Die Adoption des Cyborgs

Der Body ist kein Leib. Über den Körper im Zeitalter seiner technogenen Reproduzierbarkeit stritten sich die Teilnehmer eines Kongresses in Berlin.

Obgleich die Sloterdijk-Debatte ebenso plötzlich zu Ende geht, wie sie begann, hat der Streit um die "Regeln für den Menschenpark" doch eines gezeigt: Dass die Philosophie zuweilen Antworten auf Fragen formuliert, die die Naturwissenschaft längst nicht mehr stellt. Maßnahmen wie die pränatale Diagnostik zur Reinerhaltung und Verbesserung des Erbgutes sind bereits gängige Praxis - ohne dass sich dagegen nennenswerter Widerspruch regen würde.

Das Thema sei ja hochaktuell, befand man Anfang Oktober auf einer interdisziplinären Tagung an der Freien Universität Berlin, der sich der Transformation des Körpers im Zeitalter seiner technogenen Reproduzierbarkeit widmete. Doch um die Thesen Sloterdijks ging es hier nicht. Ausgangspunkt der WissenschaftlerInnen war das Zusammentreffen von Dekonstruktion und Entkörperung in der technologischen Entwicklung von Biomedizin und Neuen Medien. Diesem Verschwinden des Körpers stehe ein unübersehbarer Körperkult im Alltagsverhalten und in der Bildenden Kunst gegenüber.

Der neueren medien- und biotechnologischen Entwicklung gelte es, "die Anstrengung des Begriffs" entgegenzusetzen, sagte die Erfurter Philosophin Annette Barkhaus, eine der Organisatorinnen der Tagung, und konstatierte einen Paradigmenwechsel: Die semantischen Basisoppositionen von "Mensch und Maschine, Virtualität und Realität, Tod und Leben" haben sich aufgelöst. Ziel des interdisziplinären Kongresses solle eine neue "Konzeptualisierung des Körpers" sein, wobei man auch "die Frage nach dem Menschlichen" diskutieren wollte.

Die These von der Entgrenzung des Körpers musste im Lauf der Diskussion bald wieder korrigiert werden. Die Konjunktur von pränataler Diagnostik und In-Vitro-Fertilisation sowie die Klonierung des Menschen verdeutliche, dass die Biotechnologien gerade nicht auf die Überwindung der Leiblichkeit des Menschen abzielten, differenzierte Annette Barkhaus ihr Eingangs-Statement. Eher sei das Gegenteil der Fall - diese Technologien wollten sich eines bestimmten Körperbildes ja gerade versichern. Nur wer die Dimensionen der Lebendigkeit und der Leiblichkeit unterschlage, könne in den neuen Technologien die Überwindung des Todes und des Geschlechts sehen. Die Hardware des Körpers werde zur Software, die genetisch umprogrammiert werden soll.

Insbesondere der weibliche Körper ist zum gentechnischen Versuchslabor geworden. Dass der gen- und reproduktionstechnische Zugriff auf den Körper geschlechtsspezifisch verläuft, hob denn auch die Wissenschaftshistorikerin Helga Satzinger vom Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung an der FU Berlin hervor. Beispiel ist die Behandlung männlicher Unfruchtbarkeit. Mit der Injektion von Spermien in Eizellen wird die Unfruchtbarkeit des Mannes durch Maßnahmen an der Frau behoben.

Auch im Hinblick auf die digitalen Medien konnte die These von der "Entkörperung" nicht aufrecht erhalten werden. Der Körper, so ein Erklärungsmodell, wird in einen physischen und einen Datenkörper aufgespalten. Dieser Datenkörper, der als symbolisches Zeichen für den leiblichen Körper fungiert, ermöglicht lediglich die Inszenierung eines "Ich" im Netz. Mit dem Befehl "@gender" kann zum Beispiel eine imaginäre "falsche" Geschlechtsangabe gemacht werden, damit verschwindet aber nicht der physische Körper. Virtualität sei begreifbar als "Veränderung im Modus von Körperlichkeit", nicht als "Entkörperung", so Sybille Krämer, Philosophin an der FU Berlin.

Der Geschlechtertausch in den Chat-Räumen des Internets stieß vor allem auf feministisches Interesse: Die Erprobung neuer Körperkonfigurationen scheint so möglich zu werden. Annette Barkhaus gab allerdings zu bedenken, das virtuelle Gender-Switching setze "weder die Geschlechterordnung außer Kraft noch die Geschlechtlichkeit der leiblichen Existenz". Schließlich verharrten auch die "kodierten Körper des Cyberspace" in der "herrschenden symbolischen Ordnung".

Auch Bettine Menke, Literaturwissenschaftlerin aus Erfurt, wandte sich entschieden gegen den Cyber-Hype. Keineswegs könne man davon sprechen, dass die Geschlechter-Binarität durch Technologien aufgehoben oder der Cyberspace die Einlösung von Judith Butlers Dekonstruktionstheorie sei. Die poststrukturalistische Theorie, so Menke, kann eben nicht als Begleitmusik der neuen Technologien aufgefasst werden.

Trotz aller Vorbehalte gegen die Technologie-Euphorie hat der feministische Diskurs den Cyborg fest adoptiert. Stefanie Wenner vom Graduiertenkolleg "Körperinszenierungen" versuchte dieses Interesse zu erklären: Im Humanismus habe sich "das männliche Subjekt als das vernünftige Wesen im Gegensatz zu seinem Anderen, das der Ausgrenzung bedarf", gesetzt. Die Verschaltung von lebendigem Körper und Maschine durchkreuze den "Anspruch der Herrschaft des menschlichen Subjekts über Natur und Technik bereits in seinem Körperinneren". Dies motiviere das feministische Interesse an der Figur des Cyborg.

Elisabeth List, Philosophin aus Graz, versuchte, die Diskussion wieder in den Kontext von Politik und Ökonomie zu stellen. Sie fragte nicht nach der Überwindung des Körpers, sondern danach, welchem Interesse seine technogene Transformation folgt. Die neuen Technologien, so List, modellierten den Körper schließlich "im Sinne bestimmter ökonomischer und politischer Interessen". Sie hob hervor, dass die Diskurse vom Körper "von der Intention der Normierung und Optimierung körperlichen Funktionierens im Sinne bestehender gesellschaftlicher Erfordernisse" geleitet seien.

Das aktuelle immunologische Bild des Körpers entspreche einem postfordistischen Anforderungsprofil, das auf "Flexibilität und Kreativität" setze. Dieser Persönlichkeitstyp sei risikofreudig, innovativ und strapaziere sein Immunsystem bis an die Grenze seiner Belastbarkeit - alles im Hinblick auf seine Arbeitsproduktivität. So wichtig der Hinweis auf das kapitalistische Verwertungsinteresse, so hilflos wirkte das Plädoyer: Gegen den totalen Zugriff auf das Lebendige, seine "technische Überbietung", müsse das "organisch Lebendige" verteidigt werden.