Das Scheitern des IWF im Senegal

Arbeiten und nicht an die Schulden denken

Armut durch McJobs bekämpfen - das Patentrezept des IWF hat auch im Senegal versagt.

Senegal steckt in der Schuldenfalle. Mamadou Sam aus Dakar kennt das Problem. Zwar hat der 24jährige einen Job, aber nur selten kann er sich am Ende des Monats seinen Lohn auch abholen. Mamadou Sam ist 24 und verkauft am Flughafen von Dakar Sonnenbrillen, Taschentücher und Süßigkeiten. Wenn er bei seinem Chef anruft und nach dem Geld fragt, wird er oft auf die nächsten Tage vertröstet. Oder auf die nächste Woche. So unsicher wie der Lohn ist auch die Beschäftigung selbst. Wie viele Tage er im Monat arbeitet und welche Summe dabei zusammenkommt, weiß er immer erst hinterher. Mamadou Sam muss sich ganz nach den Bedürfnissen des Chefs richten. Manchmal braucht der ihn nur einige Tage im Monat, manchmal ein paar Tage mehr. Dann macht er sich auf den 40minütigen Weg von der Wohnung seines Cousins zum Flughafen.

Auch sonst ist Mamodou Sam eine flexible Arbeitskraft. Er zog aus dem 80 Kilometer entfernten Tivaouane, dem Wohnort seiner Familie, in die Hauptstadt Dakar. Wie Millionen Senegalesen ließ er sich von den Versprechen der Metropole anlocken. Ob sich der Umzug gelohnt hat, daran zweifelt Mamadou oft genug. Der Lohn für einen Arbeitstag beträgt 3 000 CFA (1,75 Euro). »Da überlegst du dir, ob du überhaupt arbeiten sollst, bei diesem Lohn«, sagt Mamadou Sam. Er ist zur Schule gegangen und hat eine Ausbildung zum Schreiner absolviert. Trotzdem sieht er derzeit keine andere Möglichkeit, als den Kioskjob am Flughafen zu machen. Schulden bei Freunden und Verwandten müssen abbezahlt werden. Und bei jedem Besuch in Tivavouane gibt er einen großen Teil des Lohns seiner Familie.

Der IWF empfiehlt

Eigentlich hat Mamadou Sam alles richtig gemacht. Kleinhandel und Mikrounternehmen sind einem Bericht des Internationalen Währungsfonds zufolge ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Armut im Senegal. Erdnussverkäuferinnen, kleine Transportunternehmer und Handwerker sollen mit Kleinkrediten gefördert werden. Sie sollen sich zu den Millionen bereits existierenden informellen Kleinstunternehmungen im Land gesellen, die einen Teil der Wirtschaft ausmachen, der sich ohnehin nicht in den Wirtschaftsstatistiken niederschlägt. Betrachtet man allein die makroökonomischen Daten, erscheint das westafrikanische Land, dessen Bevölkerung ihren Lebensunterhalt zu über 60 Prozent in der Landwirtschaft verdient, als einer der Hoffnungsträger der Region.

Das Wirtschaftswachstum wurde im vergangenen Jahr auf etwa fünf Prozent taxiert. Doch zugleich stellt der Bericht des IWF fest, dass das Wirtschaftswachstum »keine Reduzierung der Arbeitslosigkeit und keine Verbesserung der Lebensverhältnisse erreichte. Die soziale Entwicklung stagnierte, und die Armut wuchs.«

Seitdem man auch in den New Yorker Etagen des IWF feststellt, dass sich die Situation der Armen im Land weder durch Strukturanpassungsprogramme noch durch die Liberalisierung der Märkte verbessert hat, wird die Armut als »besorgniserregender Faktor« registriert. Die Zahl der als »arm« eingestuften Haushalte im Senegal wuchs in den neunziger Jahren von 33 auf 60 Prozent.

Die Schuldenkrise Senegals und die daraufhin von den internationalen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank auferlegten Strukturanpassungsprogramme, mit denen das Land bereits 1979 begann, hatten gravierende Auswirkungen. Die Privatisierung der Eisenbahn und der Wasser- und Energieversorgung erwies sich als Fiasko. Das ehemals funktionstüchtige Eisenbahnnetz reduziert sich inzwischen auf die Strecke Dakar-Bamako, andere Linien wurden stillgelegt, was zu erheblichen Transportproblemen auf dem Land geführt hat. Wasser und Strom verteuerten sich für die Haushalte infolge der Privatisierung.

