»Man spielt für den Moment«

Die Blumfeld-Mitglieder jochen distelmeyer, michael mühlhaus und andré rattay sprechen über Erwachsenwerden, Schwerelosigkeit und Open-Air-Auftritte.

Auch nach dem Abklingen des Hypes um die Hamburger Schule ist die Musikszene dort eine der produktivsten in Deutschland. Wie habt ihr die letzte Zeit in Hamburg erlebt?

Jochen Distelmeyer: Politisch verschlimmert sich das zusehends rasend. Eine Unverschämtheit nach der anderen. Eine Katastrophe nach der anderen bahnt sich da an. Privat, wie immer.

Michael Mühlhaus: Es wandelt sich ja stetig. Man kriegt einige Sachen immer erst später mit. Es ist jedenfalls nicht mehr so wie früher.

Distelmeyer: Vielleicht hat man an manchen Sachen auch einfach nicht mehr so das Interesse. Man entwickelt dann ja vielleicht andere Vorlieben.

Vor ein paar Jahren wurde viel von der so genannten Hamburger Schule und der Diskursrockszene gesprochen. Existiert dieses Netzwerk noch, und wenn ja, ist es noch so dicht wie früher?

Distelmeyer: Es ist ja nie in dem Maße ein Netzwerk gewesen. Am Anfang war es das jedenfalls so nicht. Da gab es Alfred Hilsberg mit What’s So Funny About und Zickzack, Indigo, Efa, L’Age d’Or. Was damals so an Bekanntschaften und Freundschaften bestand, das gegenseitige Interesse aneinander, die Auseinandersetzung, Unterhaltung, gucken, dass man gemeinsam auch über die Musik hinaus was macht, das ist ja, weil die Freundschaften und Kontakte bestehen, auf eine andere Art erhalten geblieben. Aber diese Begrifflichkeiten, mit denen versucht wurde, das zu fassen, sind der Sache nie gerecht geworden. Und haben sicherlich den Fokus zu stark auf Hamburger Bands gelenkt, wo es Anfang der neunziger Jahre auch immer um befreundete Bands aus Berlin, Hamburg oder Frankfurt ging. Das ist ja immer noch relativ überschaubar. Man pflegt Kontakte zu Bands in anderen Städten, man geht gemeinsam auf Tour, spielt auf Festivals, und wenn man in der Stadt ist, ruft man sich an.

Szene funktioniert ja oft so, dass sie die Abspaltung bestimmter Gruppen erzwingt, wenn diese Gruppen irgendwie die Grenzen des Milieus überschreiten. Wie war das bei euch, als ihr plötzlich Videos gemacht habt, auf großen Festivals gespielt und auf ein Major-Label gegangen seid?

Distelmeyer: Dieser Zusammenhang, in dem wir uns dort befanden und befinden, war nie an bestimmte Kodexe, Genre-bedingte oder Lifestyle-bedingte Regeln geknüpft. Klar, da gibt und gab es auch Pro und Contra. Es ging darum: Was will man eigentlich von Musik und den Sachen? Und worauf hat man keinen Bock? Was behindert die Arbeit an dem, was einem wichtig ist? Wie kann man damit umgehen? Wie kommt man vielleicht dahin, dass es auch über die Musik hinausgeht? Das waren so Themen und Anlässe von Auseinandersetzungen, Dinge, über die man sich da unterhalten hat. So in etwa: »Welche Erfahrungen hast du denn da gemacht?« »Ja, bei uns war das auch so.« Erfahrungsaustausch. Interesse aneinander.

Ihr habt gerade ein paar große Open-Air-Auftritte als Vorband von R.E.M. gehabt. Es ist ja eine ganz andere Situation, einen Song wie »Diktatur der Angepassten« vor 300 Fans zu spielen als vor 15 000 Leuten, die einen teilweise noch gar nicht kennen. Wie habt ihr das erlebt?

