Schwimmhilfen für den Standort

Jeff Koons ist einfach zu gigantisch: Kulturpolitik als Metropolenmarketing am Beispiel Hamburg | Christoph Twickel

Der allmonatliche Klönschnack der IG St. Pauli hat Tradition. Jeden ersten Donnerstag im Monat treffen sich Barkassenreeder, Bumslokalbesitzer, Musicalmanager und Bezirkspolitiker auf Bockwurst, Kartoffelsalat und ein kühles Helles in der Tower Bar des Hotel Hafen Hamburg. Wer auf St. Pauli etwas plant, der tut gut daran, Verbindungen zu knüpfen bei »Bartels’ Tafelrunde«, wie die IG nach ihrem mächtigsten Mitglied, dem Immobilien-Mogul Willi Bartels, auch heißt. Manchmal sind die Gewerbetreibenden um den greisen Kiez-König, der unlängst zusammen mit den Burschenschaftern von Germania die Illumination des Bismarck-Denkmals auf St. Pauli einweihte, unter sich. Manchmal schaut ein Staatsrat oder Amtsleiter herein und hält etwa einen Vortrag zum Thema Arbeitsrecht und Ausländergesetzgebung, denn schließlich weiß man ja, dass nicht alle Angestellten der hier versammelten Herrschaften immer alle Papiere beisammen haben.

Am 8. Mai ist die verglaste Hotelbar hoch über den Landungsbrücken gut gefüllt, es liegt Aufruhr in der Luft, denn das Thema des heutigen Termins regt die Damen und Herren besonders auf. Es geht um den von Bausenator und Schillianer Mario Mettbach bestellten Entwurf für die Gestaltung des Spielbudenplatzes am Kopf der Reeperbahn, den der New Yorker Künstler Jeff Koons in der Vorwoche präsentiert hatte. Zwei gelbe, 110 Meter hohe Baukräne halten eine Art Draht-Schnurrbart, an dem zwei riesige, bunte Schwimmreifen-Tiere baumeln, am Boden verweisen Segelknoten-Reliefs auf die Etymologie der Reeperbahn. »Reeper« hießen früher die Seilmacher.

Koons monumentale Spielzeugcollage erregt hörbar den Zorn der Anwesenden, schon die Erwähnung des Tagesordnungspunktes provoziert Murren und »Schwachsinn!«-Zwischenrufe. Nur die Aussicht auf den Auftritt Karl-Heinz Ehlers kann die Mütchen kühlen: Von dem CDU-Kulturpolitiker, gleichzeitig Vorsitzender der städtischen Immobiliengesellschaft Sprinkenhof AG, erwartet man klare Worte gegen Koons.

Als es endlich soweit ist, zeigt sich Ehlers unerwartet uneindeutig. »Ich war innerlich völlig unsicher«, bekennt der Mann, der sich in früheren Tagen als unermüdlicher Hetzer gegen Hafenstraße und Flora einen Namen gemacht hatte und der erst ein paar Monate vorher mit seinem Angriff gegen das »Kopulationstheater« des Schauspielhaus-Intendanten Tom Stromberg klargestellt hat, dass er keine Gefangenen macht, wenn es um unliebsames Kulturgut geht. »Ich bin mir nicht sicher, ob das was hat oder ob der uns verarscht«, wiegelt Ehlers ab und flüchtet sich in Mutmaßungen über die Machbarkeit des Monuments.

Da erhält Ehlers Beistand von linksliberaler Seite. Corny Littmann, Betreiber der Variéte-Bühnen Schmidt’s und Tivoli sowie Präsident des FC St. Pauli, findet es, obwohl kein Freund der derzeit amtierenden Regierungsparteien »bemerkenswert, dass sich diese Regierung in einem solchen Maße für St. Pauli« engagiert, und stellt die alles entscheidende Frage: »Wollen wir, dass der Spielbudenplatz künstlerisch gestaltet wird und eine Attraktion darstellt? Oder wollen wir einen Ort für die 20 000 Bewohner St. Paulis?« Die Gewerbetreibenden der geilen Meile sitzen vor ihren Pilsblumen und brummeln irritiert durcheinander.

Auch dem eingefleischtesten Kulturspießer ist bewusst, dass eine solche Frage im Zeitalter fortschreitender Metropolenkonkurrenz keinesfalls ernst gemeint sein kann. Natürlich: Man will Attraktionen, Wahrzeichen, Mega-Events, urbanen Wahnsinn! Um jeden Preis! Und genau das macht die Auseinandersetzung um das Koons’sche Monument zu einer so herzerfrischend offenherzigen Lokalposse zum Thema »Kultur- als Standortpolitik«.

