Verbrechen lohnt sich immer

Der Verbrecher Verlag feiert seinen zehnten Geburtstag

Seit zehn Jahren produziert der Verbrecher Verlag »gute Bücher«. Reich wurde er damit bislang nicht, doch seine Veröffentlichungen sind eine Bereicherung für die lesende Menschheit und gehören nach aller Voraussicht dereinst zum Weltkulturerbe. Nach der Gründung ihres Verlags ließen Jörg Sundermeier und Werner Labisch es erst einmal langsam angehen. Sie gaben ein Buch heraus und zogen es hinterher vor, vier Jahre lang Pause zu machen. Doch schon der Titel ihrer zweiten Publikation war Programm (»Installation Sieg«). Von da an ging es stetig aufwärts. Inzwischen umfasst das Verlagsprogramm Sachbücher, Belletristik, Avantgardecomics, Bildbände und T-Shirts. Auch der Markt der neuen Medien soll erobert werden. Inzwischen liegt die erste DVD vor. Die jede Woche in der Hauptstadt abgehaltenen »Verbrecherversammlungen« sind Höhepunkte des literarischen Underground. Hier treffen sich künftige Literaturnobelpreisträger, linke Weltverbesserer und Drogensüchtige. Das diesjährige Herbstprogramm besteht aus einem Button mit dem Firmenlogo.

Autoren und Freunde des Verlags gratulieren. Die Jungle World auch.

Im Erinnerlichen

Zehn Jahre Verbrecher Verlag, eine Dekade, zwei Lustren, man zerteile es, wie man mag – Jörg Sundermeier und Werner Labisch haben allen Grund, stolz auf sich und ihr kleines dressiertes Stinktier »Sergeant Straßburg« zu sein. Und auf ihren Verlag mehr oder weniger auch. Denn wer kennt sie nicht, die Namen, die Projekte: Thor Kunkels lyrisches Hauptwerk »Gesang vom Samenstrang«, Carl Schmitts Limericks, das Lexikon nie heimgekehrter Kriegsgefangener, die dreibändige Walter-Ulbricht-Biographie, der Oberhemden-Atlas, »Ihr Herz ist in Gefahr« von Margarete Schreinemakers, die Thierse-Witze, Westerwelle-Epigramme, Müntefering-Oden, das Klebealbum für Vollautisten und vermischte Schriften von Jeff Foxworthy, Thomas von Aquin, Janet Jackson, Friedrich Schorlemmer, Hasso Grachtmaster, Jürgen Habermas, Klaus Berger, Senta Berger, Hans Moser, Fritz Walter, Richard Rorty, Bruno Batman, Ernst Jünger, Durs Grünbein, Ursula Depperle, Radovan Karadzic, Jean-Luc Godard, Schmoe Uebelbraeg, Bobby Darin, Aimee Mann, Michael Mann, Klaus Mann, Thomas Mann, Heinrich Mann, Hermann Hesse-Mann, Toni Morrison, Jim Morrison, Van Morrison, Morrison Morrison, Ennio Morricone, Sting, Gustave Flaubert, James Joyce, Nena, Goethe, Schiller, Hitler, Wehrmacht, Werwolf, Wollwams, Wurstbrot und Wahnsinn. Nichts von all diesem abscheulichen Allerweltsgeschmier hat man im Verlagspalast der Verbrecher jemals auch nur mit Sanitärhandschuhen angefasst. Aber mich gedruckt. Mich. Was für ein geschmackssicheres Haus.

dietmar dath

Der Autor ist Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Sunderbar

Mit ihrem damaligen Optimismus und ihrem penetranten Interesse schafften Jörg Sundermeier und Werner Labisch es, mir ein Buch abzupressen. Es ist bis heute mein einziges und hoffentlich letztes. Alles, was der Dicke und der Dumme (wie sie gerne von ihren Autoren und Autorinnen in neckender Absicht genannt werden) anpackten, wurde zu Gold. Gold, das sie natürlich als reinste Form des Kapitalismus ablehnten. Sie redeten nicht nur, sie ließen Taten folgen. Schlag auf Schlag. Buch auf Buch. Bier um Bier. Geld erschien ihnen nicht wichtig, weder für sich selbst und noch weniger für die anderen.

