Art Basis für ein politisches Programm Serbiens bzw. Groß-Serbiens. Es paßte ihm gut, daß diese Anregungen von einem Literaten kamen. Cosic war dann für längere Zeit Präsident des serbischen Parlaments.

Welche Rolle hat Milosevic bei der Zuspitzung des Kosovo-Konflikts gespielt?

Im März 1989 gab es große Demonstrationen im Kosovo. Und es gab auch einige Bestrebungen, Kosovo als unabhängige Republik zu etablieren. 1974 hatte eine Verfassungsänderung Serbien in drei Teile aufgeteilt, die Vojvodina im Norden und das Kosovo im Süden erhielten den Status autonomer Provinzen. 1989 wurde die Verfassung wieder geändert, und Milosevic entzog der Vojvodina und dem Kosovo den Autonomiestatus.

Im März 1989 hielt er dann jene berühmt-berüchtigte Rede in Pristina zu den Serben, die sich irgendwie "unterdrückt fühlten": "Ich werde nicht zulassen, daß euch irgend jemand schlägt." Darüber gibt es eine interessante BBC-Produktion, "Bruderkrieg", in der deutlich wird, daß - nachdem er diesen Satz gesagt, diesen Ton angeschlagen hatte - der politische Kreis um Milosevic immer mehr davon überzeugt war, daß Milosevic aus der postkommunistischen Transformation erfolgreich hervorgehen werde.

Welche politische Funktion hatte Milosevic zu dieser Zeit inne?

1989 war er Sekretär der Serbischen Kommunistischen Liga im Kommunistischen Jugoslawischen Bund. Jede Republik hatte einen anderen Sekretär. Zu dieser Zeit war Milosevic ständig im Fernsehen. Man muß sagen, daß - auch wenn mich das nicht berührte - Milosevic auf eine sehr direkte Art und Weise reden konnte. Tito war dagegen ein schlechter Redner, er las ab. Manchmal war er witzig in Interviews, aber ansonsten hielt er die schweren kommunistischen Ansprachen der alten Schule. Milosevic macht kurze Sätze, versucht sich in Leidenschaftlichkeit und wendet sich an die sogenannten kleinen Leute.

Zur 600-Jahr-Feier der Schlacht in Kosovo, am 28. Juni 1989, war Milosevic erneut sehr präsent. Er landete mit dem Hubschrauber auf dem Amselfeld und sprach ausschließlich zur serbischen Bevölkerung. Mit keinem Wort wandte er sich an die hauptsächlich albanische Bevölkerung von Kosovo. Das war der Moment, an dem es begann, gefährlich zu werden.

Im Moment wird in jeder westlichen Zeitung die Schlacht vom Amselfeld nacherzählt. Daneben wird meist ein Kitschbild von einem verwundeten Feldherrn mit Kosovo-Mädchen abgedruckt. Dieser Verweis soll die Bedeutung von Kosovo für die serbische Republik erhellen.

Die Schlacht auf dem Amselfeld soll 1389 zwischen serbischem und türkischem Heer stattgefunden haben. Damals verursachte das Osmanische Reich den allmählichen Niedergang des Byzantinischen Reichs. Im 13.Jahrhundert war Serbien relativ stark gewesen. Der serbische König galt als Kaiser. In der nationalen Lyrik wurde er als Zar besungen. Die Schlacht wird sowohl als Kampf zwischen der christlich-orthodoxen und der islamischen Welt nacherzählt als auch als Ringen zwischen dem kleinen Königreich und dem großen Imperium.

Wie ist das Phantasma der verlorenen Schlacht, das an eine heile Nation gemahnt, über die Jahrhunderte konstruiert und konserviert worden?

Die serbischen Geschichtsschreiber streiten sich immer noch über die genauen Fakten, wer wann wo wie getötet wurde. Sicher ist, daß der serbische Zar Lazar und der osmanische Sultan Murat tot waren, und Serbien die Schlacht verloren hatte. Danach entstand der "Kosovo-Zyklus", volkstümliche serbische Lyrik, die im 17. Jahrhundert von zwei serbischen Literaturhistorikern gesammelt wurde, Dositej Obradovic und Vuk Karadzic. Die volkstümliche Lyrik war der kulturelle Weg, im Kosovo-Mythos einen Ort verlorener Identität zu bewahren.

