Lucinda Devlins »Omega Suites«

Vorhang auf, Exitus

Lucinda Devlins Fotografien von Hinrichtungsstätten in 22 US-Bundesstaaten dechiffrieren den sauberen Tod.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Blicke des Todeskandidaten sich mit den Blicken der Zuschauer kreuzen. Während der Zuschauerraum für den Todeskandidaten nicht einsehbar ist, wird den Staatsanwälten, Verteidigern, den Familien des Verbrechensopfers und den Angehörigen des Delinquenten der maximale visuelle Zugriff auf den Verurteilten im Moment seiner Exekution gewährt. Dafür sorgen die Dramaturgie der Hinrichtung, die ausgeklügelte Architektur der Räume, die Anordnung von Apparaturen, die verspiegelten Fenster und die Positionen von Hinrichtungsopfer und Zuschauern.

Lucinda Devlin, die die Hinrichtungsstätten in 22 US-Bundesstaaten fotografiert hat, re-inszeniert in ihren Bildern diesen voyeuristisch-theatralen Akt. Ihre Fotografien rücken die Tötungsvorrichtungen - einen Elektrischen Stuhl, eine Liege für die »lethal injection«, eine gepanzerte Gaskammer - exakt in den Bildmittelpunkt und betonen damit die strenge Geometrie der Räume.

Das Schreckliche dieser Fotografien erschließt sich nicht auf den ersten Blick. »Unsere erste Reaktion auf Lucinda Devlins Fotografien«, schreibt Barbara Rose dazu, »ist eine ästhetische. Wir werden von ihrer Schönheit verführt, der Perfektion ihrer abstrakten Eigenschaften wie Komposition, Licht, Farbe und Kolorit, von der ausgefeilten und intelligenten Vorgehensweise der Künstlerin und davon, wie sie ihr Medium beherrscht. Dann erkennen wir das Thema: die verschiedenen Arten, wie Menschen heute Menschen töten. Zuerst ordnet man diese Fotografien zeitgenössischer Todeskammern nicht als solche ein, weil sie so verführerisch sind, so sauber und präzise, so exquisit und künstlerisch.«

Die Räume sind menschenleer, steril, hochartifizell, und weder die Opfer noch das Personal, das die Todesmaschinerie bedient, haben irgendwelche Spuren hinterlassen. Devlin konzentriert sich auf die Interieurs: rote und weiße Telefone, abwaschbare Bodenbeläge, das Abzugsgitter der Klimaanlage und immer wieder Vorhänge, die den Todeskammern die Anmutung einer Theaterbühne geben.

Seit 1991, als die 53jährige Lucinda Devlin die Arbeit zu der Bildserie »The Omega Suites« begann, ist die Zahl der Staaten, die die Todestrafe vorsehen, ebenso wie die Zahl der Hinrichtungen in den USA insgesamt gestiegen - und zugleich wurde die Abschirmung der Todestrakte vor den Blicken der kritischen Öffentlichkeit perfektioniert. Zu wichtig ist es Leuten wie dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten und Gouverneur von Texas, George Bush jr., einem Propagandisten der Todesstrafe, die Fiktion von einer sauberen und humanen Form des Tötens aufrecht zu erhalten.

Zwar erweckt die Ausgestaltung der Räumlichkeiten mit Glas und Kacheln, symmetrisch installierten Deckenleuchten oder, wie in der Holman Unit von Atmore in Alabama, mit einem knallgelb gestrichenen Elektrischen Stuhl einen modern-aseptischen Eindruck - aber die Apparaturen wirken nicht weniger archaisch als die historischen Gerätschaften zur Enthauptung, zum Ertränken, Rädern oder Verbrennen von Menschen.

Nicht weniger als sieben Deckenstrahler sind in der »Lethal Injection Chamber« des Stateville Correctional Center in Joliet im Bundesstaat Illinois angebracht, genau über dem großen gepanzerten Fenster, das an einen Isoliertrakt erinnert. Die frisch bezogene Liege mit Rollen und Chrombeinen davor unterscheidet sich nur durch die verschiedenen Fixiergurte von anderem medizinischen Gerät. Der Raum ist nur schwach beleuchtet, türkisfarbenes Licht dringt aus dem Zuschauerraum, der durch ein Fenster vom »Lethal Injection Chamber« abgetrennt ist. Die bodenlangen braunen Kunststoff-Vorhänge sind zur Seite gezogen, im Raum hinter der Scheibe befindet sich eine Tür, darüber ein Schild mit der Aufschrift »Exit«.