Imagefaktor. Holen wir ein bisschen weiter aus. Mit dem Antritt des rechtspopulistischen Senats aus Schill, CDU und FDP sollte auch die Hamburger Kulturpolitik eine Zeitenwende erfahren. Mit Dana Horáková berief man eine Ex-Bild-Redakteurin zur Kultursenatorin, die sich zum Ziel gesetzt hat, der Stadt mehr »Glanz«, »Strahlkraft« und »Glamour« zu geben. Die seit Anfang 2002 unermüdlich vom deutschen Feuilleton aufgespießten Peinlichkeiten der Horáková dürften Genießern weidlich bekannt sein: Wie sie, als sie laut über eine Terror-Ausstellung im dortigen Helmsmuseum nachdachte, die Attentäter vom 11. Septermber 2001 um Mohammed Atta als Standortvorteil der Gemeinde Harburg entdeckte. Der Klassik-Aquadome mit Beatles-Museum, den sie der Hafencity verpassen wollte. Ihre Intendantenschelte gegen Tom Stromberg, nachdem sie dessen Schauspielhaus ein einziges Mal besucht hatte. All das veranlasste Feuilletonisten in der ganzen Republik zu einer Dana-Glosse nach der anderen, der linksalternativen Soziokulturszene stieß zudem das Wegstreichen des Frauenetats auf. Die Kultursenatorin erklärte sich die über sie ausgegossene Häme mit einer Verschwörung, die auf einen »einschlägigen Personenkreis, der sich für das intellektuelle Sprachrohr der Kulturschaffenden hält«, zurückgehe, und propagierte unerschrocken das, worum es metropolitaner Kulturpolitik heute gehen muss: »Von Hamburg muss eine dynamische Ausstrahlung ausgehen, die Sogwirkung in andere Städte hat.«

Nun mag die eiserne Lady in ihrer ganzen Tantigkeit ein missratener Imagefaktor sein, was die sozialdemokratisch-grüne Opposition in Hamburg auch zu ihrem kulturpolitischen Dauerlutscher gemacht hat, ihre Phrasen jedoch treffen den Kern dessen, was sich die unternehmerische Stadt wünscht: Kulturpolitik als Metropolenmarketing. Und nicht nur Kulturpolitik. Auf allen Politikfeldern versucht man in Hamburg derzeit, Glanz und Gloria für den Standort einzuspannen. Auf Geheiß von Schill gibt Design-Opa Luigi Colani seinen Namen für neue Polizeiuniformen her. Die »Musical-Hauptstadt« Hamburg darf sich rühmen, als einzige deutsche Großstadt Zuwachsraten im Tourismussektor verzeichnen zu können. Und zu guter Letzt eben Bausenator Mario Mettbach, der das jahrelange Gezerre um das Entrée der weltberühmten Reeperbahn mit einem echten Coup beenden will und nach New York jettet, um dem ebenfalls weltberühmten Künstler Jeff Koons den Auftrag für die Gestaltung des Spielbudenplatzes anzudienen.

Rettungsringe. Große Vorhaben, große Gesten, große Werke, und all das möglichst im Handstreich, denn die Vorhaben, für die Hamburg sein Image aufmöbeln möchte, erlauben keinen Verzug. Da ist die Hafencity, deren »Masterplan« im Wesentlichen darin besteht, dass provisorisch nach möglichen Nutzungen unterteilte 115 Hektar auf Investoren warten, die einfach nicht recht auflaufen mögen. Da ist der Schlachtruf »Wachsende Stadt«, unter welchem ungenutzte Bahn-, Kasernen- oder Postgelände einer Wohnbebauung zugeführt werden sollen, die die Stadt von 1,7 auf 2 Millionen Einwohner anwachsen lassen mögen. Da ist der notorisch grassierende Gewerberaum-Bauboom vom Hafenrand bis St. Georg, dem ein Rekordleerstand von 750 000 Quadratmetern gegenübersteht. Der Traum von Olympia, für Hamburgs Standortpolitiker ein Blankoscheck auf Wachstum, ist geplatzt und hinterlässt ein weiteres Finanzloch von 1,5 Millionen Euro. Angesichts dieser Lage mögen es sich vom krisengeschüttelten Kiezgastronomen bis zum Hafencity-Projektmanager weder die Bourgeoisie noch die politische Klasse der Hansestadt leisten, publicityträchtige Projekte niederzureden, die dem Standort zu ein bisschen mehr globaler Bekanntheit verhelfen könnten. Sie mögen es ja scheußlich finden, aber womöglich ist so ein Koons-Monument ja doch ein Rettungsring.

