Ausstellung zur NS-Verfolgung von Homosexuellen

Die schwulen Opfer des Faschismus

Das Schwule Museum in Berlin und die Gedenkstätte Sachsenhausen dokumentieren in parallelen Ausstellungen das Leben, die Verfolgung und Ermordung Homosexueller.

Vor wenigen Tagen debattierte der Deutsche Bundestag die Entschädigung und Rehabilitierung strafrechtlich verfolgter Homosexueller im Nationalsozialismus und in beiden deutschen NachfolgeóStaaten. Damit hat 55 Jahre nach Kriegsende das höchste demokratische Gremium der Bundesrepublik die NSóVerfolgung von Homosexuellen als »offenbares nationalsozialistisches Unrecht« offiziell zur Kenntnis genommen. So forderte es der Antrag der Regierungsparteien.

Die »Praxis der staatsterroristischen Verfolgung bis 1945« sowie das Inkraftbleiben des Paragrafs 175 verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und sei mit dem Grundgesetz unvereinbar. Eine längst überfällige Erkenntnis ó ebenso wie die im Antrag vorgesehene Entschuldigung des Bundestages »für die bis 1969 andauernde strafrechtliche Verfolgung homosexueller Bürger«. Bei der erst 1994 ó nach der Vereinigung beider deutscher Staaten ó erfolgten vollständigen Streichung des Straftatbestandes reichte der parlamentarische Wille nicht zu einem solchen Eingeständnis.

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Gerade 17, lernte der Hamburger Robert T. Odemann 1922 den zwei Jahre älteren Martin Ulrich Eppendorf kennen. Sie blieben zehn Jahre zusammen, bis zum frühen Tod des Älteren. Odemann lernte u.a. Joachim Ringelnatz kennen und besuchte die befreundete Asta Nielsen auf Hiddensee. Der erste KelleróClub, in dem er auftrat, hieß »Katakombe«, und ein Kollege orakelte: »Das endet entweder als Leuchtreklame oder im Knast.«

Noch Anfang des Jahres 1937 gelang es Odemann ó nun Musiker und Kabarettist ó, sich mit kleinen Engagements durchzuschlagen. Nachdem sein gerade gegründetes Kabarett in Berlin geschlossen worden war, verhalfen Freunde und Freundinnen wie Pamela Wedekind ihm gelegentlich zu Bühnenauftritten.

Doch schon im November desselben Jahres geriet Odemann in die Fänge der Gestapo. Er wurde verhaftet und nach Plötzensee verbracht. »Wegen widernatürlicher Unzucht und Verführung zu widernatürlicher Unzucht nach Paragraph 175 neuer Fassung« wurde er zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Die Liebe zu einem Hamburger Buchhändler war Anlass emsiger Ermittlungen seitens der Gestapo. Nachdem er in verschiedenen Berliner Haftanstalten gesessen hatte, kam Odemann 1940 frei.

Die GestapoóAbteilung II S, zuständig für die »Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung«, arbeitete zu diesem Zeitpunkt bereits reibungslos. Massenverhaftungen, Razzien in von Schwulen und Lesben frequentierten Lokalen oder die Schließung der Bar »Silhouette« waren nur der Anfang der konzertierten Zerschlagung von Organisationen und Initiativen von Homosexuellen, die von der NazióIdeologie als »volksschädlich« und daher krankhaft indiziert und schließlich kriminalisiert wurden. Bald existierten Listen, Zehntausende von Akten, Verhörprotokollen, die Todeslisten der Lager, Totenscheine mit den immergleichen fingierten Todesursachen.

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Praktisch mit Berufsverbot belegt, weil aus der Reichsmusikkammer ausgeschlossen, wurde Odemann zwei Jahre nach seiner Entlassung, 1942, erneut verhaftet. Zu emigrieren war unmöglich geworden, und auch die zur Tarnung eingegangene Verlobung und spätere Ehe mit der lesbischen Sängerin und Kabarettistin Olga Rinnenbach bot keinen Schutz. Odemanns Hauswirtin denunzierte ihn, sein junger Freund konnte den GestapoóVerhören nicht standhalten, Odemann wurde zu einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Nach der inzwischen üblichen Praxis ließ sich die Kripo seine Akte frühzeitig kommen und verschleppte ihn unter dem typischen NazióEuphemismus »Vorbeugehäftling« sofort nach Strafende ins Konzentrationslager Sachsenhausen.

