Von Menschlichkeit übermannt

raucherecke

Die »Metrotram«, wie die angeblich schnellere Trambahn der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) im Hauptstadtjargon neuerdings heißt, ist voll bis obenhin. Eine junge Mutter mit Kind findet keinen Sitzplatz, was ihr aber sichtlich nichts ausmacht, da sie ihre Tochter einfach auf dem Kasten, in dem sich der Feuerlöscher befindet, absetzt. Die Kleine hält sich an den Stangen fest und zappelt vergnügt mit den Füßchen. Hei, das macht Spaß!

Eine ältere Dame kann das nicht mit ansehen. Das geht doch nicht, scheint sie zu denken und bietet der Mutter einen Sitzplatz an. »Nein, lassen Sie mal«, lächelt diese. Davon unbeeindruckt, nimmt die Dame Kontakt mit einer anderen Dame auf, gemeinsam machen sie zwei Sitzplätze frei. Berlin ist eben knorke. Der jungen Frau bleibt nichts anderes übrig, als sich zu setzen, ob sie will oder nicht. Dem Kind missfällt das sehr, es fängt an zu quengeln, wirft sich auf die Sitzbank und heult. »Immer das Gleiche mit dir«, schimpft die Mutter und holt fast zur Ohrfeige aus. Der junge schwarze Mann hingegen, der die Situation verfolgt hat, lächelt das Kind an, um es etwas aufzuheitern.

»Guten Tag, die Fahrausweise bitte«, ertönt es unvermittelt im Kasernenhofton, und die Mutter zuckt schuldbewusst zusammen. »Es tut mir Leid«, sagt sie zu dem Kontrolleur, »aber ich hab’ einfach vergessen abzustempeln, wissen Sie, mit Kind …« Der Kontrolleur sieht unbarmherzig auf die junge Frau hinab, es rumort in ihm, und schließlich lässt er sich völlig unerwartet von seiner eigenen Menschlichkeit übermannen. »Dann stempeln Sie eben jetzt ab. Aber denken Sie das nächste Mal dran.«

Nach diesem Akt des Erbarmens will der Kontrolleur wieder etwas strenger wirken. Wo kommen wir sonst hin? Der Schwarze wird aufs Schärfste kontrolliert. Er ist Student und zeigt seinen Studentenausweis. Das Semesterticket aber ist nur in Verbindung mit dem Personalausweis gültig, den er nicht finden kann. Er durchsucht seine Taschen, kramt Rechnungen, Videotheksausweise und allerlei Zettelwust hervor, nur seinen Perso findet er nicht. Der Kontrolleur beäugt derweil kritisch den Studentenausweis und denkt sich offenbar: Da haben wir es mal wieder, der Schwarze ist schwarzgefahren!

Aber nein, da ist er ja, der Personalausweis! Der Kontrolleur, der bereits den Block gezückt hat, mustert ihn enttäuscht. Er setzt seine Brille auf, dreht und wendet das Dokument und begutachtet es ausgiebig. Da kann es sich der Student nicht verkneifen zu sagen: »Das Schwarze ist die Schrift.« Wie heißt es so schön im neuen Werbeslogan der BVG? »Es lebe Berlin.«

josé maragosa