Das Ende von pool

Die Party ist vorbei

Die Euphorie war verbraucht, meint elke naters über das Ende des Autorenprojekts ampool.de. Das Ding war so unaufgeregt wie ein Waldspaziergang, sagt Sven Lager

Um was ging es bei pool?

Sven Lager: Es ging darum, im Internet eine andere Möglichkeit der Produktion zu finden, die sonst beim Bücher- und Kunstmachen so langwierig ist. Literaturproduktion hat ja eine ziemliche Schwerfälligkeit. Es entsteht ein Roman, eine Erzählung, ein Theaterstück, aber viele Zwischenformen sind nicht veröffentlichbar. Du kommunizierst mit Freunden, welche Ideen entstehen da, was ist da ein Thema oder worüber spricht man? Diese Dinge sind immer sehr interessant, nur finden sie selten eine Dokumentationsform.

Ich würde das manchmal sehr gerne radikaler machen, wie in einem Film von Andy Warhol oder in einer Doku-Soap, wo die Kamera alles aufzeichnet. Einen Abend mit Freunden komplett aufschreiben. Das liest man dann ein Jahr später und denkt, hey, kuck mal, aus der Idee ist nie was geworden, oder, warum haben wir darüber nie wieder geredet?

Das liegt in der menschlichen Natur, man vergisst viel und muss auch eine Auswahl treffen, wenn man sich wirklich hinsetzt und schreibt. Das ist so anstrengend, dass man nur Zeit hat, sich um das eine zu kümmern, vieles fällt weg. Man hätte aber auch für das andere sich entscheiden können. Viele Dinge gehen unter. Außerdem gibt es auch Leute, die nicht Kunst machen oder schreiben können, die aber sehr gut beim Reden Ideen entwickeln, die Gedanken so klar formulieren können, es aber nie auf Papier bringen.

Pool hört ja im selben Augenblick auf, in dem auch die Euphorie für die New Economy verschwunden ist. Wir haben uns noch im letzten Frühjahr über einen Spiegel-Titel unterhalten, auf dem Leute abgefeiert wurden, die vorher Jugendrichter waren und dann übers Handy Teppiche versteigern wollten und Rabattmarkensysteme fürs Internetshoppen erfanden und sich dann von irgendjemandem haben einreden lassen - wahrscheinlich vom Spiegel selbst -, sie seien Revolutionäre. So ein ähnliches Titelbild gab es auch kurz vorher mal zur Buchmesse mit den neuen Schriftstellern. Bei der Popliteratur ist es ja noch nicht so wie bei der New Economy, wo sich wahrscheinlich alle Leute vom Titelbild inzwischen entweder aufgehängt haben oder wieder Jugendrichter geworden sind. Kiepenheuer & Witsch musste bis jetzt jedenfalls noch keinen Konkurs anmelden. Trotzdem: Ist es nicht traurig, wenn so ein Projekt in einem neuen Medium stirbt und dann am Ende doch ein Buch dabei herauskommt?

Elke Naters: Ist kein Tod: Ist in die Ferien gefahren!

Lager: Verwandelt sich, verpuppt sich, wird etwas Neues.

Naters: Welches Ende hättest du dir denn gewünscht?

Gar keins, zu allererst. Pool war anscheinend kein Perpetuum Mobile, kein Produktionsapparat, der aus sich selbst heraus eine eigene Energie und die Kraft zur ständigen Erneuerung, Interessantheit, Weltwahrnehmung produziert hat, sondern der mit sehr großem Aufwand wie ein romantisches Projekt von euch geführt worden ist.

Naters: Es war eben nicht einfach eine leere Seite, in die dann alle reingeschrieben haben, sondern wir waren wirklich wie Gastgeber einer Party, wir mussten immer wieder Getränke auf den Tisch stellen, und zwischen einzelnen gab es zuweilen auch Missstimmungen, die wir versuchten auszugleichen. Davon lebte es auch, das gehörte mit dazu. Aber irgendwann will man sich dann auch mal ins Bett legen und schlafen.

Für mich selbst habe ich rausgefunden, dass das Medium Internet sehr beschränkt ist und ich kein Interesse mehr habe, da was zu veröffentlichen. Weil es erstens zu schnell ist, und zweitens ist es zu flüchtig für die Arbeit, die man reinsteckt. Und die ganze Euphorie und Aufregung und »Ey wie kann man jetzt sofort und mit anderen auch noch« hat sich totgelaufen.

