Zehn Jahre Andy Warhol Museum in Medzilaborce

Die Warhols

Andy Warhols Eltern stammten aus der Nähe von Medzilaborce in der Slowakei. Das dortige »Familie-Warhol-Museum« nähert sich dem Künstler vor allem über seine Herkunft. Dieses Jahr feiert es seinen zehnten Geburtstag.

Andy lebt. Zumindest sein Wiedergänger. Er sitzt in einer Bierkneipe an der Andy Warhol-Straße in Medzilaborce. Die Zeit steht still. Die Männer halten ihre Halbliterflaschen Zlaty Bazant, Goldfasan, fest umklammert. Die Frühschicht ist vorbei. Andy trägt eine schwarze Hornbrille, erhat blondes, gescheiteltes Haar. »Kunst sagt mir nichts«, meint er. Andy heißt gar nicht Andy, sondern Miroslav. Sein staubiges Holzfällerhemd und die ausgebeulte Hose weisen ihn als Ostslowaken aus.

Prag ist weit weg. Sehr weit. Über 800 Kilometer. 13 Stunden Bahnfahrt, mindestens. Früher gab es auf der Strecke den Schnellzug Laborec. Abends um halb neun fuhr er in Prag ab, morgens um neun erreichte er Medzilaborce. Heute muss man auf der Strecke mehrmals umsteigen, die Fahrt dauert noch länger. Darum steht die Zeit still in Medzilaborce.

In dem Dörfchen Mikova sind die Eltern von Andy Warhol geboren. Bis zum Ersten Weltkrieg gehörte die hügelige Karpatenlandschaft zur Donaumonarchie, danach zur Tschechoslowakei. Heute liegt der Geburtsort von Warhols Eltern im slowakischen Teil des Dreiländerecks Slowakei, Polen, Ukraine.

Dass es in Pittsburgh ein Andy-Warhol-Museum gibt, wissen viele. Aber nur wenige kennen das Warhol-Museum in Medzilaborce, das im September sein zehnjähriges Bestehen feiert. 1987 begannen Künstler und Intellektuelle aus Prag, unter ihnen auch Václav Havel, für ein Museum, das an die Herkunft des amerikanischen Künstlers erinnern sollte, Unterschriften zu sammeln.

»Mach mir möglichst viele Bilder«, sagte Andy Warhol zu seinem Bruder John, als der 1987 auf Betreiben der Prager Warhol-Fans in das Land ihrer Eltern reisen wollte. Der Künstler starb jedoch, bevor sein Bruder die Reise antrat. Aus der nach Warhols Tod eingerichteten Kunststiftung erhielten die tschechoslowakischen Pop-Art-Anhänger dann Dollars, Bilder und persönliche Zeugnisse des Künstlers.

Warhol wurde in Pittsburgh geboren. Für die Herkunft seiner Eltern scheint er sich nicht sonderlich interessiert zu haben. Im Gegenteil, seine Herkunft war ihm eher peinlich. Schon zu Beginn seiner Karriere amerikanisierte er seinen Namen. Andrej Warhola wurde zu Andy Warhol. Nach der Herkunft seiner Familie gefragt, antwortete er oft: »Ich habe keine Abstammung.« Bruder John Warhola aber berichtet: »Unsere Mutter hat uns oft über Mikova erzählt, darüber, wie sie mit dem Wagen nach Medzilaborce fuhren.«

Die Übersiedlung von Warhols Eltern in die USA war mit vielen Entbehrungen verbunden. Obwohl seit 1909 verheiratet, lebten Julia Zavacka und Andrej Warhola jahrelang getrennt - sie in Europa, ihr Mann in Pennsylvania, wo er in den Kohlebergwerken Arbeit gefunden hatte. 1912 emigrierte Andrej, Julia blieb zurück. Erst fehlte das Geld für die Überfahrt, dann verzögerte der Erste Weltkrieg die Ausreise. Ihre Eltern starben, sie musste sich um ihre jüngeren Geschwister kümmern. Erst 1921 konnte schließlich auch sie auswandern.