Robert T. Odemann überlebte Isolierung, Lager und schließlich den Todesmarsch, weil er mit zwei Freunden fliehen konnte. Er starb 1985, am selben Tag wie sein Mithäftling und Freund Ernst Haase. Eine Wiedergutmachung hatte er nicht erhalten.

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Die Situation der homosexuellen Männer im KZ Sachsenhausen unterschied sich von der z.B. in Neuengamme, wo die Häftlinge zwar auch größtenteils den Rosa Winkel bzw. die Bezeichnung »175er« trugen, aber Sachsenhausen hatte, wie Andreas Sternweiler vom Schwulen Museum erklärt, »eine Sonderstellung« in Bezug auf die Homosexuellen. Da den NazióIdeologen Homosexualität als Seuche galt, wurden die Schwulen im VorzeigeóLager Sachsenhausen nicht nur wie in anderen Lagern auch in mit hohen Zäunen abgetrennnten SpezialóBaracken untergebracht. Hier existierte eine Strategie, die, wie Sternweiler anmerkt, »die Vernichtung durch Arbeit noch übersteigt«.

Der schwule Österreicher Heinz Heger, der im Winter 1939 ins Lager kam, erinnert sich: »Juden, Homos und Zigeuner waren die Häftlinge, die am häufigsten und schwersten unter den Martern und Schlägen der SS und Kapos zu leiden hatten. Sie wurden als Abschaum der Menscheit bezeichnet, die überhaupt kein Lebensrecht auf deutschem Boden hätten und daher vernichtet werden müssten. Aber der allerletzte Dreck aus diesem 'Abschaum', das waren wir, die Männer mit dem Rosa Winkel.«

Und die ohnehin für die entkräfteten Häftlinge kaum zu bewältigende Arbeit in der Tongrube und im Klinkerwerk wurde von der SS regelmäßig genutzt, um Einzelne oder kleinere Gruppen zu vernichten. Todesfälle tauchten dann in der Lagerstatistik unter der grotesken Bezeichnung »unnatürliche Todesfälle« auf.

Die Berichte über die Mordaktion an Homosexuellen im Sommer 1942 variieren zwar, was die Zahlen betrifft, alle belegen jedoch, dass hier eine der schlimmsten Vernichtungsaktionen der SS stattgefunden hat. Nachts oder tagsüber wurden Häftlinge erschossen, erhängt oder in den Waschräumen umgebracht.

Die Sterblichkeit der Homosexuellen war wesentlich höher als die der anderen Häftlingsgruppen. Es gab KastrationsóExperimente, wobei den Opfern dieser Versuche im Krankenrevier vorgegaukelt wurde, sie würden nach »freiwilligem Antrag auf Entmannung« am Ende aus dem Lager entlassen.

Noch bis Ende des Krieges wurden Homosexuelle neu ins Lager verbracht, bis zum Todesmarsch 1945, bei dem etwa 6 000 Häftlinge starben, darunter viele Homosexuelle.

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Erst durch jüngere Forschungen, vor allem auch durch die Auswertung von Gerichtsarchiven, ist es möglich, genauere Angaben zur Zahl der Opfer zu machen. In über zehnjähriger Recherche hat das Schwule Museum Lebensläufe schwuler Männer rekonstruiert, um den Opfern ihren Namen wiedergeben zu können. 60 Einzelschicksale sind in der Ausstellung dokumentiert, anhand einer beeindruckenden Vielfalt der Zeugnisse. Das Vorhaben, die Individualität der einzelnen Menschen vorstellbar und sichtbar zu machen, ist gelungen. Auch das Auffinden der fast 90 Sterbeurkunden ist nicht bloße Statistik, sondern ein Akt der Würdigung.

50 000 Schwule wurden von der NSóJustiz zu Zuchthausó und Gefängnisstrafen verurteilt, 10 000 bis 15 000 ohne Gerichtsverhandlung von der Gestapo oder auf Betreiben der Behörden als »Schutzó und Vorbeugehäftlinge« in die Konzentrationslager verschleppt.

Zwar vernichtete die Lagerleitung die Lagerakten, aber auf Grundlage der im Moskauer Archiv des NKWD wiedergefundenen Unterlagen und durch Aufzeichnungen ehemaliger Lagerhäftlinge muss man heute davon ausgehen, dass zwischen 10 000 und 12 000 Homosexuelle im KZ Sachsenhausen inhaftiert waren. Um die 400 haben wohl überlebt ó so die Recherchen der an der Ausstellung beteiligten Historiker ó, konnten aber nicht ausfindig gemacht werden. Nachgewiesen sind 17 200 Ermittlungsverfahren nach Paragraf 175, die die Berliner Staatsanwaltschaft anstrengte, in 5700 Fällen kam es zu Verurteilungen.

