Echt Ghetto

Von den Beginnern aus Hamburg und von Royal Bunker aus Berlin gibt es jeweils eine neue DVD. Ring frei für eine Battle zwischen den beiden HipHop-Städten. von nadja geer

Früher gab es einen Mythos, und der hieß »Indielabel«. Rough Trade galt lange Zeit als das englische Independent Label schlechthin, SST genießt in den USA immer noch Kultstatus, und in Deutschland war lange Zeit alles gut und »Indie«, was in Hamburg und von Alfred Hilsberg veröffentlicht wurde.

Irgendwann in den Neunzigern, als die Majors fleißig kleine Plattenlabels aufgekauft hatten, fand das poplinke Geplänkel über Indie versus Mainstream ein abruptes Ende – um ein paar Jahre später wieder aufzulodern. Doch der Mythos des linken, widerständigen Indielabels hat inzwischen kaum noch etwas mit der Wirklichkeit zu tun. Denn gegen den Kapitalismus oder gegen die Mainstream-Kultur sind die Kleinen mittlerweile nicht einmal mehr pro forma – im Gegenteil, sie sind inzwischen die Trendscouts der Großen und teilweise nur noch deren kreative Brutstätten.

Wer hätte da gedacht, dass nun ein Berliner HipHop-Label den Mythos des Independentlabels neu beleben könnte? Royal Bunker zeigt sich als kämpferische Plattenfirma – und das liegt nicht zuletzt an ihrem Chef, Marcus Staiger.

Natürlich ein Schwabe, denkt man sich, wenn Marcus Staiger zu Beginn der gerade erschienenen Royal Bunker-DVD »Gegen die Kultur« nicht ohne Larmoyanz erzählt, wie alles angefangen hat, in einer stinkenden kleinen Kellerbar in Kreuzberg 61 namens Royal Bunker. Doch die Zweifel gegenüber Staiger verflüchtigen sich, wenn einem klar wird: Ohne ihn und seinen schwäbischen Idealismus wäre die Berliner HipHop-Szene um einiges unorganisierter – und wahrscheinlich auch sehr viel weniger erfolgreich.

Klar, als das Aufstiegslabel des deutschen HipHop schlechthin gilt inzwischen Aggro Berlin – spätestens seit Sido mit seinem Debütalbum »Maske« im vergangenen Jahr von null auf Platz drei der deutschen Albumcharts eingestiegen ist. Aber Sido und dessen beinharten Rap aus dem Märkischen Viertel würde es gar nicht geben ohne Royal Bunker. Denn auch Sido gehörte mal zur RB-Posse.

Nicht, dass bei RB aus dem Nichts Superstars auf die Bühne geklettert wären, Rapper wie Kool Savas oder Sido wären schließlich heute keine Stars, wenn es nicht Ende der Neunziger kleine halböffentliche Auftrittsmöglichkeiten für sie in Berlin gegeben hätte. Bei diesen wurde auch die legendäre Berliner Undergroundformation Westberlin Maskulin groß, zu der neben Kool Savas der Rapper Taktloss gehörte. Für so manchen Fan sind die beiden immer noch die »Battlekings« schlechthin.

»Battlerap« ist – trotz aller Emphase, die Royal Bunker in die Vermarktung dieses Stils legt – ganz bestimmt keine Erfindung aus der Hauptstadt. Es gibt ihn schon eine ganze Weile, zwar nicht in Deutschland, aber in den USA. Er gehört sozusagen zum Ursprungsmythos der Rapkultur. Denn Battlen unterscheidet sich nur graduell vom Toasten. Und Toasten ist wiederum nichts anderes als eine – originär der Black Culture entstammende – Oral Culture, bei der sich Männer gegenseitig fertig machen, indem sie die Mutter des Gegners beschimpfen, seine Potenz anzweifeln oder beides. Seit Eminem in dem Film »8 Mile« in der Figur des Rabbit gegen seinen omnipotent erscheinenden afroamerikanischen Gegner antreten musste, weiß auch der Letzte, wie es aussieht, wenn sich zwei MCs battlen. Dennoch ist es lustig, in einem Feature der RB-DVD die verbalen Raufereien von Rappern mal im Roten Salon der Berliner Volksbühne beobachten zu können – mit einem von Royal Bunker gestellten Schiedsrichter, der ständig damit beschäftigt ist, die beiden Kampfhähne, die sich auch körperlich in die Quere kommen, auseinander zu halten

