Sri Lanka nach dem Bürgerkrieg

Besser ist noch nicht gut genug

In Sri Lanka ist der Krieg vorbei. Hunderttausende Flüchtlinge wollen auf die Halbinsel Jaffna zurückkehren.

Auf den ersten Blick deutet nichts mehr darauf hin, dass sein Leben während der vergangenen sieben Jahre alles andere als normal verlaufen ist. Diese Zeit verbrachte der 30jährige Jeyakumar als Flüchtling im Gebiet des Vanni, in einer Region, die südlich der Halbinsel Jaffna liegt und von den Tamilen Sri Lankas kontrolliert wird. »Als die Regierungstruppen im Oktober 1995 in Jaffna einmarschierten, bin ich geflüchtet«, erinnert er sich. Alles habe er verloren in Chavakachcheri, einem kleinen Ort unweit der Stadt Jaffna. Tatsächlich ist in diesem Ort kaum noch ein Stein auf dem anderen, hier und da liegen ausgebrannte Panzer, die Reste zerstörter Armeefahrzeuge stehen wie skurrile Denkmäler in der Landschaft.

Jeyakumar flüchtete damals wie die meisten Bewohner Jaffnas mit seiner Familie über den »Elephant Pass«, einen Damm, der Jaffna mit dem Rest der Insel verbindet, auf die andere Seite der Kriegsfront. »Es war wie eine große Völkerwanderung«, erzählt er. Innerhalb weniger Tage seien schätzungsweise 300 000 Menschen vor dem Ansturm der Truppen in das von den Tamil Tigers (LTTE) kontrollierte Gebiet des Vanni geflohen. »Die Jahre waren grausam für uns. Oft hatten wir kein Dach über dem Kopf, nichts zu essen.« Und als dann später die Kampfhandlungen zwischen den Regierungssoldaten und den Rebellen auch das Vanni erreichten, habe man auf der Suche nach einem sicheren Ort erneut flüchten müssen.

Der Waffenstillstand hält

Nach den Jahren großer Entbehrungen ist er nun zurückgekehrt. Schon seit Februar wird hier nicht mehr gekämpft. Ein Waffenstillstand, den die LTTE und die Regierung schlossen, hält bisher. Wenn es auch noch zu früh wäre, vom Frieden zu sprechen, so ist doch zumindest die Abwesenheit von Kriegshandlungen für viele schon Anreiz genug, das elende Flüchtlingsdasein zu beenden.

»Natürlich sind wir froh, dass wir momentan in unseren Heimatgebieten eine gewisse Sicherheit verspüren«, sagt Jeyakumar. Deshalb habe er es gewagt zurückzukehren, so wie fast 100 000 Menschen während der letzten Monate. Er hofft, dass der gegenwärtige Friedensprozess eine gerechte Lösung bringe. In dem, was er sagt, stecken Hoffnung und Skepsis zugleich.

Eine ähnliche Situation habe es zuletzt 1994 gegeben. Auch damals wechselte die Regierung und Sri Lankas neue Präsidentin versprach wieder einmal Frieden, Verhandlungen und ein Ende der vielen Probleme, die Anfang der siebziger Jahre zur Radikalisierung immer größerer Teile der tamilischen Minderheit auf der Insel führten. Der Friedensprozess der Präsidentin Kumaratunga war jedoch nur von kurzer Dauer. »Wir wurden bestraft dafür, dass wir damals diese Frau gewählt haben. Mitte 1995 prasselten schon wieder Bomben und Raketen auf unsere Dörfer nieder«, erinnert sich Jeyakumar.

»War for Peace« nannte Kumaratunga nach dem Scheitern der Verhandlungen mit der LTTE ihre unsinnige Doktrin. Sie besagte, dass nur die militärische Zerschlagung der LTTE den seit der Unabhängigkeit schwelenden Konflikt lösen könne. Alles begann mit dem Angriff auf Jaffna im Oktober des Jahres 1995. Damals wurden nicht nur das Vanni, sondern auch die Halbinsel noch weitgehend von den Rebellen kontrolliert, die eigene Verwaltungsstrukturen errichtet hatten, sehr zum Unwillen der Regierung in Colombo.

Aber die Strategie Kumaratungas scheiterte kläglich. Zwar konnten die Streitkräfte die Kontrolle über die Halbinsel zurückgewinnen, aber weder stellte sich Frieden ein, noch konnte die LTTE zerschlagen werden. Die Rebellen zogen sich ins Vanni zurück.

Politische Kehrtwende

Die militärisch-politische Kehrtwende in Sri Lanka kam, als die neue Regierung von Ranil Wickremesinghe erkannte, dass der Frieden nur mit der LTTE zu schaffen ist. Mit seiner United National Party (UNP) gewann er die Parlamentswahlen Ende des letzten Jahres. Seither versucht er alles, um das Vertrauen der tamilischen Bevölkerung zurückzugewinnen.

