Naomi Kleins »No Logo«

Wie man Marken zu Sand macht

In ihrem Buch »No Logo« propagiert die kanadische Autorin Naomi Klein den glamourösen Widerstand gegen McJobs und Sweatshops.

Naomi Klein beginnt »No Logo« mit einem Blick aus dem Fenster ihres Lofts in Toronto. Vor über siebzig Jahren arbeiteten hier TextilarbeiterInnen aus Russland und Polen in Sweatshops genannten Manufakturen. Inzwischen gibt es solche Klitschen nur noch in Asien oder Mittelamerika.

Schnitt, am Rande Jakartas, Streik in einer Textilfabrik, August 1997: Bei Recherchen stößt Naomi Klein auf das Kleidungslabel »London Fog«. Damit wirbt dieselbe Firma, die in Kleins heutigem Loft vormals Regenmäntel fertigen ließ. Für umgerechnet vier Mark am Tag produzieren Arbeiterinnen in Indonesien unter frühkapitalistischen Bedingungen Skijacken für den Überseemarkt.

Naomi Klein steht in der angloamerikanischen Tradition, kulturwissenschaftliche Studien, politische Analysen und Jobreportage miteinander in Beziehung zu setzen. Im deutschsprachigen Raum werden diese Perspektiven weiterhin säuberlich getrennt, und damit wird eine arbeitsteilige Ökonomie formal reproduziert: Mode, Werbung, Arbeitsrecht oder politische Ökonomie bleiben ein Terrain der Spezialisierten. Die kanadische Autorin hingegen verknüpft in ihrem Buch auch formal die verschiedenen Fäden, aus denen sich Globalisierung spinnt. Nike und Sweatshops in Vietnam, Barbie und Kinderarbeit in Sumatra, Shell und die Morde im Niger-Delta werden zusammengedacht.

How to Brand Sand

»Maschinen verschleißen. Autos rosten. Menschen sterben. Doch was weiterlebt, sind die Marken«, beschreibt der Keksfabrikant Hector Liang die post-humane Industrie. »Da gibt es keinen Wert mehr beim Herstellen. Der Wert erwächst durch sorgfältige Forschung, durch Innovation und Marketing«, kommentiert Nike-Chef Phil Knight seine folgenreiche Losung »brands, not products«. Während die Produktion größtenteil an Subunternehmen im globalen Süden delegiert wird, ist es zur eigentlichen Aufgabe der Firmen geworden, Images zu erzeugen.

Die zentrale Vokabel in »No Logo« lautet deshalb branding und lässt sich mit »einbrennen« wie auch »etwas zur Marke machen« übersetzen. Ein frühes Beispiel für branding war die Wandlung alltäglicher Nahrungsmittel in portionierte Markenprodukte Ende des 19. Jahrhunderts. An Stelle des Kaufmanns um die Ecke trat eine Markenfigur wie Uncle Ben, über den die Firma ihre Kundschaft direkt ansprechen konnte. Den Wendepunkt hin zum Branding-Exzess datiert Klein auf 1988, als Philip Morris die Firma Kraft zum sechsfachen Wert des Unternehmens übernahm: »Die Preisdifferenz ergab sich offensichtlich aus dem Wert des Wortes ðKraftЫ, schreibt Naomi Klein. Zugleich wuchs die Immunität des Publikums gegenüber dem stetigen Werbebombardement, die ein PR-Experte mit der Resistenz verglich, die Kakerlaken gegen Giftspray aufbauen.

Doch ähnlich wie bei Kurseinbrüchen blieb dies ein Zwischentief: Nicht die Marke war in der Krise, sondern das Marketing. Gingen 1983 noch 70 Prozent des Etats in die Werbung, wurden zehn Jahre später 75 Prozent in Promotion und Markenpflege investiert, während herkömmliche Reklame nur mehr 25 Prozent ausmachte. Alleine Nike gab 1991 für die Markenpflege 250 Millionen Dollar aus, was sich dann trotz Rezession als 900prozentiger Gewinnzuwachs innerhalb von sechs Jahren niederschlug.

Die vor zehn Jahren einsetzende Logo-Manie geht inzwischen soweit, dass nicht mehr nur ein dezentes Krokodil als Markenzeichen verwandt wird, vielmehr gilt das gesamte Kleidungsstück - wie beim Modelabel Tommy Hilfiger - als Markenzeichen. Die Pepsi-Rakete eroberte den Weltraum, Mattel ließ für seine Barbie-Werbung einen ganzen Straßenzug bei Manchester pink streichen, und Nike verwandelte zur letztjährigen Fußballeuropaweisterschaft in Rotterdam gleich ein ganzes Hochhausensemble zur Skulptur eines den Ball kickenden Fußballspielers. Virgin markierte nicht nur Platten, sondern auch Flugreisen, Getränke oder Versicherungsprodukte und verschaffte sich über die eigentlich von der Firma vertriebenen Waren hinaus allgemeine Reputation bei der jugendlichen Zielgruppe. »How to Brand Sand« (»Wie man Sand zur Marke macht«), scherzte ein Werbechef.