Bei Royal Bunker, dem Label, das anfangs hauptsächlich Kassetten über das Internet vertickte, änderte sich alles, als der ehrgeizige Kool Savas seine Laufbahn begann und zusammen mit den Masters of Rap, also zusammen mit MC Justus und Fumanschu, das Album »NLP« auf den Markt brachte: Plötzlich hing man auch schon mal mit den netten jungen Frauen von MTV an der Spree ab, redete über das neue Video und über viel Geld. Ging es früher um 100 oder 200 DM, die gerecht auf die Posse verteilt werden mussten, ging es jetzt schon mal um 10 000 oder 20 000 Euro. Strukturell änderte sich jedoch nicht viel: Staiger rief, man rottete sich zusammen, stellte irgendetwas auf, kriegte die Kohle und ging dann noch zusammen einen Döner essen.

Aggro Berlin hatte sich dagegen vom System, wie man früher sagte, kaufen lassen. Sido und seine Maske sind Teil einer riesigen Imageindustrie, auf die Royal Bunker keine Lust hatte. Nach einer Viva-Sendung mit Royal Bunker beschwerte sich eine Zuschauerin per E-Mail, die Jungens seien ja gar nicht hart, die sähen ja alle aus wie Abiturienten. Recht hat sie – und jetzt? Hätten sich die talentierten Hardcore-Rapper verkleiden sollen, um dem gerecht zu werden, was sich kleine Mädchen unter »richtig hart« vorstellen?

Das hätten sie vielleicht, wenn sie in das ganz große Geschäft mit den Majors hätten einsteigen wollen. Diese haben Royal Bunker, den Worten eines Viva-Journalisten zufolge, »die Butze eingerannt«. Dagegen meint Marcus Staiger: »Nicht wirklich. Es gab ein sehr verschleiertes Angebot von Race, der damals Sony-Promoter war. Der ruft mich an und: ›Ja, herzlichen Glückwunsch zu deinem Chart-Entry, und wenn du mal Zeit hast, komm doch mal bei Sony vorbei. Dann können wir uns mal unterhalten.‹ Und ich mein’ so: ›Weißt du, Race, nee, ehrlich gesagt nicht – also wenn du jetzt als Race sagst, ich soll vorbeikommen, kann ich das machen, aber als Race von Sony nicht.‹ Darauf wieder er: ›Wie, Staiger, willst’e nicht mal Mercedes fahren?‹ Und dann hab ich halt so gesagt. ›Nee, ist mir scheißegal.‹ Das war’s.« Selbst als das ganz große Geld lockte, verkaufte man sich also nicht an den Major.

Bei Buback, dem Label der Absoluten Beginner in Hamburg, lief es anders. Hier ließ sich gleich das ganze Label von Universal ködern. Schnee von gestern, diese Grabenkämpfe zwischen Majors und Indielabels, mag sich Ale Dumbsky, der Chef des ehemaligen Punkrock-Labels Buback gedacht haben, als er die Kooperation begann. Und überhaupt: Hatten die Sex Pistols nicht auch von Anfang an bei Majors veröffentlicht?