Lager: Elke, so war es nie! Wir waren total aufgeregt, aber das Ding an sich war so unaufgeregt wie ein Spaziergang durch den Wald. Pool war nie aufregend, nie ein Hype, nur für den Literaturbetrieb war es angeblich eine Revolution, was mehr über den Betrieb als über uns sagt. Wir waren unglaublich aufgeregt, weil es für uns etwas Neues war, und als das Neue verbrannt war, entdeckten wir andere Seiten, die uns interessierten daran, und erst dann entstand etwas, wo wir gesagt haben: Das hier wird ein Buch.

Ich denke immer noch, was Neues machen, was Neues erfinden, aber nicht einfach aufhören. Und Elke würde einfach sagen: Gar nicht weitermachen.

Aber im Grunde ist das Problem ganz simpel. Bleibt einem dann noch Zeit für eigene Bücher? Denn das wird weiterhin die wesentliche Arbeit bleiben. Sind Projekte wie pool ein guter Einfluss auf diese Arbeit oder eher verwirrend auf Dauer. Da sind wir unterschiedlicher Meinung.

Mir ist aufgefallen, wie wenig die Leute sich aufeinander bezogen. Jeder hat für sich selbst an so einer kleinen Form gearbeitet, den pool als privates Labor benutzt. Rainald Goetz mit den Gedichten, es gab bildende Künstler und Fotografen, zuweilen gab es dann mal Beifall oder auch Missfallensäußerungen, aber das war dann wie die Verletzung eines Tabus.

Lager: Also ich hätte das sehr gerne anders gehabt. Das eine Problem war, dass wenn zwei ein Gespräch angefangen haben, kein Platz mehr da war für die anderen. Und auf Missfallensäußerungen oder Beifall folgt meistens eine Kakophonie der Meinungen oder Stille.

Naters: Aber das ist doch immer so. Es gibt dann zwei, die sich besonders gut unterhalten und die Allerschlauesten sind und sich gerne zuhören, wie sie reden, oder zusehen, wie sie schreiben, und die anderen ödet das an, und sie finden auch selbst keinen Zugang, und das ist dann das Ende. Und da will niemand hinkommen, und man hat auch gemerkt, dass es sprachlich reizlos ist.

Lager: Ich fand das aber immer interessant. Der klassische Typus des Schriftstellers ist ja einer, der immer allein arbeitet, der allein sein muss, und aber auch sich irrt in seinem Wahn und Fehler macht, die ein guter Lektor vielleicht wieder ausbügelt. Was wir probiert haben, war etwas, das in der Öffentlichkeit stattfand, wo Schriftsteller und Künstler zusammen arbeiten und dadurch eine gegenseitige Kritik stattfinden kann, oder durch gemeinsame Stilentwicklungen oder Erzählformen irgendwie ein Abgleich hergestellt wird. Denn üblicherweise ist es doch so: Jeder schreibt für sich alleine, und niemand liest die Texte der anderen. Das ist ja das normale, vollkommen Asoziale am Schreiben.

Aber diese tägliche Wundertüte, die pool hätte sein können, ist es dann ja nicht geworden. Anders als die anderen betriebswirtschaftlichen oder seminaristischen Literaturunternehmungen im Internet gab es bei pool ja dieses Versprechen: Wir wissen nicht, was dabei herauskommt! Ihr habt ja eigentlich nichts anderes gemacht, als eine Gang zusammenzustellen. Und dann habt ihr herumgebastelt.

Naters: Wir haben die sehr begrenzten Möglichkeiten einer festen Gruppe ausprobiert. Man kann nicht ständig die Leute auswechseln, es lebte auch von bestimmten Personen, die man für eine bestimmte Zeit verfolgt hat, wie bei der Lindenstraße oder eben bei einer Serie. Es hatte schon ein wenig einen Seriencharakter. Wenn das immer neue Leute gewesen wären, die dann wieder verschwunden wären, wäre das uninteressanter gewesen. Man hat reingekuckt, hat die Leute gesehen und hat auch Stimmungen wahrgenommen, Lust, Unlust, Aufsässigkeit, eine Daily Soap eben auch.

Aber genau diesen Blick in die Produktion von Text, in das noch nicht geformte, den Schreibversuch, das noch nicht Autoritäre, den hat es ja nicht wirklich gegeben. Jeder hat anscheinend fünfmal darüber nachgedacht: Kann ich das jetzt da reinwuchten oder nicht.

Naters: Natürlich, weil jeder mit seinem Namen dazu stand. Das war auch der Grund, warum wir es zum Schluss mit Anonymisierung probiert haben. Wir hofften, dadurch der Produktion eine größere Leichtigkeit zu verschaffen. Aber da war es vielleicht schon zu spät. Mich hat dann die Öffentlichkeit nicht mehr weiter interessiert, ich hätte es gerne unöffentlich gemacht mit den Leuten. Ich wollte nicht mehr mit den Texten dauernd in der Öffentlichkeit stehen.