Während der 500 Jahre osmanischer Herrschaft bis zu den Balkan-Kriegen in diesem Jahrhundert wurden die Klöster im Kosovo zu einem kulturellen Aufbewahrungsort. Das sind national aufgeladene Orte, das klösterliche Zentrum des serbisch-orthodoxen Patriarchats in Decani, 10 Kilometer von Pec, die Kirche des serbischen Königs Milutin von Anfang des 14. Jahrhunderts und aus der gleichen Zeit das Kloster Gracanica auf dem Amselfeld. Es gibt nicht viele Bilder, die die Kosovo-Schlacht zeigen. Die meisten sind schlecht.

Einige sind aus dem 17. Jahrhundert, Barock des nördlichen Serbiens, meist aus Kirchen. Ein paar stammen aus der Romantik, aus dem 19. Jahrhundert, als in Europa die Idee des Nationalstaats geboren und die nationalen Mythologien wiedererfunden wurden. Die Tragödie der verlorenen Schlacht ist ein grundlegendes Element in der Konstruktion nationaler Identität.

In der Sozialistisch-Föderativen Republik Jugoslawien hat eine antifaschistische politische Mythologie eine große Rolle gespielt, Partisanenkult usw. Wie konnte diese Mythologie von nationalem und ethnischem Kitsch überlagert werden?

"Brüderlichkeit und Einheit" war der Slogan des titoistischen Jugoslawiens. Hier und da gab es Anfang der Siebziger in Kroatien und schon Anfang der Sechziger in Serbien Versuche, über nationale Identität zu sprechen. Aber grundsätzlich war das konterrevolutionär. Offene Nationalisten verloren ihre Jobs. Ansonsten kam die gesellschaftliche Kritik von links, z.B. von der Gruppe "Praxis", einem Belgrader Intellektuellenkreis, der keinesfalls national war, sondern links von der Partei stand.

Es waren ungefähr zehn ProfessorInnen von der Belgrader Uni, sechs verloren damals ihren Lehrstuhl. Es ist übrigens typisch für Milosevic, daß er diese Professoren Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger wiedereinstellte. Milosevic mag demokratische Gesten. Und Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger, bevor sich der serbische Nationalismus als Faschismus etablierte - ja, ich glaube, daß es sich hier wirklich um Faschismus handelt -, war die politische Situation eher von einem Geben und Nehmen bestimmt.

Das Ticket aber, das Slobodan Milosevic von Anfang an in der Hand hielt, war Nationalismus. Sein Trick ist, daß er die antifaschistische, die nationale und die postsozialistische Kultur geschickt miteinander kombiniert. Als er die Sozialistische Partei Serbiens gründete, kursierte sofort ein Witz in Belgrad: "Ein Mitglied der serbischen KP sagt zu einem anderen: Letzte Nacht ging ich als Kommunist zu Bett und wachte als Sozialist auf." Milosevic hatte die KP-Mitglieder aufgefordert, sich mit ihrer Unterschrift zum Übertritt in die Sozialistische Partei bereit zu erklären. Die Kommunistische Partei existiert aber weiter.

Eine ihrer führenden Figuren ist Mirjana Markovic, Milosevics Frau.

Es ist eine sehr obszöne Vorstellung, daß Antifaschismus in Serbien weiter gefeiert wird. Alle Festtage, die wir im Kommunismus hatten, feiert Milosevic weiter, plus ein paar neue. Neben Milosevics Sozialistischer Partei gibt es u.a. die JUL, Jugoslawiens Vereinigte Linke. Sie setzt sich aus alten kommunistischen Leuten, der Kommunistischen Partei und einigen ganz neuen Kräften wie Ljubisa Ristic zusammen.