Distelmeyer: Wenn da 11 000 oder 15 000 Leute sind, ist das schon eine Festival-Situation, die uns auch vertraut und bekannt ist. Nur dass man eben nur mit einer Band auftritt, wegen der die Leute auch dahin kommen. In der Situation ist man die Band, mit der die Leute nicht rechnen. Ich fand interessant zu gucken, wie man da so wahrgenommen wird. In den ersten zwanzig, dreißig Reihen. Wie die Leute so darauf reagieren. Da merkt man schon, dass die Leute nicht damit gerechnet haben. So: »Was ist das denn?« Schon ein bisschen alienmäßig. Aber am Ende des Konzerts haben wir, glaube ich, schon klar gemacht, worum es so bei uns geht.

Fragt man sich nicht teilweise schon, ob das, was man macht, überhaupt ankommt und vor allem, wie es ankommt. Denn es fehlt ja der verbindende Kontext?

Mühlhaus: Das wäre für mich der falsche Ansatz. Man stellt sich dar. Man sagt: So sind wir. Das ist unser Angebot. Und wenn ihr euch da in Teilen wieder findet, da irgendwas in euch angesprochen wird, dann ist es gut. Dann haben wir ein gemeinsames Band. Da ist ein Anknüpfungspunkt. Dann kann man aus der Ferne darüber sprechen. Natürlich ist diese Festivalsituation so, dass die Leute unterhalten werden wollen. Die sehen im Fernsehen, dass ihre Lieblingsband spielt, und gehen dann da hin. Da stehen die dann mit Chips und Bier, und müssen sich vorher noch diesen Kurzfilm geben. Der sind dann halt wir. Ob das aber funktioniert oder eben nicht, daran kann ich sowieso nichts ändern. Ich kann mich auch davon nicht beeinflussen lassen, dass da gleich Leute AC/DC hören wollen.

Distelmeyer: Man spielt ja auch in dem Moment. Man spielt auch für den Moment. Man erlebt, was die Stücke auf einmal in diesem bestimmten Kontext bedeuten. Das ist Teil des Vergnügens. Ich würde sagen, dass wir unseren Stücken auch sehr vertrauen. Da steckt ja schon ein Teil von uns drin. Die nehmen uns also auch viel Arbeit ab.

In den letzten Jahren, in denen sich Blumfeld auch hörbar verändert haben, gab es Vorwürfe aus den verschiedensten Szenen und dem linken Lager. Alexander Kluge hat mal gesagt, man müsse auf eine immer komplexere Welt mit einer immer komplexeren Kunst reagieren. Ihr scheint da aber in die ganz andere Richtung zu gehen. Eure Songtexte werden immer konkreter und weniger abstrakt.

Mühlhaus: Wenn diese Behauptung stimmen würde, hieße die Konsequenz, dass Free Jazz und die komplexeste Neunton-Musik das Medium wären, in dem man kommunizieren könnte. Dem würde ich erstmal widersprechen und sagen: Halt, das ist eine Möglichkeit, das zu machen. Wenn man das für sich als Form wählt. Wir wählen ja eine andere Form.

Distelmeyer: Die Band ist ja von Anfang an sowohl komplex als auch einfach gewesen oder so bezeichnet worden. Oder soft und auch hart. Aber so von wegen: Hoppla, ist das alles vielschichtig, lass uns das mal irgendwie alles einbeziehen, so geht man da nicht ran. Man versucht dem Ding, das man im Blick hat und was man an Erfahrungswerten besitzt, gerecht zu werden. Innerhalb eines Songs von vier Minuten und elf, zwölf Stücken auf einem Album. Das, was einem wichtig ist.

Wenn man mal ein paar Jahre zurück schaut: Was waren die Gründe für diese Entscheidung, nach einer sprachlich diskursiver angelegten Platte wie »L’Etat Et Moi«, den Stil radikal zu ändern?

Distelmeyer: Aus Bock! Ich weiß nicht, was »diskursiver angelegt« heißt. Das ist nichts, was uns eingefallen ist, zu dem, was wir machen. Sondern das entspricht dem Versuch, sich das zu erklären, was denn auf so einer Platte wie »L’Etat Et Moi« stattfindet. Was meinst du mit diskursiv?

