Definitiv links

Der Fall Mia beweist die Dummheit dieser Band, belegt aber noch viel mehr die fehlende subversive Strahlkraft des aktuellen Pop an sich. von wolfgang seidel

Mia sind pfui, weil nationalistisch, heißt es. Mia wehren sich mit der Erklärung: »Wir sind definitiv links.« Das ist erstmal eine gute Nachricht. Scheinbar gibt es doch noch einen Konsens zwischen der Band und ihren Kritikern, dass der Soundtrack für eine bessere Welt auf der Linken zu Hause ist. Also alles nur ein Missverständnis, wo die es doch nach aller Wahrscheinlichkeit mit ihrer Selbsteinschätzung ehrlich meinen? Macht es Sinn, Musiker dafür haftbar zu machen, dass es keine kräftige Linke (mehr) gibt? Linke Musiker waren auch in besseren Tagen nur Spiegel oder Lautsprecher einer Bewegung, nicht deren Erfinder. Mia haben die Sprüche, wegen denen sie notwendigerweise kritisiert werden, so wenig erfunden wie die Scherben den Slogan »Keine Macht für niemand«. Die jeweiligen Slogans geben nur mit musikalischer Begleitung den Diskussionsstand der Szene wieder, aus der sie kommen. Und da scheint jetzt, wo die Träume vom unaufhaltsamen Aufstieg der New Economy zumindest vorläufig ausgeträumt sind und aus der Boom- eine Bumgeneration zu werden droht, große Ratlosigkeit zu herrschen. Um so mehr, als es in dieser Szene über Jahre als uncool und spießig galt, sich über die Verfasstheit dieser Gesellschaft allzu viele Gedanken zu machen. Nun ist die Party vorbei und die Gäste wissen nicht, auf welcher Seite der Ausgang ist. Rechts oder links? Und einige Gäste sind noch so besoffen, dass sie Probleme haben, das zu unterscheiden.

Der Stein des Anstoßes ist Mias Liebeserklärung an die Nation: »Fragt man mich jetzt, woher ich komme, tu ich mir nicht mehr selber leid.« Was stört, ist die Wortwahl. Bei der Beschäftigung mit der Frage, wie dieses von ordentlichen und fleißigen Menschen, Dichtern und Denkern, bevölkerte Land einen beispiellosen Vernichtungskrieg beginnen konnte, von Selbstmitleid zu reden, verweist dieses notwendige Nachdenken ins Reich der psychischen Erkrankungen, gegen die man Psychopharmaka verordnen sollte. Auch wenn Mia von einer Gesellschaft ohne Geld träumen, sind sie nicht so links, wie das auf den ersten Blick aussehen mag. Sängerin Mieze: »Ich schneide dir die Haare, dafür legst du mir die Fernsehkabel. Arbeit muss doch nicht mit Austausch von Geld verbunden sein.« Tauschhandel statt Geld ändert nichts an Besitzverhältnissen und der daraus resultierenden politischen Macht. Da wird das Geld als symbolischer Ausdruck der ökonomischen Verhältnisse zum Schuldigen gemacht. Mit dem Geld als Schuldigen hat man auch gleich den eigentlichen Feind ausgemacht. Und die Rechte wusste schon immer, wer das ist. Auf die Frage eines Reporters an die Band, ob das nicht etwas naiv ist, antwortet Mieze: »Die Gedanken sind frei.« Dieses Lied, »Was es ist«, egal wie es mal gemeint war, ist eines der Lieblingslieder der extremen Rechten geworden, die ja als die ewig Unterdrückten, als die sie sich fühlen, nicht sagen dürfen, dass es Holocaust und Wehrmachtverbrechen nie gegeben hat.

Ist Mia deshalb rechts? Nein – wahrscheinlich sind sie nur dämlich. Für den Chefredakteur der Berliner Stadtzeitschrift Tip, wo Mia vor zwei Ausgaben im Haupttext als die netten Jungs und Mädels von nebenan präsentiert wurden, ohne dass nur mit einem Wort auf die von vielen Seiten erhobene Kritik eingegangen wurde, sind das ohnehin nur »modische Chiffren«, die »keinen politischen, sondern popkommerziellen Gesetzen gehorchen«.