Ristic ist ein sehr bekannter 68er, Direktor eines Theaters, sehr pro-jugoslawisch augerichtet. Sein Wander-Theater umfaßte SchauspielerInnen aus allen Teilen Ex-Jugoslawiens. Es ist wie im Westen: Die 68er, die gegen das Regime opponiert haben, werden die größten Dogmatiker und Totalitaristen. Die JUL ist jedenfalls eine sehr wichtige patriotische Partei, die immer noch von Marx, Engels und den Menschenrechten als Rechten der Arbeiterklasse spricht. In der JUL, da sind die Generäle, die immer in der ersten Reihe sitzen, und bei ihren Aufzügen Partisanenlieder singen.

Welche Interessen verband Milosevic mit der Gründung der Sozialistischen Partei?

Die KP war Milosevic zu stark mit "Brüderlichkeit und Einheit", mit Tito und der Unterdrückung von Nationalismus verbunden. Die Parteiengründung ermöglichte ihm, postkommunistisch zwischen Kommunismus und Nationalismus hin- und herzuschalten. Viele kritische AutorInnen sagen, daß Milosevic kein serbischer Nationalist ist, sondern Nationalismus nur benutze, um an der Macht zu bleiben. Er brauche die Nationalen und rechts-radikalen Parteien, ihre primitive, vulgäre, aggressive Sprache. Milosevic brauche Leute wie Vojislav Seselj, diesen Idioten, und seine Serbische Radikale Partei, weil sie den militaristischsten Flügel repräsentierten und paramilitärische Gruppen hätten. Und gleichzeitig könne er sich im Vergleich mit ihnen als weniger national und gemäßigt ausgeben.

Auf den großen Demonstrationen 1996/1997 wurde das Gebäude des staatlichen Fernsehens als Symbol der Macht attackiert. Welche Rolle spielt das TV in der "lumpenproletarischen Natiokratie", wie Sie Rest-Jugoslawien einmal bezeichnet haben?

Das Fernsehen war und ist für Milosevic sehr wichtig. Es unterstützt seinen nationalen Kurs. Sechs Monate, bevor der Krieg mit Slowenien und dann mit Kroatien begann, wurden die ersten Schüsse im Fernsehen abgegeben. Es war so pro-serbisch und so ausschließend, daß man von einer medialen Produktion des Hasses sprechen kann.

Es gibt zwar einige unabhängige Sender, aber nur die staatlichen Sender decken das ganze Sendegebiet ab. Letzten Sommer war ich in Belgrad und vor den Hauptnachrichten um halb acht lief jeden Tag ein Werbespot, mit einem sehr patriotischen Lied unterlegt. Es ist im MTV-Stil mit sehr sauberen, schnellen Schnitten gemacht. Man sieht Bilder der Heimat, Soldaten, marschierende junge Leute in Uniform, Berge, Marinesoldaten auf Schiffen. Montenegro hat einen sehr kurzen Küstenstreifen an der Adria. Wenn du den Clip siehst, denkst du, Serbien besitzt das ganze Mittelmeer. Das ist Patriotismus. Das bringt die Leute auf die Idee, sie müßten ihr Land verteidigen. Jetzt, während des Bombardements, ist dieser Spot wieder jeden Tag im Fernsehen.

Ein Hauptkennzeichen von Nationalismus ist Populismus. Diesen Populismus liefert das Fernsehen und ist damit ein Werkzeug der politischen Parteien. Von den Parteien, die die großen Demos 1996/97 mitgetragen haben, tritt nur die Bürgerunion von Vesna Pesic offen gegen eine nationale und kriegerische Politik ein.

Wenn es um aggressiven populären Nationalismus geht, sollten wir auch von Zjelko "Arkan" Raznatovics Partei der Serbischen Einheit sprechen. Sie arbeitet z.B. mit nationalen patriotischen Songs gegen die Nato. Sie verkauft den Mythos des Soldaten, der für das Land kämpft. Alles ist geprägt von Haß gegen jede Form des Anderen: Moslems, AlbanerInnen, Nato und eigentlich alles Westliche. Der anti-westliche Trend ist sehr deutlich. Dieser Populismus verletzt mich, auch als Intellektuelle.

