Ist der Kurator der DJ der Kunst?

Marius Babias im Gespräch mit Ausstellungsmacher Florian Waldvogel über die Love-Paradisierung des Kunstbetriebs

Die von ökonomischer Umverteilung, Flexibilisierung und sozialen Erosionen gekennzeichneten neunziger Jahre haben im Bereich der Kunst zwei neue Typen hervorgebracht, die sich gegenseitig legitimieren: den Popkünstler und den Kurator. Du hast an der Frankfurter Städelschule zuerst Kunst studiert, ehe Du Kurator wurdest. Was schien Dir so attraktiv an diesem Frontwechsel?

Mein Glaube, im Kunststudium zu einem erfolgreichen Künstler ausgebildet zu werden, war leider von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Starke Selbstzweifel an meiner eigenen künstlerischen Arbeit ließen meinen Entschluss reifen, insbesondere nach der Lektüre von Victor Bockris, mit der Kunstproduktion aufzuhören, da es sowieso schon zu viele schlechte Künstler gibt. Ich teilte dem Rektor, Kasper König, meine Entscheidung mit, mich exmatrikulieren zu wollen. Ich fragte ihn nach einem Job, und er bot mir eine Stelle als Assistent an. Das war 1994.

1995 hast Du in einem Londoner Hotelzimmer die Ausstellung »Bed and Breakfast« mit Thomas Bayrle, Tobias Rehberger und Martin Neumaier organisiert, die von 23 Uhr abends bis 10 Uhr morgens zu sehen war. Die Idee beruhte darauf, nach der Sperrstunde der Pubs einen sozialen Raum anzubieten. War dieses Ausweichen in periphere Ausstellungsorte - ein Leitmotiv unter Jungkuratoren - Programm oder einfach Notlösung? Würdest Du nicht lieber Ausstellungen in großen Museen organisieren?

Zwischen einem institutionellen und einem alternativen Ausstellungsraum besteht für mich kein gravierender Unterschied, da die Hierarchie der Räume für die Notwendigkeit der künstlerischen Projekte keine tragende Rolle spielt. Die alternativen Räume sind oft mobiler, schaffen Sichtbarkeit, dafür haben die Institutionen meistens eine bessere Infrastruktur. Bei »Bed and Breakfast« definierte der Ort den Kontext für dieses Projekt. »Bed and Breakfast« war eine Art ökonomischer Zwischenraum mit anderen Zeitdimensionen, umgeben von den dynamischen Strukturen einer Studienreise, während der ich dieses Projekt organisierte.

Ein weiteres Beispiel für eine Ausstellungspraxis an der Peripherie war Dein Projekt »Closed Visit« (1995) mit Thomas Zipp, der auf seiner Reise nach Moskau und Tokio eine mobile Ausstellung in einer Mappe dabei hatte. Es gibt eine Reihe von Ausstellungen in dieser Zeit, die spielerisch das Verhältnis von institutionellem Zentrum und selbst organisierter Peripherie umdrehen. Neue Bescheidenheit oder Karrierekalkül?

Bei »Closed Visit«, »Bed and Breakfast« und später »Soft Room« mit Franz Ackermann in Hannoversch Münden gab es ein dialektisches Verhältnis zwischen dem Kontext und dem Konzept, das sich von Projekt zu Projekt immer wieder neu generierte. Viele der selbst organisierten Projekte in peripheren Ausstellungsorten, neue Distributionswege und Künstler-Kollektive der letzten Jahre entstanden aus ökonomischen Notwendigkeiten. Durch die beschränkten budgetären Mittel waren wir gezwungen, neue Formen der Ausstellungspraxis zu eruieren. Wir haben zu realisieren versucht, was uns in der damaligen Situation relevant erschien.

Wenn du als Kurator die Einladungskarten selbst druckst, die Arbeiten transportierst und installierst, die Ausstellung betreust und den Besuchern die Zusammenhänge erklärst, denkst du nicht automatisch an die Karriere.

Zwar führte dieses inflationäre Aufkommen peripherer Ausstellungsorte dazu, dass die Museen immer mehr ihren Legitimationsanspruch verloren, öffentliche Räume zu sein. Aber dieser territoriale Zugewinn zog keine gestiegene gesellschaftliche Bedeutung der Kunst nach sich, allenfalls mehr Sendezeit in den Medien. Unterstützt der Kurator nicht eine allgemeine Tendenz der Ereignishaftigkeit von Kultur?

