Wiener Polizei jagt Phantome

Dealer verzweifelt gesucht

Soko »Jambo«, »Aktion Herbstblatt«, »Operation Spring« - seit Jahren jagt die Wiener Polizei ein Phantom. Die »nigerianische Drogenmafia« existiert nicht.

Der Jahresbericht der österreichischen Zentralstelle für die Bekämpfung der Suchtgiftkriminalität aus dem Jahr 1997 weist aus, dass nur ein Drittel der wegen Drogengeschäften Verhafteten nicht aus Österreich stammte. Der Anteil der SchweizerInnen betrug 5,3 Prozent, derjenige der Deutschen sogar 12,8 Prozent; sieben Prozent kamen aus Liberia, 3,5 Prozent aus Nigeria und ein Prozent aus dem Sudan. Trotzdem wurde in dieser Zeit nicht die Soko »Tschüss«, sondern die Sonderkommission »Jambo« gegründet, die »das Treiben farbiger Dealer beenden« sollte, wie Peter Grolig im Kurier vermeldete.

Die intensive Berichterstattung vor allem der Kronen Zeitung hatte die Polizei 1996 dazu veranlasst, selbst zu prüfen, ob der Anteil afrikanischer Kleindealer in der Drogenszene im Vergleich zum Vorjahr so stark gestiegen war, wie es die Schlagzeilen suggerierten. Auch der »Situationsbericht über die Suchtgiftszene« kam zu dem Schluss, dass gegenüber dem Vorjahr keine Zunahme festzustellen sei, obwohl in Wien lebende AfrikanerInnen unter Beobachtung der Polizei standen wie wohl keine andere Bevölkerungsgruppe.

Kronen Zeitung und Täglich Alles lieferten sich damals einen erbitterten Kampf um sensationslüsterne LeserInnen und nahmen gierig jede Information der Drogenfahndung auf, um reißerische Schlagzeilen präsentieren zu können. Am 2. August 1996 erschien die Kronen Zeitung mit der inzwischen berüchtigten Schlagzeile: »Machtlos gegen 1 000 Nigerianer«. Im Text hieß es: »In Wien, aber auch in anderen Landeshauptstädten, werden die nach Polizeischätzungen mehr als 1 000 illegal in Österreich lebenden Nigerianer immer mehr zu einer sicherheitspolitischen Bombe.«

Der ständig auf Medienpräsenz bedachte Vorsitzende der Wiener FPÖ, Hilmar Kabas, half mit, das Thema weiter aufzuschaukeln und forderte den »Arrestanten-Jet für Afrikaner«. Schließlich sorgte der institutionelle Rassismus bei der Exekutive und der ganz individuelle Rassismus bei etlichen BeamtInnen dafür, dass Schwarze in der Öffentlichkeit immer mehr mit DealerInnen assoziiert wurden und werden.

Aufgabe der Soko »Jambo« war es, wie der damalige Innenminister Karl Schlögl auf eine parlamentarische Anfrage hin erklärte, »Informationen über Anhaltung, Festnahmen und Identitätsprüfungen (...) innerhalb der Soko auszutauschen, um gezielte, zeitlich und örtlich koordinierte Maßnahmen setzen zu können. Ziel ist es, den organisierten Suchtmittelhandel wahrzunehmen, die Dealer und Konsumenten auf frischer Tat zu betreten, Suchtmittel sicherzustellen und alle Beteiligten dem zuständigen Gericht anzuzeigen/einzuliefern.«

Auf die Frage, ob die Einrichtung einer Sonderkommission, die sich ausschließlich mit Menschen einer bestimmten Hautfarbe beschäftigt, sich mit dem Anti-Diskriminierungsgebot vertrage, antwortete Minister Schlögl: »Im konkreten Fall langten nicht nur mehrere gleichlautende Hinweise aus der Suchtgiftszene und Beschwerden von Anrainern ein, wonach organisierte schwarzafrikanische Tätergruppen vor allem im Bereich des 9. und 20. Bezirkes in den Straßenzügen rund um die Friedensbrücke mit Suchtmitteln dealen, sondern konnten diese Hinweise aufgrund der Vielzahl von Suchtgiftstreifen verifiziert und bestätigt werden. (...) Es kam bei diesen Erhebungen zu keinerlei rassischen Diskriminierungen, daß diese Form des Drogenhandels in beträchtlichem Ausmaß von Schwarzafrikanern betrieben wird, muß objektiv festgestellt werden.«

