Education Through Pain

Throbbing Gristle, die Begründer des Industrial, haben sich nach 25 Jahren wieder vereinigt. Eine Ausstellung in Berlin nähert sich dem Phänomen. von andreas hartmann

The Mission has been terminated«, verkündeten Throbbing Gristle 1981 und gaben so ihre Auflösung bekannt. Gut 25 Jahre blieben sie dabei, um nun doch noch das hinzulegen, was den Beatles nie vergönnt war: eine spektakuläre Wiedervereinigung. Vor anderthalb Jahren gaben sie in London ein erstes Comeback-Konzert, und an Silvester stand Berlin ganz im Zeichen von TG. Die Band lud zu Panels, trat gleich zwei Mal hintereinander in der Volksbühne auf, die Galerie Kunstwerke zeigt eine TG-Ausstellung, und als Fan der Band wurde man langsam darauf vorbereitet, dass es nächsten Monat wohl wirklich das lange angekündigte Comeback-Album der Band geben wird.

Throbbing Gristle sind eines der spektakulärsten Phänomene, die die Popkultur je hervorgebracht hat. Ihr Einfluss auf die elektronische Musik ist unermesslich, Techno-Acts von Aphex Twin bis Surgeon sind devote TG-Anhänger, aber auch die gepflegte Schockästhetik von Rockacts wie Marilyn Manson oder den Nine Inch Nails rekurriert eindeutig auf die Londoner Band. Ganz zu schweigen von den besseren Rockbands unserer Tage wie Wolf Eyes oder Black Dice, die sich musikalisch an den konzeptuellen Improvisationskrach von TG anlehnen.

Dennoch blieben Throbbing Gristle immer auch eine verkultete Angelegenheit, ein vermintes Spezialgebiet für Freaks, eine popkulturelle Sonderbaustelle, prototypischer Anti-Pop. Was natürlich auch daran liegt, dass nicht jeder Lust darauf hat, sich intensiv mit den von TG heiß geliebten Themen – Massenmord, Forensik, Perversionen aller Art – zu beschäftigen.

Die Throbbing-Gristle-Ausstellung in den Kunstwerken bietet nun einen recht guten Einblick in diesen zur Zeit von Punk und Postpunk liebevoll zusammengeschusterten und streng geschlossenen Kosmos der Band. Das, was vor Throbbing Gristle war, die Body Art- und Performance-Gruppe COUM Transmission, der der Popautor Simon Ford in seiner ziemlich gelungenen TG-Monografie »Wreckers Of Civilisation« extrem viel Platz einräumte hatte, wird freilich genauso wenig thematisiert wie das, was nach TG kam. Aus der gerade mal fünf Jahre lang existierenden Gruppe gingen schließlich Genesis P. Orridges obskure Fernseh-Erforschungsband Psychic TV samt angeschlossener Pseudosekte Temple ov Psychic Youth hervor, die später maßgeblich am Entstehen von Acid-House beteiligt waren. Außerdem Chris & Cosey und Coil, beides ebenfalls unschätzbar einflussreiche Post-Industrial-Bands.

Ein wenig schade ist das Fehlen von COUM Transmission schon, lässt sich aus deren extremer Body- und Sex-Art doch vieles ablesen, was bei TG, der musikalischen Weiterführung von COUM Transmission, auch weiterhin eine Rolle spielte. Die Ausstellung in den Kunstwerken versteht sich eher als »Industrial Culture«-Aufarbeitung, die nochmals ganz pophistorisch herausarbeiten möchte, welche Strategien diese extreme Subkultur damals anwandte, um auf sich aufmerksam zu machen, und wie hochreflektiert ihr schwer zugänglicher extremer Zynismus samt Anflügen von Selbstironie war.

Throbbing Gristle, das wird schnell deutlich, waren selbst ihre beste Werbeagentur. Unabhängig von der Plattenindustrie gestalteten und vertrieben sie alles selbst. Das Misstrauen gegen die großen Firmen und das DIY-Ethos, das damals überall um sich griff – TG trieben beides auf die Spitze. Und sie erdachten sich PR-Maßnahmen, die unglaublich wirkungsvoll waren. Sie hatten ja keinen Malcolm McLaren zur Hand, der genug Geld auftreiben konnte, um ihnen riesige Anzeigen schalten zu können. TG erfanden ihre Skandale, Slogans und Embleme sämtlichst selbst.

Schamlos nutzten sie dabei die immense Schockwirkung faschistischer Ästhetik aus. Der berühmte TG-Blitz provozierte hemmungslos die Vermutung, TG seien eine neofaschistische Vereinigung, das Logo ihres Labels »Industrial Records« zeigte den Schornstein in Auschwitz, und in Anlehnung an die »Arbeit macht frei«-Poesie der Nazis kamen TG mit oberzynischen catch phrases wie »Industrial Music for Industrial people«, »Education through pain« oder »Making music for psychic youth« daher. Dass Linke diese überdrehte TG-Ästhetik vielfach nicht verstanden – Linke brauchen schließlich geordnete Weltbilder –, das kann man sich ja denken. Heute, 25 Jahre später, registriert man das alles eher mit einem historisierenden Blick, doch die Radikalität, mit der diese Band damals sich ihre eigene Corporate Identity zusammenbastelte, verwundert einen immer noch.