Markenlandschaft

Die Bildsprache des »global logo web« ist mehr noch als das Internet-Englisch die neue lingua franca der Globalisierung. Markenprodukte weben sich in das gesamte Alltagsleben ein. MTV (»das Medium als Marke«), Straßenzüge, Events, Magazine, Sport und Schule wachsen zu einer einzigen Markenlandschaft (logoscape) zusammen.

Durch Fusionen wie die von AOL und Time Warner werden interne Crossover-Promotions möglich, wofür Naomi Klein den Begriff des branded loop erfindet.

Deregulierte Anti-Trust-Gesetze der Reagan-Regierung sowie die Demontage der Federal Trade Commission ermöglichten ab 1983 die Megafusionen vormaliger Konkurrenten. Zugleich stärkte der Staat die Copyright- und Marken-Rechte. Diese Gesetze sind zugleich ein wirkmächtiges Instrument der Konzerne, um gegen ihre Kritiker vorzugehen. So setzte der TotalFinaElf-Konzern durch, dass die kritische www.oil-of-elf.de-Seite von Greenpeace schließen musste - aus Gründen des Markenschutzes.

Dekorierte Wünsche

»Der Wettbewerber der Zukunft ist Disney, nicht Reebok«, gab ein Nike-Verteter schon vor Jahren kund. Branding verschärft die Konkurrenz, nicht nur zwischen den verschiedenen Wettbewerbern, vielmehr konkurrieren alle Marken und Logos um Aufmerksamkeit. Verstärkt setzen Markenfirmen daher auf Synergien wie etwa beim cross branding von Kentucky Fried Chicken, Pepsi und dem »Star Wars«-Filmprojekt. Popstars nutzen ihre Werbeauftritte als Medium der Markenpflege in eigener Sache. Ein Titel, der den Soundtrack zur Levis-Werbung liefert, oder ein »Sail away«, das dem Beck's-Werbespot unterlegt wird, sichert dem Musiker einen vorderen Platz in den Hitparaden.

Das Stück »My Adidas« von Run-DMC war ein Meilenstein in der Entwicklung hin zur branded youth. 1986 galt Rap noch als gefährlich und aufständisch. Als die Adidas-Manager für ein Konzert der Gruppe eingeflogen wurden und dann Tausende von Sneakers auf Kommando in die Luft flogen, war der Kontrakt klar. »Seit ðMy AdidasÐ blieb nichts beim ðinner city brandingÐ unverändert. Große Plattenfirmen wie BMG heuern nun ðstreet crewsÐ städtisch-schwarzer Jugendlicher an, um HipHop-Alben in ihrem Umfeld ins Gespräch zu bringen und guerilla-artig Poster- und Sticker-Missionen zu betreiben.« Inzwischen sind die cool hunters als teilnehmende Beobachter den Kids stets auf den Fersen. »Während der letzten zehn Jahre wurden junge schwarze Männer in amerikanischen Innenstädten von brandmasters aggressiv als Quelle für geborgte Bedeutung und Identität ausgebeutet.«

Dies alles zielt auf die Märkte in Suburbia, wo den kaufkräftigen Mittelschichtskindern der coole Inner-City-Chic verpasst werden soll. Umgekehrt legen sich schwarze Kids Golfer- oder Ski-Klamotten zu, um den Traum vom sozialen Aufstieg am eigenen Leib zu spüren: »Hilfigers Marketing«, schreibt Naomi Klein, »speist sich aus der Entfremdung im Herzen der ethnischen Beziehung innerhalb Amerikas.« Es gehe darum, »den weißen Jugendlichen die Fetischisierung des schwarzen Style zu verkaufen, und den schwarzen Jugendlichen die Fetischisierung weißen Reichtums«.

Die New World Teen Study der Werbeagentur DMB&B befragte 1996 fast 30 000 Mittelschichtsjugendliche in 45 Ländern der Welt: »Trotz verschiedener Kulturen scheinen Mittelklassejugendliche auf der ganzen Welt ein Leben in einem Paralleluniversum zu führen.« Dabei fungiert MTV als »globaler Katalog für ein modernes Marken-Leben« und verkoppelt die »logodekorierten« Global Teens durch Markensneakers, MTV, Coke. Zugleich entwickelt sich dagegen Widerstand - sei es aus Überdruss oder aus Protest gegen die Bedingungen, unter denen die Markenartikel hergestellt werden.