Mit Gründung der Soko »Jambo« wurde eine Struktur aufgebaut, die später, 1999, die »Operation Spring« (Jungle World, 31/00) ermöglichte. Aufgeregt und euphorisch wie immer, wenn es um Polizeiarbeit geht, berichtete Peter Grolig im Kurier vom 17. März 1998: »Am Anfang standen aufwendige Analysen: Wer verkehrt wo und mit wem? Uniformierte Ordnungshüter lieferten den Drogenfahndern das Basismaterial: Straßen- und U-Bahnzüge sowie bekannte Szene-Treffpunkte (...) standen im Mittelpunkt intensiver Kontrollen, vor allem schwarze ðStammfahrerÐ wurden perlustriert.«

Am 3. Dezember 1998 - die Soko »Jambo« war inzwischen aufgelöst - wurde die »Aktion Herbstblatt« durchgeführt, deren Zielsetzungen bescheidener formuliert waren. Der »Ameisenhandel«, also die Klein- und KleinstdealerInnen, sollten unruhig gemacht werden. »Wir wollten der Szene deutlich zeigen: Die Polizei ist noch da«, kommentierte der Einsatzleiter Roland Frühwirth das Vorgehen. 85 Beamte nahmen während der zwölfstündigen Aktion 322 mutmaßliche KleindealerInnen fest, bei denen »150 bis 200 Gramm Suchtgift« gefunden wurden. »Klar« sei jedoch, »dass es sich bei den Verdächtigen um Mitglieder von Banden handelt.«

»Operation Snoopy« folgte am 27. Januar 1999. 64 BeamtInnen stellten acht mutmaßliche StraßendealerInnen, »sechs dunkel-, aber nur zwei weißhäutige Täter« (Kurier).

»Operation Spring«

Die Verantwortlichen der »Operation Spring« standen von Anfang an unter großem Druck. Diesmal musste endlich der große Erfolg gemeldet werden. Da trotz intensiver Bemühungen in den Jahren zuvor stets nur afrikanische Klein- und KleinstdealerInnen und keineswegs »Drogen-Barone« festgenommen werden konnten und auch die beschlagnahmten Drogen kaum den Aufwand wert waren, sollte nun endlich die »perfekt organisierte« nigerianische Drogenmafia zerschlagen werden.

Zu diesem Zweck erhielten die Drogenfahnder die Möglichkeit, erstmals den Lauschangriff einzusetzen, eine Überwachungsmöglichkeit, für die die Polizei lange gekämpft hatte. Nun wurde jede alltägliche Handlung zu einem weiteren Indiz, das das vorgefertigte Konstrukt scheinbar bestätigte. Am offensichtlichsten zeigt sich dieses fixierte Vorgehen bei Obiora C-Ik Ofoedu, der, ohne jeden Beweis, zum großen Drogenboss erklärt wurde (Jungle World, 43/00). Es ist anzunehmen, dass es etlichen anderen der Dutzenden Festgenommenen ähnlich erging.

Ein entscheidender Punkt für die Polizei dürften die antirassistischen Demonstrationen nach dem Tod von Ahmed F. und später von Marcus Omofuma gewesen sein. Dass Schwarze, die von vielen PolizistInnen in erster Linie als gewalttätige DrogendealerInnen wahrgenommen werden, gegen die Polizei demonstrieren, wollte der Staatsapparat nicht hinnehmen.

Ein im Sommer 1999 erschienener Artikel in der Zeitschrift Der Kriminalbeamte (»Schneetreiben im Frühling«) dokumentiert anschaulich, wie sich PolizistInnen zu beinahe hilflosen Opfern der vermeintlichen Drogenmafia stilisieren: »Blumen vor dem Innenministerium, Demonstrationen gegen den ðRassismus bei der PolizeiÐ, Hilferufe bei Verhaftungen von Drogendealern, laufend Anzeigen gegen Polizisten wegen angeblicher Übergriffe - dahinter steckt System. Ein Wiener Sicherheitswachbeamter, nachdem er zum dritten Mal angezeigt wurde: ðIch verbaue meine Karrierechancen, wenn ich weiter gegen Drogendealer vorgehe.Ð Zwei Kriminalbeamte aus Wien-Margareten verfolgten einen Kokainhändler 20 Minuten lang. Als er gefaßt wurde, versuchte er, einen Fahnder in den Oberschenkel zu beißen. Er wurde nach minutenlangem Kampf überwältigt. Ein Anrainer erhörte die Rufe des Schwarzen: ðHilfe, ich werde mißhandelt!Ð und reichte gegen die Beamten Beschwerde ein.«

