Die Nutella-Räte

liebe ware

Produkte, die wir auch nach dem Kapitalismus nicht missen wollen. Als ich neun Jahre alt war, las ich zum ersten Mal das Kleingedruckte auf einem Nutella-Glas. Ich lernte nicht nur Doktor Fresenius kennen, dessen Gütesiegel mir fortan stets die Gewissheit gab, die neue Portion des Brotaufstrichs würde genauso lecker schmecken wie die vorige. Auf dem Etikett war auch zu lesen, dass 100 Gramm Nutella meinen Tagesbedarf an diversen unverzichtbaren Stoffen und Vitaminen quasi deckten. Mir wurde klar, dass ich Nutella nicht nur essen wollte, sondern auch musste. Das Wagnis, schlimme Krankheiten zu bekommen, sollte ich die 100 Gramm einmal nicht schaffen, schien mir zu groß.

Seit jener Zeit ist das lieblich-metallene Geräusch, das entsteht, wenn man mit dem Fingernagel, kleine Löchlein in die goldene Folie unter dem Deckel bohrt, Musik in meinen Ohren. Ich habe Mitleid mit Kindern oder Erwachsenen, die herkömmliche Nussnougatcremes mit dem Namen »Nutella« bezeichnen und meinen, das sei doch das Gleiche. Wer in einem fast vollen Glas herumstochert bis zum Boden, die zarte Schokoladenlandschaft zerstört und den Rand des Glases beschmiert, so dass sich dort eklige Klümpchen bilden, oder wer gar die geschmeidige Masse im Kühlschrank zu einem harten Brocken stocken lässt, erregt meinen Zorn.

Die trotz Globalisierung ungleiche Verteilung dieser Köstlichkeit auf der Welt wird früher oder später zu Aufständen und zum Sturz des Systems führen. Nutella-Räte werden solche Notstände in der Zukunft zu verhindern wissen.

regina stötzel