Throbbing Gristle entwarfen sich selbst wie Konzeptkünstler. Wie bei Fluxus üblich, dokumentierten sie alles, von jedem Konzert gab es einen Mitschnitt, jeder Kunde wurde akribisch genau erfasst. Interessant sind dann auch die ausgestellten Fragebögen, die Käufer von TG-Platten ausfüllen und an Indus­trial Records zurückschicken sollten. Von beantworteten Fragen, die bis zu »Do you live with your parents?« oder »Do you use alcohol? What types?« reichten, versprach man sich wohl aussagekräftige Käuferprofile. Dazu wurden Karteikarten angelegt, von denen die mit den prominentesten Namen – etwa Lou Reed, Kim Fowley, Ian Curtis und John Peel – in der Ausstellung zu sehen sind.

Throbbing Gristle verstanden sich als Projekt der Gegenöffentlichkeit. Heute haben wir das Internet und verfügbare Informationen zu selbst den randständigsten Themen ohne Ende, wobei – nebenbei bemerkt – natürlich auch das Netz hierarchisiert und von Google geordnet wird. Damals gingen TG jedoch davon aus, dass sie sich darum kümmern müssen, dass die Leute die echten und wahren Informationen über die vom Mainstream unterdrückten Themen wie Faschismus, Gewaltverbrechen und immer das Neueste von Charles Manson von ihnen erhalten müssten. Von wem denn auch sonst?

Im berühmten »Industrial Culture Handbook« zählt der englische Popautor Jon Savage dann auch den »Zugang zu Informationen«, neben »autonomer Selbstorganisation«, »der Benutzung von Synthesizern und Anti-Music«, »außermusikalische Elemente« (etwa Video-Screens, Zeigen von Filmen) und »Schocktaktiken« zu den fünf Säulen der Industrial Culture. Diese Informationen verschickten TG in ihren Industrial News, selbst kopierten Fanzines, von denen ein paar in den Kunstwerken ausgestellt sind.

In diesen News ging es dann um all das, was den aufrechten Industrial-Fan nach Meinung der Band zu interessieren hatte. Neben dem Serienkiller-Klimbin waren das vor allem Infos über Brion Gysin, den Erfinder des Cut-Up, Satans Stellvertreter auf Erden, Aleister Crowley, und William S. Burroughs, die allesamt von Genesis P. Orridge als wahrhafte Ikonen einer Gegen- und Antikultur kultisch verehrt wurden. In einer Ausgabe des Fanzines wird in einer Eigenanzeige dazu aufgerufen, zwecks besseren Informationsaustausches alles, was irgendwie mit Charles Manson zu tun hat, dem liebsten Serienkiller P. Orridges, zu Industrial Records zu schicken. Hätte ja sein können, dass P. Orridge über irgendein Detail aus der glorreichen Biografie Mansons noch nicht hinreichend informiert war.

Eigentlich ist es schade, dass es so etwas wie Throbing Gristle, eine Band, die wie ein Kult oder eine Sekte funktioniert hatte, heute nicht mehr gibt. Mit diesem Bewusstsein schlendert man durch die Ausstellung. Gut, Throbbing Gristle selbst sind ja wiedervereinigt, aber auch bei dieser Band ist heute alles ein wenig anders als damals. Natürlich gibt es immer mal wieder Platten, die hochcodiert sind und ein interessantes Referenzsystem abbilden, aber als Band, die auch außerhalb ihrer Platten so unglaublich ikonografisch gearbeitet hat, bleiben TG wohl ziemlich einzigartig.

Man wird sehen, wie TG ihr Konzept der Band als Gesamtkunstwerk fortführen werden. Genesis P. Orridge, der in den späten Achtzigern und Neunzigern als einer der »Modern Primitives« eifrigst an der Metamorphose des eigenen Körpers gearbeitet und sich jede erdenkliche Stelle mit Piercings und Tätowierungen zugepflastert hat, ist seit einigen Jahren dabei, sich in eine Frau zu verwandeln. Somit wird auch visuell bei TG wieder Neuartiges geboten. In dem in der Ausstellung gezeigten Konzertfilm »TG live at the Astoria, London« aus dem vorletzten Jahr kann man sehen, wie P. Orridge inzwischen stolzer Besitzer eines stattlichen Busens und aufgespritzter Lippen ist. Diese neuerliche Verformung des Körpers passt immerhin auch gleich in drei der klassischen Industrial-Culture-Rubriken, nämlich in »organisatorische Autonomie«, »außermusikalische Elemente« und »Schocktaktiken«.

Mit »Education through pain« hat das Ganze bestimmt auch etwas zu tun. Man wird sehen, vielleicht sind es ja wirklich TG, die den Popbetrieb nochmals richtig aufmischen werden. In diesem Sinne: »The Mission has not been terminated.«

»Industrial Annual Report«, Ausstellung zum Phänomen Throbbing Gristle in den Berliner Kunstwerken. Bis 29. Januar. Anlass ist die Veröffentlichung von »Part Two«, dem ersten regulären Studioalbum seit 25 Jahren, das im Februar bei Mute Records erscheint.