Schreiben, Deejayen, Schreiben: Hans Nieswandts Plus Minus Acht

Wenn das Vinyl auf dem Plattenteller schmilzt

Von der Existenz eines kulturellen Dienstleisters berichten die kürzlich erschienenen Erinnerungen des Musikers, DJ und Journalisten Hans Nieswandt. Neben allerlei Details und Befindlichkeiten aus dem Leben des Autors serviert das Buch »schlafwandlerisch gleitend« aufgeschriebene Popkulturgeschichte seit Anfang der Achtziger, vom Punk bis zu den Umwälzungen der elektronischen Musik.

Normalerweise verdient er sein Geld bei Roundtable-Gesprächen zu Themen wie »Das Handwerk des Komponierens im Medienzeitalter« oder er betätigt sich nächtens als Deep-House-DJ. Auf Clubseiten im Internet zu solchen Auftritten finden sich dann Postings wie das Folgende: »Zwei schwarze Gogo-Tänzer animierten das Publikum mit ihren schwitzenden Körpern den exotischen Beats nachzugeben.«

Er ist einer der ersten, der in deutschen Musikmagazinen über House als ernst zu nehmende Musikrichtung schreibt, von DJ Pierre bis Bobby Konders und wie sie alle heißen. Dann fängt er selbst mit dem Deejayen und dem Musikmachen an. Noch etwas später arbeitet er an Hörspielen mit und lässt sich für das Goethe-Institut als musikalischer Botschafter in Mexiko und Brasilien verpflichten: Hans Nieswandt.

Echtzeit. Ohne Erinnerung gibt es keine Zukunft, sagte Cesar Luis Menotti neulich in einem Interview. Was für Menotti, den DJ Pierre des internationalen Fußballs, recht ist, kann für Hans Nieswandt, den Rudi Gutendorf der Deep-House-Musik, nur billig sein. House atmet für ihn Historizität. Der in Köln lebende Musiker (Whirlpool Productions), DJ und Journalist (unter anderem Spex) hat seine Beats und Pieces zwischen Buchdeckel gelegt und sinniert in dieser Form über sein Dasein als kultureller Dienstleister.

Herausgekommen ist mit Plus Minus Acht. DJ Tage und DJ Nächte ein harmloses, aber gerade deshalb auch reizvolles Kompendium. Über die Phänomene Pop, House und Deejaying weiß man inzwischen auch in Deutschland Bescheid. Nieswandt ist gewiss nicht der Erste, der die Idee hatte, aus seinen persönlichen Erlebnissen auf diesem Gebiet ein Buch zu machen. Ein bestsellerverdächtiger Jungliterat ist er nicht und eigentlich ist sein Leben im Schatten von Pop auch nicht übermäßig aufregend. Doch letztlich schafft es Nieswandt, die Echtzeit schnell zu überdrehen oder verzerrt langsam wiederzugeben. Das erinnert an den Griff des DJ zum Geschwindkeitsregler am Technics-Schallplattenspieler, der seinem Buch den Titel gibt.

Beginnen lässt Nieswandt seine Biographie am Bodensee: Punk ist der ruling sound, zu dem er im örtlichen Jugendzentrum Anfang der Achtziger tanzt und seinen Kumpels Platten vorspielt. In Hamburg, einer Stadt, die er ihres Nachtlebens wegen als Wohnort wählt, lernt er die Vorzüge eines bohemistischen Lebensstils kennen, trifft die richtigen Leute unter den richtigen Umständen. Nach Köln geht er schließlich, um im Musikmedienbereich zu arbeiten. »Intuitiv miteinander verwobene Kurzkritiken von Importmaxis waren für mich die innovativste Literaturform«, heißt es einmal dazu. Als Redakteur, so scheint es, bringt er sich vor allem das Plattenauflegen bei und benutzt seinen Computer zum Musikmachen. Wie viele andere wird Nieswandt von den Umwälzungen der elektronischen Musik erfasst. Er gründet zusammen mit Justus Köhncke und Eric D. Clark Anfang der Neunziger Whirlpool Productions.

From Disco to Disco. Plus Minus Acht ist eine Geschichte persönlicher Niederlagen und Siege. Mit Whirlpool Productions und dem Song »From Disco to Disco« klettert Nieswandt an die Spitze der italienischen Charts. In Italien treten Whirlpool Productions als Superstars im Fernsehen auf und machen vor 25 000 Zuschauern Playback auf mittelalterlichen Stadtfesten. Die nachfolgende LP, auf Jamaika aufgenommen, erweist sich dagegen als Flop. Die Gruppe löst sich nach einer weiteren mittelprächtigen LP auf.