Das ist aber erstaunlich. Gerade mit deinem neuen Buch »G.L.A.M.« hast du dich doch extrem öffentlich und angreifbar gemacht.

Naters: Vielleicht war es auch, weil ich es gleichzeitig geschrieben habe und es nicht ertragen habe, mit solchen Texten auch noch im pool zu sein. Es gibt öffentliche Phasen und eine stille Produktion. Ich wollte einfach nicht mehr.

Rainald Goetz hat mal beschrieben, wie das war, als er in den pool eingeladen wurde und er für ein paar Wochen diese täglichen Textgedichte »Krank« in den pool geschrieben hat. Wie er, der ja über »Abfall für alle« schon ein wenig Erfahrung mit dem Internet hatte, sich der Ungeduld des Internetlesers bewusst war und es deshalb kurz machte. Und es ist ja auch wirklich etwas, was sofort auffällt, zu viel kompakter Text auf dem Bildschirm erzeugt anscheinend schnell Unlust, selbst wenn der Text spannend ist.

Naters: Da haben ja auch alle herumprobiert, mit Absätzen, Lettering und eben auch stilistisch, um mit dieser geringen Aufmerksamkeitsspanne umzugehen. Text muss den Internet-Leser sofort packen, oder er wird nicht gelesen. Der Leser klickt sich woandershin.

Lager: Im Grunde muss man da viel unterhaltsamer sein.

Naters: Eventliteratur machen.

Lager: Aua, nein, doch ein tolles Wort! Man muss kucken, ob man diese Gratwanderung schafft, in diesem speziellen Medium was wirklich Gutes zu schreiben, was sofort einen Suspense erhält.

Das wäre so etwas wie guter Boulevard.

Lager: Genau! Das kann auch seine subversiven Seiten haben. Der Gedanke ist, vielleicht interessieren sich ja Leute für viel mehr, so wie sie manchmal Tagebücher lesen, und da taucht dann natürlich die Idee auf, mit so einem neuen Medium diese Tagebücher nicht erst in ein paar Jahren herauszugeben, sondern gleich, weil sie einen aktuellen Bezug haben. So sind die auch gleich überprüfbar, und die literarische Schwerfälligkeit verschwindet.

Ein ganz anderer Aspekt von pool war ja auch, dass der Leser von dem einen Autor wieder auf andere Autoren stößt, also ein Netz geknüpft wird.

So wie die Empfehlungen bei amazon.com?

Lager: Das ist aber was rein Statistisches. Eine mechanische Kette und kein Zusammenhang, wie wir ihn geschaffen haben bei pool. Ich habs bei amazon mal mit meinem Buch probiert: Leser die »Phosphor« gelesen haben, haben auch dieses Buch gelesen und diese Musik gehört oder gekauft. Da bin ich schnell mit zwei, drei Schritten in ganz absurde Nachbarschaften hineingeraten. Drei Sprünge später war ich in einer so ganz seltsamen Ältere-Herren-Sex-Ecke, wo es nur noch um rasierte Frauen ging. Nur drei Sprünge ist schon wahnsinnig weit. Ich hätte auch in eine andere Richtung springen können.

Naters: Das ist ein wenig so wie eine Synonymkette oder Stille Post, nach ein paar Stationen ist der Ausgangspunkt kaum noch zu erahnen. Ich bin jedenfalls immer sehr erleichtert, wenn ich feststelle, dass die Leute, die meine Bücher gekauft haben, auch Musik hören, die ich selber mag. Wenn ich feststellen würde, dass sich meine Leser für U2 und Sting interessieren, würde ich denken, irgendwas ist falsch.

Lager: Nee, mich nervt es inzwischen, dass diese ganze Lounge- und Chillout-Musik eben genau bei unseren Büchern steht. Und dass immer der Zusammenhang besteht mit all den anderen Autoren, von denen man glaubt, sie machen Popliteratur. Ich denke immer, das kann gar nicht sein, stimmt auch gar nicht.

Welche Namen würdet ihr denn stattdessen lieber da stehen haben?

Lager: Es kommt gar nicht auf andere Namen an, sondern es geht darum, dass sich da nie etwas verändert.

Naters: Ich will, dass meine Leser auch andere Bücher lesen! Und nicht nur so'n Popscheiß!

Wer wäre denn das? Thomas Bernhard...

Naters: Thomas Bernhard, Thomas Bernhard und vielleicht ... Thomas Bernhard.

Aber es scheint doch so, dass ihr euch, was den Markt betrifft, in einer präzise formulierten Nische befindet.

Lager: Das ist eben etwas, was dem Verkauf dient, und Verkauf bedeutet Leser und insofern bekrittelt man so was dann nicht. Was das betrifft, ist die Kategorie »Popliteratur« gar nichts Falsches. Es wird mehr gelesen.