Denn wer hat die T-Shirts mit dem Aufdruck »Girls Rule« produziert, wenn nicht in Sweatshops arbeitende Mädchen im Trikont? Kritik, so Naomi Klein, konzentriere sich bislang aber noch zu sehr »auf die Repräsentation von Frauen und Minderheiten innerhalb der Machtstrukturen, nicht jedoch auf die Ökonomie hinter diesen Machtstrukturen«.

Torte für Bill Gates

Die neuen »United Colors of Resistance« haben sich zur »globalen Bewegung« entwickelt, meint Naomi Klein, allerdings stecke sie »noch in den Kinderschuhen«. Während ihrer Recherche für »No Logo« verfolgte die dreißigjährige Autorin jedoch mit Erstaunen, wie sich innerhalb ihrer Generation neue Protestformen gegen die Weltwirtschaftsordnung etablierten. Die branded youth kümmert sich um Menschenrechte, Arbeitskämpfe und um die Macht der Global Players und kopiert zu diesem Zweck die Strategien der Werbung. Auf Plakaten wird »Nike« zu »Riot« umgeschrieben, die Scheiben bei McDonald's werden eingeschlagen, Torten werden vor laufenden Kameras auf Bill Gates geworfen.

Aktionen des »logo tribes« gegen Sweatshops sind ein neues Phänomen. Dennoch habe die Bewegung bereits einiges bewirkt: Als im Mai 1993 die Kader-Spielzeugfabrik in Bangkok bis auf die Grundmauern niederbrannte und 188 ArbeiterInnen starben, blieb diese schlimmste Feuerkatastrophe in der Sweatshop-Industrie von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. »Es hat eine Zeit gedauert, aber wenn heute ein weiteres Kader passieren würde, würden die ersten Fragen der Journalisten lauten: ðWelches Spielzeug wurde produziert?Ð - ðWo wurde verladen?Ð und ðWelche Firma heuerte die Vertragsarbeiter an?Ы

ArbeitsaktivistInnen in Thailand nähmen sofort Kontakt mit Solidaritätsgruppen in Hong Kong, Washington, Berlin, Amsterdam, Sydney, London und Toronto auf. E-Mails würden von der in Washington sitzenden Campaign for Labor Rights aus abgefeuert, von der Clean Clothes Campaign aus Amsterdam weitergeleitet durch ein Netzwerk aus Webseiten, Listen und Fax-Verteilern.

Im Laufe der neunziger Jahre hat die Allianz aus Markendominanz und McJobs wie auch die kontinuierliche Arbeit von Initiativen und kritischen GewerkschafterInnen zu diesem Wandel beigetragen. Die Ausbeutungsverhältnisse im globalen Süden wurden beispielsweise für die Kundschaft der Markenware sichtbar gemacht, als KaffeepflanzerInnen sich mit Starbucks-KundInnen zusammensetzten oder honduranische KinderarbeiterInnen sich mit gleichaltrigen US-Teens trafen, um sich über ihre unterschiedlichen Beziehungen zu Gap-Jeans auszutauschen.

Arbeit in der Besenkammer

»Wenn Nike Town und die anderen Superstores die glitzernden neuen Eintrittstore zur Marken-Traumwelt bilden, dann ist die Cavite Export Processing Zone in Rosario - 150 Kilometer südlich von Manila - die Besenkammer der Marken«, beschreibt Klein die eingemauerte und von bewaffneten Wachen kontrollierte Sonderwirtschaftszone. US-Auftraggeber lassen nur für den Export bestimmte Produkte - von Autositzen über Gap-Pyjamas und Rennbooten bis zu IBM-Monitoren - hier fertigen. Oftmals werden an derselben Maschine konkurrierende Markenschuhe zusammengesetzt.

»Angst durchdringt die Zonen. Die Regierungen fürchten ihre ausländischen Fabriken; die Fabriken fürchten den Verlust ihrer Markenartikler; und die ArbeiterInnen fürchten um ihren prekären Job.« Schwangerschaftstests und -verhütung sind hier zumeist Pflicht. »Sie schaffen eine Arbeitskraft kinderloser Frauen, ein System nichtsesshafter Fabriken, die nichtsesshafte ArbeiterInnen beschäftigen.« Bei vielen Firmen gelten die Produktionsstandorte als »Handelsgeheimnis«, und die Standorte werden wie Hochsicherheitstrakte bewacht. Dieser »Miniatur-Militärstaat«, so Naomi Klein, »könnte der wohl letzte Platz auf Erden sein, an dem Supermarken sich bedeckt halten« wegen der wachsenden Zahl von Anti-Sweatshop-Initiativen.