Sie nahmen Einfluss auf die Bücher, indem sie politisch unkorrekte Dinge ändern ließen oder gleich ganz wegließen. Mehr und mehr bestimmte ihr Stil (»Berliner Schule«) die Literaturlandschaft in Deutschland und veränderte alles von Grund auf. Dass das vielen suspekt erschien, störte die beiden nicht. Im Gegenteil.

Künstlerisch fest verankert im politisch zeitlosen Raum der achtziger Jahre, schauten sie dorthin, wo niemand hinsah, lasen, was keiner las, und taten intuitiv genau das Richtige.

Flankiert von Unerheblichem (ich), Wichtigem (Dietrich Kuhlbrodt), Richtigem (Wolfgang Müller) und Sinnvollem (Bielefeldbuch) gingen und gehen sie den holprigen Weg aller Verleger und Verlage. Einen guten und doch immer wieder steinigen Weg, der sie oftmals in das Nirwana der Literatur und des Erbrechens führte. Unzählige Gespräche mit Dichtern und Lesungen mit viel Alkohol, die im Augenblick nichts brachten außer Kopfschmerzen, stellten sich im Nachhinein als stilbildend heraus. Menschen zu ändern und sie glücklich zu machen, das haben sich die beiden auf ihre Bücherfahnen geschrieben. Was davon Realität und was pure Fiktion ist, wird man vielleicht erst in hunderttausend Jahren abschließend sagen können. Doch der Augenblick sei das, was für ihn zählt, so sagte mir Jörg einmal, und das genau ist es, was den Verbrecher Verlag ausmacht. Dieses ewige Festhalten an längst überwunden geglaubten Dogmen, Ritualen und Unwichtigkeiten, die keinerlei Auswirkungen auf das Weltgeschehen haben. Nächtelange Diskussionen, sich einmischen, sein Urteil zu diesem oder jenem abgeben. Auf alles und jeden wird gehört.

Ja, da ist der Verbrecher Verlag mit all seinen Unwägbarkeiten trotzdem oder gerade deswegen immer allen und jedem einen Schritt voraus. Worüber die beiden Verleger gar nicht gerne reden und was die wenigsten wissen:

Ihre eigenen Publikationen sind derart geschliffen und scharfsinnig, dass viele Autoren diese doch einmal zum Anlass nehmen sollten, über ihr eigenes Werk noch einmal nachzudenken und es gegebenenfalls komplett zu überarbeiten (Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer). In diesem Sinne, vielen Dank, Verbrecher Verlag!

max müller

Der Autor ist Sänger der Reggaeband Mutter.

Lebenslänglich

Da denkt man, sich mit »PapyRossa« im Grunde schon die Schlossallee unter den Verlagsnamen gesichert zu haben, ist’s darob fünf Jahre lang höchst zufrieden, und dann schlägt die Metropole plötzlich unvermittelt zurück. Erst haben wir überlegt, ob die nassforschen Newcomer vom Verbrecher Verlag nicht vielleicht doch einem Resozialisierungsprojekt der ganz besonders bodenlosen Art angehören, aber so ein feines und, nun ja, subtiles Programm in den Buchhandel zu bringen, trauten wir dem allgegenwärtigen Repressionsapparat dann doch nicht zu.

Was blieb uns also übrig, als frei nach dem steinalten Leitsatz zu verfahren: »Kannst du deine Feinde nicht besiegen, verbünde dich mit ihnen«, zumal diese Emporkömmlinge plötzlich auch noch irgendwie mit dieser auflagenstarken Wochenzeitung seltsamen Namens im Verbund zu stehen schienen? Und die Kollegen Verleger mit dem martialischen Namen erwiesen sich als ausgesprochen nahkampferprobte Zeitgenossen, nicht bloß beim alljährlichen, inzwischen gemeinsam veranstalteten Sektenempfang in einer nicht ganz unbedeutenden süddeutschen Stadt, auf der linken Literaturmesse Nürnberg nämlich.

Feiern können die Brüder auch noch, dass es nur so eine Art hat. Dass sie uns in ihrem »Kölnbuch« kaltlächelnd ignoriert haben, geht allerdings gar nicht. Dafür gibt’s ein paar Jährchen auf Bewährung. Aber das kennen sie ja schon. Nichtsdestotrotz: Happy Birthday. Und drei Mal lebenslänglich!

alex feuerherdt

Der Autor ist Mitarbeiter des PapyRossa-Verlags.