Ich meinte damit, dass da ein viel stärkerer Dialog mit verschiedenen Ansätzen, Referenzen, Bezügen, damit, wie man überhaupt wahrnimmt, wie man in Zusammenhängen auch anderer Gedanken spricht und sprechen kann, stattfindet. Das ist doch etwas anderes als eine klar umrissene, geschlossene Sänger-Subjektivität. Ich habe das Gefühl, dass die Sänger-Figur Jochen Distelmeyer jetzt eine stärkere Distanz zu den Dingen hat. Dass sie sehr genau zu wissen scheint, wer sie ist, und wo sie steht. Dass diese Fragen entschieden sind.

Distelmeyer: Ich glaube immer noch, dass das, was man ist, im »Werden« begriffen ist. Ich bin skeptisch gegenüber so einer Sache von: »Das bin ich, und das werde ich auch immer sein.« Ich hoffe zumindest, dass ich als Texteschreiber von »L’Etat Et Moi« genauso bei mir war, wie ich das jetzt auch bei »Jenseits Von Jedem« versucht habe.

Im Interview mit Spex habt ihr über euer neues Album gesagt: »Das sind wir.« Gibt es einen Punkt, an dem ihr sagen könntet, musikalisch-konzeptuell, das sind wir, und das ist unsere Methode, die wir bewusst wählen?

Mühlhaus: Ich glaube nicht, dass es jemals anders war. Vielleicht wird es jetzt nur anders wahrgenommen.

Distelmeyer: Man verstellt sich ja nicht. Jedenfalls nicht wissentlich.

Mühlhaus: Ich glaube, es hat auch was damit zu tun, dass man älter wird. Nicht als eigenständige Qualität, sondern in der Summe der Erfahrungen und der Zugänge. Einen so direkten Zugang zu Blues beispielsweise hat man früher einfach nicht gehabt. So ein Stück wie »Sonntag« hätte man so wahrscheinlich früher gar nicht spielen können. Einfach weil man das noch gar nicht als Selbstverständlichkeit empfunden hat, dass man das einfach so machen kann.

Eine konkrete konzeptuelle Ebene, auf der beispielsweise versucht wurde, mit den neuen Stücken bewusst eine größere politischere Gemeinschaft herzustellen, kann man nicht so klar festmachen?

Distelmeyer: Man macht sich ja schon seine Gedanken. Aber das ist immer so eine Bauch-gegen-Masterplan-Sache. Die taucht ja auch als Thema auf dem Album auf. Diese Unterteilung, die vorgenommen wird an dieser Band, weil das scheinbar beides gleichzeitig da ist, können wir nur zurückweisen, weil das ist ja alles miteinander verbunden. Das bedingt sich gegenseitig. Natürlich macht man sich auch Vorstellungen, aber bei der Platte geht es da nicht um eine strategische Entscheidung zur Vereinfachung.

Aber genauso wird es wahrgenommen und debattiert.

Distelmeyer: Vielleicht ist das da auch drin, und es entzieht sich unserer Kontrolle. Vielleicht wissen die Songs dann auch mehr als wir über bestimmte Sachen. So Erfahrungen gibt es ja auch. Aber das ist nicht der Punkt. Wir können machen, was wir wollen. Das ist vielleicht das große Privileg, das wir genießen, das aber auch Ergebnis unserer bisherigen Arbeitsweise mit den Alben ist. Wir können machen, was wir wollen. Das sollte ja eigentlich …

… viel mehr Menschen so gehen.

Distelmeyer: Genau. Es wäre ja schön, wenn es vielen Leuten mit ihrer Arbeit auch so ginge. Gestern hat uns jemand gefragt, ob wir das Zitat »Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit« kennen. Das war uns zwar unbekannt, aber schien plausibel. Das leuchtete ein. Ich habe die Hoffnung, dass viele Fragen, die jetzt an uns gestellt werden, die Platte besser beantworten kann, als wir das können.

Mühlhaus: Die Platte ist ja auch das Hauptwerk. Da ist ja alles drin. Die ist unser Ausdruck. Die Texte, die Musik, das Gefühl. Wenn man das so auseinanderpflückt … Du reduzierst deine Freunde ja auch nicht auf ihren Beruf, was sie studieren, und siehst sie nicht nur in bestimmten Rollen, als Saufkumpel, als Studienkumpel, als jemanden aus der Politgruppe. Das macht die Beziehung ja aus, dass sie auch diese gewisse Klammer herstellt: Jemand, der bei McDonald’s arbeitet, damit er sich sein Soziologiestudium finanzieren kann, wo er gerade Horkheimers und Adornos »Dialektik der Aufklärung« liest oder so.

