Alle lieben Carla

Die Handarbeitssendung mit Carla gehört zu den beliebtesten Formaten des libanesischen Frauenfernsehens Heya. Der kleine liberale Sender wird in allen arabischen Ländern empfangen. Auch in Saudi-Arabien, wo die Werbekundschaft sitzt

Seit Sommer 2002 sendet Heya, ein Fernsehsender für Frauen, von Beirut aus sein Programm in die gesamte arabische Welt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten ist der Frauensender durch viel Enthusiasmus zum Erfolgsprojekt geworden. Im Stadtteil Martakla, etwa eine halbe Autostunde östlich von Beirut, hat sich die Redaktion in den unteren drei Stockwerken eines am Hang gebauten Wohnhauses eingerichtet. Rund 50 Mitarbeiter, davon gut 70 Prozent Frauen, produzieren dort das Programm, das klassische Frauenthemen wie Mode und Kochen abdeckt, aber sich auch mit Gewalt in der Ehe, Scheidung und Prostitution befasst.

Marie Badine Abou-Samah hat zusammen mit ihrem Mann Nicolas den Frauenkanal Heya gegründet.

In letzter Zeit sind bei Ihnen viele Journalisten ein- und ausgegangen.

Ja, es waren einige da. Aus arabischen Ländern und auch aus Europa. Erst kürzlich kam ein Reporter von der französischen Marie Claire. Aber fragen Sie mich nicht, woher das plötzliche Interesse kommt.

Es liegt wohl daran, dass Sie mit Heya Erfolg haben.

Heya gibt es seit drei Jahren. Wir sind also ein noch ganz junger Fernsehsender. Ja, Erfolg haben wir. Heya wird in der ganzen arabischen Welt gesehen.

Es wird von 15 Millionen Zuschauern gesprochen?

Ja, in dieser Größenordnung.

Haben Sie genaue Zahlen?

Die 15 Millionen beruhen auf Schätzungen. In Saudi-Arabien wurde eine Untersuchung durchgeführt. Dort haben wir 3,4 Millionen Zuschauer. Dann rechnet man eben auf alle 22 arabischen Länder hoch.

Solche Zahlen müssen sich doch auch finanziell auswirken.

Sollte man meinen, aber es ist nicht ganz so einfach. Den Agenturen und Firmen, die Werbespots schalten, ist es egal, ob man im Jemen oder in Ägypten, wo wir auch sehr populär sind, viele Zuschauer hat. Saudi-Arabien ist der Kernmarkt, der als Maßstab gilt. Dort ist das Geld.

Hängen lokale Präferenzen nicht auch von den Produkten ab, die man verkaufen will?

Momentan nicht. Wer Parfüm von Chanel oder Guerlain verkaufen will, sucht eine Kundschaft, die es auch kaufen kann. Im Jemen und in Ägypten gibt es nicht so viele Frauen wie in Saudi-Arabien, die sich solche Produkte leisten können. Man sagt sich eben, die billigen Produkte verkaufen sich von selbst. Man will Luxusprodukte an die Frau bringen. Zudem gibt es viele kulturelle Unterschiede, die man bei Werbespots beachten muss, wenn es nicht um Luxusprodukte geht. In Marokko funktioniert Werbung anders als in Jemen oder Saudi-Arabien. Chanel-Werbung versteht jeder, der Geld hat.

Heya ist also ein Fernsehsender für die Mittelklasse und aufwärts? Ein Elite-Sender?

Nein, nein. Zu unserer Klientel gehören auch die Frauen der Mittel- und Oberschicht, aber wir sind ein Sender für alle Frauen. Wir sprechen hier nur über Werbekategorien. Unser Programm ist aber nicht auf reiche Frauen ausgerichtet, sondern mehrheitlich für diejenigen, die kein Geld haben. Unsere Botschaft ist das Wichtigste. Wir wollen die Frau der arabischen Welt ermutigen, ihre passive Rolle in der Gesellschaft abzuschütteln. Wir wollen ihr ein positives Gefühl vermitteln, sie soll aktiv werden, statt untätig zuhause zu sitzen.