Derzeit wendet der Staat Senegal ein Drittel seines rund 500 Milliarden CFA umfassenden Haushaltes für den Schuldendienst auf. Die Verschuldung führt dazu, dass es trotz einer wachsenden Bevölkerung - etwa 50 Prozent der acht Millionen Einwohner Senegals sind unter 20 Jahre alt - gerade an der Ausbildung hapert. Schulräume werden nicht gebaut, und auch die sonstige Infrastruktur kann nicht entwickelt werden. Im vergangenen Jahr hatten erst 40 Prozent der ländlichen Haushalte Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Gravierend sind die politischen Folgen der Strukturanpassung, weil das Land zugleich die Entscheidungsfreiheit über so wichtige Fragen wie die Bildungspolitik verloren hat. Zu den Auflagen der Gläubiger gehörte auch die Reduzierung der Zahl der vergebenen Diplome. Nachdem der Zugang zur Universität stärker reglementiert und damit erschwert wurde, stiegen die Durchfallraten an staatlichen Schulen Anfang der neunziger Jahre bis zu 80 Prozent. Mit dem Ergebnis, dass die durchgefallenen Kandidaten das Heer der Arbeitslosen weiter anwachsen ließen.

Über welche Druckmittel sie verfügt, demonstrierte die Weltbank zuletzt im Januar dieses Jahres. Als die gewünschte Kooperation zwischen der senegalesischen Elektrizitätsgesellschaft Senelec und der franko-kanadischen Partnergesellschaft Senegalaise d'Investissement (SI) scheiterte, blockierte sie die zugesagten 57 Milliarden CFAF (150 Millionen Mark) für den senegalesischen Haushalt. »Das ist ein erheblicher Fehlbetrag für das Budget 2001«, bemerkte der Minister für Energie, Abdoulaye Bathily, und sprach zugleich von »großem diplomatischen und politischen Druck«, der auf die Regierung ausgeübt worden sei.

Streiks sind nicht produktiv

Der im vergangenen Jahr angetretene Präsident Abdoulaye Wade vermeidet es, das Thema Auslandsschulden in der Öffentlichkeit anzusprechen. Sowohl in seiner Antrittsrede als auch in seiner Neujahrsansprache appellierte Wade dagegen an die Bevölkerung, die Ärmel aufzukrempeln. »Arbeiten, mehr arbeiten, besser arbeiten in einem demokratischen Senegal«, lautet die Parole, die zum Jahresbeginn über den Rundfunk ging. Mit der Ergänzung, dass das Land schnell »eine große Baustelle werden soll«.

Als Helfer auf der nationalen Baustelle, wie sie dem Präsidenten vorschwebt, hat sich zum Beispiel die Vereinigung der unabhängigen Gewerkschaften (Unsas) erwiesen. »Die Regierung benötigt Hilfe«, erklärt der Sekretär der Unsas, Addi Geye, zur Schuldenproblematik. Seiner Ansicht nach »interessiert sich die Regierung nicht sehr für das Problem«. Unsas hatte in Zusammarbeit mit der senegalesischen NGO Congad im Dezember vergangenen Jahres in Dakar einen Kongress zum Thema Entschuldung veranstaltet. In dem dort verabschiedeten »Dakar Manifesto« wurde die vollständige und bedingungslose Streichung der afrikanischen Schulden gefordert. Selbst von Reparationszahlungen des Nordens ist die Rede.

Doch offenbar sieht sich die Gewerkschaft in dieser Zwangslage des Landes auch zur Zusammenarbeit mit der Regierung veranlasst. Gemeinsam mit Vertretern der Arbeitgeber und der Regierung beteiligt sich der Gewerkschaftsverband an einem »Programm für Produktivität«. In dieser Kooperation mit den politischen Vorstellungen einer liberalen Mittelstandsinitiative, wird der Anschein erweckt, als seien die Interessen von Arbeitern und Arbeitgebern deckungsgleich. Der Gewerkschaftsfunktionär umreißt die Situation so: »Wir arbeiten im Kontext des Marktes, und wir befinden uns in einer Situation, die geprägt ist von den Auswirkungen der Strukturanpassung. Die großen Financiers bestimmen die Richtung. Wir werden weiter gegen die Auswirkungen der Stukturanpassung kämpfen.« Doch man müsse »die Taktik ändern. Man muss auch Alternativen anbieten können. Deshalb haben wir uns besonders für das Problem der Produktivität interessiert.«

Die Gewerkschaften haben die Logik der Wirtschaft verstanden. Und damit haben sie auch akzeptiert, dass die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens von vielen Faktoren abhängt. Auf einige dieser Faktoren hat der Verband unmittelbaren Einfluss, und er ist auch bereit, ihn geltend zu machen. »Zuerst geht es darum, bessere Beziehungen zu schaffen, so der Sekretär der Unsas, denn »man kann nicht die Löhne erhöhen, wenn es dauernd Arbeitskämpfe gibt«.