Nach dem 1935 verschärften Paragrafen 175 galt jede gleichgeschlechtliche Handlung als »Unzucht«, ein Kuss, der von Dritten beobachtet wurde, reichte den Behörden schon. Lesben waren hiervon ausgenommen, gleichwohl kam es zu Verhaftungen und Lagereinweisungen von homosexuellen Frauen als »Asoziale« oder zu Vorladungen wegen Tragens unweiblicher Kleidung.

Nach der Ermordung Ernst Röhms, Stabschef der SA, die als Vergeltungsaktion »Nacht der langen Messer« mit eindeutig antischwuler Propaganda betrieben wurde, verschärfte sich die Situation. Das Institut für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld wurde von der SA verwüstet. Die 1933 begonnene »Aktion Sauberes Reich« endete mit Lagereinweisung ohne Prozess, mit Schutzó und Vorbeugehaft auf unabsehbare Zeit.

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Es ist von Berlin aus nicht weit bis Oranienburg, und von da aus zur Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen. Das Areal mit den knapp siebzig Baracken gleicht dem Lageplan einer totalitären Stadt, zentral kontrollierbar und einsehbar vom »Turm A«, dem Sitz der Lagerleitung, unter dem sich der Eingang und auch das zentrale Gittertor mit den Worten »Arbeit macht frei« befand.

Hinter dem Tor der halbrunde Appellplatz, von wo aus fächerförmig angeordnet die knapp siebzig lang gestreckten Baracken abgingen. An jeder Stirnseite der vom Appellplatz ausgehenden Baracken stand ein Wort. Zusammen ergeben diese Worte eine perfide Phrase, in weißer Farbe gepinselt, die auf Heinrich Himmler, Reichsführer der SS zurückgeht, und die täglichen Leiden der Inhaftierten verhöhnte: »Es gibt einen Weg zur Freiheit, seine Meilensteine heißen Gehorsam, Fleiß, Ehrlichkeit, Ordnung, Sauberkeit, Nüchternheit, Wahrhaftigkeit, Opfersinn und Liebe zum Vaterland.«

Rechts lagen die Isolierblocks der homosexuellen bzw. nach Paragraf 175 inhaftierten Häftlinge, umgeben von einer Stacheldrahtumzäunung. Links der abgegrenzte Krankenbau sowie die Pathologie und der Leichenkeller. Hier fanden die qualvollen und meistens tödlichen »medizinischen Versuche« und die Kastrationen an homosexuellen Häftlingen statt, im Auftrag der NSóBehörden, in Zusammenarbeit mit dem Kreiskrankenhaus Oranienburg und der PharmaóIndustrie und auf der neu geschaffenen gesetzlichen Grundlage des Reichsstrafgegetzbuchs.

Im hinteren Bereich lag das »Station Z« betitelte Krematorium des Lagers. Angrenzend an das Lagergelände befanden sich außerdem die Tongrube und das Klinkerwerk, Orte willkürlicher Morde und geplanter Mordaktionen.

Nach Kriegsende diente das Lager der sowjetischen Besatzungsmacht als Gefangenenlager, Mitte der Sechziger wurden die Häftlingsbaracken abgerissen, das Gelände diente nun als Aufmarschplatz zu staatstragenden und antifaschistischen Feierlichkeiten und Gedenktagen der DDR.

Der weithin sichtbare Obelisk mit den roten Winkeln der politischen Häftlinge galt in erster Linie dem Gedenken der kommunistischen Opfer des Faschismus. Wo sich die KommandanturóGarage befand, wurde nach dem Krieg das Neue Museum der Gedenkstätte erbaut, ein einstöckiger Flachbau mit sakraler Bleiverglasung im Inneren, die über ausgemergelten Gestalten die rote Fahne flattern lässt. In der ehemaligen Kommandantur finden sich die Toiletten.

Neueren Datums sind die Gedenkausstellung der Jüdischen Opfer von Sachsenhausen, die Ausstellung zur Verfolgung der Sinti und Roma und eine Tafel zum Gedenken eines als Wehrdienstverweigerers hingerichteten Zeugen Jehovas.