Wie funktioniert das, wenn man die Werbekunden in Saudi-Arabien will, aber ein Programm macht, das alle Frauen der arabischen Welt ansprechen soll?

Wir machen kein Programm für Saudi-Arabien, das wäre absurd. Konzessionen an wirtschaftliche Gegebenheiten werden nicht gemacht. Unsere Zuschauerzahlen wären in Saudi-Arabien wesentlich höher, wenn wir ein spezielles Programm für dieses Land machen würden. Keine unserer Moderatorinnen ist verschleiert und wird es auch nicht sein. Wir sind kein saudi-arabischer, sondern ein libanesischer Sender. Wir wollen die arabische Frau auf ein internationales Niveau bringen. Sie soll an den Diskussionen über Themen teilnehmen können, die im Rest der Welt geführt werden.

Was sind das für Themen?

Heya spricht über Beauty und Kinder wie auch über Scheidung und Sorgerecht. Themen, über die auch die französische oder die deutsche Frau spricht.

Das Sorgerecht ist gerade in arabischen Ländern ein großes Problem, da der Vater automatisch das Verfügungsrecht über seine Kinder bekommt.

Ja, das muss geändert werden. Wir unterstützen im Libanon einen neuen Gesetzentwurf. Ein Junge soll mindestens bis zum 13. Lebensjahr bei der Mutter bleiben, ein Mädchen, bis es 15 Jahre ist.

Ist die europäische Frau das Vorbild für Heya?

Nein, nein. Wir wollen die arabische Frau nicht europäisch machen. Sie soll nur ein wenig mehr Selbstbewusstsein bekommen und wissen, was im Rest der Welt vor sich geht.

Der Libanon unterscheidet sich politisch und religiös deutlich von den anderen arabischen Ländern, die diktatorisch und islamisch geprägt sind. Wie macht man da als libanesische Christin ein übergreifendes Programm?

Ach, das ist ganz leicht. Wir machen einfach, was wir wollen, was wir für richtig halten. Wenn Vatertag ist, dann wird in unserem dreistündigen Morgenprogramm »Von Tag zu Tag« über die Rolle des Vaters in der Familie gesprochen. Da geht es um soziale Einordnungen, nicht um Politik oder Religion. Indirekt natürlich schon. Gestern hatten wir eine Sendung über Musik im Unterricht für Kinder.

Ein sehr heikles Thema, da für einige orthodoxe Moslems Musik ein Tabu ist.

Ja, allerdings. Aber wir haben nur gezeigt, wie sinnvoll Musik beim Lernen und im Kunstunterricht sein kann. Oder wie Klavierspielen hilft, die Intelligenz der Kinder zu fördern.

Gab es Beschwerden über Heya?

In den drei Jahren, die wir nun existieren, gab es eine einzige ablehnende E-Mail aus der gesamten arabischen Welt, worin wir als blasphemisch bezeichnet wurden.

Was ist denn die beliebteste Sendung von Heya?

Das ist Handarbeiten mit Carla. Jeden Tag gibt sie morgens zehn Minuten lang eine Art Handarbeitskurs. Da gibt es tausende von E-Mails: Wir lieben Carla.

Gibt es eigentlich viele Fernsehsender für Frauen?

So viel ich weiß, gibt es zwei in den USA, wovon einer ein lokales Programm ist. In Frankreich ist der dritte, den ich kenne.

Sie sagten vorher, man müsse die arabische Frau auf internationales Niveau bringen.

Ich mag diesen Ausdruck eigentlich gar nicht. Es gibt so viele Schätze in dieser verborgenen Gesellschaft der Frauen, die wir hervorholen wollen. Diese Frauen haben vielleicht alles, was man zum Leben braucht, wir aber wollen ihnen helfen, eine Tür zu öffnen, sich künstlerisch oder wie auch immer auszudrücken.