Legt man die Messlatte nicht ungerecht hoch, indem man von Musikern eine präzise gesellschaftliche Analyse verlangt? Tut man – aber in diese Situation hat sich die Band selber gebracht mit ihrer forschen Nationalstolz-Kampagne. Und Naivität taugt nur bedingt als Entschuldigung, seitdem die Band ihre alles entschuldigende Jugend (der Älteste der Band ist 32) zur Diskussionsstrategie gemacht hat. So darf die Band sich über zweierlei nicht wundern: über die Kritik von links, wo sie doch meint, dazuzugehören, und das Lob von rechts. Da freut sich die NPD-Zeitung Deutsche Stimme: »Jahrzehntelang war die Hegemonie in der Jugendkultur ein unantastbarer linker Erbhof. Diese kulturelle Vorherrschaft ist nun zumindest spürbar angekratzt.« Dann wird der Bogen von Mia zu Josef Maria Klumb geschlagen, mit dessen Band Weissglut Sony schon einmal ins nationale Klo griff, und dessen »Spannbreite von Punk, Faschismus, Dandytum, Katholizismus und Freigeistigkeit« als Vorbild präsentiert wird. Die Deutsche Stimme findet den Ansatz von Mia o.k. – sie müsse aber noch viel lernen. Von Leuten wie Klumb. Mia wünscht die Deutsche Stimme dann noch, dass ihre Karriere nicht den Angriffen der »Blockwarte der political correctness«, der »Sturmabteilung des Gutmenschentums« zum Opfer fallen würde, die den armen Klumb um seinen sicher geglaubten Erfolg gebracht haben. Sind Mia damit dort angekommen, wo sie hingehören? Solche Umarmungsversuche von rechts gibt es oft. Die Verbindung Mia / Klumb, die von der Deutschen Stimme konstruiert wird, ist deren Wunschdenken. Allerdings dergestalt, dass die Band den Anlass dazu geliefert hat. »Allein machen sie dich ein« von Ton Steine Scherben wird heute als Teil einer Querfrontstrategie auf NPD-Demos gesungen. Man kann darüber diskutieren, was an diesem Song für die Rechte attraktiv ist. Die Band gilt aber immer noch als Blaupause linker Musik, weil sie versuchte, diese mit einer entsprechenden Lebenspraxis zu verbinden.

Was auffällt, ist die Diskrepanz zwischen Sätzen wie dem seitens Mia geäußerten »eine neue Identitätsfindung im eigenen Land« und der übrigen Sprache der Band, die ziemlich rumrudert, wenn sie diese Suche nach Identität mit Inhalt füllen soll. Beim Schlagzeuger klingt das in der Taz so: »Große Begriffe, ich habe sie nicht erfunden. Sie sind mir begegnet. Bei der Suche nach einem Leben, das ich gerne lebe. Es ist etwas, dass ich nicht allein tun kann, diese Worte existieren nur, weil wir viele sind und sie bekommen keinen Sinn, wenn wir sie nicht zusammen erleben.« Leider sagt er nicht, wo sie ihm begegnet sind. Mieze erzählt stolz von Erich Fried, der mit einem seiner Gedichte die Vorlage für Mias Song »Was es ist« gegeben hat. Auf die Nachfrage des Interviewers, wer das denn wäre, weicht sie aus und rät, doch mal im Internet nachzuschauen. Das alles lässt den Verdacht entstehen, dass der Mist von der angeblich so nötigen neuen Identität überhaupt nicht ihr Mist ist. Das Ganze scheint als Filmplot zu taugen. Und der geht ungefähr so: Hungrige Band aus dem Osten trifft auf abgebrühten Westproduzenten. Es musste nur noch das richtige Image für die Band her. Die Geschäftsidee des Produzenten war der »nationale Tabubruch«. Freilich in Anführungszeichen, weil das Nationale sonst ja nur an jedem Stammtisch, in jedem CDU-Ortsverein, von der Bild-Zeitung bis zur Sportschau täglich abgefeiert wird.

Das ZDF setzte vor kurzem auf all die Casting-Shows noch eins drauf mit der eigenen Show »Die Deutsche Stimme«. So heißt zwar auch die besagte Zeitschrift der NPD, aufgeregt hat sich darüber jedoch niemand, da man vom ZDF ja nichts erwartet. Das ist der Unterschied. Von einer Band wie Mia, die vor einem Jahr noch auf einer 1.-Mai-Demo gespielt hat, erwartet man mehr. Aber statt die Enttäuschung ausschließlich der Band anzulasten, müssen auch die Erwartungen auf den Prüfstand. Klar, die dummen Sprüche sind nicht zu entschuldigen. Schon gar nicht ihr Techtelmechtel mit dem nationalen Roll-Back. Und statt ein klärendes Wort zu finden, haben Mia sich um Kopf und Kragen geredet. Dass uns eine Band enttäuscht, die eigentlich nichts anderes sagt als der Meinungs-Mainstream, hat mit unseren Erwartungen an Pop(-musik) zu tun. Da liegt die Deutsche Stimme (die NPD-Zeitung, nicht das ZDF) mit ihrer Analyse ganz richtig. Aber wenn die Linke verloren gegangenen kulturellen Einfluss wieder zurückgewinnen möchte, reicht kollektives Mia-Bashing nicht aus.

