Depressionen VII

Karoshi After Work

Berlin ist hip: Während verrückte Christen-Fundamentalisten auf dem Alex für besseres Wetter beten und noch nicht pleite gegangene Internet-Gurus New-Economy-Messen veranstalten, während braun gebrannte Kleinbürger sonntags durch Kaufhäuser hetzen und der Obergewerkschaftsbulle potenzielle Störenfriede per Fußfessel vom Demonstrieren abhalten will - während also der ganz alltägliche provinzielle Wahnsinn einer Möchtegern-Metropole zuschlägt, gewinnt - so scheint es - ganz im Verborgenen die Zivilisation Meter um Meter Tanzfläche zurück.

Man kennt das: Wer in der Hauptstadt tanzen gehen will, braucht nicht vor zwei Uhr nachts aufzustehen. Das muss nicht sein, fordern die, die morgens um neun fit bei der Präsentation, um eins eloquent beim Geschäftsessen, um fünf supervisionär bei der Teamsitzung und um acht frisch gejoggt und ausgelassen beim Date mit dem netten Menschen von der Konkurrenz sein müssen.

Recht haben sie, sagen die Betreiber der Caroshi Bar: Was London, L.A., Hamburg und München können, können wir schon lange: eine After Work Party, donnerstags open at 6 p.m., natürlich am Potsdamer Platz. Da ist Berlin fast so international wie bei Aldi vorm Regal.

Zwei Stockwerke vollgestopft mit den Erfolgreichen aus den umliegenden Büros, dazu Lichter hinter der Glasfassade, die mehr flackern als die Werbung auf ihren Web-Pages und ein Sound, gegen den das Ballermann-Gebummere eine Symphonie ist. Und der DJ nennt sich so, wie er wirklich heißt: Jan Abele. Das ist schon wieder cool. Auch sonst hat Abele, Animateur und DJ in einem, einiges zu bieten: den besten Stumpfbacken-House der Stadt, kompromisslose Übergänge zu Soul und Joe-Cocker-Imitatoren. Dazu tanzt Abele mit verkniffenen Lippen hinter seinen Decks, die Faust falsch im Rhythmus schwingend. Respekt, Mann!

Das Publikum bleibt unbeeindruckt. Verklemmt schaukeln die Hüften um eine riesige Säule herum - schlechte Musik und schlechter Geschmack: Einer, der ein Armani-T-Shirt trägt, dem man sogar im Diskonebel ansieht, dass es aus Thailand und nicht vom Ku'damm kommt, fällt noch positiv auf. Denn die Herren der Welt am Potsdamer Platz tragen entweder undefinierbare Anzüge oder - ganz locker - Karotten-Jeans und karierte Hemden. Bei den Damen konkurrieren C & A-Sekretärinnen-Kostüme mit Karstadt-Kleidchen.

Auf der Terrasse, direkt neben dem DaimlerChrysler-Portal, machen sie auf Karibik: bei zehn Grad im Dunkeln unterm Sonnenschirm hocken, Zigarren rauchen und »Caipi« schlürfen. Sagen sich »Vorwärtseinparker« und »Frauenzuhörer« ins rote Gesicht und erzählen Witze, für die sich sogar Harald Schmidt schämen würde: Wozu braucht man die lütten Inder in Deutschland? Könenn jeden Computer von innen reparieren.

Je später der Abend, desto offener die Gäste: Statt um fünf, finden sich bei der After Work Party schon um elf die Pärchen auf der Tanzfläche. Nach fünf Bier feiert ein 45jähriger IT-Manager sein Coming-out und rückt einem schüchternen Praktikanten auf den Leib. Und ein Mittdreißiger Internet-Entrepreneur schmeißt sich und vor allem seinen angerundeten Bauch an die Hüfte einer BWL-Studentin, das Gesicht dabei so ekstatisch verziehend wie der Held einer Pro-Sieben-Autowerbung.

Allerdings hat die After Work Party einen großen Vorteil. Sie ist - ab zwölf gibt's Gedränge vor der Garderobe - ziemlich schnell wieder vorbei. Und die Caroshi Bar hat, was für solche Locations ungewöhnlich ist: den passenden Namen. Auf dass er Programm sei!