Verstehen Sie das als Emanzipation der Frau?

Ja, natürlich. Emanzipation kann man vom Zentrum der Gesellschaft aus betreiben, dann ist es allerdings sehr politisch. Wir beginnen ganz außen und dringen langsam ins Zentrum vor. Das wird Jahre dauern, aber ich hoffe, andere werden diese Idee aufgreifen und ähnliche Projekte in dieser Richtung machen.

Sie wollen Selbstbewusstsein vermitteln?

Ja, man muss zeigen, dass die Frau ein Partner in der Gesellschaft ist. Bis heute ist sie kein Partner, sondern ein passiver Zuschauer. Wir wollen sie zu einer aktiven Angehörigen der Gesellschaft machen.

Wie beurteilen Sie die Situation der Frau im Libanon?

Wir sind emanzipierter als im Rest der arabischen Welt. Fast 40 Prozent der Frauen hier gehen zur Arbeit.

Was aber nicht unbedingt ein Zeichen für Emanzipation ist.

Doch, natürlich. Arbeit macht unabhängig. Wenn ich mein Gehalt habe, muss ich nicht meinen Mann fragen, wenn ich verreisen will. Ich habe mein eigenes Geld.

Vorausgesetzt, es gibt vernünftige Gehälter. Mit 400 Dollar im Monat ist nicht viel mit Reisen und Unabhängigkeit.

Da haben Sie Recht, aber das ist wieder ein anderes Problem.

Wer beschließt eigentlich das Programm bei Heya?

Das machen wir alles in Teamwork. Wir produzieren täglich ja nur acht Stunden Programm, wovon unser Hauptprogramm »Von Tag zu Tag« bereits drei Stunden umfasst. Dazu gibt es noch eine Talkshow, Modesendungen, Handarbeiten mit Carla, eine Kochsendung und Seifenopern aus Südamerika, die beim arabischen Publikum sehr beliebt sind.

Die Morgenshow wird mit »Oprah« in den USA verglichen.

Ich verstehe zwar nicht ganz, warum, aber das ehrt uns natürlich.

Acht Stunden Programm sind nicht viel.

Anfang 2002 waren es nur sechs Stunden. Fernsehproduktion ist eben sehr teuer. Das Programm wird dreimal wiederholt, damit wir auf 24 Stunden Sendezeit kommen.

Wir haben herausgefunden, dass das den unterschiedlichen Tagesrhythmen der Frauen in den unterschiedlichen Regionen entgegenkommt. Am Golf bleiben die Frauen bis spät nachts auf und gucken Fernsehen. Im Maghreb werden wir dagegen am Nachmittag gesehen. Aber, wie schon gesagt, die Produktion von Sendezeit ist sehr teuer, und momentan können wir uns noch nicht mehr leisten.

Trotz des Publikumserfolgs trägt sich Heya nach drei Jahren noch nicht?

Nein, leider nicht. Wenn wir gewusst hätten, dass alles so schwierig wird, ich weiß nicht, ob mein Mann und ich das dann gemacht hätten.

Sie haben alles mit Ihrem privaten Kapital finanziert?

Ja, alles. Da ist sehr hart, das können Sie mir glauben. Manchmal können wir unsere Mitarbeiter nicht bezahlen, die aber trotzdem zur Arbeit kommen. Jetzt wird es aber besser, wir bekommen einige Werbespots. Für mich und meinen Mann bedeutet es eine permanente Überbelastung, da wir so viel wie möglich selber machen müssen. Wir können niemanden bezahlen.

Wurde der Sender für Frauen am Anfang nicht in der von Männern dominierten Gesellschaft belächelt?

Ich kann mich noch gut erinnern, als wir verschiedene Gynäkologen zum Interview einladen wollten und lauter Absagen bekamen. Heya, was soll das sein? Kennen wir nicht. Heute ist das mittlerweile umgekehrt. Die Ärzte rufen uns an und beschweren sich, dass sie nicht eingeladen werden. Sie wollen ins Fernsehen, das von so vielen gesehen wird.