»Das sind keine Fabriken, das sind Warenhäuser der Arbeitskraft«, kommentiert der phillipinische Ökonom Antonio Tujan die Zustände. Die International Labor Organization schätzt, dass es 1 000 solcher Zonen in 70 Ländern der Welt gibt«. Die Fabrikschuppen werden mit geringem Aufwand errichtet, die Verlagerung des Produktionsstandorts ist so jederzeit ohne größere Investitionen möglich. »Es brauchte nur zehn Lkws, um Marks & Spencer nach Cavite zu bringen«, erklärte ein Gewerkschafter aus dieser Gegend. Um die Sonderzonen gruppieren sich Golfplätze, exklusive Clubs und Privatschulen für die ausländischen Investoren als »korporativer Club Med« in den »Steuerferien«. Durch Zoll- und Abgabensenkungen und eine laxe Handhabung der Arbeits- und Umweltgesetze wollen die armen Länder des Südens Investitionsanreize schaffen, damit das »Versprechen der Industrialisierung« endlich eingelöst wird.

Seit den fünfziger Jahren erbeutete z.B. Shell in Nigeria Erdöl im Gesamtwert von 60 Milliarden Mark. Tausende Protestierende wurden gefoltert und umgebracht, wobei das Militär agierte wie eine Privatpolizei. Die Exekution des nigerianischen Umweltaktivisten Ken Saro-Wiwa im Jahr 1995 ging auch auf die Firmenpolitik von Shell zurück. Der Konzern fühlte sich von den Ogoni bei der Erdölförderung im Nigerdelta gestört.

Sweatshop McDonald's

Die brutalen Bedingungen der Sweatshops, die in den zwanziger Jahren in den USA erfolgreich bekämpft wurden, kehren im globalisierten Süden wieder. Aber zugleich verändert sich die Arbeitssituation in den alten Industrienationen. Nahezu alle großen US-Arbeitskämpfe der letzen zehn Jahre drehten sich nicht mehr um Lohnforderungen, sondern um die deregulierten Arbeitsverhältnisse. Z.B. der UPS-Streik gegen »Teilzeit-Amerika« 1997, als die Gewerkschaften seit langem wieder einmal positive Schlagzeilen machten.

Auf Kosten des Personals wird bei WalMart, Gap oder Blockbuster in rasche Expansion und Verdrängung der Konkurrenz investiert. Mit der Software »Star Labour« können die Zeitpläne der zwangsflexibilisierten Starbucks-Angestellten auf die Minute kontrolliert und »optimiert« werden. Die Just-in-time-Arbeitspläne sind »so kalkuliert wie unsere Warenbestellung«, meint der WalMart-Geschäftsführer David Glass. Die Angestellten von McDonalds bis Barnes & Noble werden dabei behandelt, als sei ihre Arbeit ein endloser Ferienjob. »Joke-jobs« wie die Tätigkeit als Grüßonkel bei Gap oder als Tütenschlepper im Supermarkt haben das US-Jobwunder ermöglicht. »Du kannst nur zwei große Cappuccino mit meinem Stundenlohn bezahlen«, bemerkt eine Starbucks-Bedienung.

Glamouröser kämpfen

»Trash chic« und »ironic consumption« haben sich als dissidente Strategien erledigt, doch der Marken-Glamour bleibt: »Anti-korporativer Aktivismus erfreut sich des kostenlosen Vorteils geliehener Hipness und Berühmtheit, ironisch geborgt von den Marken selbst«, meint Naomi Klein. Dazu passt, dass die Autorin ihr Buch »No Logo« von Stardesigner Bruce Mau gestalten ließ. Die Anziehungskraft und die Macht der Marken, die unser Leben kolonisieren, wird gegen die Marken selbst gerichtet.

»Es kann 100 Jahre dauern, eine gute Marke aufzubauen und 30 Tage, sie umzustoßen«, beschreibt der Chef eines Lebensversicherungkonzerns die empfindliche Stelle des Systems. Während der Logo-Schutz im öffentlichen Raum weiter ausgebaut wird, nutzen Initiativen wie die Billboard Liberation Front oder die australischen Graffitists Against Unhealthy Promotions die Medien als ihre Plattform. Ihre Gegenstrategie ist die situationistische Imagebeschmutzung, der für die Medien inszenierte Tortenwurf oder die Hacker-Attacke im Internet. »Dies ist«, schreibt Naomi Klein, »ein Machtkampf - dass ihr euch da nicht irrt.«

Naomi Klein: No Logo. Flamingo/HarperCollins, London 2000, 501 S., DM 49,50