The (International) Noise Conspiracy im Interview

Fuck the Police, weil ...

Gitarren, die die Welt verändern, gibt's immer noch: in der schwedischen Punkband The (International) Noise Conspiracy. Der Sänger Dennis Lyxzén spricht über den bestmöglichen Weg, den Kapitalimus zu kritisieren

The (International) Noise Conspiracy betonen immer wieder den politischen Inhalt ihrer Musik. Du hast mal gesagt, es geht nicht um Gitarren-Riffs oder Melodien, das Medium sei eben nicht die Message. Worum geht es?

Es geht hier um die Sicht der Dinge, wie sie The (International) Noise Conspiracy hat. Es stimmt, dass der Inhalt heutzutage oft nicht beachtet wird. Manche behaupten deshalb, es gehe nicht darum, was du machst, sondern darum, wie du etwas machst. Bei den Uniformen und Gitarren, die die Leute sehen, handelt es sich schon um Content, um unsere Aussage, denn es ist wichtig, die Menschen auf unsere Botschaft aufmerksam zu machen. Aber, es geht eben nicht um Gitarren und Kleidung, wir reden über eine Idee. Klar, die ersten Eindrücke sind musikalischer und optischer Art. Damit das nicht das einzige bleibt, schreiben wir z.B. unsere Quellen und Bezüge auf unsere Plattencover.

Als Band seid ihr selbst ein Produkt. Trotzdem sollen die politischen Ideen, Quellen, Inspirationen und Inhalte an erster Stelle kommen, noch vor der Musik?

Das ist zu pauschal. Wenn wir darüber reden, was wir tun und erschaffen, gibt es keinen Unterschied zwischen dem, was wir propagieren, und der Art, wie wir ausschauen oder klingen. Viele fragen uns, was wichtiger sei, die Musik oder die Message. Es gibt da keinen Unterschied für uns. Wir setzen uns nicht hin und denken uns eine Botschaft aus. So funktioniert das nicht. Wir sind eine Band, die wegen ihrer politischen Ideen so klingt, wie sie klingt, und unsere politischen Ideen haben wir wiederum, weil wir so klingen.

Lars, der Gitarrist der Band, hat neulich in einem Interview betont, es gehe um offene Kommunikationskanäle mit dem Publikum, um »people to people communication«. Funktioniert das denn?

Es funktioniert so gut das eben geht, wenn man als Band agiert. Klar ist es schwierig, mit dem Publikum zu kommunizieren, wenn du auf der Bühne stehst und ein Mikro in der Hand hältst. Die Kommunikation geht in solchen Live-Szenarien verloren. Wir halten aber weitaus mehr Kanäle offen, auf jeder Platte ist unsere E-Mail-Adresse, man kann jederzeit Kontakt mit uns aufnehmen. Wir reden immer mit den Leuten nach unseren Shows. Wir wollen das Feedback, damit ein Dialog stattfindet.

Wenn wir spielen, ist das ein großes Spektakel. Die Band steht auf der Bühne und hüpft herum, wir sind die Performer und werden quasi vom Publikum konsumiert. Der Umstand, dass wir überhaupt auf einer Bühne stehen, ist noch fremd. Wir kommen vom Punk, wir hatten früher nicht mal eine Bühne. Noch heute sehen wir keinen Unterschied zwischen der Crowd und uns, da wir früher immer Teil des Publikums waren.

Jetzt stehen wir allerdings immer öfter auf größeren Bühnen und spüren die Abgrenzung zwischen der Band und dem Publikum. Umso mehr bemühen wir uns, den Kontakt zum Publikum aufrechtzuerhalten und mit Leuten nach einer Show herumzuhängen. Jeden Abend kommen Leute auf uns zu, wollen wissen, was wir gerade lesen und stellen Fragen. Es wäre zu einfach, sich nur politisch und radikal zu geben. Wenn jemand also Kritik hat oder den Dialog mit uns sucht, kann er auch wirklich mit uns reden. Wir sind zwar ständig auf Tournee, aber ich halte uns für organisiert. Auf Tour laden wir politische Gruppen zu unseren Shows ein, sie können dort ihre Literatur verkaufen oder Flugblätter verteilen. Wir touren z.B. durch die USA mit AK Press, einem Verlag mit sozialistischen und anarchistischen Büchern. Es mag ein Klischee sein, aber um im politischen Zirkus agieren zu können, muss man sich organisieren und weiterbilden.