Der institutionalisierte und individuelle Rassismus von Polizei und PolizistInnen, der Schwarze ins Zentrum der Drogenfahndung rücken ließ, die offensichtliche Unfähigkeit zur selbstkritischen Analyse der eigenen Arbeit, kombiniert mit dem Wunsch, einen Erfolg bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität zu landen, der über die Verhaftung von KleindealerInnen hinausgeht, sowie der Erfolgsdruck in Sachen Lauschangriff führten zum skandalösen Vorgehen der »Operation Spring«. In der Pressekonferenz, die nach der Hauptrazzia abgehalten wurde, demonstrierten die Polizeibeamten Selbstbewusstsein und präsentierten stolz ihr Ergebnis. Innenminister Karl Schlögl, Sicherheitsgeneral Michael Sika, der Wiener Polizeipräsident Peter Stiedl, Sicherheitsbürochef Max Edelbacher und Generalinspektor Franz Schnabl sprachen von der »größten Amtshandlung seit Jahren« und von einem Erfolg, den es »bis dato in ganz Europa« nicht gegeben habe.

Erstmals sei es gelungen, »bis zu den führenden Köpfen einer internationalen Drogenbande vorzudringen«, wovon »alle anderen Staaten profitieren« würden, so Michael Sika. »Das Eindringen in die Strukturen und die Zerschlagung der weltweit operierenden Bande war nur dank des Einsatzes der ðtechnischen ObservationÐ möglich.« 7 134 Personen, 3 165 Adressen und 6 507 Telefonnummern wurden erfasst. 868 Verbindungen zwischen Personen und Fahrzeugen wurden hergestellt und 130 000 Rufdaten ausgewertet. 183 verdächtige Kontoeinzahlungen wurden überprüft, hieß es in Der Kriminalbeamte.

Mit Genugtuung berichteten die Polizeichefs und der Innenminister über die DemonstrantInnen, die als DrogendealerInnen enttarnt worden seien, und feierten sich als Retter des Rechtsstaates. Alles schien in der Welt der Polizei in bester Ordnung, die Medien jubelten.

Erste Zweifel an der Erfolgsbilanz setzten ein, als Auszüge aus den Polizeiprotokollen sowie biografische Details über den bei der »Operation Spring« verhafteten Obiora C-Ik Ofoedu bekannt wurden, den Justiz, Polizei und Medien zum »Drogenboss« stilisierten. In Ofoedus Wohnung oder bei ihm selbst wurden niemals Drogen gefunden. Er lebte vor seiner Verhaftung in bescheidenen Verhältnissen und war für seinen notorischen Geldmangel bekannt. Er war und ist expliziter Drogengegner. Seine zahlreichen Kontakte hatten mit seinem antirassistischen Engagement und seiner Tätigkeit als Schriftsteller zu tun. Warum ein Mensch, der als Boss einer internationalen Drogenbande eigentlich steinreich sein müsste, sich diese Tarnung antun sollte, ist nicht plausibel. Die Fassade eines Geschäftsmannes wäre wohl passender gewesen und hätte es dem Beschuldigten auch erlaubt, den Reichtum ein wenig zu genießen.

Die Schlüsse der Polizei aber zielten immer genau in die andere Richtung. Jedes Detail aus Ofoedus Alltag, das so ganz und gar nicht in die Biografie eines Drogenbosses passte, machte ihn nur noch verdächtiger, weil es Beweis für die »perfekte Organisation« und die »Gefährlichkeit« war.