Die Museen haben ihren Legitimationsanspruch nicht wegen der alternativen Ausstellungsräume verloren. Anstatt sich auf neue ökonomische Ressourcen zu konzentrieren, werden immer mehr Museen zu Freizeitparks umstrukturiert. Kein pfiffiges Museum ist doch mehr ohne Café und Museums-Shop denkbar. Wenn im Haus der Kunst in München 8 000 Kids durch die Richard-Lindner-Ausstellung und in Frankfurt Chanel-Models über die »Tischgesellschaft« von Katharina Fritsch tanzen, hat das nichts mehr mit einer Kompensation der Schwellenangst von Besuchern zu tun, die Museumsdirektoren gerne als Ausrede für ihre Events herbeibemühen. Ein Großteil der deutschen Institutionen ist inhaltlich am Ende und befindet sich im intellektuellen Hausarrest.

So gesehen, beschleunigen die alternativen Ausstellungsmodelle vielleicht die Agonie der Museumslandschaft, weil sie mobiler sind und eine produktive Reibungsfläche bieten. Für das eigentliche Problem, die Event-Ideologie der Institutionen, kann man die freien Kuratoren nicht verantwortlich machen.

Welche Ausstellung der letzten Zeit, würdest Du sagen, hat dem Trend entgegengewirkt, Probleme der Gesellschaft in der Kunst scheinzuversöhnen, Politik in Kultur umzuwandeln?

Der Großteil der heutigen künstlerischen Produktion ist unpolitisch, wenn wir mal davon absehen, dass Ausstellen an sich vielleicht schon politisch ist. Die meisten Ausstellungen illustrieren lediglich eine Idee oder sie stellen von der gesellschaftlichen Gesamtsemantik abgekoppelte ikonografische Beziehungen her. Christoph Schlingensiefs Projekt »Passion Impossible - 7 Tage Notruf für Deutschland« ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Medien, die ihrerseits das Verlangen der Öffentlichkeit nach Ereignishaftigkeit spiegeln, ein komplexes Gossen-Oratorium zu einer schrägen Kasperle-Operette umdefiniert haben.

Für Schlingensief ist Helfen eine ästhetische Kategorie, übrigens auch Brechts Leitmotiv im »Rosa-Luxemburg»-Fragment: »Der Blick in das Gesicht eines Menschen, dem geholfen ist, ist der Blick in eine schöne Gegend.«

In den siebziger Jahren dominierte die künstlerische Haltung, in den achtziger Jahren die Strategie, in den neunziger Jahren die Subjektivität, die Gegensätze schleift und in eine Form zusammenbringt. Der Poplinke ist eine solche ästhetische Mutation. Die so genannte Gegenkultur geht immer mehr als Ornament in den Mainstream ein und droht zu verschwinden.

Kann die Kunst noch ein Ort ästhetischen Widerstands sein, hat ihr die Popkultur diese Funktion nicht längst abgenommen?

Es gibt noch Momente des Widerstands, die in Kunstwerken aufscheinen. Sie sind vielleicht seltener wahrzunehmen, weil sich in der Rezeption immer stärker eine Lesart durchsetzt, die Kritik als ästhetisches Kalkül re-interpretiert, statt sie, wie im Falle Schlingensiefs, zunächst einmal als phänomenologische Realität ernst zu nehmen. Auch Olaf Metzels Skulptur »13.4.81« aus aufgetürmten rot-weiß lackierten Polizeiabsperrgittern bietet genug spirituelle Nahrung für einen möglichen ästhetischen Widerstand. Die formale Lösung dieser Intervention in den urbanen Raum besitzt sowohl ikonografische Relevanz als auch politische Brisanz im Sinne einer kritischen Aufarbeitung der Zeitgeschichte.

Das Interesse jüngerer Künstler und Künstlerinnen an Gegenkultur und Institutionenkritik hat merklich nachgelassen. Mittlerweile besetzt die Love-Parade-Weltfamilie diese Leerstelle. Ist der Kurator der DJ der Kunst?

