Depressionen I

Herbst

Winterdepressionen sind leicht zu kurieren, meinen die Wissenschaftler der FU Berlin. Wenn's kalt wird, einfach durch den Wald rennen, bis man erschöpft lächelnd im Schnee niedersinkt. Das klingt zwar nicht auf Anhieb plausibel, aber Herbstdepressionen scheinen da um einiges hartnäckiger zu sein. Spätester Starttermin ist jedes Jahr die Uhrenumstellung auf die Winterzeit, eine Einrichtung, die autoritätsfixierte Frühaufsteher erfunden haben müssen. Denn wenn man in der Regel erst gegen Mittag das Licht der Welt erblickt, erschöpft sich der Effekt der Zeitverschiebung in einem Entzug an Tageslicht. Außerdem erobert mit Beginn der Winterzeit die Gewissheit das Unterbewusstsein, dass die Zeit der trüben Tage nun mindestens noch bis zum nächsten April anhält. Zumindest, wenn man in Berlin lebt. Das sind immerhin fünf Monate. Also gut zwanzig Wochen. Macht etwa 150 Tage. Oder eher noch ein paar mehr.

Bei alledem handelt es sich nur um die äußeren Umstände. Die Ursachen liegen tiefer. Anlässe für Herbstdepressionen gibt es viele. Die Einsicht, dass man den falschen Job hat - oder gar keinen; ständig Stress in der Beziehung - oder gar keine; nervige Leute in der WG - oder gar keine; negative Gefühle beim Sex - oder gar keinen; ein überzogener Überziehungskredit auf dem Girokonto - oder gar keinen; blöde Musik im Radio - oder man hat eben gar kein Radio.

Das einzig Gute an Herbstdepressionen ist, dass man sich ziemlich sicher sein kann, damit nicht allein zu sein. Millionen Menschen fühlen in diesen Tagen so. Eingepackt in fette Wollpullover und dicke Jacken sitzen sie draußen vor den Cafés und nehmen kühle Getränke - ganz so, als sei es noch tiefster Sommer. In den Kneipen sieht man sie in ihr Bierglas starren. Die meisten bleiben aber gleich zu Hause, denn sie wissen, dass es auch keinen Spaß macht, draußen schlechte Laune zu verbreiten. Und zu Hause kann man in aller Ruhe stundenlang darauf warten, dass einen niemand anruft. Oder einfach gedankenschwer aus dem Fenster glotzen. Sich im Klo einschließen, bis sich die Mitbewohner anfangen zu sorgen. Die alten Platten von The Smiths nochmal durchhören. Oder gleich Leonard Cohen.

Was hilft? Schwer zu sagen, da ist sogar ein Schluckauf leichter zu kurieren. Isolation, Alkohol und Frühsport gelten als erprobt schlechte Rezepte. Kurzfristig gebuchte Fernreisen und gute Vorsätze helfen auch nicht weiter. Ein neues Outfit? Umziehen in andere Städte? Mit falschem Pass nochmal von vorn anfangen? Vitamin-C-Tabletten? Öfter mal ausschlafen?

Einfach abwarten, bis es vorübergeht.