Gibt es Angebote, den Sender zu kaufen?

Ja, da gab es mehrere Offerten. Zurzeit verhandelt mein Mann mit saudi-arabischen Partnern, für die wir uns entschieden haben. Wir werden 40 Prozent der Firma verkaufen.

Fürchten Sie da nicht inhaltliche Einmischungen?

Bei 40 Prozent Anteil ist das ausgeschlossen. Außerdem geht es den Saudis nur darum, Geld zu machen. Die wollen nicht über Islam oder Politik diskutieren, an Inhalten sind die nicht interessiert. Geld zählt und sonst nichts.

Es gibt also einen finanziellen Schub für Heya. Was wird sich dann ändern?

Das ist wie die Frage, was tun, wenn man im Lotto gewonnen hat. Wir werden wahrscheinlich unsere Sendezeit um eine Stunde aufstocken, aber in jedem Fall wird aus Beirut live gesendet. Bisher wurden alle Sendungen ein, zwei Wochen vorproduziert und die Bänder nach Ägypten gebracht. Dort strahlt es Nilesat dann aus. Ein Link zum Satelliten im Libanon kostet 250 000 Dollar, das war uns bisher viel zu teuer. Dann können endlich die Zuschauer anrufen, und wenn es Probleme mit der Übertragung gibt, dann kann man den unschönen schwarzen Bildschirm vermeiden.

Neue Programme?

Da gibt es viele Ideen, mal sehen, wie viel Geld wir bekommen.

Wird es in Zukunft auch weiter die für die arabische Welt so kontroversen Themen wie Prostitution oder Homosexualität geben?

Natürlich, für uns war und wird es kein Problem sein, auch nicht mit saudi-arabischen Geldgebern. Es kommt immer darauf an, wie man diese Themen aufbereitet. Man muss das eben auf anständige Weise tun, dann kann man alles senden.

Was ist anständig?

Nehmen wir das Beispiel Homosexualität. Man lädt einen Gast ein, von dem man weiß, dass er nicht provoziert. Er wird vielleicht sagen, dass er homosexuell geboren und es das Normalste der Welt ist. Dabei wird er nicht ausfallend und vulgär. Er bleibt höflich und beleidigt niemanden. Hier im Libanon sind wir mit 17 verschiedenen Religionen aufgewachsen. Für uns ist es normal, sich so zu verhalten, dass man die anderen nicht vor den Kopf stößt. Man kennt die Tabus und Normen der anderen Religionen und versucht, sie nicht zu verletzen. Sonst würde man sein Leben und das der anderen zur Hölle machen. Außerdem haben mein Mann und ich die letzten 30 Jahre unzählige Filme für alle arabischen Länder vertont. So wissen wir auch sprachlich, was im negativen Sinn missverstanden werden könnte. Im Golf benutzt man für gewöhnliche Dinge nicht das Wort »großartig«. Nur Gott ist »großartig«. Also vermeidet man in den Sendungen dieses Wort.

Sie entwickeln also einen universalen Code, der in den arabischen Ländern verstanden wird und im jeweiligen kulturellen Umfeld nicht verletzend wirkt?

Ja, genau. Wir wollen höflich zu unseren Zuschauern sein. Wenn ich über Homosexualität spreche, die ein Teil, ein Fakt des Lebens ist, warum sollte ich dabei die Gefühle der Menschen verletzen? Vielleicht gibt es einen medienwirksamen Skandal, das mag sein. Aber das sollen andere machen. Uns ist die Botschaft wichtig, und durch Skandale bleibt nichts davon übrig. Schließlich will man die Menschen dazu bringen, mehr Verständnis, vielleicht sogar eine Akzeptanz so genannter Andersartiger aufzubringen.

interview: alfred hackensberger