Die Entspannungspolitik des neuen Premiers hat auch Jeyakumar davon überzeugt, dass es möglich ist, wieder zurückzukehren, obwohl er noch keine eigene Bleibe hat. Mit seiner Familie ist er erstmal bei Freunden untergekommen.

»Wir können noch nicht in unser Dorf zurück, weil das Gebiet vermint ist.« Schätzungsweise 1,5 Millionen Minen müssen allein auf der Halbinsel Jaffna noch geräumt werden. Fährt man die wieder eröffnete A 9 entlang, die Hauptverbindung zwischen dem Norden und dem Süden des Landes, dann warnen im Abstand von wenigen hundert Metern Schilder davor, die Straße trotz der vielen noch unentdeckten Minen zu verlassen. Einige Organisationen sind derzeit mit der Räumung beschäftigt. Aber es wird noch viele Jahre dauern, bis die Halbinsel minenfrei ist.

Trotz all der Unwägbarkeiten, die das neue Leben ihm bringt, hat Jeyakumar mittlerweile im Ortskern der Stadt Jaffna einen kleinen Laden mit einer Werkstatt eröffnet. Dort fasst er mit einem Freund Bilder hinduistischer Gottheiten in kleine Holzrahmen ein. Die bunte Kollektion, die einem Europäer schrill und kitschig erscheint, hat in seinem Laden eine weltliche Ergänzung erfahren. Zu all den Krishnas, Lakshmis und Ganeshas, hat sich das eingerahmte Foto von Velupillai Prabakaran gesellt. Der Führer der »Tamil Tigers« sitzt unter dem rot-gelben Tigeremblem an seinem Schreibtisch, ganz so, als sei aus dem gefürchteten Guerillaführer bereits ein Staatsmann geworden.

Die vor Jeyakumars Laden patrouillierenden Regierungssoldaten, von denen sich trotz der Entspannungspolitik immer noch schätzungsweise 30 000 auf der Halbinsel aufhalten, greifen hier nicht mehr ein. Wäre noch vor einem Jahr ein Foto des Führers der LTTE bei Jeyakumar gefunden worden, es hätte ihm wegen des Antiterrorgesetzes eine Verhaftung, womöglich die Folter und etliche Jahre Gefängnis eingebracht. Aber jetzt ist Entspannung angesagt, und da sehen die Soldaten geflissentlich weg, wenn der Erzfeind plötzlich sehr gegenwärtig ist. Überall hängen Bilder von Prabakaran und anderen Größen der LTTE. An vielen Stellen werden den Kämpfern Denkmäler gesetzt, auch ein Heldenfriedhof wird gerade für all diejenigen angelegt, die ihr Leben im Kampf gegen die Regierungstruppen verloren.

Die Präsenz großer Truppenkontingente lässt viele Bewohner jedoch misstrauisch und ärgerlich werden. »Sie behindern uns bei der Arbeit«, empört sich der Arzt Ambalavanar, der Leiter der Chirurgie im Krankenhaus von Jaffna. Nach wie vor grenzt an eine Seite des Hospitals ein großes Armeelager, aus dem die Soldaten missmutig herausschauen. Noch unangenehmer sei es, dass die Trakte des Krankenhauses, die nur wenige Meter von der Stacheldrahteinfassung des Lagers entfernt sind, auf Anweisung der Militärführung nicht mehr mit Patienten belegt werden dürfen.

Es geht aufwärts

Trotz vieler kleiner und größerer Schwierigkeiten wirkt die Lage ermutigend. Die Lehre aus dem bisherigen Friedensprozess, auf den sich die Tamil Tigers und die Regierung Sri Lankas verständigten, ist, dass auch in Konflikte, die als unlösbar gelten, wieder Bewegung kommen kann.

Nach 20 Jahren des Bürgerkrieges ist das kleine Land in nur wenigen Monaten ein großes Stück vorangekommen. Das ist zu einem guten Teil das Verdienst der neuen politischen Führung, aber auch der Regierung Norwegens, deren Geduld und Umsicht als Vermittlerin die beiden Konfliktparteien wieder an den Verhandlungstisch brachten.

Sicherlich waren die Konstellationen günstig. Auf der einen Seite die neu gewählte Regierung Wickremasinghes, die einsah, dass sie einen militärischen Sieg in den überwiegend von Tamilen bewohnten Nordostgebieten nicht erringen kann, ohne das Land in den finanziellen Ruin zu treiben. Auf der anderen Seite die Rebellen, die bei einer Fortführung ihres Kampfes um einen unabhängigen tamilischen Staat möglicherweise von den USA als Terroristen bestraft worden wären.

