Millenniums-Countdown III

100 Jahre Silvester

Das mit dem Millennium ist ja so eine Sache. Vor allem in der Hauptstadt. Nachdem Holm Friebe seine Silvester-Party abgesagt hatte, ist ein kleiner Reiseführer erschienen, der dem nun Orientierungslosen den Weg zu den übrig gebliebenen Events in Berlin weisen soll. Eine Verzweiflungstat, denn jetzt kann die Parole doch eigentlich nur noch lauten: Raus aus der Stadt! Ab in die Berge! Und überhaupt, höre ich es aus dem Hintergrund poltern, was soll die ganze Aufregung? Schließlich wird schon seit eh und je Silvester gefeiert.

Eben. Darum gibt es in der kleinen Galerie am Körnerpark in Berlin-Neukölln jetzt eine Ausstellung, die dies dokumentieren soll: hundert Jahre Silvester. Von 1899 bis 1999. Jedes Jahr eine Party. Ohne Brandenburger Tor, ohne Promis und ohne Lichtdom. Dafür mit Bergen von Berliner Pfannkuchen, Papphüten und steifen Wohnzimmer-Fotos. Die mutigste Ausstellung des Jahres.

Die einigermaßen naheliegende Idee, die Silvesterfeier-Kultur des vergangenen Jahrhunderts zu untersuchen, setzten Lothar Binger und Susann Hellemann quasi ohne Geld um. Seit Mitte der achtziger Jahre sammelten sie Fotos von Silvesterfeiern, die zusammen mit Texten zu Silvesterbräuchen, Silvester-Ereignissen und Silvesteransprachen mit Tesa-Film auf Spanplatten geklebt wurden und nun in stumpfer Zick-Zack-Formation den Raum der Galerie teilen.

Der Katalog zur Ausstellung bietet beeindruckende Fakten (1929 wurden neun Millionen Pfannkuchen verkauft), ist unlesbar layoutet und fällt beim zweiten Durchblättern aus der Bindung. Dafür wird eine Kontinuität der Silvestertraditionen nachgewiesen: Der Berliner feiert den Jahreswechsel mit der Familie und guten Freunden zu Hause im Wohnzimmer. In jedem Jahr starrt einen das gleiche Bild an: zwanghaft fröhliche Menschen in der guten Stube mit Luftschlangen, Bowle und billigem Sekt.

Ebenso gleichförmig wie die Gesichter auf den Fotos erscheinen die Neujahrsansprachen der jeweils gerade amtierenden Staatsoberhäupter. Wie die frustrierte Bilanz des Jahres 1966 von Bundespräsident Heinrich Lübke: »Die Leistungssteigerung verringerte sich, während die Preise weiter stiegen. Die Forderung nach einer Stabilisierung ohne Stagnation ist demnach auch im letzten Jahr unerfüllt geblieben.« Schlimme Sache. Vielleicht wird's ja im nächsten Jahr besser.

Beim Party-Problem 1999 hilft das natürlich nicht weiter. Holm mauert. Und es bleibt allein der Trost, dass es die Leute früher auch nicht viel leichter gehabt haben.

»Große Reden - kleine Feiern«. Noch bis zum 9. Januar 2000, dienstags bis sonntags 11 bis 17 Uhr, in der Galerie am Körnerpark, Schierker Str. 8, 12051 Berlin