Wären Mia nicht in den nationalen Haufen getreten und nun für ein paar Wochen von einem üblen, aber am Ende wahrscheinlich nur Bekanntheit fördernden Geruch umgeben, würde man sie ohne zu zögern in einem Atemzug nennen mit einer anderen Berliner Band: Wir sind Helden, die kein Problem damit haben, auf einem Rio-Reiser-Tribute-Sampler gemeinsam mit Joachim Witt aufzutreten. Im Tagesspiegel beantwortet die Sängerin der Band die Frage, ob sie denn links wäre, mit einem entschiedenen »Ja« – und beweist das mit ihrer Begeisterung für Joschka Fischer: »Ich habe Respekt vor ihm. Er bewegt sich souverän im Feld zwischen Konsequenz und Machbarkeit. Und er hat sich, glaube ich, doch nicht so weit von dem entfernt, was ihm wichtig ist, wie viele denken.« Auf den Einwand des Interviewers, »oft wird ihm vorgeworfen, er habe sich stark gewandelt«, antwortet sie: »Die alten Linken sollen froh sein, dass man ihn hat!« Warum denn? Kosovo und Afghanistan, Hartz und Hanau – war da was? Achtzig Prozent der Wähler sind bezüglich Fischer der gleichen Meinung. Die CDU-Wähler inklusive. Die Sängerin der Helden braucht also keine Angst haben, dass ihr radikales Bekenntnis Plattenkäufer verscheucht.

Auch sonst könnte man Einiges an Wir sind Helden kritisieren. Vom Schlager-Exotismus in »Aurelie« bis zu uneingelösten Versprechungen in ihren Texten wie: »Hol den Vorschlaghammer. Sie haben uns ein Denkmal gebaut. Und jeder Vollidiot weiß, dass das die Liebe versaut. Ich werd die schlechtesten Sprayer dieser Stadt engagiern. Die sollen nachts noch die Trümmer mit Parolen beschmiern.« Bei der Echo-Verleihung haben die Helden den Vorschlaghammer zu Hause gelassen. Das sind zwei paar Schuhe – das gefühlte Links-Sein auf der einen Seite, dass sich darin äußert, dass man Ausländer mag und die elektrische Gitarre mit Ökostrom powert. Was ja ein echter Zugewinn ist und deshalb nicht abgewertet werden soll. Auf der anderen Seite eine Musik, von der die Macher nie behauptet haben, dass sie etwas anderes sei als Unterhaltung – gewürzt mit etwas Konsumkritik, als grüne Verbraucherberatung in Zeiten, wo angeblich alle den Gürtel enger schnallen müssen. Weswegen man ihnen auch nichts vorwerfen kann. Im Gegensatz zu Mia, die mit ihrem neunen Nationalgefühl mehr sein wollen als eine Schlagerband.

Warum erwartet man aber von einer Band mehr, als den Diskussionsstand der Szene zu dokumentieren, aus der sie kommen? Die Scherben waren auch nur so lange gut, wie die Musik von einer entsprechenden Praxis begleitet war – vom Rauch-Haus bis zu Brühwarm. Die Scherben dachten auch über andere Formen der Verbreitung ihrer Musik nach. Das eigene Label könnte man in der Rückschau als Existenzgründung bezeichnen. Keine bessere Firma – nur kleiner. Interessanter ist da schon die Idee der Flugplatten. Da gab es Anfang der Siebziger z.B. anlässlich einer Kampagne gegen die Erhöhung der BVG-Fahrpreise billig produzierte Flexi-Disks. Auf der einen Seite »Mensch Meier«, auf der anderen Interviews. Billig produziert war das zwar – aber auch so was ist nicht umsonst. Das nötige Geld dazu verschafften die Kollegen vom 2. Juni, indem sie einen nicht ganz freiwillig gewährten »Bank-Kredit« vermittelten. Wenn Mia naiv und nicht ganz unbedenklich vom Tauschhandel träumen, könnten sie doch mal ihre eigene Praxis diesbezüglich überprüfen. Das hungrige Herz will aber erst mal nach oben. Dabei gibt es durchaus interessante Entwicklungen, wie z.B. musikalische Internetkollektive, die ihre Musik kostenlos als Download verbreiten oder als CD-Rs und die durch das Austauschen von Tracks, die weitergereicht und ergänzt werden, auch das durchaus fragwürdige Konzept von Autorenschaft und Urheberrecht in Frage stellen. Die Helden würden dazu sagen: »Wir müssen nur wollen.«