Warhol wuchs im tschechischen Viertel McKeesport in Pennsylvania auf. In seiner autobiografischen Schrift »From A to B and back again« erzählt er, dass sein Schulweg gesäumt war von »Babuschkas und blauen Arbeitsanzügen an Wäscheleinen«. Seinen Vater habe er kaum gesehen. »Meine Mutter las mir, so gut sie das mit ihrem breiten tschechischen Akzent konnte, Dick-Tracy-Hefte vor. Wenn sie damit fertig war, sagte ich immer: 'Danke, Mama' - auch wenn ich kein Wort verstanden hatte.«

Ein Bahnhof, eine Hauptstraße und ein paar einfache Kneipen, ganz auf das Ortspublikum ausgerichtet, das ist Medzilaborce. »Medzi« heißt »zwischen« und »Laborec« ist der kleine Fluss in der 6 500 Einwohner zählenden Stadt, die vom Maschinenbau und der Holzverarbeitung lebt. Viele Arbeitsplätze sind noch halbstaatlich organisiert, andere wurden bereits abgewickelt. Die Häuser-Aufschriften in lateinischen und kyrillischen Buchstaben blättern ab, die meisten Bewohner von Medzilaborce scheinen eher schlecht als recht über die Runden zu kommen.

Plötzlich taucht das Warhol-Museum für moderne Kunst vor einem auf. Der weiße Betonbau, dessen Eingang von zwei Litfass-Säulen-großen Campbell-Suppendosen flankiert wird, liegt an der Andy Warhol-Straße.

Ursprünglich sollte die alte Post zum Museum umgebaut werden. Nachdem aber mehrere Millionen Kronen aus der Warhol-Stiftung in dubiosen Kanälen der kommunistischen Partei verschwanden, bot sich das nagelneue Kulturhaus der Partei als Ersatz an. Das riesige Gebäude war nach der Wende funktionslos geworden. Von den Medzilaborcern genutzt wurde allein ein Baum auf dem Grundstück - als Träger für ein Holzkreuz, an dem ein aus dünnen Brettern gefertigter, blumengeschmückter Jesus hängt.

Die Mehrheit der Medzilaborcer gehört wie Warhols Eltern zur nationalen Minderheit der griechisch-katholischen Ruthenen, die den Papst in Rom anerkennen. Da seine Eltern streng gläubig waren, besuchte auch Warhol in seiner Kindheit regelmäßig den Gottesdienst, eine Gewohnheit, die er zusammen mit seiner Mutter auch in New York noch lange beibehielt.

»Familie-Warhol-Museum für Moderne Kunst« steht heute am ehemals sozialistischen Kulturhaus. Der Zusatz »Familie« im Titel soll die Institution vom Warhol-Museum in Pittsburgh unterscheiden. Passend zum Namen sind in Medzilaborce neben Andy Warhol auch andere Künstler mit ihren Arbeiten vertreten, darunter seine Brüder und ein Neffe. Ebenso wie Warhols Bruder John übt sich auch sein Vetter Paul in Serigraphie. Statt auf die Firma Campbell kapriziert sich Paul auf das Unternehmen Heinz: »Heinz Ketchup« und »Heinz Baked Beans« heißen seine Bilder. Und wo Andy eine Portraitserie von seiner Mutter anfertigte, nimmt sein Vetter das Motiv »Paul und Andy in ihren Jugendtagen« zum Vorbild für seine epigonalen Siebdrucke. Johns Sohn James hingegen malt in fantastisch-realistischer Manier naive Blumenbilder in Öl.

Schnell weg. Schnell weiter. Es wird heiß an den Füßen. Plastiküberzieher für die Schuhe sind Pflicht bei Familie Warhola. Die endlosen Gänge und Säle des Museums vom ostslowakischen Staub zu reinigen, würde Tage dauern.

Von Andy Warhol sind in Medzilaborce insgesamt 17 Originale zu sehen. Darunter ein Ingrid Bergmann-Portrait; »Campbell's Soup I und II« aus dem Jahr 1969 sowie »Blumen I und II« von 1970. Auch der »Elektrische Stuhl« aus der Reihe »Amerikanische Todesarten« ist dabei.

Die Ausstellung beginnt mit Warhols Herkunft. Eine Fotografie von Julia Warhola ist zu sehen. In einer Urkunde erklärt Andy Warhol, dass er nach dem Tod seines Vaters auf dessen Hinterlassenschaft in Mikova verzichtet. Auch das Kleid ist da, in dem Andy und seine zwei Brüder getauft wurden. Eine abgetragene Jacke von Andy vermittelt eine Vorstellung seiner zierlichen Gestalt. Es folgen eine Schallplatte mit einer Gesangsaufnahme von Julia Warhola in ruthenischer Mundart sowie Andy Warhols erste Polaroidkamera.