Obwohl Denyo, Jan Eißfeld und DJ Mad von den Beginnern immer wieder betont haben, dass das linke Umfeld, aus dem heraus Buback 1987 entstanden war, unbedingt zu ihrer Musik dazugehört, hatten sie Ende der Neunziger eben keine Lust mehr, weiter auf Hobbybasis zu arbeiten. Sie wollten nicht mehr länger »Perlen vor die Säue« werfen, wie Denyo es auf der ebenfalls kürzlich erschienenen Beginner-DVD »Die derbste Band der Welt« ausdrückt. Außerdem wollte man irgendwann nicht mehr weiter fast umsonst auftreten und beim Veranstalter auf dem Fußboden pennen.

Die Haltung der inzwischen erfolgsverwöhnten Beginner ist nachvollziehbar, trotzdem: Waren Punk und Hardcore, in deren Traditionslinie sich die Jungs doch lange gesehen haben, nicht genau die Subkultur, die auf Independent, also auf Unabhängigkeit gesetzt hatte? Doch längst sind die Beginner Teil der deutschen Kulturindustrie – auch wenn sie sich, smart wie sie sind, als deren Maulwürfe darstellen: Man sagt Ja zu Bravo und Kai Pflaume, aber nur, wenn dabei die eigene Integrität gewahrt bleibt.

Streetcredibility, dieser schon etwas abgewetzt wirkende Begriff aus Zeiten, in denen Pop und Politik noch fruchtbarer ineinandergriffen als heute, war für die Beginner einmal extrem wichtig. Dennoch kommt man nicht umhin, den Berlinern zu attestieren, in Sachen Streetcredibility die Nase vorn zu haben. Die Beginner hatten schließlich immer ihren Mentor, Papi Mathias Arfmann, der sie durch den Dschungel der Trends und des Musikmarktes geführt hat – und sie aufs Land geholt hat, wenn der Trubel einmal zu viel wurde.

Derartiges ist in Berlin einfach undenkbar. Wer in Berlin etwas auf die Beine stellen will, muss es selber machen. Staiger hat das getan, ohne die jahrzehntelange Erfahrung, die Arfmann hatte, der sich schon in den frühen Achtzigern mit den Kastrierten Philosophen einen Namen gemacht hatte.

Streetcredibility bekommt man in Berlin auch nicht, wenn man bloß die richtige Geisteshaltung hat, sondern wenn man wirklich ständig auf der Straße rumhängt – vielleicht, weil einen die kalte Wohnung nervt oder man keinen Bock mehr hat auf Mutter und Schwester, mit denen man die Zwei-Zimmer-Wohnung im Märkischen Viertel teilt.

Die deutsche HipHop-Szene ist derzeit, das machen die Beginner- und die Royal Bunker-DVD deutlich, offensichtlich darum bemüht, ihre Geschichte selbst zu erzählen – bevor andere das tun. Bald werden München, Frankfurt und Stuttgart mit ihrer Sicht der Dinge und eigenen DVDs nachziehen. Apropos Geschichte: Auf Torch, den Politrapper der ersten Stunde, lassen weder die RB-Posse noch die Beginner etwas kommen. Im Gegenteil: Beide Formationen sehen sich irgendwie als die legitimen Nachfolger von Torchs früherer Band Advanced Chemistry. Die Heidelberger Combo war es, die den explizit politischen deutschsprachigen HipHop aus der Taufe gehoben hat. Dafür nochmal von allen Seiten: Respect.

Von etwas, das damals für viel Wirbel gesorgt hat, der von Michael Reinboth 1991 herausgegebenen Compilation »Krauts with Attitudes«, die eine frühe Bestandsaufnahme des deutschen HipHop sein sollte, für viele aber eher dessen Abgesang darstellte, haben die Jungs von Royal Bunker allerdings keinen Plan. Auch nicht von dem von Buback ausgehenden Gegenprojekt »Kill The Nation With A Groove«. Vielleicht weil die Veröffentlichungen dieser Compilations weit zurück liegen, vielleicht aber auch, weil diese Versuche, den deutschsprachigen HipHop unter einem wie auch immer gearteten Nationalgefühl zusammenzuführen, schlichtweg nicht zu ihrem Battle-Stil passen. Während die Hamburger HipHop-Acts von Anfang an ein integrativer Bestandteil deutschsprachiger HipHop-Kultur waren, sind die Berliner schließlich knallharte Einzelkämpfer, denen erst mal alles suspekt ist, gegebenenfalls auch die Nation.