Aber wenn ihr so bestürzt seid, dass ihr...

Lager: Wir sind nicht bestürzt, du übertreibst immer so maßlos!

Also wenn ihr es bemerkt, dass die Musik, die zu euren Texten oder zum Dinner nach oder vor der Lektüre eurer Bücher gehört wird, Kruder & Dorffmeister und Loungemusik oder besser gesagt Wohlfühlmusik ist, die nichts will und niemandem weh tut, bekommt man es da nicht vielleicht mit der Angst zu tun, dass die eigene Literatur vielleicht auch sowas ist: Wohlfühlliteratur?

Lager: Mit dir kann man sich nicht unterhalten!

Naters: Von der Eventliteratur zur Loungeliteratur! Es geht nur darum, dass es die Musik ist, die ich selber manchmal höre, darüber freue ich mich eben. Das ist dann eben Air, Ian Pooley und, wie heißen die Brüder da nochmal ...?

Café del Mar.

Naters: Café del Mar. Genau, das ist eben auch populär. Aber amazon ist der Markt und sehr schwarz-weiß. Da landen wir eben bei so einer Schwarz-Weiß-Malerei, und dann ist unsere Literatur, wenn man es so sieht, vielleicht Wohlfühlliteratur. Was gibt es dann noch außer Wohlfühlliteratur? Aufwühlliteratur, Rockliteratur ... was ist, wenn unsere Leser AC/DC hören würden?

Lager: Oh, ja. Unsere Literatur ist Wiedererkennungsliteratur.

Naters: Genau, das ist Wiedererkennungsliteratur.

Ich glaube ja daran und wünsche es mir, dass das »Politische« wieder zurückkommt. Dass die Nabelschau, die in der Popliteratur bis jetzt stattgefunden hat, die Wiederentdeckung der Oberfläche und des Privaten, die vielleicht auch notwendig war nach der Ödnis der (deutschen) Literatur der achtziger Jahre, jetzt aber langsam erledigt sind. Dass der Blick sich heben könnte und von der Beobachtung der komplexen Situation und der Umwege des Selbst auf eine ähnlich komplexe und vielleicht sogar spannendere Situation wie die einer Gesellschaft. Das muss jetzt nicht gleich »Globalisierung« sein. Aber ein anderer Realismus.

Naters: Was ist denn politisch agieren, heutzutage?

Lager: Ein Bewusstsein schaffen, eine eigene Wahrnehmung erstmal anzusprechen oder zu schärfen.

Naters: Aber die Popliteratur ist doch: soziologisch. Es geht um die Wahrnehmung einer mediatisierten Welt. Und ein mehr oder weniger immer krankeres Zusammenleben und das Alleingelassensein, Auseinandergerissensein.

Wie? Das ist Popliteratur?

Naters: Das sind Themen. Ja. Finde ich. Klar!

T.C. Boyle versucht schon seit einiger Zeit in guter und aufklärerischer Absicht Bestseller zu schreiben, aktuell gerade gegen die Regenwaldvernichtung ...

Naters: Das ist furchtbar. Man kann solche Themen nicht einfordern. Man kann nicht fordern, dass ein Roman, oder eine Literatur politisch zu sein habe.

Lager: Sie ist es ja sowieso schon. Aber es ist eine Eigenschaft von guter Literatur, dass sie dem Leser das Denken nicht abnimmt. Und erst recht nicht die Schlussfolgerung.

Aber warum sollte man das Popliteratur nennen?

Lager: Die Popliteratur war auch ein Reflex auf eine literarische Ära, in der alles vorgedacht wurde. Die Nabelschau fand ja vorher statt.

Naters: Während die Popliteratur in der Art und Weise, wie sie die Wirklichkeit beschreibt, und eben nicht vorschreibt, ein Denken und Möglichkeiten anbietet, die beim Leser liegen. Das finde ich am Lesen interessant, und solche Bücher möchte ich schreiben. Wo so was passiert. Dass man etwas frei lässt für den Leser.

Auf der Website pool haben zwei Jahre lang junge Schriftsteller und Journalisten, später auch Fotografen und bildende Künstler wie in einem kollektiven Tagebuch ihre Arbeiten nebeneinandergestellt. Aus diesem Projekt ist jetzt die eigenständige Textsammlung »The Buch« hervorgegangen.

Die Initiatoren der Seite sind Elke Naters und Sven Lager. Naters hat die Romane »Königinnen« und »Lügen« und aktuell das Tagebuch-Essay »G.L.A.M.« veröffentlicht. Lager den Roman »Phosphor«. Sämtliche Bücher sind bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Das Archiv von pool steht unter www.ampool.de weiterhin im Netz.