»Stockreaktionär bin ich geworden«

Element Of Crime hat mit »Mittelpunkt der Welt« eine neue Platte veröffentlicht. Ein Gespräch mit sven regener über Herrn Lehmann, Musik und das Leben auf Tournee

Sven Regener, seitdem 2001 mit »Romantik« die letzte Platte Ihrer Band Element Of Crime erschienen ist, haben Sie zwei Bücher veröffentlicht, »Herr Lehmann« und »Neue Vahr Süd«. Hat sich die eigene Sprache verändert, seit Sie mit solchen Textmengen arbeiten?

Weiß ich nicht. Kann ich nicht sagen. Zwei Bücher, das war viel Zeug, viele Wörter, aber ob mir das beim Songschreiben geholfen hat, weiß ich nicht. Die Songtexte für unser neues Album »Mittelpunkt der Welt« gingen mir ausgesprochen leicht von der Hand. Das hängt aber vielleicht auch daran, dass ich vier Jahre lang keine neuen gemacht habe. Überhaupt ging dieses Mal alles ganz leicht.

Aber die Frage war eine andere: Hat sich Ihre Sprache verändert?

Auf einen Song wie »Delmenhorst«, unsere neue Single, wäre ich vielleicht nicht gekommen, wenn ich mich nicht so ausführlich in meinen beiden Büchern mit Bremen beschäftigt hätte. Delmenhorst liegt ja bei Bremen.

Sie haben nicht das Gefühl, dass Ihnen das Schreiben beispielsweise heute leichter von der Hand geht?

Das zweite Buch, also »Neue Vahr Süd«, ging mir nicht leichter von der Hand als das erste Buch. Die Hürde, um reinzukommen, war relativ hoch. Weil die Geschichte schwierig war.

Was war an der Geschichte schwierig? Sie erzählen die Geschichte von Herrn Lehmann, bevor er in Berlin-Kreuzberg gelandet ist.

Nein, es war ein nicht ganz einfaches Buch, weil es in zwei verschiedenen Welten gleichzeitig spielt. Und das ist sehr schwer zu wuppen. Aber Songtexte… das ist ja eine ganz andere Übung. Da existiert immer zuerst die Musik. Dann erst kann ich rhythmisch drüber schreiben. Der Reim spielt auch eine große Rolle. Entscheidend beim Schreiben für die Musik ist, dass die Band gut drauf ist. Und das war sie dieses Mal.

Sind Sie über den Erfolg der letzten vier Jahre überrascht? Sie konnten ja nicht wirklich wissen, dass Sie die Sprache Ihrer Leser und Hörer sprechen, dass Sie deren Gemütslage so punktgenau treffen würden.

Ich war überrascht über den Erfolg der beiden Bücher. Das war wie ein Sechser im Lotto. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und was die Band anbetrifft: Seit unserem Album »Damals hinterm Mond« wussten wir eigentlich, dass wir auf einem Nerv sitzen, dass wir da etwas getroffen hatten, was die Menschen extrem kickt. Der Rest sind Zahlen.

Bevor man auf dem Nerv sitzt, trifft man ihn. Erinnern Sie sich noch, wie Ihnen bewusst wurde: Ich bin auf die Goldader gestoßen…?

Das war 1989, als wir das Lied »Der Mann vom Gericht« gemacht haben. Das war der einzige deutschsprachige Song auf dem Album »The Ballad Of Jimmy And Johnny«, das ansonsten englischsprachig war – wie übrigens alle Songs auf unseren ersten drei Alben.

Der Erfolg kam ausgerechnet mit einem Lied über den Besuch eines Gerichtsvollziehers beim Erzähler, der seine Rechnungen nicht bezahlt hat…

Wir haben das Stück dann auch live gespielt. Und die Leute sind regelrecht ausgeflippt. Nicht, dass ihnen die englischsprachigen Songs nicht gefallen hätten. Aber man hat es geradezu seismographisch gemerkt. Die Wörter haben die Leute anders berührt. Das war, als hätten wir gebohrt – und wären plötzlich auf Öl gestoßen.

Sie meinen: Element Of Crime ist seitdem eine Ölpumpe?