Die Gesamtkonzeption des Museums will dem Besucher die legendäre Factory-Ästhetik näher bringen. Doch während Warhols Kunst die Ikonographie des Massenkonsums verarbeitete, wünschen sich die Medzilaborcer vor allem, am Massenkonsum teilhaben zu können. Die Spätindustrialisierung ihrer Region zu Zeiten der Tschechoslowakei - am Reißbrett im fernen Prag beschlossen - erleichterte das Leben der Ostslowaken. Straßen, Brücken und Schulen wurden gebaut. Erstmals drohte in ihrem Landstrich kein Hunger mehr.

Mit den Zeichen der Konsumkultur zu spielen, kommt den meisten Menschen hier nicht in den Sinn. Kein Wunder, dass sich niemand so recht für das Museumscafé »Factory Art« begeistern wollte. Fabrikatmosphäre postmodern glamourös zu stilisieren, ist den Bewohnern einer Region, in der jeder Dritte arbeitslos ist, fremd. Das Café musste schließen.

Warhols Kunst erschien den Medzilaborcern mitunter sogar skandalös. Das Unbehagen der Bevölkerung gegenüber der Pop-Art zeigte sich bereits bei der Eröffnung. Ludovit Petrasko, Universitätsdozent aus dem slowakischen Presov, war bei der Vernissage dabei und erinnert sich: »In den Augen der Medzilaborcer kamen damals total ausgeflippte, poppige Typen aus dem fernen Prag angefahren. Eigens für ein paar Bilder über 800 Kilometer zurückzulegen, das allein schon machte die Fremden suspekt. Hinzu kam, dass die Tschechen sich eine Gaudi daraus gemacht hatten, wie Warhol oder wie andere Superstars auszusehen. Einige trugen Perücken, andere schrille Hornbrillen. Die lokale Polizei war vollkommen aus dem Häuschen, weil sie sowas gar nicht kannte und unsicher war, ob es sich nicht um öffentliche Ruhestörung handelte.«

Gleich zwei Theatergruppen, die sich beide »Marilyn Monroe« nannten, veranstalteten damals szenische Lesungen aus Warhols Autobiographie. Auch Warhols slowakische Verwandte konnten mit all dem nicht viel anfangen. Der kommunistische Bürgermeister fand seinen Zugang zu Warhol, indem er in seiner Eröffnungsrede »Hammer und Sichel« und den »roten Lenin« von Warhol lobte.

Finanziert wird das Museum vom slowakischen Ministerium für Kultur. Mit dem Budget sind aber nur die laufenden Ausgaben gedeckt. Reparaturen, Neuanschaffungen und die Kosten der Wechselausstellungen, die das Museum organisiert, müssen aus anderen Quellen bezahlt werden. Das Dach des Kulturhauses ist undicht, die Heizkosten der schlecht isolierten Räume sind erschreckend hoch. »Wenn der Strom ausfällt, geht nicht einmal mehr die Alarmanlage«, beschwert sich Michal Bycko, der Ausstellungskurator des Museums. »Diese kommunistische Megalomanie ist einfach nicht funktional für ein Museum«, kritisiert er.

Heute ärgern sich die ostslowakischen Verwandten Warhols, dass sie nicht alle Briefe, die Julia Warhola ihnen sandte, aufbewahrt haben. Immer wieder habe sie auch seltsame Bildchen geschickt, mit denen die slowakischen Warholas ebenso regelmäßig nichts anfangen konnten. Andys Mutter war künstlerisch aktiv: Als ihr Mann während der Weltwirtschaftskrise seinen Job verlor, verdiente sie sogar zeitweise ihr Geld mit selbstgebastelten Engeln, Papierblumen und Ostereiern, die sie in der Tradition ihrer Region bemalte.