Von diesem Punkt aus machte Devlin eine zweite Aufnahme - während das erste Bild vom »Injection Chamber« aus aufgenommen wurde. Auf dieser zweiten Aufnahme ist der Bildvordergrund vollständig dunkel, aus der Perspektive des »Witness Room« ist die Pritsche nun im Bildhintergrund in einem kleinen, hell erleuchteten Viereck zu sehen. Darüber eine riesige Abzugshaube, an den Wänden beige-farbene Kacheln, an der Rückwand eine Tür, ohne die Aufschrift »Exit«, denn für den Verurteilten gibt es keinen Weg zurück.

Devlins zentralperspektivische Bilder zeigen die Hinrichtungstrakte sozusagen im Idealzustand - peinlich sauber, ohne Blut oder Exkremente - und überlassen es dem Betrachter, sich selbst eine Vorstellung von den Abläufen einer Hinrichtung zu machen. Kameraposition und Ausschnitt erlauben Distanz und verweigern Schockeffekte. Anstatt auf die abgeschabte Gurte, die offensichtlich überdehnt worden sind, oder auf die Starkstrom-Elektroden oder auf die abgenutze Holzoberfläche des Elektrischen Stuhls zu fokussieren, integriert Devlin all diese Details in ein Gesamtbild, das die Hinrichtung als einen streng organisierten Prozess dechiffriert. Auch die Zuschauer, diese handverlesene Gruppe, die Stellvertreter der Bürger, in deren Namen dies alles geschieht, folgen dabei präzisen Handlungsvorgaben. Ohne das eigentliche Grauen - den Akt der Tötung - zu dokumentieren, konfrontieren Devlins Bilder mit dem Verdrängten dieses Un-Orts.

Einer zynischen Bemerkung eines Gefängniswärters verdankt die Serie von dreißig Fotografien, die jetzt in der Berliner daad-Galerie zu sehen ist, ihren Namen: »The Omega Suites«. Omega, der letzte Buchstabe des griechschen Alphabets, steht sinnbildlich für das Ende, und es war ein Wärter im Gefängns von Colorado, der der Fotografin die Hinrichtungsräume als die »Omega Suite« vorstellte, als befinde man sich hier in einem Luxushotel.

Auch euphemistische Begriffe wie »Lethal Injection Chamber« oder wie die »Gas Chamber« genannte Hinrichtungszelle im Maryland State Penitentiary in Baltimore, die aussieht wie eine Druckkammer mit gewölbten Stahltüren und U-Boot-artiger Verschalung mit »No Smoking»-Beschilderung, folgen dem zynischen Ideal des entpersonalisierten Tötens. Nicht das Töten selbst wird benannt, sondern nur die Mittel zu diesem Zweck werden sichtbar gemacht.

Die Apparaturen gleichen medizinischem Gerät, und auch die Sprache, mit der das Töten umschrieben wird, ist dem medizinischen Vokabular verwandt. Diese Affinität von Heilen und Töten, die Verwandtschaft zwischen dem Handwerk des Henkers und dem des Mediziners hat Tradition. Ein berühmtes Beispiel: Guillotin, der Erfinder des Fallbeils der französischen Revolution, war Arzt und seine Konstruktion sollte die Hinrichtungspraxis vereinfachen, beschleunigen und ökonomisieren. Heutige Tötungsapparaturen sind vollständig automatisiert, niemand muss sich bei der Exekution die Hände schmutzig machen, die Hinrichtung erscheint als überpersönlicher Akt einer hart strafenden höheren Instanz der Gerechtigkeit.

Diese Vorstellung vom sauberen Tod, die in der Inszenierung und Ausgestaltung der Räume zum Ausdruck kommt, wird in Devlins reduktiven Bildern mit ihrer unaufdringlichen Symbolsprache sichtbar. Auf einigen Fotografien sieht man z.B. Wanduhren; Devlin drückte in dem Moment auf den Auslöser, als die Zeiger der Uhr kurz vor der vollen Stunde standen. Im »Witness Room« in Jackson / Georgia sind die langen, hölzernen Bänke aufgereiht wie in einem Kirchenschiff, so als sei hier alles für einen Gottesdienst vorbereitet. Auch das Interieur des Zuschauerraums im Gefängnis in Petosi /Missouri wurde sorgfältig zusammengestellt, verschiedene Grautöne für Wände, Boden und Zuschauerpodest, darauf Plastikbestuhlung in Rot und Hellblau vor einem Sichtfenster mit heruntergelassenen Metallic-Jalousien. Die Gemütlichkeit einer Kleinkunstbühne findet man in Columbia/South Carolina, wo der Zuschauer vom weich gepolsterten Sessel aus der Hinrichtung beiwohnen kann. Die Obszönität des heimeligen Dekors ist kaum zu ertragen.

Lucinda Devlin: »The Omega Suites«. daad-Galerie, Berlin, bis zum 17. September
Der von Susanne Breidenbach herausgegebene Katalog ist bei Steidl in Göttingen erschienen.