Erste Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin

Zickzack in die Republik

Jahrelang wurde über das Konzept eines Jüdischen Museums in Berlin gestritten. Dann galt die Architektur als unbespielbar. Jetzt hat der Libeskind-Bau eine Ausstellung, die zu ihm passt.

Die Vorgeschichte des neuen Jüdischen Museums - betont werden muss, dass es schon mal ein jüdisches Museum gab, das 1933 in der Oranienburger Straße 31 eröffnet worden war und 1938 geschlossen werden musste - begann 1971, als das 1969 gegründete Berlin Museum vom Berliner Senat (West) übernommen wurde und fortan Landesmuseum wurde. Aus Anlass des 300jährigen Bestehens der Jüdischen Gemeinde zu Berlin fand im Berlin Museum die Ausstellung »Leistung und Schicksal« statt. Ab 1974 wurden Konzepte entwickelt, innerhalb des Berlin Museums eine jüdische Abteilung einzurichten. Zehn Jahre später, 1984, wurde im Berlin Museum ein ständiger Schauraum für die jüdische Abteilung etabliert. 1988 wurde eine Expertentagung über das zukünftige »Jüdische Museum im Berlin Museum« - so die offizielle Sprachregelung - abgehalten.

Einig war man sich über ein so genanntes »integratives Modell«, was zu dem Zeitpunkt noch bedeutete, nichtjüdische und jüdische Berliner Stadtgeschichte gemeinsam in einem Haus zu zeigen. Im gleichen Jahr wurde in Ost-Berlin der Grundstein für das Centrum Judaicum gelegt. Es sollte in der ehemaligen Synagoge in der Oranienburger Straße entstehen, und dort ist es heute auch. 1989 wurde der Wettbewerb für einen Erweiterungsbau des Berlin Museums zugunsten des Entwurfes von Daniel Libeskind entschieden. Nachdem der Deutsche Bundestag am 20. Juni 1991 beschlossen hatte, Berlin zur Hauptstadt des vereinigten Deutschland zu machen, drohte zunächst das Projekt des Erweiterungsbaus zu scheitern, 1992 kam es aber am 9. November zur Grundsteinlegung.

1994 wurde Amnon Barzel nach einer Juryentscheidung zum Leiter des Jüdischen Museums berufen. Am 5. Mai 1995 konnte das Richtfest des Erweiterungsbaus gefeiert werden, am 7. Mai wurde feierlich das Centrum Judaicum eröffnet, und am 23. Juni trat offiziell die Gründungssatzung der Stiftung Stadtmuseum, zu der das Jüdische Museum gehören sollte, in Kraft.

Mit der Berufung Amnon Barzels zum Leiter des Jüdischen Museums begann der Streit um den Stellenwert dieses Museums und damit auch um die Konzeption. Der Konflikt wurde 1997 mit der fristlosen Entlassung Barzels und der Berufung Michael Blumenthals 1998 und Kenneth Gorbeys 1999 beendet. Jahrelang war der leere Libeskind-Bau die Stellvertretung für ein Jüdisches Museum. Seine museale Bespielung schien schon deshalb schwer vorstellbar, weil gerade das leere Gebäude mehr und mehr zur Touristenattraktion wurde. Gelegentlich wurde es schon als adäquater Ersatz für ein Holocaust-Denkmal gesehen.

Seit dem 9. September ist das alles Geschichte. Es gibt ein eingerichtetes Jüdisches Museum, das eine Woche vor der Eröffnung dem Bund übergeben wurde und damit nicht mehr bloß ein stadtgeschichtliches Heimatmuseum ist, sondern ein nationales Jüdisches Museum.

Mit diesem letzten Schritt aber ist mehr passiert als bloß die Erfüllung eines 30jährigen Auftrags. Obwohl immer wieder betont wird, dass das Jüdische Museum kein Museum für Juden sei, sondern für Deutsche, so gibt es kein jüdisches Museum, das »nur« Geschichte ohne eine jüdische Selbstwahrnehmung und ein jüdisches Selbstverständnis zeigen könnte, beides ist für die Konzepte dieser Museen bestimmend. Deshalb steht auch das Jüdische Museum in der Lindenstraße nicht in einem vagen geschichtslosen und voraussetzungslosen Raum, ist auch hier keine generalisierende Schau »des« Judentums zu sehen.