»Jenseits Von Jedem« hat ein teilweise überraschend positives Flair. Ist es nicht möglich, dass dieses Gefühl auch als eine Art »resignativer Positivismus« oder »positive Resignation« gedeutet werden kann?

Distelmeyer: Ich verstehe die Platte nicht als Ausdruck einer positiven Art von Resignation. Aber Resignation gehört zum Leben dazu. Das erlebt jeder irgendwann mal. Doof ist, wenn dieses Resigniertsein sich wie so eine luftdichte Folie über alles legt und einem die Luft zum Atmen nimmt. Klar, alles macht weiter. Das Aufgebrachtsein macht weiter, der Zorn macht weiter, der Protest, die Verhältnisse machen weiter, die Enttäuschungen machen auch weiter.

Dieser umfassende Zusammenhang von verschiedenen Gefühlen und Zuständen, Politik, Liebe, Spaß, Leid, dass das bei einer politischen Band alles nebeneinander steht, das ist für mich auch etwas Außergewöhnliches an dieser Platte. Diese beiden Seiten, Verstand und Gefühl, Protest und Einverstandensein, finden sich auch auf dem Cover der neuen Platte, wo man vorne die Fotografie der Band vor städtischer Kulisse hat, und auf der Rückseite ein Foto, auf dem die Band und einige Freunde ganz gelöst beim Picknick im Park sitzen.

André Rattay: Wenn man das jetzt so empfindet, könnte das ja auch bedeuten, dass aus der Resignation wieder eine positive Kraft resultieren kann und man wieder was mobilisieren kann.

Distelmeyer: Etwas, um das wir uns, glaube ich, immer bemüht haben, ist, einer Sache nachzugehen, ohne deshalb gleich etwas anderes dafür abzuspalten oder wegzudrängen. Also extrem deprimierter Text mit einer fröhlichen Melodie. Alles das, was normalerweise immer in Gegnerschaft, Widerspruch, Konfronation gestellt wird, findet auf Blumfeld-Platten eigentlich immer nebeneinander, miteinander, sicherlich auch gegeneinander statt. Da kann man dieses Cover auch so verstehen, da wäre ich jetzt so gar nicht drauf gekommen, so sehen, dass man nicht zwangsläufig etwas nicht tun muss, um etwas anderes tun zu können. Abspalten und verbiegen – vielleicht manchmal schon, aber nicht immer.

Aber eine klare Unterscheidung, was was ist, was man tut und was nicht, wird beibehalten?

Distelmeyer: Absolut. Es ist nicht so, dass irgendwelche Widersprüche zusammengebracht und zu einem Ganzen gemacht werden. Das ist etwas, was man bei George Orwell in »1984« liest und feststellt, das ist ja Neusprech. »Krieg ist Frieden«, »Geiz ist geil«. Geil meint ja Verschwendung, Verausgabung … Oder »Krieg ist Frieden«, wenn du für Frieden bist, bist du eigentlich für Massenvernichtung verantwortlich. Ich glaube, dass wir nicht in diesem Modus operieren. Wir versuchen das ja auszuhalten und uns trotzdem auch klar gegen Sachen zu entscheiden und zu sagen: Nicht mit uns, sondern wir sind für etwas anderes. Und Sachen zu bejahen, ist nicht dasselbe wie Opportunismus.

Kann man als Musiker in diesem Land erwachsen werden und seine Würde behalten?

Distelmeyer: Ich glaube, dass es generell, überall eine Möglichkeit gibt, als Band erwachsen zu werden.

Rattay: Sich selbst treu bleiben, das ist natürlich schwierig.

Mühlhaus: Man darf sich da auch nicht auf so eine Prinzipienreiterei versteifen. Es geht darum, eine Grundhaltung beizubehalten. Das ist halt anstrengend. Aber auch toll.

interview: tim stüttgen