Als Antikapitalisten im Gefüge der Plattenindustrie sind The (International) Noise Conspiracy »caught in the mosh«.

Wir wissen ganz genau, dass wir mit dem Feind schlafen. Es gibt aber nichts außerhalb des Kapitalismus. Nichts. Selbst wenn du ein DIY Anarcho-Punker bist, wirst du früher oder später eine Platte bestellen. Du musst in ein Auto steigen, um zu deinen Shows zu kommen. Das ist die ökonomische Realität. Wir geben tatsächlich kostenlose Konzerte, spielen Benefits usw. Klar gibt es häufig Kritik: »The (International) Noise Conspiracy sind jetzt bei einem großen Label und sollten ihr ganzes Geld einer politischen Organisation spenden« usw. Wenn wir überhaupt Geld verdienen würden, würden wir etwas Vernünftiges damit anfangen. Im Moment ist die Situation aber noch so, dass wir auch nicht wissen, wie wir die Miete nächsten Monat bezahlen sollen.

Klar sind wir Teil einer verkorksten Struktur. Wir versuchen aber, das System zu unserem Vorteil zu nutzen. Wir sind aktiv. Wir haben beispielsweise in Göteborg umsonst gespielt. Wir sind involviert ins Black Mass Bulletin, ein Heft, das wir kostenlos auf unseren Shows verteilen. Wir haben das Black Mass Collective mit The (International) Noise Conspiracy-Geldern gegründet, um politische Platten von Bands unserer Stadt rauszubringen.

Foucault schrieb: »Solange man nur ad infinitum das immergleiche Anti-Repressionslied singt, bleiben die Dinge unverrückt, und es ist ganz gleich, wer den Gesang anstimmt, es hört ihm doch keiner zu.«

Ich habe keineswegs das Gefühl, dass niemand zuhört. Nachdem wir die Band gründeten, haben wir viel darüber debattiert, a) wie effektiv eine Band überhaupt ist und b) wie viel wir mit Musikmachen verändern können. Wir sagten uns schließlich: Okay, wir versuchen es. Ich bin hier durch die Musik. Ich sitze heute vor allem hier und rede überhaupt über Politik, weil ich mich sehr früh für Punk interessierte, für Bands mit einer politischen Agenda ...

Dead Kennedys?

Dead Kennedys - ja! Es war ursprünglich solche Musik, die mich angeregt hat, aktiv zu werden. Ich war aufgeregt. Jetzt bekomme ich täglich zwei oder drei E-Mails von Menschen, die durch unsere Musik sehr aufgeregt sind. Menschen, die uns z.B. nach weiter führender Literatur fragen. Unsere Mühe lohnt sich also. Die logische Konsequenz verstehe ich schon: Wenn du 20 000 mal »fuck the police!« schreist, interessiert es wirklich keinen mehr. Wir versuchen, mit der Thematik intelligenter umzugehen. Also sagen wir: »Ja, fuck the police, weil ...« Und wir fügen dann das Warum hinzu, mit einer Analyse der polizeilichen Position in einer hierarchischen Gesellschaft.

Auf eurer letzten Platte, »Survival Sickness«, ging es um den Tod eines Liedes nach dessen Entstehung. Auf »A New Morning, Changing Weather« nehmt ihr dieses Motiv wieder auf. Ihr fordert dazu auf, zu zerstören und neu zu kreieren. Inwiefern ist eure Musik tot, kaum dass sie enstanden ist?

»Survival Sickness« war ein Aufruf zur eigenen Kreativität. Wir meinen, ein Lied an sich ist nicht kreativ, wenn es nur konsumiert wird. Viele Menschen konsumieren Kultur nur und denken, in dem sie Platten und T-Shirts erwerben, seien sie ein Teil der Resistance-Bewegung. In dem Moment, wo ein Lied fertig gestellt ist, ist es nur noch ein zu konsumierendes Produkt. Du, der Käufer, bist nicht kreativ, weil du die Platte kaufst. Du musst selbst kreieren. Und genau das wollten wir den Leuten sagen: Spielt doch selbst Gitarre, schreibt doch selbst ein Buch oder geht tanzen! Sie sollen sich bloß nicht mit dem Erwerb zufrieden geben. Konsumieren ist kein kreativer Prozess.