Die Hamburger Rapper verstehen sich gut mit den Stuttgartern und den Münchnern und machen auf Hamburger Familie. Eißfeld, Dendemann, Samy Deluxe, Das Bo, Fischmob – alle zusammen haben sie sogar mal einen Anti-Bravo-Song ins Fernsehen gebracht. Die Berliner dagegen sind alles andere als eine Familie. Sido und Savas haben inzwischen Royal Bunker verlassen und ihre eigenen Labels gegründet, die sich nicht mehr unbedingt mit der ehemaligen Plattenfirma verstehen. Dazu kommt noch Berlins Oldschool-HipHop-Größe DJ Tomekk, der ebenfalls lieber disst und gedisst wird, als einfach mal von oben herab den großen Friedensstifter zu geben.

Subversiv innerhalb der Kulturindustrie kann man nur sein, wenn man sich als handelnde Einheit versteht, davon geht die Hamburger HipHop-Schule aus. Die Berliner können als einzige Widerstandstechnik das schlichte »Dagegensein« ins Feld führen, denn hier battlen schließlich die Außenseiter. Die türkischstämmigen Stars von Royal Bunker können nicht eine Gesellschaft untergraben, die ihnen offiziell noch gar keinen Eintritt gewährt hat.

In dem Vergleich HipHop-Hamburg versus HipHop-Berlin werden also zwei entgegengesetzte Formen gesellschaftlicher Dissidenz sichtbar, die sich aus der Musikkultur dieser beiden Städte erklärt: Wer in Hamburg anti ist, ist es immer auf der Folie kultivierter Bürgerlichkeit. In Hamburg hat sogar die Stillosigkeit Stil. Wer in Berlin dagegen ist, macht das aus dem Brachland des »Ghettos« heraus – und hier sind die besetzten Häuser in Berlin-Kreuzberg in den frühen Achtzigern genauso gemeint wie das Märkische Viertel von heute, aus dem Sido seine negative Energie zieht. Teile Berlins liegen eben immer noch einfach außerhalb der deutschen Mainstream-Gesellschaft.

HipHop, so wie wir ihn aus den USA kennen, ist ein gruppendynamisches Unternehmen. Die riesigen Eastcoast- und Westcoast-Posses, die sich einen Spaß daraus machen, sich gegenseitig auszubooten, sind das beste Beispiel dafür. Auch wenn die erste Single der Absoluten Beginner »Dies ist nicht Amerika« hieß, haben die Hamburger Acts dennoch die Vorbilder aus den USA kopiert und Gruppen, Teams und Familien gegründet, die nun ihre Familienaffären austragen.

Die Berliner dagegen sind erst in die HipHop-Kultur eingestiegen, als sich schon ein ganz anderer Typus von Rapper herausgebildet hatte: der toughe Einzelgänger. Eminem kann man somit als den Paten des Berliner Battlerap bezeichnen. Das Gefühl, vollkommen alleine zu sein, von der Familie und der Gesellschaft nicht akzeptiert zu werden, hat das Selbstverständnis der Berliner HipHopper geprägt. Und der Mythos lautet heute so: So hart wie die Berliner ist sonst niemand.

Die Idee des Widerstands gegen die Kulturindustrie steckt in Berlin also noch viel stärker in den Köpfen als in München oder Köln, während die Hamburger Fischköppe eh rund sind, damit das Denken die Richtung wechseln kann. Berliner Battlerap ist die Sprache der Unterprivilegierten und damit die echte Sprache eines Deutschland mit fünf Millionen Arbeitslosen. Darauf einen Döner.

Royal Bunker: Gegen die Kultur (Royal Bunker), Beginner: Die derbste Band der Welt

(Buback)