Der Streit um die Konzeption des Jüdischen Museums war von dem Moment an, in dem ein eigener Leiter berufen wurde, ein Streit darum, was denn »das« Judentum sei und wie es sich zu repräsentieren habe. Vor der Berufung Amnon Barzels war es einzig die Ausstellung »Jüdische Lebenswelten« (1991/ 92), die das Bild von »dem« Judentum zu irritieren vermochte. Ansonsten wurde Jüdisches auf Judaika reduziert, d.h., die jüdische Geschichte wurde als Religionsgeschichte präsentiert, oder aber sie wurde als Vernichtungsgeschichte gezeigt.

Mit diesem reduzierten Konzept ließ sich das Jüdische Museum als eine Abteilung des Berlin Museums denken. Bis dann Amnon Barzel seinen Auftrag produktiv-gründlich missverstand: »Ich bin engagiert worden, das zentrale Jüdische Museum Deutschlands aufzubauen, das der Bundeshauptstadt. Ich weigere mich, meine Arbeit auf das Sammeln von Menorahs und Beschneidungsbestecken zu beschränken.«

Barzels Konzept ging über eine historische Sicht auf die jüdische Geschichte hinaus. Seine Idee war auch, zumindest das obere Stockwerk zu einem jüdischen Museum der Modernen Kunst zu machen. Was er dagegen konzeptionell für die Dauerausstellung verwirklichen wollte, ist so ziemlich genau das, was seit dem 13. September der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist: »Besucher werden nicht etwa in eine Abteilung eines städtischen Museums geführt, sondern erleben eine unabhängige nationale Institution, das größte jüdische Museum Europas, das sich der gesamten Geschichte deutschsprachiger Juden seit der Römerzeit annimmt«, erklärte Michael Blumenthal.

Kann man daraus folgern, dass die Bonner Republik im Unterschied zur Berliner zu kurzsichtig, zu ignorant oder was auch immer, aber eben noch nicht bereit für ein Jüdisches Museum mit diesem umfassenden Anspruch war? Das ist vermutlich die falsche Frage. Vielmehr geht es darum zu fragen, welche Positionsbestimmungen des Judentums und des nicht Jüdischen mit dem Museum vorgenommen werden. Dann nämlich wird deutlich, dass der Unterschied zwischen Barzel und Blumenthal/Gorbey nicht in der Wahl der Exponate, der thematischen Gliederung und Schwerpunktsetzungen innerhalb der Geschichte liegt, sondern in den Differenzen des jüdischen Selbstverständnisses, das mit dem Museum dargestellt werden soll.

1995 hatte Amnon Barzel zum Selbstverständnis festgestellt: »Für das Jüdische Museum bedeutet es (...) zu zeigen, dass deutsche Geschichte nicht ohne die jüdische Geschichte gesehen werden kann und vice versa.« Mit Genugtuung nahmen all jene dieses Statement zur Kenntnis, die sich für Berlin Orte jüdischer Identität, wenn nicht gar Authentizität ersehnten. Diese Sehnsucht wurde durchaus bedient, weil in dem Barzelschen Papier wiederholt von »jüdischer Identität« und ihren Besonderheiten die Rede war. Von hier formulierte Barzel mit Bezug auf die Historikerin Shulamit Volkov die Ziele des Museums: »Inzwischen ist in der Wissenschaft wie im gesellschaftlichen Bewusstsein ein Paradigmenwechsel eingetreten, weg von der Perspektive der Mehrheitskultur, hin zu der der Minderheitenkultur, weil von hier aus auch die Mehrheitskultur schärfere Konturen gewinnen kann. Man sieht heute mit geschärftem Blick auf die Aspekte der kulturellen Eigenständigkeit, auf die hohe Komplexität der Verflechtungen und die wechselseitige Dynamik von 'Assimilation' und 'Dissimilation'.«

Die Idee der Eigenständigkeit sollte in thematischen Wechselausstellungen weiter verfolgt werden. In der Barzelschen Konzeption ging es um die bestmögliche Wahrung und Sichtbarmachung einer eigenständigen jüdischen Identität, nicht nur der historischen, sondern auch der aktuellen unter Berücksichtigung der Berliner und der deutschen Geschichte. Nichtjuden waren aufgefordert, ihre paternalistische Perspektive für einen Moment aufzugeben und sich auf die Geschichte aus dem Blickwinkel der Minorität einzulassen.

Das nun vom Direktor Blumenthal und vom Projektleiter Kenneth C. Gorbey realisierte Konzept nimmt wesentliche Verschiebungen in der Formulierung des jüdischen Selbstverständnisses vor sowie in der des darin zugleich mitformulierten Verständnisses des nicht Jüdischen.