Viele sind dennoch verwirrt und fragen uns, warum wir überhaupt Musik machen. Sind wir kreativ? Wir haben dieses Gefüge namens Rockmusik. Eigentlich langweilig, ein Haufen Leute mit Gitarren. Wir fragen uns also, wie wir dieses Medium in dem Kontext der Musikindustrie, die abgefuckteste Industrie schlechthin, nehmen können und in etwas mit Bedeutung verwandeln können. Es ist schwierig. Wir sprachen vorhin über den Tod der Kreativität, über die Definition des subversiven Sounds, da sind wir in einer kontinuierlichen Debatte mit uns selbst: »Was machen wir hier? Ist das, was wir tun, cool? Oder sind wir nur ein weiterer Händler der Jugendrevolte?« Die Frage stellen wir uns immer wieder. Bei der Gründung waren wir uns einig: Lasst uns sehr laut und sehr anstößig sein, in der Hoffnung, dass wir inspirieren können. Es ist in gewisser Hinsicht ein Kreis des Selbstzweifels, es ist immer komplexer, als es ausschaut. Joey Ramone sagte: »It's only Rock'n'Roll.« Das ist die Kehrseite: Wir machen nur Musik. Wir sind hier, spielen Musik, und hoffentlich wird das die Leute nicht nur aufregen, sondern auch anregen, über unser Tun und unsere Aussage nachzudenken.

Was ist denn die Aussage? Ihr bietet auf euren Platten verschiedene Referenzen und Themen an: den Sozialismus, die RAF, den Kampf gegen die Arbeit, den Zerfall des Imperiums, staatliche Unterdrückung, Industrialismus, den Arbeiter als zentrale Ware im Komplex des kapitalistischen Systems, Marxismus, Bob Black, Jack London, autonomen Marxismus, George Orwell, die Dadaisten, Ward Churchill, sogar Milan Kundera und Mae West. Welchen Bus fahrt ihr überhaupt? Gibt es eine Linie?

Nein! Was ich stets versuche, ist, den bestmöglichen Weg zu finden, den Kapitalismus zu kritisieren. Vielleicht lese ich heute etwas von Kropotkin und stoße auf eine für mein Anliegen relevante Stelle. Gut. Merke ich mir. Dann lese ich über den autonomen Marxismus. Ich nehme das als weiteres Puzzle-Stückchen auf. Ich suche einfach die passenden Teile für meinen Zweck. The (International) Noise Conspiracy ist nicht auf eine bestimmte Ideologie abonniert. Wir lehnen die Übernahme einer bestimmten Ideologie ab - egal welcher.

Warum nicht Sozialismus mit Anarchismus und Marxismus zusammenwerfen? Es sind alles Widerstandsbewegungen, und jeder kann für sich den Teil herausschneiden, der ihm missfällt und sich seine eigene Meinung bilden. Wir sind keine Anführer. Wir sind nicht hier, um den Weg zu zeigen. Wir sagen, was wir denken, und teilen mit, was wir herausgefunden haben. Wir scheinen manchmal Verwirrung zu stiften. Ich begrüße das jedoch, in dem Glauben, dass jede Verwirrung die Menschen herausfordert und schließlich geistig fördert. Es gibt keine einfachen Lösungen. Die Strukturen und kulturellen Konstruktionen sind wesentlich tiefgreifender, als dass man sie auf eine einfache Frage und eine einfache Antwort reduzieren könnte. Und das ist häufig ein Dilemma der Linken. Sie sprechen gerne über komplexe Themen und haben allzu gerne eine einfache Lösung parat. Die Leute fragen manchmal, was sie tun sollen, wenn die Revolution kommt. Hey, ich weiß es nicht. Das werden wir sehen, wenn die Revolution kommt.

Liegt es nicht in der Logik der menschlichen Rationalität, dort Hierarchien einzuführen, wo keine vorhanden sind?

Es stimmt, dass die kulturellen Konstruktionen schon ewig vorhanden sind. Menschen mögen es, Führer zu haben, die ihnen sagen, was sie tun sollen. Ich würde aber nicht über die Vernichtung des Kapitalismus sprechen, wenn ich nicht daran glauben würde. Schau, was alles in den letzten hundert Jahren passierte: zwei Weltkriege - der letzte vor nicht allzu langer Zeit genau hier -, Women's Lib, der Fall der Mauer. Es wäre naiv zu behaupten, das war es schon, und es wird keine Revolution geben. Es gab schon so viele Veränderungen! Wenn Leute denken, wir seien naiv, weil wir von der Abstraktion Revolution reden, erwidere ich: Es ist wesentlich naiver, nicht daran zu glauben, denn das hieße zu akzeptieren, dass die Welt statisch ist. Was sie niemals sein wird.