Eine Freundin von mir hat eine feministische Analyse über die "Turbo-Volkssängerinnen" im Fernsehen gemacht. Drehst du den Ton ab, schauen sie - jeder Anti-West-Haltung zum Trotz - wie MTV-Girls aus, schlanke Körper, Styling. Drehst du den Ton an, singen sie serbische nationale Lieder.

Es gab auch einen Video-Spot von "Ceca", der Frau von "Arkan" Raznatovic. Sie ist Popsängerin. Die paramilitärischen Einheiten von Raznatovic heißen "Tiger". Und als "Ceca" einen neuen Song promotete, kam darin ein kleiner Tiger aus dem Belgrader Zoo vor.

Mit solcher Vernetzung von nationaler Politik und Populärkultur beschäftigen sich die AnthropologInnen, deshalb erzähle ich an dieser Stelle einen anthropologischer Witz: "Es gab einen Stamm von Kannibalen, die beschlossen, mit dem Kannibalismus aufzuhören. Nur einer wollte nicht. Die anderen waren unschlüssig, was sie mit ihm machen sollten. Und dann entschieden sie, ihn aufzuessen." Es wäre fantastisch, wenn das in Serbien mit Milosevic auch passierte. Je eher, desto besser.

Der Chefredakteur des oppositionellen Radiosenders B-92, Veran Matic, ist vor kurzem gegen eine regierungstreue Figur ausgetauscht worden. Wie geht es weiter mit B-92?

Ein Freund, mit dem ich telefonierte, sagte mir, daß die insgesamt 45 MitarbeiterInnen von B-92 alle solidarisch mit dem entlassenen Chefredakteur sind. Seitdem Veran Matic ausgetauscht wurde, ist niemand zur Arbeit erschienen. Sie werden jetzt wahrscheinlich alle entlassen.

B-92 ist deshalb so wichtig gewesen, weil es eine Stimme der Differenz war. Das heißt nicht, daß B-92 die Wahrheit verbreitete, sondern verschiedene Aspekte der Wahrheit gleichzeitig. Es war tatsächlich oppositionell und demokratisch strukturiert und verlieh anderen Leuten eine Stimme. B-92 begann als Radio. Dann bekamen sie dieses Kino "Rex" in der Belgrader Altstadt im jüdischen Viertel. Es war ein sehr schönes Kino, groß, in sozialistisch-realistischer Bauweise. Es war ein Ort für Diskussionen, Video-Screenings, Performances, Kunstausstellungen. Mit der Zeit begann B-92 dann mit der Produktion von Dokumentarfilmen und Features. Natürlich wurde B-92 auch vom serbischen Regime dazu benutzt, sich als demokratisch und liberal ausgeben zu können: Wir lassen alle sagen, was sie wollen. Aber nun, im neuen Krieg, ist auch das vorbei.

Gibt es im Moment irgendwelche Aktionen gegen den Krieg, den Nationalismus?

Was einige Leute aus dem Westen nicht verstehen, ist die tatsächliche Bedeutung der Rock-Konzerte. Sie bedeuten, daß die Leute einfach zusammen sind. Die Angriffe produzieren eine Solidarität, die vor einem Monat nicht existiert hat. Ok, das wird mißbraucht, natürlich. Das erste Rockkonzert war spontan organisiert. Seitdem organisiert die Stadt Belgrad die Konzerte. Kritische Leute, Intellektuelle, wie der "Belgrader Zirkel", der die Zeitung Republika herausgibt, sind durch die Nato-Angriffe zum Schweigen gebracht worden.

Ich glaube, jede Kritik an Milosevic und dem serbischen Nationalismus ist im Moment verstummt. Leute, die Kontakte zum Westen haben, werden als Verräter verdächtigt. Und ich glaube auch, daß Leute, die Systemkritik leisten, im Moment wirklich Angst vor Konsequenzen haben müssen.

Bojana Pejic ist Kunsthistorikerin und lebt in Berlin. Von 1971 bis 1991 war sie Kuratorin des Studentischen Kulturzentrums der Universität Belgrad, von 1984 zwischen 1991 Redakteurin der Zeitschrift Moment.