Die Warhol-Forschung geht davon aus, dass diese »Serienproduktionen«, die Andy als Kind miterlebte, seine Kunstauffassung beeinflusst haben. Auch Julia Warholas Federzeichnung »Mariä Verkündigung«, die einen Engel zeigt, weist starke Ähnlichkeit mit den Erstlingswerken von Andy Warhol auf. Überhaupt habe seine Mutter ihn stets für das Malen belohnt, erzählt Warhol in seiner Autobiographie: »Jedesmal, wenn ich eine Seite in meinem Malbuch fertig gemalt hatte, gab sie mir einen Hershey-Schokoriegel«.

Schokolade blieb Zeit seines Lebens sein Lieblingsessen und Warhol behielt immer ein sehr inniges Verhältnis zu seiner Mutter. Michael Bicko bezeichnet die Mutter-Sohn-Beziehung als neurotisch. Warhol liebte die Naivität der Bildsprache seiner Mutter. Fleißig übertrug sie nach den Vorstellungen ihres Sohnes Zeichnungen. Obwohl sie nur rudimentäre Englischkenntnisse besaß und kaum lesen und schreiben konnte, war sie zuständig für alles Geschriebene auf Warhols Bildern - bis hin zur Signatur »Andy Warhol«. Sie würde Andy gern heiraten, um noch mehr Andys zu »produzieren«, gab Julia Warhola einmal in einem Interview an. »All these little Andys, you know, Andys, Andys, Andys, wouldn't that be beautiful?«

»Ich bin stolz, dass Andy Warhols Augen ruthenische Augen sind, in denen sich die Melancholie spiegelt, die Augen eines Bauern, der aus Verzweiflung trinkt, der weiß, dass sein Leben kurz ist und die Armen nichts zu verlieren haben (...). Dies ist mein Andy Warhol, ein Mann mit dem Gesicht eines entlassenen Knastvogels, ein Mann mit einer Perücke wie ein Pferd«. Der tschechische Schriftsteller Bohumil Hrabal war stolz auf die ruthenische Herkunft Warhols. Wie ihm geht es vielen seiner Landsleute, über die Hälfte der jährlich rund 10 000 Museumsbesucher sind Tschechen.

Die Slowaken indes, seit 1993 von den Tschechen getrennt, tun sich schwerer mit ihrem poppigen Erbe. Den Altkommunisten ist Warhol als kapitalistischer Künstler suspekt. Die ostslowakischen Verwandten haben Mühe mit der Homosexualität des Künstlers. Die Ruthenen berufen sich vor allem auf die ruthenischen Wurzeln von Warhols Familie.

Alles in allem ist Warhols Kunst nicht heimisch geworden in der Heimat seiner Eltern. Kurator Bycko meint, die politisch Verantwortlichen in Medzilaborce hätten die Bedeutung des Museums als Wirtschaftsfaktor nicht begriffen. Aber ist es nicht auch ein bisschen viel verlangt, bei 30 Prozent Arbeitslosigkeit Geld für moderne Kunst zu fordern? »Gerade weil es hier in der Region nichts anderes gibt, keinen guten Boden, kein Naturereignis und keine anderen historischen Denkmäler, müsste das Museum als Motor für einen Aufschwung begriffen werden«, fordert Bycko. »Andernorts wäre man glücklich, so eine Attraktion zu haben. Aber hier muss das Museum der Stadt Geld zahlen«, kritisiert er.

Aus dem Kurator wird indes mehr und mehr ein Hausmeister- und Installateur. Jetzt will er dazu übergehen, nur noch Teile des Gebäudes zu nutzen. Erwägt werde inzwischen auch, das Museum an einen anderen Ort zu transferieren, lässt er wissen. Um zusätzliches Geld einzunehmen und Warhol bei den Slowaken populärer zu machen, werden Teile der Sammlung jetzt auf Wanderschaft quer durch die Museen und Galerien des Landes geschickt.

Ohnehin legt die jetzige Direktorin, Valika Madarova, anders als ihre Vorgängerin Natasa Hrisenkova, das Augenmerk weniger auf Warhols Kunst als auf die Familienbeziehungen. Anfang August, am Geburtstag von Andy Warhol, veranstaltete sie in Mikova, dem Geburtsort der Eltern, ein kleines Festival geben.

Immerhin: Andy lebt. Wenn auch in Medzilaborce nur ein bisschen. Vielleicht täte anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Museums ein neuerlicher Sonderzug von Pop-Art-Enthusiasten nach Medzilaborce not.