Ofoedus Aufforderung an einige AfrikanerInnen, zu einer Demonstration zu gehen - »Leave your business and join the demonstration« -, war so etwas wie der ultimative Beweis für die Polizei, dass Ofoedu der Big Boss sein müsse. Wer sonst könnte schon »seinen« DealerInnen »freigeben«? Dieser Satz Ofoedus wird in fast allen Stellungnahmen von PolizistInnen erwähnt. In Der Kriminalbeamte liest sich das z.B. so: »Sie hielten Mahnwachen vor dem Innenministerium, traten im Parlament mit zugeklebtem Mund auf, gaben Dealern frei, um an Anti-Polizeidemonstrationen teilzunehmen und Stimmung gegen Ordnungshüter zu erzeugen. Rassismusvorwürfe stärkten den farbigen Dealern den Rücken. Die Dealer begannen, Polizei und Rechtsstaat zu verunsichern.«

Selbst der Chef des Wiener Sicherheitsbüros, Max Edelbacher, der im Sommer 1997 noch der Meinung war, AfrikanerInnen seien nur in sehr bescheidenem Ausmaß und auf der untersten Stufe der Hierarchie in den Drogenhandel involviert, meinte nach der »Operation Spring«, jetzt die »Big Bosses« erwischt zu haben. Die Polizei will ihre eigenen kapitalen Fehler offensichtlich bis heute nicht als solche erkennen und legt ihr Hauptaugenmerk noch immer auf StraßendealerInnen aus Afrika. Alle paar Monate werden in diversen Heimen Razzien durchgeführt, bei denen es ebenso regelmäßig zu Beschwerden wegen Polizeiübergriffen kommt. Noch im Oktober 1999, als der größte Erfolg der Wiener Polizei, nämlich den Drogenboss erwischt zu haben, sich längst als eindeutiger Fehlschlag herausgestellt hatte, plädierte General Sika dafür, alle drei Monate Lauschangriffe durchzuführen.

»Operation Spring 2«

Am 28. September 1999, wenige Tage vor der Nationalratswahl, fand die zweite große Razzia im Rahmen der »Operation Spring« statt. Diesmal wurden 36 Menschen - ausschließlich afrikanischer Herkunft - festgenommen. Die Polizei ging auch diesmal brachial vor. In einem Gesellenheim in der Zohmanngasse wurden Dutzende Türen eingetreten, Einrichtungsgegenstände zerstört. Die Wohnung von Frau B. wurde innerhalb von zehn Tagen gleich zweimal durchsucht. Beim ersten Mal wurde die Tür eingetreten und Frau B. verletzt, als sie gerade öffnen wollte. Ihr Mann wurde verhaftet, obwohl er gar nicht der Gesuchte war, aber es reichte offenbar, dass er Afrikaner ist. Die Frau hielt sich gegenüber den Medien nicht zurück und berichtete von rassistischen Beschimpfungen. Ihr Mann wurde, weil nichts gegen ihn vorlag, einige Tage später wieder freigelassen, was die Polizei nicht daran hinderte, zehn Tage später seine Wohnung erneut zu durchsuchen. Diesmal wählten die Beamten den Weg durch die Balkontür. Wieder wurden keine Drogen gefunden, wieder wurde Herr B. verhaftet, wieder musste er einige Zeit später freigelassen werden.

Verantwortlich für diese Einsätze war Major Georg Rabensteiner aus Ottakring. Sein Motto: »Man muss immer damit rechnen, dass das Gegenüber zu einer Waffe greift.« Georg Rabensteiner, Sicherheitsverdienstpreisträger 1997 und nach den Worten von Polizeivizepräsident Marek »unser Paradekieberer«, ist nicht nur einer der eifrigsten Drogenfahnder der Stadt, sondern u.a. auch Koordinator der Spezialeinheit SEK, die durch ihr vermummtes Auftreten und die umstrittenen Verhaftungen bei der diesjährigen Opernballdemonstration bekannt wurde.

»Operation Streetrunner«

Am 17. Januar 2000 fanden im Flüchtlingslager Traiskirchen und in etlichen Heimen in Niederösterreich Razzien statt. Rechtsanwalt Reiner reichte im Namen von 32 Betroffenen beim Landesgericht Wiener Neustadt eine Anzeige wegen Vorkommnissen bei einer der Razzien ein: Die Haus- und Personendurchsuchung erfolgte ohne strafgesetzliche Grundlage. Es existierte kein Hausdurchsuchungsbefehl für diese Räume. Die AsylbewerberInnen wurden teilweise geschlagen, durften stundenlang nicht die Toiletten aufsuchen oder Wasser trinken, es wurden öffentliche Analvisitationen ohne Handschuhwechsel durchgeführt, Plastikfesseln wurden extrem fest zugezogen und auf die Bitte, sie zu lockern, noch fester geschnürt. Viele dieser Vorfälle ereigneten sich unter höhnischem Gelächter der BeamtInnen.