Nein, wir sind die vier Leute, die diese Ölquelle gefunden haben. Also, wir wissen, da ist Gold, nein, Öl. Oder Gold. Oder was auch immer. Wir hatten da auf alle Fälle etwas sehr Spezielles gefunden, das die Leute extrem zu kicken imstande war. Also von mir aus: Element Of Crime haben ein Loch gebohrt, und heraus sprudelte schwarzes Gold. Wir konnten da nicht einfach weitergehen. Da ging was.

Passiert Ihnen so etwas öfter?

Das letzte Mal, dass ich das Gefühl hatte, auf eine solche Ölquelle gestoßen zu sein, war die Veröffentlichung von »Herr Lehmann«. Der Erfolg kam ebenso unerwartet wie 1989. Ich möchte das mit einem Single-Hit vergleichen: Man veröffentlicht eine Single, weil man meint, dass dieses gute Stück es verdient hat, veröffentlicht zu werden. Aber dass man mit der Single plötzlich die Nummer eins ist – so etwas plant man nicht.

Nur: Das Schreiben eines Buches bedeutet mehr Arbeit als das Aufnehmen eines Songs.

Ja, gut, Arbeit. Von mir aus. Aber was ist schon Arbeit! An dem Buch habe ich halt ein Jahr lang gesessen. Na und? Ich arbeite ja gerne. Man darf das auch nicht immer vergleichen. Das eine ist anders als das andere.

Haben Sie eigentlich irgendwann damit begonnen, Ihr Publikum systematisch zu bedienen? Es ist ja nicht so, dass Sie großartig experimentieren würden – und Sie kennen Ihr Publikum.

Ehrlich gesagt: nein. Ich versetze mich in niemanden, wenn ich schreibe. Wir haben ein völlig gemischtes Publikum. Männer, Frauen, alle sozialen Schichten, Taxifahrer, viele Teenies neuerdings. Unser Publikum ist kein handelndes Subjekt. Wir könnten unsere Lieder im übrigen auch nicht anders machen. Musik war für mich schon immer eine sehr eigene Welt mit eigenen Gesetzen. Und eines dieser Gesetze lautet: Wenn ich Trompete spiele, gibt es keinen Kontakt zu meinem Publikum. Dann bin ich nur bei mir. Ich lasse das Publikum völlig außen vor.

Aber woran liegt es, dass man mit seinen Melodien Hunderttausende plötzlich mobilisiert? Macht man sich darüber keine Gedanken? Man hat doch ein eigenes Genre erfunden. Und es endgültig durchgesetzt. Man hat doch Spuren hinterlassen. Sie reflektieren diese Rolle nicht?

Ich denke aber nun einmal nicht abstrakt. Man muss den Erfolg als Geschenk hinnehmen. Das nützt ja nichts. Es kann sein, dass dies eine interessante Frage ist, aber ich stelle sie mir nicht. Warum soll ich spekulieren? Viele Leute haben »Herr Lehmann« gekauft. Ob sie es auch gelesen haben, weiß ich nicht. Oder haben gar mehr Leute meinen Roman gelesen, als Exemplare verkauft wurden? Keine Ahnung. Was sollen mir solche Zahlen sagen? Ich frage Sie!

Keine Ahnung. Das habe ich ja gar nicht gefragt.

Genau. Keine Ahnung. Superzahlen. Tolle Abrechnungen. Die sind natürlich geil.

Anders gefragt: Verändert einen der Umstand, dass man für Hunderttausende schreibt und singt?

Nein, ich bin zu alt dafür, dass mich solche äußeren Entwicklungen wie Erfolg noch zu verändern vermögen. Als »Herr Lehmann« abging, war ich 40. Da wundert man sich über nichts mehr. Man nimmt das dann so hin. Was soll man auch sonst machen? Nachts vor Freude im Regen tanzen? Bringt ja nix. Höchstens eine Erkältung.

Verlangt ja auch niemand.

Zugegeben: Finanziell kann ich natürlich jetzt ganz entspannt in die Zukunft schauen. Ist ja klar. Ich kann den Erfolg annehmen wie eine Befreiung, und ich habe auch gelernt, den Erfolg zu achten. Anders gesagt: Ich muss nie wieder Scheiße bauen, um Geld zu haben. Das ist hart erarbeitete Lebensqualität. Aber ehrlich gesagt: Ich habe auch in der Vergangenheit kaum Scheiße bauen müssen, um über die Runden zu kommen. Ich habe eigentlich nie etwas gegen meinen Willen machen müssen. Dabei hat sicherlich eine entscheidende Rolle gespielt, dass Element Of Crime im Grunde von Anfang an eine Band war, die sich viel erfolgreicher entwickelte als die Prognosen.

