Bitte nicht stören!

ich-ag der woche

Wäre ein Vertreter der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften dem französischen Chemiker Yves Chauvin persönlich gegenübergetreten, um ihm mitzuteilen, dass er den diesjährigen Nobelpreis für Chemie erhalten werde, hätte er vielleicht ähnlich reagiert wie seinerzeit Diogenes von Sinope. »Geh’ mir aus der Sonne«, soll der geantwortet haben, als ihn Alexander der Große nach seinem größten Wunsch fragte. Der Philosoph, selbst über weltliche Verlockungen erhaben, war davon überzeugt, nur die Unabhängigkeit des Menschen von seiner Außenwelt könne zur wahren Tugend führen.

Chauvin scheint ein moderner Diogenes zu sein. Die Nachricht über die begehrte Auszeichnung ließ ihn nicht nur völlig kalt. »Peinlich berührt« sei er, sagte er zu Journalisten, die ihn in der französischen Stadt Tours an seinem Wohnort aufsuchten. »Ich möchte jetzt meine Ruhe haben«, fügte der seit wenigen Tagen 75jährige hinzu, der vor allem am Institut Français du Pétrole bei Paris tätig gewesen und vor zehn Jahren in den Ruhestand getreten war. Über seine Entdeckungen habe er sich gefreut, aber das sei bereits Jahrzehnte her.

Chauvin teilt sich den Preis mit den amerikanischen Forschern Robert Grubbs und Richard Schrock, die sein Verfahren zur Herstellung wichtiger chemischer Katalysatoren, die so genannte Metathese, weiter entwickelten. Es gehöre zu den wichtigsten der Chemie, begründete das Nobelpreiskomitee Mitte voriger Woche die diesjährige Preisvergabe. Diverse Arzneien, Pflanzenschutzmittel und andere Stoffe, die auf Kohlenstoffverbindungen basieren, konnten auf diese Weise hergestellt werden.

Zur feierlichen Übergabe des Preises Anfang Dezember in Stockholm will Chauvin nicht anreisen. Beneidenswert, wer im Leben solche Ruhe findet. »Wäre ich nicht Alexander, wollte ich Diogenes sein«, soll Alexander gesagt haben, während er dafür sorgte, dass Diogenes wieder von der Sonne beschienen wurde.

regina stötzel