Regionale Selbstorganisation

Andere Organisationenen versuchen dagegen, die Spielräume zu nutzen, die nach dem Rückzug des senegalesischen Staates aus der Bildung und der Kultur entstanden sind. Die zahlreichen Nichtregierungsorganisationen engagieren sich vor allem in den Bereichen Ausbildung, Kreditvergabe und Handel. So entstehen zwar neue Jobs, allerdings keine sicheren Arbeitsplätze, die mittlerweile im Bildungsbereich nicht einmal mehr der Staat zu bieten hat.

Auch die Angebote, die von der Regierung zur Eindämmung der Krise auf dem Bildungssektor gemacht wurden, beruhen auf Freiwilligkeit. So stellte die Regierung Wade zu Beginn ihrer Regierungszeit 1 200 ehrenamtliche Lehrer an den Schulen ein, die dort ohne Entgelt arbeiten. Ihnen wurde lediglich in Aussicht gestellt, dass sie nach Ablauf von fünf Jahren einen Arbeitsvertrag bekommen.

Entgeltfreie Angebote kann indes auch das Projekt Aupej (Notwendige Aktionen für Kinder und Jugendliche) machen. Aupej will vor allem die Ausbildung der Kinder ermöglichen. Denn lediglich 30 Prozent der Kinder im Senegal nehmen am Schulunterricht teil. Aupej setzt auf regionale Selbstorganisation und arbeitet hauptsächlicht in Tivavouane, einer Kleinstadt mit 45 000 Einwohnern. »Wir haben es vorgezogen, den neuen Freiraum zu nutzen«, sagt Mousse Diop, einer der Initiatoren von Aupej. Die Workshops in handwerklichen Bereichen wie Tischlerei, Mechanik oder Elektrik werden von den Bewohnern des Viertels organisiert. Zugleich werden Alphabetisierungsklassen gebildet, die die Folgen der Bildungskrise zu mildern suchen. So betreibt das Projekt eine Bibliothek, in der sich die Kinder Schulbücher ausleihen können.

»Aupej ist gegründet worden in einer Situation der ökonomischen Krise«, beschreibt Mousse Diop die Anfänge der Organisation im Jahr 1992. »Die Schule war sehr teuer geworden. Die Eltern hatten nicht mehr die finanziellen Mittel für die Ausbildung der Kinder. Und wir haben uns gesagt: Ausbildung ist eine Sache, die man nicht allein den Ministerien überlassen kann.« Bildungsangebote allein reichten aber nicht aus, so Mousse Diop, es sei wichtig, zugleich dafür zu sorgen, dass die Kinder diese Möglichkeiten auch wahrnehmen können.

Ein Grund für den Rückgang des Schulbesuchs ist die wirtschaftliche Misere, in der sich viele Familien befinden. Kinder müssen oftmals zum Einkommen der Familie beitragen und irgendwelche Jobs annehmen, statt eine Ausbildung zu machen. Deshalb initiierte Aupec in der Nachbarschaft eine Kreditbank, die es den Leuten ermöglicht, im Bereich der Kleinökonomie tätig zu werden, beispielsweise im Handel mit landwirtschaftlichen Produkten.

Natürlich fehlt dem Projekt das Geld, um seine Ziele realisieren zu können. Anfangs gab es nicht einmal einen Raum, in dem die Kurse hätten stattfinden können. Aupej finanziert sich über Spenden. So bekam man auch das Geld für die Errichtung des eigenen Zentrums zusammen. Heute ist man immerhin im Besitz eines kleinen, wellblechgedeckten Häuschens, das einen Klassenraum und die Bibliothek beherbergt.

Inzwischen arbeiten in dem Projekt auch viele Nachbarn. »Es war zunächst sehr schwierig. Wir arbeiteten in einem von Armut geprägten Umfeld. Wie sollte man die materiellen Ressourcen mobilisieren? Dennoch gibt es heute eine Menge Leute, die sich engagieren«, erzählt Mousse Diop. Da der senegalesische Staat keine Möglichkeit sieht, derartige Eigeninitiativen zu unterstützen, ist Aupej auf ausländische Geldgeber angewiesen. Der Bau und die Ausstattung der Bibliothek wurde durch Spenden einer französischen Partnerorganisation finanziert.

Mousse Diop glaubt, dass die Selbstorganisation ein Gewinn für die Menschen im Stadtteil ist: »Unser Ziel ist es, einen Prozess zu initiieren, durch den die Menschen eine wirkliche Kontrolle über ihr Leben gewinnen, so dass sie nicht länger nur Objekte eines politischen oder ökonomischen Programmes sind.« Deshalb sind Diskussionen über Wirtschafts- und Sozialpolitik, Auslandsverschuldung und Globalisierung ein Bestandteil des Projektes. »Wir haben unsere Situation nicht nur im Kontext des Viertels betrachtet, sondern genauso im regionalen, nationalen und internationalen Kontext. Dabei wurde viel über die Globalisierung diskutiert. Warum sind wir arm? Das haben die Menschen schnell verstanden.«