Sie waren schon Mitte der Achtziger das Gewissen einer Generation?

Das ist etwas, das ich nur allzu gerne abgebe. Damit will ich nichts zu tun haben.

Und was ist das für eine detailgenaue Betrachtung der alternden linksalternativen Generation in Berlin-Kreuzberg, die Sie in »Herr Lehmann« niedergeschrieben haben? Sie schildern dort, wie Leute, die sich einst in Frage gestellt haben, immer geradliniger zu denken beginnen, immer wertkonservativer werden, wenn man so will.

Um an dieser Stelle mal Marx abzuwandeln: Andere sind berufen, die Welt zu kritisieren, ich kann sie nur beschreiben. Mehr will ich gar nicht. Ich habe neun Jahre nachgedacht über diese Bücher und sie dann geschrieben. Ich hatte einfach genug Zeit. So einfach ist das.

Sind Sie selbst konservativer geworden?

Falsche Frage.

Sondern?

Stockreaktionär bin ich geworden. Wenn schon, denn schon. Man soll nicht kleinlich sein.

Meinen Sie das jetzt ironisch?

Nein, in gewisser Hinsicht nicht. Aber ich reagiere nicht reaktionär auf eine revolutionäre Bewegung. Die gibt es ja im übrigen auch gar nicht. Also, von daher nehme ich das jetzt zurück. Ich bin nicht konservativer geworden. Vielleicht ein bisschen. Überhaupt: Stellen Sie die Frage doch mal konkreter! In Bezug worauf soll ich konservativer geworden sein? In Bezug auf Sexualmoral? Oder worauf? Jede Antwort auf eine solche Frage lautet doch immer: teils/teils. Oder von mir aus: Ja, ich bin über die Jahre konservativer geworden. Jeder Mensch wird im Laufe der Jahre konservativer, macht Erfahrungen, fällt auf die Schnauze, macht bestimmte Sachen nicht mehr. Ich brauche mir über Geld keine Sorgen mehr zu machen. Das nützt mir aber nichts beim Songschreiben und auch nichts beim Bücherschreiben. Ich bin jetzt vielleicht ein C-Promi. Aber viel mehr ist da nicht. Warum fragen Sie mich das eigentlich?

Weil Sie in Ihrem Roman »Herr Lehmann« den Protagonisten in ein Milieu eingebettet haben, das einen Wertkonservatismus pflegt, den man im linksalternativen Milieu vielleicht nicht so explizit vermuten würde. Zumindest wird das nicht so häufig angesprochen.

Ich sehe den Herrn Lehmann eigentlich sehr locker. Er verkörpert nichts, er ist kein schlechtes oder gutes Wesen. Mit der Veröffentlichung des Romans habe ich ihn weggegeben, in die Welt. So, wie ich es seit Jahrzehnten mit meinen Songs tue: Auch sie gebe ich hinaus in die Welt, wie Kinder, die erwachsen sind. Seitdem er da draußen ist, wird Herr Lehmann interpretiert. Aber mit mir hat das alles nichts mehr zu tun. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich lese all die Meinungen der Journalisten, die da Dinge hineininterpretieren in den Herrn Lehmann und in Element Of Crime, immer wieder gerne. Und selbst wenn es haarsträubend falsch ist, was da mitunter geschrieben wird: Ich widerspreche dem nicht mehr. Es bringt einfach nichts.

Sind Sie gewissermaßen abgeklärt, weil Sie jetzt 44 sind?

Schauen Sie mal: Wenn du 20 bist, und du verkaufst ’ne Million Bücher, dann drehst du natürlich durch und bist zu nichts mehr zu gebrauchen.

Hat man ja bei einem anderen so genannten deutschen Pop-Literaten gesehen.

Eben. Mit 40 ist diese Gefahr, Erfolg mit Liebe zu verwechseln, einfach geringer. Ich war zu dem Zeitpunkt, als Herr Lehmann durch die Decke ging, bereits zwei Jahrzehnte lang in der Kulturindustrie unterwegs. Zwei Jahrzehnte. Da können einen auch enorme Verkaufszahlen nicht mehr umhauen.

Sie meinen: Nach 20 Jahren Kulturindustrie kann man stolz sein, wenn man nicht zu einem Zyniker geworden ist?