Hoffnung gibt auch, dass die Verhandlungspartner nunmehr verlässlich zu sein scheinen. Die Führung der Tiger hat ihre Organisation so weit im Griff, dass eine Spaltung zumindest derzeit nicht droht. Die Regierung vermochte es in den letzten Monaten wiederum, alle Angriffe aus dem inner- und außerparlamentarischen sinhalesisch-nationalen Lager abzuwehren.

Dennoch gibt es genügend Stimmen, wie etwa die der mit 16 Sitzen im Parlament vertretenen sinhalesisch-radikalen Janatha Vimukti Peramuna (JVP), die den Friedensprozess als Ausverkauf an die Tamilen verdammen. Nur wenig vom Gedankengut der JVP entfernt steht die noch amtierende Staatspräsidentin Kumaratunga, gegen die sich der Premierminister Wickremesinghe bisher jedoch durchzusetzen vermochte.

Verbesserungen im täglichen Leben

Wenngleich die Lösung der vielen Probleme, wie die politisch-administrative Neugliederung des Landes inklusive einer weit gefassten Selbständigkeit für die überwiegend von Tamilen bewohnten Nordostgebiete, noch aussteht, ist in den vergangenen Monaten viel Positives geschehen. Vor allem redet man wieder direkt miteinander, wenn auch vorerst nur auf neutralem Boden in Thailand.

Zwei Verhandlungsrunden haben bislang unter norwegischer Vermittlung stattgefunden. Eines der wichtigsten Ergebnisse der bisherigen Zusammenkünfte ist die Aussage des LTTE-Verhandlungsführers Balasingham, die Befreiungstiger würden bei einem zufriedenstellenden Verlauf des Friedensprozesses auch ihre Forderung nach einem unabhängigen Tamilenstaat aufgeben. Zur zweiten Verhandlungsrunde ist die LTTE erstmals mit der Führungsspitze des politischen Ablegers der Bewegung, der Liberation Front of Tamil Tigers, nach Thailand gereist.

Es gab substanzielle politische Fragen zu erörtern. So einigten sich die LTTE-Verhandlungsführer mit dem Vertreter der muslimischen Bevölkerungsgruppe, Rauff Hakeem, darauf, alles zu tun, um die Lage im Osten zu entspannen. Hier war es in jüngster Zeit mehrfach zu Zusammenstößen zwischen Tamilen und Muslimen gekommen. Denn die muslimische Gemeinschaft fürchtet, im Osten Sri Lankas nach der Übernahme der Verwaltung durch die LTTE an den Rand gedrängt werden. Jetzt sollen regelmäßige Konsultationen zwischen tamilischen und muslimischen Politikern dazu beitragen, das Verhältnis zu verbessern.

Auch das Waffenstillstandsabkommen vom Februar hat viele positive Entwicklungen ermöglicht. So konnte fast die Normalisierung des Reiseverkehrs erreicht werden, fast, denn umfangreiche Formalitäten gibt es immer noch an den Grenzen der militärischen Einflussgebiete. Die von der Regierung über weite Teile der von den Tamil Tigers kontrollierten Regionen verhängte Wirtschaftsblockade wurde vollständig aufgehoben. Fisch und landwirtschaftliche Produkte können über den wieder eröffneten Landweg, der den Süden der Insel mit dem Norden verbindet, wieder ausgetauscht werden.

Mehr als zehn Jahre lang war auch die A 9 geschlossen, weil beide Konfliktparteien hart um die Kontrolle über die wichtige Verkehrsverbindung kämpften. Jetzt wird sie täglich von 15 000 Menschen benutzt. Auch viele Sinhalesen, die Jaffna bisher als das »Reich des Bösen« wahrnahmen, machen sich nun in Bussen auf und erleben, dass die Bewohner der Halbinsel keine blutrünstigen Feinde der Sinhalesen sind.

Garant für den Frieden

Die mit dem Friedensprozess verbundenen Probleme werden von der Sri Lanka Monitoring Mission (SLMM) bearbeitet. Viele hundert Beschwerden über die Verletzung des Waffenstillstandsabkommens gingen bisher bei der SLMM von beiden Seiten ein, in jüngster Zeit sind es deutlich weniger geworden. »Wir haben die auftretenden Probleme bisher alle lösen können«, erklärt Teitur Torkelsson, der Sprecher der SLMM. »Wenn es Schwierigkeiten gibt, fordern wir zuerst dazu auf, direkt miteinander zu reden. Wenn das nicht hilft, versuchen wir, unmittelbar einzugreifen und zu vermitteln«, beschreibt der Norweger die Arbeit der Mission, die über insgesamt zehn Stützpunkte in den Nordostgebieten verfügt.

