Junk Food I

Kauft Burger!

Überall Gelb. Vor dem Anzugträger, der über Papieren am Tisch hockt. Zwischen den Fingern des alten Mannes mit dem fettigen Haar und den speckigen Hosen, der am Eingang kauert. Pappbecher. Gelbe McDonald's-Pappbecher, aus denen Kaffeedampf aufsteigt.

Andy Warhol würde es gemocht haben. In den fünfziger Jahren malte er Hot Dogs, Cola- und Suppendosen. Fertiggerichte begannen damals, die amerikanische Gesellschaft zu vereinheitlichen. Das Dogma des Pop-Art-Künstlers: "Industrielle Nahrungsproduktion verwirklicht soziale Gleichheit."

Pop schafft Egalitarismus. Bei McDonald's. Jeder hat für den Kaffee 1,90 Mark bezahlt. Jeder, der hier seinen Sonntagmorgen verbringt. Draußen überm Münchener Karlsplatz hat der Himmel die Farbe eines toten Fernsehkanals. Drinnen rauscht das Frittierfett. Deutschlands erste McDonald's-Filiale wurde 1974 hier in München eröffnet, vergangenen Woche war in Berlin-Treptow die 1 000. an der Reihe.

Roger Schwarze weint nicht. Schaut nur verbissen. Schlägt die Beine in der ausgewaschenen Jeans fest übereinander, zieht die blaue Weste und das Karo-Jackett zurecht, schaut in seinen Taschenkalender, die fünf Zeitungen, die sich vor ihm stapeln. Versicherungen und Immobilien verkauft er. "Selbstständig", wie er betont. Roger sucht nervös ein Papier. "Natürlich arbeite ich auch sonntags bis sechs Uhr. Es macht Spaß. Ich habe ein Ziel." Den Erfolg. Roger zerbricht langsam ein Holzstäbchen: "Klar sind viele Beziehungen durch die Arbeit kaputt gegangen." Er sitzt aufrecht: "Das ist egal. Ich habe ein Ziel." Den Erfolg. Roger schwärmt von McDonald's: "Wie Pornos. Keiner hat was damit zu tun und trotzdem boomt's. Hätte ich die Idee doch gehabt."

Täglich essen 1,7 Millionen Menschen in den 1 000 deutschen McDonald's-Filialen. 1999 werden sie - hofft McDonald's Deutschland - der Hamburger-Braterei einen Umsatz von 4,2 Milliarden Mark an Burgern, Fritten und Cola zusammenkaufen. Weltweit gibt es 24 500 Filialen in 116 Staaten. Kolumbien, Argentinien, Armenien - Burger, Burger, Burger. Warhol: "Die Fertiggerichte schmecken immer und überall gleich, wie Libby's Fruchtcocktail aus der Dose." Den malte er auch. Und Colaflaschen ("210 Coca-Cola Bottles", 1962). Fastfood überwindet Sozialstufen.

Dreimal muss die Verkäuferin nachfragen. Der alte Mann mit grünem Filzhut und Bundeswehr-Parka murmelt leise. Den Rücken hat er weit vorgebeugt, blickt stets nach unten auf seine Lederstiefel. Mit gelbem Kaffeebecher und einem Hamburger verkriecht er sich in die hintere Ecke des Raumes. Er öffnet den Parka. Darunter eine Lederjacke, darunter ein Pullover. Zeit vergeht, bis ihm sein Name über die Lippen kommt. Winfried. Er ist 58 Jahre. Winfried friert, er schmiegt die groben Hände an den Pappbecher. Seit 1977 ist er arbeitsunfähig. Die Arbeit auf dem Bau hat seine Gelenke zerstört. Winfried murmelt, den Blick stur in den Kaffee gesenkt vor sich hin. Er will möglichst viel in wenig Zeit loswerden.

Von Oberföhring kam er bis nach München, schlief in Baracken an den Baustellen, arbeitete, bis der Arzt ihn für arbeitsunfähig erklärte. Seitdem geht er jeden Tag spazieren. Bei McDonald's kehrt er ab und an ein - es ist billiger als die Wirtschaft. Winfried hat keine Familie, keine wirklichen Bekannten. Aber eine kleine Freude. Die Hoffnung auf den Lotto-Sieg. Seit über 20 Jahren. "Wenn ich mal gewinne, nicht so kleine Pfennige, sondern richtig, dann reise ich", murmelt er, hebt die Stimme, hebt zum ersten Mal den Kopf, richtet die klaren, blauen Augen nach vorn: "Nach Südamerika."

"Für kein Geld der Welt", schreibt Warhol, "kannst du irgendwo eine Cola herkriegen, die besser wäre als das, was der Penner an der nächsten Ecke trinkt. Das weiß Liz Taylor, das weiß der Präsident, das weiß der Penner, und du selbst weißt das auch." Die Gleichheit der kaufenden Masse hat nur zwei Nachteile. Die einfachen Mitarbeiter bei McDonald's verdienen im Monat zwischen 1 910 Mark und 2 332 Mark brutto. Rund 30 Prozent der Mitarbeiter in den Lokalen ohne Betriebsrat werden zu gering bezahlt, weil McDonald's den Tarifvertrag nicht einhält. Nur 50 der fast 1 000 Lokale haben einen Betriebsrat. Aber Warhol war Philosoph: "Bei Macy's kaufte ich mir aus lauter Lust und Laune meinen ersten Fernseher, einen RCA, schwarz-weiß, 48 cm. Ich brachte ihn mir nach Hause, ließ ihn ständig laufen, besonders während mir die Leute von ihren Problemen erzählten, und ich merkte, dass das Fernsehen mich dabei gerade so weit ablenkte, dass mich die Probleme nicht mehr wirklich berührten." Er registrierte ohne zu kritisieren. Und trank gern Cola.