Warum soll man Zyniker werden?

Soll man ja nicht.

Muss man ja auch nicht. Ist ja eine freie Entscheidung, die man trifft. Wir haben ja auch wenig Grund gehabt, Zyniker zu werden. Ich hatte auf alle Fälle 20 Jahre Zeit, mich auf den Erfolg einzustellen. Ich weiß noch: Buchmesse 2001. Ging voll ab. War lustig, für eine Saison der neue Star am Literaturhimmel zu sein.

War das anders, als den Applaus der Vielen auf der Bühne zu erleben?

Ja, ganz anders. Eine ganz andere Welt. Womit die nicht gerechnet hatten: Ich mach’ mich doch nicht zum Pfau. Zum Obst. Die Woche auf der Buchmesse war lustig. Da habe ich Interviews gegeben, Fernsehen war auch da, Autogramme – aber auch da haben wir irgendwann nachmittags das erste Bier aufgemacht. Schon anders waren die Lesungen.

Weil Sie mit einem Mal alleine unterwegs waren?

Stimmt nicht: Ich hatte ja bei der Lesereise meinen Agenten dabei, und auf der Buchmesse war ich gemeinsam mit meiner Managerin. Und irgendwelche anderen Leute hängen ohnehin immer mit um einen herum. So einsam ist man da nicht. Trotzdem stelle ich fest: Lesereisen machen lange nicht so viel Spaß wie mit der Band zu reisen.

Woran liegt das?

Man macht keine Musik. Musik auf der Bühne ist die viel bessere Show. Eine Lesereise ist eigentlich ein Job für einen Schauspieler. Ich bin aber kein Schauspieler.

Falsches Format?

Ich war nie Kunde für Lesungen, aber ich war immer Kunde für Konzerte.

Was macht Konzerte so anders?

Das liegt auf der Hand: die Musik. Und in gewisser Hinsicht: die Unberechenbarkeit. Ein Buch ist geschrieben und fertig. Man kann es dann vorlesen, aber das war es dann auch schon. Musik hingegen will immer wieder gespielt, aufgeführt werden. Das ist ein großer Unterschied.

Haben die Songs ein Eigenleben?

Gut, Sie haben Recht: Das klingt esoterisch. Ich will die Songs spielen. Ich spiele sehr gerne Trompete in dieser Band, Rhythmusgitarre auch. Und ich singe einfach wahnsinnig gerne. Aber warum will ich das? Vermutlich, weil die Songs gespielt werden wollen.

Aber die Band Element Of Crime ändert – obwohl sie längst über ein Archiv von Dutzenden von Liedern verfügt – selten ihre Set List auf Konzerten.

Wenn wir proben für eine Tournee, dann bestimmen wir da auch die richtige Songauswahl – und die richtige Reihenfolge der Songs. Wenn dieses in eine Dramaturgie gebrachte Repertoire gut funktioniert, dann spielen wir es vom allerersten bis zum letzten Konzert genau so. Ohne ein einziges bisschen Veränderung.

Warum legt man sich so fest? Sie könnten ja auch jedes Konzert anders gestalten.

Aber warum sollen wir den Leuten in Bremen ein anderes Programm geben als in Berlin oder Wien? Die Frage ist doch, ob ein Programm funktioniert oder nicht. Außer den Leuten, die uns hinterherreisen, merkt das doch niemand.

Viele Künstler, die so lange dabei sind wie Sie, beginnen, aus ihren Konzerten unvorhersehbare Ereignisse zu machen. Gerade deswegen beginnen die Leute auch, ihnen hinterherzureisen.

Wir sind aber anders. Wir machen Konzerttourneen, bei denen sich nichts, aber auch gar nichts ändert. Dasselbe Programm. Im übrigen vermute ich, dass 90 Prozent aller Konzerttourneen anderer Künstler ebenso angelegt sind. Der Sonderfall ist eher der von Ihnen beschriebene Fall. Bob Dylan ist so ein Sonderfall.

Langweilen Sie sich nicht im Laufe einer Tournee, auf der Sie Abend für Abend das Gleiche spielen?

Nö. Warum?

Das müssen Sie wissen.

