Post von Hartz

raucherecke

Als ich aus dem Urlaub nach Hause komme, finde ich im Briefkasten einen Umschlag mit einem Absender, der selten Gutes verheißt. Was will das Sozialamt von mir? Mein nächster Termin ist erst in zwei Wochen. Dieser dicke Packen kann nur bedeuten, dass ich mal wieder Formulare ausfüllen muss. Genervt reiße ich den Umschlag auf. Der Schrecken bekommt einen Namen: Hartz.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich meinen offiziellen Status erfolgreich verdrängt. Ich bin eine erwerbsfähige Sozialhilfeempfängerin. Also her mit dem neuen Alg II oder wie das auch immer heißt. Hauptsache, ich bekomme es. Meine Bedürftigkeit ist schon lange amtlich bestätigt. Was wollen die denn noch von mir wissen? Fuck und Hölle. Das erste Feierabendbier trinke ich übermäßig schnell, unterbrochen nur von kurzen Flüchen. Ich werfe einen Blick auf das Merkblatt. O.k., denke ich, Zeit für ein Herrengedeck. Zum »Büble Bier« einen großen Whiskey.

Sechs Seiten zum Merken sind definitiv zu viel, um sich rasch einen Überblick zu verschaffen. Die diversen Zusatzblätter haben den Umfang einer Seminararbeit. Also lege ich sie beiseite und mache mich gleich ran an das wirklich Wichtige: »Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem zweiten Buch Sozialgesetzbuch«. Anzugeben sind Dienststelle, Referenznummer, Nr. der Bedarfsgemeinschaft, Org. Einheit. Ich denke: Geht’s noch? Ich hatte mit Fragen nach Name, Straße, meinetwegen auch Geburtsdatum, Konfektionsgröße und Staatsangehörigkeit gerechnet. Die Entschlossenheit, mich ernsthaft mit dieser Post zu beschäftigen, ist schlagartig dahin. Bin ich im Besitz einer Referenz und wenn ja, welche Nummer hat sie? Lebe ich in einer Bedarfsgemeinschaft? Kann ich mehrere gleichzeitig haben? Wer zählt all diese Dinge? Und was zum Teufel ist eine Org. Einheit? Etwa der moderne Begriff für Gau? Muss ich den Namen meines Blockwarts kennen? Gibt es auch anorganische Einheiten? Oder bedeutet es »organisatorisch«? Fieberhaft überlege ich. Habe ich mich jemals organisiert? Bin ich ein Teil von etwas Größerem, von dem ich nichts weiß?

Die Kombination aus amtlichen Formularen und jeder Menge Herrengedecke beginnt, eine teuflische Wirkung zu entfalten. Doch plötzlich ist er da, der einzig wahre Gedanke. Es kann nur »orgiastisch« gemeint sein. Glücklich und zufrieden gebe ich mich meinen Träumen hin. Künftig hätte ich genug Geld für ein wildes, zügelloses Leben.

uta zimmermann