Eine eigenwillige Soul-Tradition

Stammtisch-Brothers Gonna Work it Out

Eine eigenwillige Soul-Tradition | Julian Weber

Folgende Geschichte soll sich so ähnlich Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in Südostasien zugetragen haben: Englische Northern-Soul-Forscher begaben sich in die vietnamesische Hafenstadt Da-Nang. Dort vermuteten sie einen Container, der von der US-Army beim Rückzug aus Vietnam seinem Schicksal überlassen wurde. Die fantastisch frisierten Forscher glaubten darin die Vinylbestände des Soldatenradios AFN zu finden, die beim Abzug der Amerikaner liegen blieben. Genau gesagt, fahndeten sie nach raren Soulsingles, mit denen sich zu Hause in Albion noch tollere Northern-Soul-Partys feiern lassen würden. Ob und wie lange diese Platten allerdings das subtropische Klima überdauert haben, bleibt ungeklärt. Wir werden auch nie erfahren, was genau mit dem Soul-Suchtrupp vor Ort geschehen ist.

Modern Style.»Wir sind Soulmonster.« Carsten 'Erobique' Meyers Augen leuchten wie Christbaumkugeln. »Wir sind Soulmonster und stecken in deiner Seele.« Erobique gehört zusammen mit den Hamburgern Bazooka Cain und Superpunk zum Line-Up der »Monsters of Soul«-Revue. Das Programm kündigt Pop, Rock, House und Deejaying auf einer Bühne an einem Abend an. So ähnlich wie früher, in den goldenen Sechzigern, zu den Zeiten von Stax oder Motown, als Interpreten wie Martha & the Vandellas und Marvin Gaye eine Soulrevue mit anderen Soulsängerinnen und -sängern und einer festen Backingband (etwa Booker T. & the MGs) gestalteten. Die stilistische Bandbreite war groß, und das Publikum ließ sich von den Gesangsdarbietungen und der gewöhnlich schweine-tighten Band zu immer neuen Tanzschritten animieren. Diese Tanzschritte wurden wiederum in England von den Mods, in Ermangelung von tourenden Soulrevuen, für ihre eigenen Partys importiert, zu denen Soul-Platten aufgelegt wurden. Mod, das war neben den Rockern die entscheidende Jugendbewegung der sechziger Jahre. Der englischen Klassengesellschaft versuchte man wenigstens nachts zu entkommen, man spielte mit Geschlechterrollen (burschikose Mädchen und geschminkte Jungs) und gab sein Geld für schicke Kleidung, Platten und Aufputschpillen aus.

Northern-Soul geht darauf zurück, dass Mods in Städten wie Manchester und Leeds, als alle anderen längst Hippies waren, konsequent die rauen Uptempo-Nummern und die anrührenden Soul-Balladen aus den Ghettos der amerikanischen Großstädte auf den Allnitern auflegten. Soulmusik drückt erhöhte Emotionalität aus. Northern Soul ist sozusagen die gesteigerte Form davon. »Es ist vermutlich kein Zufall, wenn sich die am meisten deklassierte Schicht Englands zu dieser extrem bodenständigen und zugleich höchst eskapistischen Musik besonders hingezogen fühlt«, schrieb Reinhard Jellen in einem Beitrag über Northern Soul für telepolis.

Ende der siebziger Jahre, als sich in den USA der Soulboom dem Ende zuneigte, begann sich um rare und gesuchte Soulsingles in England ein Kult zu entwickeln. Im Zuge von Punk gab es bereits 1979 das erste große Mod-Revival in England. Junge Leute begeisterten sich für die Musik. Soul-DJs wie Dave Goodin wurden so populär, dass sie auch in Radiosendungen, Zeitschriften und Büchern über das Phänomen Auskunft gaben. Soul wurde zu einem Teil der britischen Popkultur. In den achtziger Jahren fanden sich Coverversionen beliebter Soul-Songs (wie Soft Cells »Tainted Love«, Original von Gloria Jones) in den Charts. Seit den neunziger Jahren und dem Ende der Massenraves erfreut sich die Northern-Soul-Szene wieder steigender Beliebtheit.

Auch in Deutschland halten sich Mods hartnäckig, und nach englischem Vorbild feiert man Allniter. Manch einen erinnert die Atmosphäre dieser Veranstaltungen allerdings weniger an die rauschenden Feste im Norden Englands als an Briefmarkensammler-Kongresse und nach Mottenkugeln stinkende Second-Hand-Kleidermärkte. Es gelingt nicht immer, die englischen Verhältnisse ins Deutsche zu übertragen. »Mod heißt eigentlich 'Modern Boy'«, erklärt Lars Bulnheim, Gitarrist bei Superpunk. »Wenn heute noch jemand mit Prinz-Eisenherz-Frisur herumläuft und hautenge Hosen trägt, ist daran überhaupt nichts modern.« Dem bloßen Revival wollen die Soul-Monster mit ihrem Konzept Liveshow + Deejaying = Revue entgegenwirken. Der heilige Gral Soul soll dabei zertrümmert werden, sodass nur noch die Scherben übrig sind, kündigt Carsten Meyer an. Echte Mods waren nach seiner Meinung schlechte Musiker, weil sie sich den lieben langen Tag damit beschäftigten, die besten Soul-Schallplatten und die geilsten Kleidungsstücke zu besorgen.