Nach 40 Jahren im Musikgeschäft weiß ich, dass der Besitz einer Gitarre nicht automatisch zu höheren Einsichten führt. Trotzdem stehen die Journalisten Schlange, weil sie etwas von einem wissen wollen. Ende der Sechziger erzählte Irmin Schmidt, der Keyboarder von Can, in einem Interview, klar, sie wären Sozialisten, wollen sich aber nicht weiter dazu äußern, weil es die Strategie der Fernsehsender wäre, Musiker, die dafür nun mal nicht ausreichend qualifiziert wären, abzufragen nach fertigen Konzepten, nur um diese dann als unausgegoren zu denunzieren. Der Erfolg einer Band wie Wir sind Helden beruht nun darauf, dass sie musikalisch wie textlich ihrem Publikum von vorneherein keine neuen Konzepte, sondern eine wohlige Bestätigung liefern – wir sind wie ihr. Wenn Mia erklären, sie wollten etwas für eine »neue Identität« tun, ist das Quatsch. Ihr Erfolg beruht darauf, die vorhandene Identität zu bestätigen. Diese Bestätigung äußert sich auch musikalisch. Und das nicht erst durch Mias gänzlich unironischen Versuch, mit Blasmusik die Brücke zwischen Musikantenstadl und Techno zu schließen, wie bei ihrem letztjährigen Auftritt auf der Loveparade. Es ist vielleicht kein Zufall, dass sie im Gegensatz zu z.B. Jan Delay und seiner Orientierung an Dub und Hiphop, einen Aufguss der Neuen Deutschen Welle präsentieren. Dort wurden schon in den Achtzigern Stimmen laut, die diese von allen schwarzen Rock’n’Roll-Wurzeln befreite Musik als bewusste deutsche Identititätsfindung sahen.

Als Musiker bin ich immer etwas enttäuscht, wenn sich Lob oder Kritik einer Band als »Literaturkritik light« ausschließlich an den Texten aufhängt. Bei den frühen Konzerten der Scherben hat man vom Gesang so gut wie nichts gehört – und die Wirkung war trotzdem gewaltig. Beim Hören wirkt zuerst die Musik an sich. Und wenn dort vertraute Strukturen signalisieren, hier ist alles so, wie es immer war, erlahmt die Aufmerksamkeit, weil das Gehirn nichts Neues erwartet. Leicht verpufft da ein neuer Gedanke, der im Text enthalten sein mag. Mitsingen ist nicht automatisch mitdenken – was ja bei manchem populären Song auch ganz gut so ist.

Vielleicht sollte man einfach aufhören, von Leuten, die uns Lebenshilfe und Welterklärung in drei Strophen liefern wollen, allzu viel zu erwarten. Von uns erwarten diese Leute doch auch nichts – außer dass wir ihre Platten kaufen. Da aber möchte ich an einen Rat von Judith Holofernes, der Sängerin von Wir sind Helden, erinnern: erst mal darüber nachdenken, ob man die auch wirklich braucht. Immerhin zeigen Mia und Wir sind Helden mit ihren eher hilflosen und zum Teil schrecklich falschen Antworten, dass in der Musik überhaupt wieder Fragen gestellt werden. Womit ich wieder beim Anfang wäre: Die Party ist vorbei. Wie aber nun weiter? Vielleicht kommen ja bald Musiker mit besseren Antworten. Das muss andere Formen der Musik und des Musizierens mit einschließen. Mich jedenfalls überzeugt die Einteilung nicht : Mia sind die Bösen, die Anderen sind die Guten – und die Anderen machen dabei dieselbe Musik wie Mia, singen dazu aber: »Haut die Bullen...«

Der Autor war der erste Schlagzeuger von Ton, Steine, Scherben