»Dieses Museum ist eine Institution mit einem besonderen Auftrag: Es soll jenen wichtigen Teil der deutschen Geschichte schildern, den Generationen jüdischer deutscher Staatsbürger mitgestaltet haben; sie waren auf vielen Gebieten, in der Industrie und Wirtschaft, in den Wissenschaften, der Medizin und Kunst, am Aufbau des modernen Deutschland beteiligt und haben die europäische Kultur weit über die Grenzen Deutschlands hinaus mitgeprägt. Das Museum soll dafür Sorge tragen, dass diese deutschen Staatsbürger nicht vergessen werden«, sagte Michael Blumenthal in seiner Eröffnungsrede. Nicht mehr die Gegenüberstellung von Minderheiten- und Mehrheitskulturen bestimmt den Blick, nicht mehr der selbstbewusste Appell, gerade als Minorität die kollektive Erinnerung mitgestalten zu wollen. Jetzt geht es um rechtliche Staatsbürgerschaft, darum, Juden »als Schaffende und Mitbegründer der Nation« (Blumenthal) zu sehen.

Ein solches Selbstverständnis muss auch den Blick auf den Ort verschieben, auf dem es sich artikuliert. »Die wiedervereinigte Bundesrepublik Deutschland«, erklärte Michael Blumenthal zur Eröffnung, »ist die größte und stärkste Wirtschaftsmacht in Europa und eine der wichtigsten Nationen der Welt. Dadurch, dass Sie sich der Vergangenheit stellten, Wiedergutmachung versuchen, dieses Museum und andere vergleichbare Institutionen in Ihrer Hauptstadt fördern, haben Sie ein Zeichen gesetzt und ein moralisches Recht erworben, zu den Wortführern im weltweiten Kampf gegen Rassismus und für religiöse Toleranz, für die Rechte aller Minderheiten und für die Menschenrechte zu gehören. Ich hoffe, die Bundesrepublik übernimmt diese Rolle mit Energie und Entschlossenheit.«

Den Verfassungspatriotismus in Blumenthals Reden könnte man mit dem Verweis darauf, dass er amerikanischer Republikaner ist, relativieren oder zum Anlass nehmen, die Querelen um das Konzept des jüdischen Museums auch im Spiegel der jüdischen Emanzipationsbewegung im 19. Jahrhundert zu sehen.

Nach 100 Jahren »Zickzackkurs« (Shulamit Volkov) wurde 1871 die rechtliche Gleichstellung der Juden in den Gründungsakten des deutschen Reiches gesetzlich festgeschrieben und damit der Eintritt der jüdischen Bevölkerung in die bürgerliche Gesellschaft eines deutschen Nationalstaates möglich gemacht. Selbstverständlich widmet die Ausstellung im Jüdischen Museum diesem Teil der jüdischen Geschichte breiten Raum und auch »dem« jüdischen Philosophen der deutschen Aufklärung Moses Mendelssohn (1729 - 1786). Er forderte von den Christen Toleranz und von den Juden, loyale preußische Staatsbürger zu werden; Emanzipation bedeutete für ihn nicht Konversion sondern Synthese.

Der Maler Moritz Daniel Oppenheim hat diesem politischen Konzept Mendelssohns in seinem Gemälde »Lavater und Lessing bei Moses Mendelssohn« (um 1856) ein Bild gegeben. Am Tisch sitzen Mendelssohn und der Pfarrer Johann Caspar Lavater, der 1769 den Disput mit Mendelssohn eröffnete, um diesen zum Christentum zu bekehren; hinter Mendelsohn steht der Freimaurer Lessing, als wolle er zwischen den Parteien vermitteln.

Bedeutsam an diesem Gemälde, von dem eine Lithografie in der Ausstellung gezeigt wird, ist aber, dass über dem Kopf von Mendelssohn das Porträt von Friedrich II. (dem Großen), König von Preußen, hängt, wie selbstverständlich zur Ausstattung einer nicht nur bürgerlichen, biedermeierlichen Wohnstube gehörend, sondern auch einer dezidiert als jüdisch ausgewiesenen. 100 Jahre Zickzackkurs im Kampf um die rechtliche Gleichstellung endeten mit genau dieser Selbstpositionierung.

Einerseits mit der Bekundung einer auf spezifischen Werten und Traditionen basierenden jüdischen Kultur und andererseits durch die »Betonung der Vereinbarkeit von Judentum und nationaler Zugehörigkeit« als »Entgegensetzung zu den Befürchtungen des Aufgehens des Judentums in der deutschen Nation«, wie die Kunsthistorikerin Hildegard Frübis in einem Beitrag der Zeitschrift metis schreibt.