Die Seele geraubt. Müßig zu erwähnen, dass in Deutschland Soulsänger noch seltener anzutreffen sind als rare Soulsingles. »Unsere Idee war daher, dass ein Sänger immer wechselnde Backingbands begleitet.« Aus Carsten Meyers genialem Einfall wurde denn doch nichts, aber ein herkömmlicher Mod-PopAbend wird »Monsters of Soul« deswegen nicht. Zu unterschiedlich klingen die Bands: Aus den Songs der frisch erschienenen Bazooka-Cain-CD »Here come the days of« strömt sinfonische Grandezza. Bläsersektionen und Streicherarrangements treffen auf Fuzzgitarren und rollende Rs. Der unpeinlichen Poesie des frühen Manfred Krug eifert man nach, und außer dem Sommer sind alle Jahreszeiten abgeschafft. Superpunk machen ihrem Namen alle Ehre, sagen in durchschnittlich zwei Minuten in Songs wie »Auf ein Wort, Herr Fabrikant«, wofür andere Bands ganze CDs brauchen. Und Erobique, ein Entertainer, für den Improvisation kein Fremdwort ist, muss sich nur ans Klavier setzen, und die Luft beginnt zu brennen. »Was die drei Bands vereint, ist die Freude am Soul«, erklärt Bazooka-Cain-Sänger Marcel Vega und meint damit, dass es bei »Monsters of Soul« um eine Annäherung aus verschiedenen Fanperspektiven geht.

Soul als Bezeichnung für einen bestimmten Musikstil konnte sich in Deutschland zunächst nicht durchsetzen, noch gab es den Kult um seltene Singles. In den siebziger Jahren fiel das Wort kaum im Zusammenhang mit einheimischen Popkünstlern. Seit den achtziger Jahren bemächtigten sich dann vor allem Deutschrocker wie Wolf Maahn (»Soulmaahn«) oder Edo Zanki (der sich »Vater des deutschen Soul« nannte) des Begriffs. Im Zug der Nationalisierung von HipHop hat die Plattenindustrie nun überhaupt keine Probleme mehr, die Bezeichnung Soul inflationär auf alles anzuwenden, was auch nur entfernt nach Rhythmus klingt und in deutschen Reimen spricht.

»Deutsche Seele, das ist schrecklich«, findet Meyer. »Optimisten der Plattenindustrie wollen damit Geld machen. Nach der ganzen Ironie und dem ganzen Fun musste es wieder pathetischer werden. Dafür darf dann Soul herhalten.« Erobique macht mit der Coverversion des Scorpions-Hits »Wind of Change« das Gegenteil: Es klingt, als würde Scorpionssänger Klaus Meine von Soulmonstern zu Tode gekitzelt. Dem Song wird durch eine eigenwillige Interpretation die Seele geraubt.

Soulfans. 1997 begann in Hamburg der Spackofant-Soul-Stammtisch. Man spielte sich gegenseitig im Pudels-Club seine Lieblingsplatten vor. Inzwischen hat sich der Club auch bei einem jüngeren Publikum etabliert, ohne dass sich die Kenner deswegen gestört fühlen. Neben den Band-Performances sollen wechselnde DJs den Besuchern von »Monsters of Soul« Beine machen, hoffen die Brothers vom Stammtisch, die wiederum identisch sind mit dem Line-Up der Revue. »Es geht dabei natürlich um mehr als nur um Tanzmusik«, erklärt Meyer. »Es geht auch darum, Künstlern, die in Vergessenheit geraten sind, ihren Platz einzuräumen. Logisch artet das dann manchmal dahin aus, wer die tollsten Platten auflegt.«

Zu Soul kann man aber nicht nur tanzen, Soul kann man auch haben. Für Carsten Meyer bedeutet das, »Musik im Bauch, im Schwanz, im Herzen und in den Beinen zu spüren. Ich spüre das auch bei Platten des Kölner Techno-Labels Kompakt.« Und Lars Bulnheim erklärt, was bei Superpunk damit geschieht. »Wir benutzen Soul als übergeordneten Begriff. Wir sind da allenfalls Zaungäste, die sich bestimmter Harmonien oder Rhythmen bedienen. Als Fans besorgen wir uns die alten Platten aus Amerika. Wenn wir sie nachspielen, kommt dabei Punkrock raus.« Auf der demnächst erscheinenden neuen Single covern Superpunk neben nahe Liegendem wie Slade oder Maxine Nightingale auch Hamburgs Egoexpress. Soul gedeiht gerade dort, wo er nicht vermutet wird. Was die Northern-Soul-Forscher wohl dazu sagen würden?

Bazooka Cain, Superpunk, Erobique und Soul-DJs, auf Tour in Deutschland und Österreich zwischen 6. und 17. März.