Welt der Warenform XXIV

HIV ist toll!

Stellen Sie sich folgende Werbung vor: Hübsches Farbfoto eines Beinamputierten im Rollstuhl. Der Amputierte selig lächelnd. Daneben ein Text von ihm, etwa so: »Mann, bin ich froh, dass ich meine Beine verloren habe, damals beim ICE-Unglück in Eschede. Hätte man mir die Beine nicht abgeschnitten, hätte ich in der Reha-Klinik niemals die Ursula kennengelernt. Wir sind nun schon drei Jahre verheiratet und so glücklich. Man darf die Dinge nicht einseitig sehen, das ist falsch. Heute kann ich total dankbar mit meinem Schicksal umgehen. Die Uschi, die hätte ich ohne die Bahn ja nie kennengelernt. Soll ich ihr daraus einen Vorwurf machen?«

Schwachsinn, nicht wahr? Total zynisch!

Undenkbar? Denkste!

GlaxoSmithKline, der Medizin-Riese, der sich an HIV und Aids dumm und dämlich verdient, hat gerade eine HIV-ist-toll-Werbekampagne aufgelegt. Mit echten HIV-Infizierten, die total glücklich sind.

»Wenn Du ständig den Tod im Nacken hast - wie das deinen Horizont öffnet, das ist unglaublich«, weiß Karsten, 32 Jahre, HIV-positiv. Das ist echt unglaublich. »Wahnsinn, wie viel mehr du auf einmal mitkriegst! Als läge plötzlich alles unter einer Lupe.« HIV als sinnschärfendes Lebenselement. Echt, Wahnsinn!

Karsten labert weiter pubertären Philosophiedünnschiss - nur eben auf HIV: »Wenn ein Positiver über die Wiese geht, der sieht den Marienkäfer darin. Der Normale sieht das nicht, der trampelt vielleicht sogar drauf.« Irre, oder? HIV-Infizierte entwickeln einen Blick fürs Wesentliche. Marienkäfer, na wenn das nichts ist!

Auf jeden Quadratmeter Erdoberfläche kommen drei Spinnen, da hat der Positive mächtig was zu tun. Der Positive, ja, der das Leben nun endlich wahrnimmt, wie es einem Normalen nie vergönnt ist, der kennt jedes Unkraut mit lateinischem Namen, der hat ein Auge für architektonische Details, der hängt seine Kleider nicht mehr bloß in den Schrank, er kennt die Holzart und erhebt sich über Nachbars Spanplatte. Das nenne ich Lebensqualität! Wer da noch uninfiziert durch die Welt läuft, ist echt selber schuld. Mann, was dem entgeht!

Karsten hatte »früher kein so tolles Leben - Kinderheim, Adoptiveltern, nie wo dazugehört«. Jetzt aber ist Karsten HIV-positiv. Was für'n Glück! Fast so schön wie Krebs, Hirntumor oder Rinderwahnsinn.

Aber Karsten ist nicht blöd. (Ich guck' nochmal auf das Bild in der Anzeige. Hübsches Kerlchen. Nur die Klappe müsste er halten, wenn wir vögeln.) Nein, blöd ist er nicht: Das Wichtigste lässt er nicht unerwähnt, die Tabletten von GlaxoSmithKline: »Wenn du weißt, da ist etwas, was deine Viruslast in Schach halten kann, das ist gut.« Ja, das ist gut. Da ist etwas.

So naiv gesagt wie von Karsten, kann man sich kaum vorstellen, dass Positive sich wochenlang die Innereien aus dem Leib kotzen; die Bomber kaum zu schlucken sind; gleich haufenweise eingenommen werden; den Alltag bestimmen; Freundschaften rauben - den Tod vor Augen halten.

Nein, nein, das ist schon gut, wie Karsten das sagt. Ja, das ist gut. Denn da ist etwas. Das ist gut und teuer. So teuer, dass in der so genannten zivilisierten Hemisphäre nicht mehr so schnell gestorben wird - für viele sogar mit der Perspektive, gar nicht mehr zu sterben, jedenfalls nicht an Aids.

Die Aids-Industrie ist so was von zum Kotzen. Selbst wenn GlaxoSmithKline so gnädig wäre, für jede verkaufte Pille eine kostenlose an die Dritte Welt zu verteilen, würde ich denen vors Bein pissen. Sorgen brauch ich mir da aber keine zu machen - die werden sich doch den eigenen Zukunftsmarkt nicht versauen. Die warten einfach ab, bis »wir« das Problem so weit in den Griff bekommen haben, dass es zu unserer Pflicht wird, der Dritten Welt alles zu bezahlen ...

iven.fritsche@hamburg.de