Ich muss das für mich verneinen. Das Projekt »Soft Room«, das ich 1996 mit Franz Ackermann realisierte, widersetzte sich dem Konsumverhalten der Partyrezipienten. Es gab keine Ausstellungseröffnung, die heutzutage mehr und mehr zum Social Event mutiert ist, und man musste erhebliche Strapazen auf sich nehmen, um das Projekt zu sehen. So musste man zunächst einen Schlüssel haben, um den Raum in Hannoversch Münden aufschließen zu können. Nach Besuch der Ausstellung sollte man den Schlüssel innerhalb von vier Wochen weitergeben an eine Person, von der man glaubte, sie interessiere sich dafür.

Der Besucher entschied selbständig und ganz individuell, sowohl den Zeitpunkt des Besuchs als auch die Weitergabe des Schlüssels betreffend. Insgesamt kursierten 20 Schlüssel. Die Verantwortung für die Ausstellung wurde den Besuchern überantwortet - und nicht einem kuratierenden DJ. Das Projekt lief ein Jahr, und ein in der Ausstellung ausliegendes Künstlerbuch von Ackermann wurde gestohlen.

Ich habe kein Interesse an Partyorganisation im Kunstkontext. Auch Sebastian Stöhrers Beitrag für das Performance/ Kunst-Projekt »Home & Away«, das ich zusammen mit Uta Schnell 1999 in Hannover organisierte, ist als Kritik an der Kulturkonsumhaltung zu lesen: Sein mobiler Imbisswagen mit selbst zubereiteten Bratwürsten, Ketchup und Mayo erinnerte uns an einen Qualitätsbegriff, den die Eventkultur schwer bekleckert hat.

Wie beurteilst Du die Rückkehr der Malerei? Ist es nicht erstaunlich, dass die in den neunziger Jahren erprobten dezentralen Ausstellungsformen offenbar einen Bilder-Backlash hervorgerufen haben statt das angepeilte Gegenteil, nämlich eine Kritik an der visuellen Kolonisierung unseres Alltagslebens?

Die Rückkehr der Bilder erstaunt mich nicht, sind sie doch, anders als fragile Installationen oder Konzeptkunst, gut handelbare und tauschfähige Objekte in der Kapitalanordnung des Kunstmarktes. Vorträge, Diskussionen, Gesprächsrunden etc. wurden unter der Konjunktur des Kommunikationsbegriffs als Gegenentwurf zum Warenfetischismus der objekthaften Kunst entwickelt. Aber die Aura der Flugblätter und Handzettel konnte den Markt- und Kultwert ästhetischer Produkte nicht ersetzen. Wer hängt sich schon einen Vortrag an die Wand? Die meisten Junggaleristen bekommen doch feuchte Hosen, wenn sie Ideen vermitteln müssen. Da bevorzugen sie lieber sich selbst erklärende Kunstobjekte.

Es ist sehr interessant zu beobachten, wie sich gerade junge Künstlerinnen der Verlängerung tradierter Kunstbegriffe verweigern. Das dürfte auch einer der Gründe sein, warum viel weniger Positionen von Künstlerinnen gezeigt werden als von ihren männlichen Kollegen.

Der Kurator ist der nomadisierende Dienstleister des Millenniums: viel reisen, Kontakte machen, Konzepte anbieten. Welche Auswirkungen hat das auf die Kunst, wenn sie als kulturelles Produkt in die zirkulare Verwertung eingespeist wird? Wird ihr Repräsentationscharakter noch stärker werden, wird sie zur ästhetischen Dienstleistung, vergleichbar dem Film und der Popmusik?

Der Kunstmarkt und seine Produkte unterliegen einer zyklischen Spekulationsphase von zirka 15 Jahren. Der Markt steht mittlerweile wieder auf einem soliden Fundament, und die zeitgenössische Kunst hat sich in einen blühenden Zweig der weltumspannenden Konsumkultur verwandelt. Ironisch könnte man sagen, dass durch die ganzen Randerscheinungen wie Partys und Museums-Shops das egalitäre Ideal einer »Kunst für alle« fast verwirklicht worden ist.

In ein paar Jahren werden die Spekulationen wieder anziehen und der dann folgende Einbruch wird zu einer Regeneration führen, wie schon Ende der Achtziger, als das Interesse für die neue Malerei plötzlich verebbte und das, was wir heute re-politisierte Kunstpraxis nennen, aufkam, die ihrerseits dann Ende der Neunziger wieder in den Hintergrund geriet und einem Neuen Subjektivismus Platz machte.