Was könnte eine Revolution auslösen?

Es gibt immer einen Trigger. Ich kann wirklich nicht sagen, was jener Trigger sein wird. Ich bin seit über zehn Jahren in diesem radikalen Zirkus unterwegs. Die Konfrontationen eskalieren von Jahr zu Jahr, besonders seit Seattle 1999. Sie werden auch immer radikaler. Die Leute, die in Genua waren, werden auf jeden Fall einen Tick radikaler nach Hause zurückgekehrt sein. Das gleiche gilt für Göteborg. Ich kann das bestätigen, ich war dabei und bin radikaler nach Hause gekommen. Da sind alle Machtkonstellationen und deren Strukturen sichtbar geworden. Viele sind aus Göteborg zurückgekommen und haben sich vorgenommen, nie wieder am Rande zu sitzen. Der Trigger? Keine Ahnung. Aber diese Bewegung geht in die richtige Richtung.

Nach dem Fall der Mauer hieß es: »Der Kapitalismus hat das Rennen gewonnen. Juchu!« Ich mochte das Regime der UdSSR nicht. Aber mit der UdSSR existierte zumindest ein Gegengewicht zum Kapitalismus. Viele Menschen haben nicht mal die Vorstellungskraft, sich eine radikal andere Gesellschaft vorzustellen. Sie sind zu erwachsen und zu langweilig.

Viele übersehen den Sinn der Sache: »Nike ist böse. Nike produziert mit Sklavenarbeit in Sweatshops.« Ja, sie benutzen Sklavenarbeit. Warum? Der Kapitalismus fordert das. Nike und Co. sind nicht das Problem. Der Kapitalismus ist das Problem.

Ist es nicht ein Widerspruch, sich auf Bob Black und die Arbeitsverweigerung zu beziehen und im nächsten Atemzug auf den Marxismus?

Wenn es um meine ökonomische Analyse der Welt geht, kann ich schon sagen, dass ich mit Marx in vielen Punkten übereinstimme. Wie die italienische Autonomia betonte, gibt es keinen Grund dafür, stolz darauf zu sein, dass man zur Arbeiterklasse gehört. Wir sind doch die unterdrückte Klasse. Nein, wir wollen nicht arbeiten, aber es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen einer »Fuck Work«-Mentalität und dem Versuch, die Strukturen der Arbeit zu analysieren: Warum arbeiten die Menschen überhaupt? Ich habe z.B. in Schweden die Linken gewählt. Sie sind überhaupt nicht radikal. Es ist aber eine pragmatische Art zu denken. Wenn ich nicht für sie stimme, gewinnen womöglich die Christdemokraten die Wahl. Also, ja, ich werde durchaus zur Demo für einen kürzeren Arbeitstag gehen, auch wenn ich einen Null-Stunden-Arbeitstag will. Man muss zum einen der verrückte »Künstler« sein und zum anderen der Pragmatiker, der reale Chancen wahrnimmt.

Also doch Kompromisse? Brauchen wir einen Übergang zur »Revolution«?

Nein, brauchen wir nicht. Es geht aber darum, welche Karten wir heute in der Hand halten. Ich bereite mich auf den Big Bang vor, keine Frage. Während ich aber warte, ist es besser, die jetzige Situation so weit wie möglich zu ändern, anstatt nichts zu tun. Ich habe viele Freunde, die radikale Anarchos oder Marxisten sind. Sie sagen »entweder oder«. Ich bin aber nicht mit der Einstellung zufrieden. Sich hinzusetzen und abzuwarten, bis die Revolution kommt, ist einfach nicht pragmatisch.

Für dich und für mich gibt es wohl keinen großen Unterschied zwischen den Linken und Rechten im Amt. Aber für eine arbeitende, allein erziehende Mutter könnte es einen gravierenden Unterschied bedeuten. Man muss also die jetzige Situation im Auge behalten. Es wäre egoistisch, einfach auf die Revolution zu warten. Ich will sie, ich will sie wirklich. Wenn sie aber nicht morgen passiert, müssen die Menschen noch immer in diesem System leben. Und deshalb werde ich auch für die kleineren Veränderungen alles tun, wenn ich sie sinnvoll finde. Gleichzeitig wird The (International) Noise Conspiracy weiterhin die radikalen Alternativen propagieren. Täten wir das nicht, hätten wir nur noch die unradikale Alternative.

The (International) Noise Conspiracy: A New Morning, Changing Weather. Burning Heart Records