LeserInnenworld

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Jungle World 28/04: Wer macht die Macht?

Kein Bekenntnisritual

Viele Einschätzungen des Autors Roger Behrens teile ich nicht, u.a. die These einer »Depotenzierung der Gesellschaftskritik«, die die Foucault-Rezeption für die Linke nach sich ziehe, aber darum geht es mir gar nicht, sondern eher um etwas wesentlich »Grundsätzlicheres«. Richtig geärgert habe ich mich nämlich über eine ignorante Dreistigkeit, die mich doch in dieser Form überrascht und so provoziert hat, dass ich euch darauf hinweisen wollte. Der Artikel endet nämlich mit der für mich unsinnigen Annahme, Foucault habe in seinen späten Arbeiten ein »Bekenntnis zum Humanismus« abgelegt (ich lasse jetzt mal ganz beiseite, dass es besonders komisch ist, einem Autor wie Foucault dies zuzuschreiben, der »Bekenntnisrituale« eingehend untersucht und kritisiert hat). Ein frühes Zeugnis dieses »Bekenntnisses« sieht Behrens in einem Text von 1966, hier zitiert er Foucault, dem es um folgendes gehe: »Den Menschen zu retten, den Menschen im Menschen zu entdecken«. Damit endet der Artikel, das ist ein schönes und versöhnliches Ende, das Foucault in die Tradition des Humanismus zurückholt – leider hat der Autor aber offenbar nicht weiter gelesen. Hätte er das getan und vollständig zitiert, dann stünde da zu lesen (s. Foucault, Schriften I, S. 668): »Den Menschen zu retten, den Menschen im Menschen wiederzuentdecken usw., das ist das Ziel all dieser geschwätzigen, zudem theoretischen und praktischen Unternehmungen, zum Beispiel des Versuchs, Marx und Teilhard de Chardin zu versöhnen (solche von humanistischen Vorstellungen triefenden Unternehmungen verdammen die intellektuelle Arbeit seit Jahren zur Unfruchtbarkeit …).« Von mir aus kann man ja sagen, dass Foucault immer Humanist war oder wieder geworden ist, dafür mögen sich Belege finden, aber zumindest sollte man richtig bzw. vollständig zitieren. So viel als kleine und verspätete Rückmeldung auf einen längst erschienenen Artikel.

thomas lemke

Jungle World 38/04: Unmögliche Dialektik

Sitzen geblieben

In der großen linken Tradition möchte ich ein wenig rummosern und selbstzerfleischen. Der Artikel enttäuschte die Mainstream-Hasser keineswegs. Die Analyse, die Hartz-IV-Demos seien »anti-emanzipatorisch«, »reaktionär« und »völkisch«, ist hohl und leer – denn was soll an dieser Analyse neu sein? Mit dem Monolith Hartz-Demo kann man nichts anfangen: »Hineinzuwirken gibt es da nichts.« Und genau da ist der Hund begraben. Ist in dieser Bewegung gegen die Agenda was drin oder nicht? Auch wenn Kritik mit Adorno an sich schon reicht, um zu verändern, dann ist diese formulierte Kritik so wenig fantasievoll und mausgrau, wie man die Demonstranten haben will. Neben allem Pipapo gibt es auch für die Elite neben dem Volk den interessanten Aspekt: »Was tun?« Der Fan-Club des ewiggleichen sich im Kreisdrehens und des sich auf die Schulterhauens, weil man es endlich geblickt hat, kann seine Protokolle endlos fortsetzen – allein mich reißt es nicht mehr vom Hocker.

marcus