Meine Zeit in der Hölle XVII

Der Spirit von Litauen

Messe. Die Messe ist ein sich selbst erhaltendes System. Leute, die noch nie auf der Buchmesse waren, sagen, dass sie das System nicht verstehen, worum es da eigentlich jedes Jahr geht und welchem Zweck das alles dienen soll, vor allem in den Zeiten allgemeiner Virtualisierung. Altmodisch ist eine Messe natürlich auf jeden Fall. Man muss selbst hinreisen, schwere Bücherkisten transportieren, einen Stand aufbauen und ihn besetzen. Das ist wie auf dem Mittelaltermarkt. Zusätzlich kämpft man dann noch mit der fremden Umgebung. Wir fahren aber trotzdem jedes Jahr hin.

Frankfurt. Die Stadt besteht praktisch nur aus Banken, Einbahnstraßen und Kritischer Theorie. Drei Dinge, die nicht gerade von dem großen menschenfreundlichen Leichtsinn handeln, den man sich nachts in einer fremden Stadt wünscht.

Litauen. Noch schlimmer dran als Frankfurt ist lediglich Litauen, das überraschend zum Gastland der diesjährigen Messe bestimmt wurde, weil der eigentlich vorgesehenen Türkei wegen fortgesetzter Menschenrechtsverletzungen wieder abgesagt wurde. In arge Bedrängnis geraten war Litauen, als einer seiner wichtigsten Autoren im entscheidenden Moment auch noch Selbstmord beging.

Was tun im Empire. Kritische Theorien zur Lage der Welt werden nach wie vor gebraucht. Dafür sind die Subtropen zuständig, die im Frankfurter Kunstverein über Globalisierung, neue Weltordnung und subversive Praxis eine Podiumssdiskussion veranstalten und später auflegen lassen. Hinterher ist für uns noch Titanic-Party. Gesprächsthemen sind die Krise auf dem Buchmarkt und der Spirit des Reichtums. H. vertritt die These, dass finanzieller Erfolg eine Sache der richtigen Einstellung ist, und versichert, dass das Geld, das man zum Fenster rauswirft, zur Tür wieder hereinkommt, und findet begeisterte Zuhörer, erntet aber auch krasse Ablehnung.

Sparen. Durch komplizierte Streckenführungen, die dem pakistanisch-stämmigen Taxifahrer nur schwer zu vermitteln sind, können drei Leute, die völlig unterschiedliche Ziele verfolgen, in einem einzigen Taxi durchs Morgengrauen dieser hässlichen Stadt rollen. Gespart wird auch auf der Buchmesse. Manche kleinen hübschen Verlage haben es nicht mehr auf die Messe geschafft.

Newcomer. Als Schriftsteller ein Spätberufener, katapultierte sich Dieter Bohlen mit seinem ersten Buch »Nichts als die Wahrheit« gleich auf Anhieb ganz nach oben auf die Bestsellerlisten. Zu den Newcomern gehört auch die Zentrale Intelligenz Agentur, bei der man Texte zu Literatur, Pop, Theorie und Leben bestellen kann. Die Firmengründer sind noch nicht mit einem eigenen Stand vertreten, schwirren aber in T-Shirts mit ZIA-Aufdruck über die Messe und akquirieren Kunden. Schlaues Ambush-Marketing, wie es sonst nur Nike kann, praktiziert auch der Verbrecher Verlag, der ebenfalls keine feste Adresse auf der Messe hat, aber häufig am Gemeinschaftsstand von Jungle World und b_books vorbeischaut.

Maritim. Das Hotel liegt direkt am Eingang des Messegeländes und bietet den Komfort, den man während einer Buchmesse unbedingt braucht. Den sich aber nur wenige leisten können. Aufsteiger wie Rudi S. zum Beispiel. Als Geschäftsführer eines kleinen linken mittelständischen Unternehmens war er billig bei Freunden in Hoechst untergekommen. Bekannt wurde der Stadtteil durch mehrere Chemie-Unfälle. Als Rudi S. sich die ausgedehnten Taxifahrten nach wilden Partynächten zurück in sein Hoechster Quartier nicht mehr leisten konnte, mietete er sich einfach im »Maritim« ein. Denn Rudi S. hatte die richtigen Connections und riss sich die Suite eines Kölner Verlegers unter den Nagel. »70-Quadratmeter. Holzvertäfelung. Whirlpool, Spiegel an der Decke ...«, sagt Rudi S. im Telefoninterview. Dann muss er auflegen. Der Zimmerservice bringt den Champagner.