So ging es innerhalb der Emanzipationsbewegung darum, sich mit einer »historisch-jüdischen und einer staatsbürgerlich-politischen Loyalität auseinanderzusetzen oder genauer, im Prozess der Modernisierung kommt es zu einem jüdischen Geschichtsverständnis, welches diese beiden Positionen der Selbstwahrnehmung unterscheidet.« Vielleicht könnte man sagen, dass bei der anfänglichen Konzeption des Museums zunächst noch die historisch-jüdische Selbstwahrnehmung im Vordergrund stand und dass diese nun zwar mit den Exponaten und Abteilungen thematisiert wird - das Jüdische Museum ist schließlich ein Geschichtsmuseum -, dass sich aber der damit verbundene Anspruch hin zum Nationalgedanken verlagert hat.

Die Bilder, die rund um das Galadiner am 9. September in den Printmedien veröffentlicht wurden, zeigen Situationen, die diesen Prozess zu illustrieren und sein »glückliches« Ende zu behaupten scheinen. Zumindest will es die FAZ so. »Die erste Vollversammlung einer glücklicheren Welt«, titelten die Berliner Seiten der FAZ (ausgerechnet) am 11. September und erklärten den sonntäglichen Eröffnungsabend zum inoffiziellen Gründungsakt der Berliner Republik.

Gerade mit diesen Interpretationen aber zeigt sich, dass Geschichte nicht wiederholt wird, sondern, wie sie sich verändert. Denn, was hier von der FAZ gefeiert wird, ist nicht nur eine endlich geglückte Koexistenz zwischen jüdischen und nicht jüdischen Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Kultur. Gefeiert wird vielmehr, dass sich die Berliner Republik, indem sie sich zum ersten Mal so deutlich von jüdischer Geschichte umrahmen lässt, ein Nationalgefühl verleiht. Die Argumentationsrichtung hat sich geändert. Dort, wo es kein oder nur ein äußerst kritisch beäugtes Nationalgefühl gibt, wird es vermittels jüdischer Geschichte hergestellt.

Die jüdische Selbstwahrnehmung als deutsche Staatsbürger und Mitbegründer der Nation machte aus den 850 Geladenen erst die »erwählten Vertreter« einer »neuen glücklicheren Welt« - des neuen Deutschland. Ehe man sich versieht, steht das Judentum wieder als das Andere da, wenngleich auch in verwickelteren Zuschreibungen. Denn bislang war es der Rhetorik in der Debatte um das Holocaust-Mahnmal vorbehalten, nationale Identität zu stiften. Natürlich ist der Holocaust im Jüdischen Museum ein Thema. Für die Vernichtung stehen der Holocaust-Turm, die Voids und die Exil- und Holocaust-Achsen im Untergeschoss. Aber man geht von dort die Treppen hinauf zu einer Geschichte, die bis in die Gegenwart reicht. Nationale Identität wird nicht mittels der Geschichte von Juden als Opfer hergestellt, sondern anhand ihrer Teilhabe an der deutschen Geschichte gefeiert.

Obgleich der Libeskind-Bau als unbespielbar galt, ist seine Bespielung gelungen. Ohne die Architektur zum Verschwinden zu bringen, wurde doch frei über die Räume verfügt. Das ist gut so, denn durch den nun entstandenen leicht chaotischen Eindruck wird jüdische Geschichte Entdeckungsgeschichte und nicht ein Abhaken von Daten und Namen. Durch die vielen Faksimiles, Reprints und architektonischen Nachahmungen wird auf wohltuende Weise einem Objektfetischismus entgegen gearbeitet, der die Dinge für sich selber sprechen lassen will. Deutsche jüdische Geschichte wird über diesen Weg gespiegelt, nicht aber ihren Orten entrissen, um sie in ein Großprojekt zu transferieren. Der Besuch von Speyer, Mainz, Worms oder Frankfurt a.M. und all den anderen größeren und kleineren Orten jüdischer Geschichte wird durch dieses Konzept anempfohlen.

Der Anspruch, ein zentrales Museum zu sein, widersteht dem Bedürfnis, zugleich auch zentralistisch zu sein. Noch allerdings muss man den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Zeit geben, auch die noch freien Räume sinnvoll zu bestücken. Die Unabgeschlossenheit des Projekts zeigt sich auch am Beispiel der aktuellen Kunst, die derzeit mancherorts ein bisschen wie abgestellt in den Gängen steht.

Insgesamt aber ist es die gelungene Zusammenstellung einer eindrücklichen Architektur außen und einer Ausstellung innen, die vielschichtig, informativ und verspielt ist, ohne ihren intellektuellen und wissenschaftlichen Anspruch zu verhehlen. Schon allein dies macht das Jüdische Museum zur großen Ausnahme unter den historischen Museen Berlins, die meist wie Schatzkästchen anmuten.