Güzel Militan

ich-ag der woche

Sie gehört zu jenen Menschen, die eigentlich Romanhelden sind und sich nur unter bedauerlichen Umständen ins wirkliche Leben verirrt haben. Im Roman kann eine solche Heldin sinnlich, verwegen, radikal und rätselhaft bleiben, ungestört von den Unzulänglichkeiten der Realität. Und so könnte die Geschichte beginnen:

Eines Tages im Januar 1996 werden der türkische Großindustrielle Özdemir Sabanci und zwei seiner Mitarbeiter im 25. Stock der Sabanci-Holding in Istanbul ermordet, kurz darauf tauchen in der Öffentlichkeit die Namen dreier Verdächtiger auf. Einer von ihnen stellt sich bald darauf den türkischen Behörden und wird später im Knast unter ungeklärten Umständen ermordet, der dritte ist immer noch flüchtig. Doch die Aufmerksamkeit der Medien richtet sich auf die »schöne und eiskalte Terroristin« aus der Revolutionären Volksbefreiungsfront (DHKP-C): Fehriye Erdal.

Im September 1999 wird sie in Belgien gefasst, was die türkischen Medien kurz nach der Verhaftung Abdullah Öcala ns als »zweiten großen Erfolg im Kampf gegen den Terrorismus« feiern. Doch während der Chef der PKK kaum Aussichten darauf hat, seine Knastinsel jemals zu verlassen, müssen die türkischen Behörden weiterhin auf Erdal warten. In der vorigen Woche erklärte sich das Brüsseler Gericht, vor dem sie angeklagt war, als nicht zuständig wegen Mordes. Allerdings steht sie zusammen mit elf anderen mutmaßlichen Mitgliedern der DHKP-C in einem weiteren Verfahren vor Gericht, in dem es um Straftaten geht, die in Belgien begangen wurden.

Der Mord an Sabanci sorgte seinerzeit für Spekulationen, auch Linke hielten es für denkbar, dass die Konterguerilla an der Aktion beteiligt war. Als Indiz dafür galt nicht nur die Tat, die in militärischer Hinsicht alles übertraf, was militante Gruppen in der Türkei je zu leisten vermocht hatten, sondern vor allem das Anschlagsziel. Özdemir Sabancis Bruder, der Konzernchef Sakip, hatte sich Mitte der neunziger Jahre kritisch über die staatliche Kurdenpolitik geäußert und war vom langjährigen Anführer der Grauen Wölfe, Alparslan Türkes, ermahnt worden, sich nicht einzumischen. Wären wir im Roman, könnten wir gespannt dem nächsten Kapitel entgegenfiebern.

melis vardar