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Der Ausstellungsbau von Rainer Lendler, der die historischen Exponate, die Akten, Briefe, geheimen GestapoóDokumente, Privató und Polizeifotos präsentiert, ist betont antiómonumental. Die Wände des rechteckigen Ausstellungsraums im Neuen Museum der Gedenkstätte sind nur sehr spärlich zur Hängung genutzt, an einigen Stellen sind Videobildschirme eingelassen, die Interviews mit homosexuellen Verfolgten zeigen. Das eigentliche Augenmerk der 500 Quadratmeter umfassenden Dokumentation allerdings richtet sich auf eine zweifarbige Raumskulptur: zwei gewölbte Wände, die einander konvex gegenüber liegen und in der Draufsicht eine fast elliptische Form bilden wie ein auf Grund gelaufener Schiffsrumpf. Von außen sind die Wände in kühlem Hellblau getönt, das Innere changiert in den Farben Orangerot, Rosa und hellem Zyklam.

Während auf den in warmen Farben gehaltenen Innenwänden, die durch zahlreiche Durchlässe zugänglich sind, die einzelnen, in jahrelanger Recherche rekonstruierten Lebensläufe, neben Porträts und Fotografien von Freunden, beinahe wie begehbare Albumblätter wirken, stellen Dokumente z.B. zu Schwulen in der Jugendbewegung, zum kulturellen Leben oder zum schwulen und lesbischen Nachtleben den politischózeitgeschichtlichen Kontext her. Die gezielte Kriminalisierung und Verfolgung der Homosexuellen in Berlin von den Dreißigern bis Kriegsende und ihre planmäßige Verschleppung in Konzentrationslager belegt das Archivmaterial, das an der Außenseite der geschwungenen Ausstellungskonstruktion untergebracht ist, z.B. eine aus den Kriminalakten stammende beschlagnahmte Brieftasche eines Häftlings.

Steht man am Anfang einer der gewölbten Wände, ist das gegenüber liegende Ende durch die Krümmung nicht auszumachen. Hier folgt die Form dem Charakteristikum der unabgeschlossenen Geschichte der Verfolgung als Gestaltungsprinzip. 21 Tafeln geben chronologische zeitgeschichtliche Hintergrundinformationen, die letzte, mit der Überschrift »Keine Wiedergutmachung«, hängt auf leerer Wand.

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In beiden deutschen Staaten galt die NSóRechtsprechung vorerst weiter, wurden einzelne Homosexuelle sogar unmittelbar nach Kriegsende auf dieser Grundlage erneut inhaftiert. Zwar wurde der von der nationalsozialistischen Gesetzgebung verschärfte Paragraf 175 in der DDR 1968 und in der Bundesrepublik ein Jahr später abgeschafft, aber die Urteile, ebenso wie die der NSóJustiz sind nach wie vor rechtskräftig. Zuvor hatten in der BRD Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht in den fünfziger Jahren den Gesetztestext noch einmal ausdrücklich bestätigt.

Da sie vom Entschädigungsgetz als Opfergruppe nicht anerkannt waren, erhielt die ohnehin kleine Gruppe der homosexuellen KZóÜberlebenden weder eine Entschädigung noch wurde sie ó von wenigen Ausnahmen abgesehen ó als Opfer des Faschismus anerkannt. Als die Strafrechtsreform von 1969 schließlich in Kraft trat, waren die Fristen für Entschädigungsanträge abgelaufen.

Zwar gedachte Richard von Weizsäcker 1985 zum 40. Jahrestag des Sieges über den Nationalsozialismus der »getöteten Homosexuellen«, allerdings konnte erst die von den Grünen 1987/88 eingebrachte »Härtereglung« eine finanzielle Leistung an schwule KZóHäftlinge durchsetzen.

Der diesjährige Antrag der Koalition geht jetzt zur Prüfung in die Fachausschüsse. Nun soll die Bundesregierung einen Bericht über die »Entschädigung homosexueller NSóOpfer« sowie Fragen der »Rückerstattung für die im Nationalsozialismus erfolgte Zerschlagung und Enteignung der homosexuellen Bürgerrechtbewegung, wie z.B. des Instituts für Sexualwissenschaft« vorlegen. Es sei an eine Stiftung gedacht, so Volker Beck, rechtspolitischer Sprecher von der Fraktion der Grünen. Mit der Veröffentlichung des Berichts allerdings sei vor Jahresfrist nicht zu rechnen.

Sogar ein »Rentenausgleich für homosexuelle NSóOpfer« wird im Antragspapier erwähnt ó für die wenigen, die Terror und Verfolgung überlebt hatten, kommt auch dies Jahrzehnte zu spät. Sie sind inzwischen gestorben.