Kuratoren wird nachgesagt, sie seien im Gegensatz zu den klassischen Ausstellungsmachern mehr an der Karriere als an der Kunst interessiert. Sie fühlten sich keinem Kunstbegriff mehr verbunden, sondern einem Lebensstil, weshalb sie mit dem Vorwurf leben müssen, Schnäppchenjäger zu sein.

Das Berufsbild des Kurators ist noch sehr jung. Bis zur Jahrhundertwende haben die Künstler ihre Salons selbst organisiert. Künstler wie Marcel Duchamp haben von der Produktion bis zur Präsentation mehrere Funktionen gleichzeitig ausgefüllt. Wenn man sich mit Persönlichkeiten wie Walter Hopps oder Harald Szeemann beschäftigt, wird man feststellen, dass sie vor Jahrzehnten auch nicht anders gearbeitet und recherchiert haben als seriöse Kollegen meiner Generation auch.

Das Bild vom »klassischen Ausstellungsmacher« ist doch ein romantisches Klischee. Profilneurotische Schnäppchenjäger gibt es nur so lange, wie Künstler alles mitmachen und Kritiker diesen Zirkelschluss affirmieren. Würden Künstler ihre Ausstellungen selbst organisieren, würde sich die ganze Diskussion um die Agentenrolle des Kurators von selbst relativieren.

Haben Kuratoren nicht einen großen Anteil daran, dass Subjektivität eine Ware geworden ist, indem sie das derzeitige Leitbild der Gesellschaft - die Kreativitätsideologie der Marke Schröder/Blair - forcieren und so das falsche Versprechen auf Selbstverwirklichung vorleben, wo es doch in Wirklichkeit eher darum geht, die Abschiebung des Individuums in die private Vorsorge zu kaschieren?

Sind am Bedeutungsverlust oder vielmehr an der Bedeutungsverschiebung der Kunst hin zur hemmungslosen Subjektivität wirklich die Kuratoren schuld? Ist diese Entwicklung nicht eher Ausdruck der allgemeinen gesellschaftlichen Situation, welche die Kunst spiegelt? Seit der Moderne wissen wir, dass wir die Kunst nicht loslösen können von den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie sich artikuliert. Das jeweils Neue ergibt sich aus der formalen Neuzusammensetzung der Werke, aber auch aus unserer sich jeweils verändernden Sehweise, die derzeit eher, wie Du das nennst, kreativitätsideologisch eingefärbt ist.

Ich verstehe das dialektische Verhältnis von Kunst und Gesellschaft so, dass unsere Sehweise die derzeit dominierende Selbstverwirklichungstypologie in der zeitgenössischen Kunst mitkonstruiert.

Du hast sehr früh viele Künstler ausgestellt, die heute bekannt geworden sind, u.a. Franz Ackermann, John Bock, Manfred Pernice oder Tobias Rehberger. Ein weiteres Klischee: Kuratoren stellen ihre Freunde aus, stimmt das?

Die Frage zu Family-Curating musste ja kommen. Wenn man zweimal mit dem gleichen Künstler / der gleichen Künstlerin pennt, gehört man dann schon zum Establishment? Die intensive Auseinandersetzung und der respektvolle Umgang miteinander bilden das Fundament für eine Freundschaft. Man geht ein Stück länger oder kürzer miteinander.

Angenommen, Du wärst Direktor einer Institution, was würdest Du ausstellen?

Seit 1987 ist die Skulptur »13.4.81« von Olaf Metzel eingelagert, nachdem der Berliner Bürgermeister Eberhard Diepgen sie aus wahlkampfstrategischen Gründen hat abbauen lassen. Diese Arbeit, die sich nicht wie eine Brosche in den Stadtraum schmiegt, muss zurück ins Straßenbild.

Der in New York lebende Krzysztof Wodiczko hat aus Supermarktwägen Allzweckvehikel für Obdachlose entwickelt. Für sie muss noch ein Distributionsweg gefunden werden. Auch scheint mir eine retro-perspektivische Aufarbeitung der Arbeit von Valie Export gerade jetzt sinnvoll, vor allem im Spannungsverhältnis zur zeitgenössischen Performance-Szene um Gob Squad u.a. Außerdem würde ich gerne mal wieder eine institutionelle Ausstellung von Bethan Huws sehen. Um nur ein paar Projekte zu nennen.