Als einer von vielen DJ muss Nieswandt gelegentlich auch miese Jobs annehmen. Zum Beispiel beschreibt er die Zeit in einer Feriensiedlung auf Sardinien, wo er geschlagene vier Wochen lang für die Hintergrundmusik einer Autoverkäufer-Fortbildung engagiert ist. Oder er gerät in unangenehme Situationen. So berichtet er, wie er auf dem Weg zu einem Engagement von Schweizer Zollbeamten bis auf die Unterhose gefilzt wird.

»Und in diesem Jahr kamen auf der Loveparade fertiggemixte Longdrinks in Dosen in Mode.« Plus Minus Acht schenkt der Mühsal des Alltags viel Beachtung, sein Autor hat für die Tücken der Normalität und die fantastischen Ausnahmesituationen nachts um halb vier gleichermaßen Gespür. Nieswandt entmystifiziert Pop.

Parallelen für seine Musikkariere sucht und findet Nieswandt bei Dagobert Duck und Peter-Paul Zahl, auch Archimedes wird zitiert.

Nieswandts Beobachtungsgabe, die schon an seinen früheren Texten auffiel, kommt in dem Kapitel »Beruf: DJ« zum Tragen. Dort sind Fundsachen zu bewundern, Sprachkreationen zum Thema DJ und Dancefloor, Allgemeinplätze aus Zeitungen, die er auf seinen langen Reisen gelesen hat, Analogien zwischen Militär und Religion. Er verdichtet diese Elemente zu einem Autoparlando.

Giftpfeile für die Konkurrenz spart er sich, in seinen Beobachtungen werden auch keine neuen Kulturtheorien ausgebreitet. Er maßregelt nicht und schließt auch niemanden von seinem Tun aus. Ob er über die pfälzischen Universal-Fancy-Dancers schreibt, die Mitte der Neunziger das Wochenende an Rhein und Neckar mit opulenten Tea-Dances verlängern, oder über Leute, die in Sao Paolo zu seiner Musik tanzen, Nieswandt verknüpft viele lose Enden erzählerisch miteinander.

»Schlafwandlerisches Gleiten« nennt er diese Aufschreibmethode, von Ort zu Ort zu ziehen und gelegentlich Fundstücke mitzunehmen. All das ist in einem unterhaltsamen Plauderton einfach drauflos geschrieben, manchmal zerknirscht, manchmal belustigt, aber immer informativ; der Autor nimmt sich selbst dabei nicht zu ernst. Gelegentlich durchschimmernde geschmackliche Arroganz wird durch das Bloßstellen der eigenen Ungeschicklichkeit immer wieder relativiert.

Auflegen, aufschreiben. Nieswandt verfolgt den englischen Pop-Ansatz, eine Mischung aus Stammeln und Kompetenz, Gebrauchsanweisung und DJ-Aphorismen. Erst macht man aus der eigenen Unzulänglichkeit eine Tugend, und wenn alles als Pop in der Sphäre des Alltäglichen angekommen ist, versucht man, den guten Geschmack zu popularisieren und nicht wieder hinter die Errungenschaften der letzten Generation zurückzufallen.

Dass ihm einmal eine Platte auf dem Teller weggeschmolzen ist, weil die Scheinwerfer einer Fernsehstation auf ihn gerichtet waren, findet ebenso Erwähnung wie die Vorzüge von Frühstücksbüffets in Hotels oder das mächtige Schulterklopfen des Frankfurter Trance-Häuptlings Marc Spoon.

»DJs sind wie das Tanzorchester auf der Titanic. Sie können nichts für den Untergang, sie können ihn auch nicht verhindern, sie spielen einfach nur die Musik dazu.« Manche tun das gewiss virtuoser als Hans Nieswandt. Aber die wenigsten schreiben darüber mit so viel amüsierter Distanz.

Hans Nieswandt, Plus Minus Acht. DJ Tage und DJ Nächte, Köln: Kiepenheuer&Witsch 2002, 223 Seiten, 8,90 Euro.

Julian Weber ist Musikjournalist und lebt in Hamburg.