Die meisten Vorwürfe der Regierung besagen, die LTTE würde nach wie vor Jugendliche unter 18 Jahren rekrutieren oder von Bürgern Geld erpressen. Beschwerden gegen die Regierung und die Streitkräfte drehen sich meist um Landstreitigkeiten. »Wenn Flüchtlinge in ihre Heimatorte zurückkehren, finden sie oft Soldaten vor, die sich in ihren Häusern verschanzt haben und diese nicht an die rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben wollen«, erläutert Torkelsson einen fast alltäglichen Konflikt.

Menschenrechtsorganisationen weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass tausende Häuser und Grundstücke, Tempel und Schulen noch vom Militär besetzt seien und dass es wegen der Verminung vieler Landesteile für viele Flüchtlinge schwer sei zurückzukehren.

Erst vor kurzem kam es in den Orten Meesalai und Manthuvil auf der Halbinsel zu Protesten, die von Wohlfahrtsorganisationen organisiert wurden. Gefordert wurde der schnelle Abzug der Regierungstruppen aus den okkupierten Gebieten. Um nicht neue Auseinandersetzungen zu provozieren, beschäftigt sich nunmehr eine aus Vertretern der LTTE und der Regierung besetzte Joint Task Force for Humanitarian and Reconstruction Activities mit solchen Problemen. Sie soll die Bereitschaft und vor allem die Möglichkeit zur Rückkehr prüfen und den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete in Angriff nehmen.

Internationale Unterstützung ist dem Land dabei gewiss. Schon bieten zahlreiche Geberländer und Organisationen ihre Hilfe an. Sie alle wollen Einfluss nehmen auf den Wiederaufbau und Anteil haben an einer möglichen »Erfolgsstory Sri Lanka«.

Aus Kämpfern werden Verwalter

Das Waffenstillstandsabkommen regelt ferner den Aufbau von Büros der LTTE auch in den bisher von den Regierungstruppen kontrollierten Nordostgebieten, wo die ehemaligen Rebellen nunmehr der politischen Arbeit nachgehen und sich auf die Übernahme der politischen und administrativen Geschäfte vorbereiten können.

Bereits während der letzten Jahre hat die LTTE in Jaffna und später auch im Vanni eigene Regierungs-, Verwaltungs- und Rechtsstrukturen aufgebaut, die jetzt zur Selbstverwaltung genutzt werden können. Wie, das ist noch die Frage. Und ob sie so, wie sie derzeit existieren, Bestand haben können, darüber wird sicherlich noch hart verhandelt werden müssen.

Vorerst erzählt der Polizeichef der LTTE, Nadesan, noch stolz von seiner Truppe. »Meine Leute erhalten auch ein spezielles Training in Menschenrechtsfragen.« Bei der Verletzung von Menschenrechten war die LTTE in der Vergangenheit nicht gerade zimperlich.

Im High-Court of Tamileelam wird derweil Recht gesprochen. Ein Richter sitzt unter der Fahne der LTTE und dem Foto seines Führers Prabakaran. Von den Insignien der Tamil Tigers abgesehen, scheinen die Anhörungen nicht viel anders zu verlaufen als im Rest des Landes. »Unsere Rechtsprechung ist angelehnt an das Strafgesetzbuch Sri Lankas«, sagt der Gerichtsleiter Pararajasingham in Kilinochchi, der »Hauptstadt« der LTTE.

»Wir berufen uns aber auch auf die traditionellen tamilischen Gesetze und legen zusätzlichen Wert auf den Schutz der Frauen.« Auf Vergewaltigung stehe die Todesstrafe, wobei er rasch hinzufügt, dass die Strafe meist in lebenslängliche Haft umgewandelt werde. Darüber entscheide jedoch Prabakaran.

All diese Feinheiten interessieren Jeyakumar nur am Rande. »Die Menschen sind kriegsmüde, sie wollen in Frieden und Würde leben.« Und dabei vertraue er der LTTE. Sie habe zwar nicht alles richtig gemacht, es aber zumindest erreicht, dass sich wieder jemand mit den berechtigten Forderungen der tamilischen Minderheit auseinandersetze. Jetzt hofft er, dass die Friedenschancen nicht durch Streitigkeiten in den südlichen Landesteilen untergraben werden.

Damit spielt er auf das angespannte Verhältnis zwischen der Präsidentin Kumaratunga und dem neuen Premier Wickremesinghe an. »Leider wurde in der Vergangenheit über Krieg und Frieden in unseren Landesteilen immer nur von sinhalesischen Politikern in Colombo entschieden. Diese Leute sind so machtbesessen. Keiner gönnt dem anderen den Erfolg«, glaubt der Mann, der gerade dabei ist, sich wieder einmal eine neue Existenz in einer derzeit recht friedlichen Umgebung aufzubauen.