Keiner von uns langweilt sich. Die Songs müssen gespielt werden. Sie wollen gespielt werden. Warum soll ich andere Lieder spielen, wenn unser Publikum die Lieder mag? Warum soll ich die Reihenfolge umwerfen, wenn sie funktioniert? Diese Vorgehensweise hat einen enormen Vorteil: Ab irgendeinem Punkt beginnen wir, diese Lieder völlig unbewusst zu spielen. Damit kommen wir der Musik viel näher.

Sie meinen, um ein Zitat von Lenin abzuwandeln: Proben ist gut. Routine ist besser?

Ich meine: Je weniger man darüber nachdenken muss, was man als Mensch auf der Bühne da tut, desto eher ist man in der Musik drin. Je weniger Lampenfieber und Angst man hat, desto mehr ist man in den Songs. Wenn ein Bob Dylan seine Set Lists jeden Abend ändert, dann hängt das sicherlich auch damit zusammen, dass seine Tourneen schon seit Jahren nicht mehr mit irgendwelchen Plattenveröffentlichungen zusammenhängen. Das ist ein anderer Tourneeansatz als bei uns. Wir haben mit einem neuen Album zehn neue Lieder im Schlepptau, und unser Publikum möchte einige dieser neuen Lieder hören. Wir sind auch nicht Grateful Dead, die auf Zuruf aus dem Publikum die Songreihenfolge ändern. Das ist aber ein ganz anderer Ansatz, das hat viel mehr mit Interaktion und Improvisation auf der Bühne zu tun. Solche Dinge spielen aber bei uns keine Rolle. Ich würde nie auf die Idee kommen, jemandem vorzuwerfen, er sei Gefangener seiner Routine, nur weil er immerfort auf den Füßen geht.

Ist die bewusst gesuchte Routine für Sie ein meditativer Aspekt Ihrer Arbeit?

Ja. Jeden Abend das Gleiche zu machen, ist für mich eine gewisse Form von Erfüllung. Im Laufe der Wochen, die an mir während einer Tournee vorbeiziehen, komme ich der Musik immer näher. Man muss auch keine Drogen nehmen und kein Bier trinken. Alles nicht nötig. Genauso wenig wie Lampenfieber. Nicht, dass ich jetzt straight edge leben würde. Aber das Abenteuer Unsicherheit ist nichts im Vergleich zum Perpetuum Mobile einer Tournee, wie wir sie pflegen. Es ist Wahnsinn, wie der Organismus einer Band immer wieder im Laufe weniger Wochen zu einer Einheit perfektioniert werden kann. Wiederentdeckungen und Neuausgrabungen behalten wir uns jeweils für die nächste Tournee vor. Ich bin gespannt, welche Songs das im nächsten März sein werden, wenn wir wieder aufbrechen.

Ist das die Meinung der gesamten Band?

Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns in der Band nicht mehr streiten. Ob das gut ist oder schlecht, vermag ich nicht zu beantworten. Es gibt ja diesen Mythos des kreativen Streits. Ich glaube daran nicht. So, wie ich gestrickt bin, setze ich immer am Ergebnis an, nie beim Prozess. Ich erinnere mich an die allererste Band in Hamburg, bei der ich 1981 als Trompeter mitgespielt habe, das war so ein Zuhause-Projekt. Da haben wir uns unter anderem über die Frage gestritten, ob man als Band befreundet sein sollte. Ich habe dann gesagt: Das ist mir eigentlich völlig scheißegal, Hauptsache, die Musik stimmt. Mir ist es egal, ob einer Bier trinkt oder Veganer ist. Damit war ich eigentlich schon wieder draußen.

Klingt Ihr neues Album »Mittelpunkt der Welt« deswegen so homogen, man könnte auch sagen: gleichförmig?

Finden Sie? Ich kann nur sagen, dass ich nach vier Jahren ein bisschen Angst gehabt hatte, das Songschreiben verlernt zu haben. Aber es ging alles zack, zack. Als sei nichts geschehen. Wir sitzen ja auch nicht rum und drängen die anderen, doch endlich mal wieder ein neues Album in Angriff zu nehmen. Irgendwann kommt der Anruf von einem von uns, und wir stellen fest: Ja, lass uns weitermachen. Mit einem guten Album. Das ist das Ziel. Der Weg ist für mich nie das Ziel gewesen. Das Ziel ist das Ziel.

interview: max dax

Element of Crime: Mittelpunkt der Welt. Universal.

Sven Regener: Neue Vahr Süd. Eichborn, Frankfurt/M. 2004, 550 Seiten, 24,90 Euro