Die Schönste und ihre Freundin

ich-ag der woche

Sie sind Freundinnen. Die eine, nennen wir sie Heidi, stopft beträchtliche Mengen von Fastfood, Cola und Schokolade in sich hinein, ohne ein Gramm zu viel auf den Hüften zu haben. Natürlich klagt Heidi ständig über ihre Figur, das aber tut sie so laut und so kokett, wie es sich nur Leute leisten können, die wissen, dass ihre Maße traumhaft sind. Heidi geht mit den coolsten Jungs, Heidi steht im Mittelpunkt, Heidi ist begehrt. Anders ihre beste Freundin, nennen wir sie Rosi. Rosi macht eine Diät nach der anderen, quält sich beim Aerobic und wird trotzdem fetter und fetter. Manchmal kapituliert Rosi. In diesen orgiastischen Momenten gibt sie sich hemmungslos der Völlerei hin, wissend, dass sie am Morgen voller Blähungen und Schuldgefühle aufwachen und die nächste Diät beginnen wird. Jeden Abend stellt sich Rosi auf die Waage, in der bangen Hoffnung, die Abmagerungskur möge gewirkt haben. Hat sie aber nicht.

Rosi geht mit Heidi aus, weil sie so zumindest in die Nähe der coolsten Jungs kommt. Doch in ihrer Phantasie hat Rosi ihre Freundin schon tausende Male mit bloßen Händen erwürgt. Heidi wiederum zeigt sich deshalb mit Rosi, weil sie weiß, dass der Kontrast zu diesem fettleibigen, hässlichen Ding ihre eigene Schönheit noch strahlender erscheinen lässt.

Heidi ist schön. So schön, dass sie Geld dafür bekommt, schön zu sein. Jetzt wirbt Heidi sogar für Fastfood, lässt vor laufender Kamera neckisch ein paar Pommes Frites so langsam in sich hineingleiten, dass man jedes Salzkorn zwischen ihren makellosen Zähnen knirschen hört. Rosi sieht die Show im Fernseher, während sie auf dem Hometrainer die Kilometer wälzt, neben sich ein angeknabbertes Salatblatt. »Es kommt auf die inneren Werte an«, flüstert sie sich leise zu. Eine Träne rollt über ihre fleischigen Wangen.

melis vardar