Rettungsring … na, merkt einer was? Auf dem Spielbudenplatz des Koons-Modells baumeln fröhliche Schwimmhilfen an Baukränen. Sollte der New Yorker Banal-Art-Star etwa die Sehnsüchte seiner Auftraggeber seinem Werk gleich als kindliche Fantasie eingeschrieben haben? So gesehen, hätte Hamburg, würde es tatsächlich gebaut, das weltweit erste Monument, das nicht nur big ist, sondern Bigness auch thematisiert.

Schnurrbärte. Natürlich wird es nicht gebaut. Laut Leserbrief-Auszählung des Hamburger Abendblatts rangiert der Anteil der Koons-Feinde derzeit bei 97 Prozent, einen Flur weiter zählt Bild 98 Prozent. Die anlasstypische Empörung über die »sinnlose Verschwendung von Steuergeldern« – fünf Millionen Euro für die Bebauung des Platzes – geht von rechts bis links und ist unerwartet massiv. Obwohl Mettbach versichert, der internationale Marktwert des Künstlers sei unumstritten, lässt sich Volkes Geschmack nicht erweichen, für den Standort ein Opfer zu bringen.

Dabei hat Koons mit seinem monumentalen Spielzeug-Ensemble nichts anderes an den Start gebracht als bei seinen früheren, leidlich populären Werken. Womöglich hat er, der am Potsdamer Platz in Berlin seine Skulptur »Balloon-Flower« abwerfen durfte, dem Baustellentourismus zur dortigen Infobox eine kleinbürgerliche Sehnsucht abgelauscht, die er in Hamburg auf eine lichte Höhe von 110 Meter aufblasen wollte. »Ich erkläre dem Bourgeois, die Dinge zu umarmen, die ihm gefallen, auf die er anspricht«, hatte er vor zwei Jahren der Zeitschrift Vanity Fair erklärt.

Und spricht der Bourgeois auf Baukräne etwa nicht an? Doch, aber nicht in dem Sinne, in dem er auf Kaufhauskitsch oder blonde italienische Pornostars anspricht. Es herrscht Rezession, Baukräne machen ihm Angst, sie sind Vorboten des Leerstands. Als Damoklesschwert schweben sie über dem Standort und stellen dem Bourgeois unangenehme Fragen: Reicht das Geld? Wird das überhaupt fertig? Wer soll das bloß alles mieten? Können wir so lange abschreiben, bis die Krise vorbei ist?

Nein, ein Krisenmonument will man sich nicht ans Reeperbahn-Entrée setzen. Längst haben sich Politiker aller Parteien an die Spitze der unheiligen Allianz aus empörten Steuerbürgern, Journaille und Kunstexperten gesetzt. Koons ist aufgefordert, das »bedeutendste Kunstwerk des 21. Jahrhunderts« (Koons) einer Überarbeitung zu unterziehen, und natürlich taucht zum schlechten Ende beim Klönschnack der IG St. Pauli noch ein unterbeschäftiger, jungscher Agenturidiot auf, um ihm dabei zu helfen und unter dem sinnigen Claim »Koonste oder kannste noch« einen Bürger-Ideenwettbewerb auszurufen, dessen gruselige Ergebnisse unlängst in der Lokalpresse zu sehen waren: Historisierende, esoterische und lokalpatriotische Buntstift-Fantasien mit Tor zur Welt, tanzenden Teufelchen (sündige Meile!) und mittelalterlichem Marktplatz.

So endet der Ruf nach spektakulärer Premium-Kunst von internationalem Format in einem erbärmlichen Malwettbewerb. Es gibt keinerlei Grund, sich über Koons zu beschweren, denn welcher Künstler hat es schon mal geschafft, uns ein solches Spektakel zwischen Populisten und populus zu bescheren? Der Plagiatsvorwurf aus den Reihen des Park Fiction-Projekts in St. Pauli-Süd mag zutreffen oder auch nicht – wie der Künstler jedoch die Begehrlichkeiten seiner Auftraggeber durch totale Affirmation unterwandert hat, das muss ihm erstmal jemand nachmachen. Zumindest einen schwergewichtigen Hinweis gibt es, dass es auch so gemeint war: Schon allein die Statik des Entwurfs ist derart windig, dass seine Unbaubarkeit eigentlich nur Teil der Idee gewesen sein kann.

Christoph Twickel ist Journalist in Hamburg.