Atombombig

Eine CD-Box untersucht die Popkultur im Zeichen der nuklearen Bedrohung. von ulrich kriest

Wir wollen gleich klar sagen: Alexandre Ajas Film »The Hills Have Eyes« – vor wenigen Wochen auch hierzulande in den Kinos angelaufen – ist ein recht mittelmäßiges Remake eines recht mittelmäßigen Horrorfilms der späten siebziger Jahre, den Wes Craven zwischen seinen Klassikern »Last House On The Left« und »A Nightmare On Elm Street« drehte. Allerdings: Beide Filme – Original und Remake – haben auch ihre besonderen Momente. Zu den interessantesten in Alexandre Ajas Remake gehört wohl dessen überraschende Ausgestaltung der postatomaren Fantasie.

Alexandre Aja bietet der Freakfamilie ein Zuhause. Als die Minenarbeiterfamilien der Umgebung aufgefordert wurden, die Gegend wegen der bevorstehenden Atomversuche zu verlassen, wurden in ihren Häusern und Wohnungen vielleicht aus sentimentalen, vielleicht auch ideologischen Gründen Familientableaus mit Schaufensterpuppen arrangiert. In diesem surrealen Environment leben nun die mutierten atomverseuchten Freaks als überdeutlich erkennbare lebende Abweichung vom idealisierten Familienbild der fünfziger Jahre.

Die grausamen Tableaus, die Aja in diesem Zusammenhang entwirft, wirken wie die pervertierte Version der militärischen Aufklärungs- und Schulungsfilme, die zwischen 1954 und 1961 von der »Federal Civil Defence Administration« produziert wurden: Propaganda und Realität reiben sich direkt und schmerzhaft aneinander. Die aus heutiger Sicht abenteuerlich naive Strategie des »Duck and Cover«, die die Kurzfilme zur Zivilverteidigung propagierten, drehte sich stets darum, einen Zeitraum von überschaubarer Dauer bis zur Wiederherstellung der Alltagsnormalität zu entwerfen, in dem das strikte Befolgen von Verhaltensmaßregeln das Überleben der US-Bürger garantieren sollte. Die Filme erzählten u.a. davon, dass der Platz in Luftschutzbunkern genau bemessen sei und dass es selbstmörderisch sei, im Falle eines Atomkriegs Fremde in ­seinen Bunker zu lassen. An die Stelle der christlichen Nächstenliebe, so ­doziert ein Geistlicher in einem dieser Filme, trete das Recht auf Selbstverteidigung. »You can survive« war der Titel einer weit verbreiteten Regierungsbroschüre der fünfziger Jahre, aber überleben ließ es sich nur, wenn man sich artig an die Anweisungen der Exekutive hielt.

Science Fiction-Filme der fünfziger Jahre wie Roger Cormans B-Movie »The Day The World Ended« (1956) präsentierten dann dem Kinopublikum dennoch lieber radioaktiv verseuchte Mutanten, seien es nun Menschen oder Ameisen wie in »Formicula« (1954) oder Spinnen wie in »Tarantula« (1956).

Die aus der Zeit gefallene Geisterstadt in Ajas »The Hills Have Eyes« mag eine selbstreferenzielle Hommage an dieses Kino sein. Zugleich aber ruft sie auch ein Erinnerungsflash hervor, der einen an die Popkultur der vierziger und fünfziger Jahre denken lässt, die sich auf erstaunlich vielfältige Weise mit dem Atomaren beschäftigte. Die nun erschienene umfang- und materialreiche CD/DVD-Box »Atomic Platters. Cold War Music From The Golden Age Of Homeland Security« belegt eindrucksvoll, wie produktiv die »Erfahrung« von Hiroshima und Nagasaki für die US-amerikanische Popkultur gewesen sein muss.

Im Kino der fünfziger Jahre spielten »Post-Doomsday«-Filme gerne die Möglichkeit eines sozialen Weiterlebens nach der Apokalypse durch. Filme zum Thema waren »Five« (1951), »Invasion, U.S.A.« (1952), »Last Woman On Earth« (1959), »The World, The Flesh And The Devil«, »On The Beach« (1959) oder »The Day The Earth Caught Fire« (1962). In ihnen ging es immer auch um das Spektakel, das man in der Realität fürchtete: »See Vast U.S. Cities ­Vanish Before Your Very Eyes!« lautete die Werbebotschaft auf dem Plakat für den Film »Invasion, U.S.A.«, und die legendäre Klatschkolumnistin Hedda Hopper versprach vollmundig: »It Will Scare The Pants Off You!«

Doch die Kinofilme jener Zeit sind nur ein kleiner Teil der kulturellen Erzeugnisse, die sich der Bearbeitung des Atomaren widmeten. Das Bild erweitert sich, wenn man die Spielfilmproduktion vor dem Hintergrund der offiziellen Kurzfilme zur Zivilverteidigung betrachtet. In den regierungsoffiziellen Filmen wurde Gehorsam und Vernunft von der Bevölkerung verlangt. Im Falle des Atomschlags sollte der Bunker aufgesucht oder zumindest unter dem Wohnzimmertisch kauernd Schutz gesucht werden. Wer überlebt hat, soll mindestens 14 Tage warten, bis er sich wieder vor die Haustür wagt, um dann mit dem Wiederaufbau und der Wiederbevölkerung der USA zu beginnen.

Noch einmal ändert sich das Bild, wenn man die für »Atomic Platters« kompilierten Musikstücke hört oder auch einen Blick auf die Werbung jener Jahre wirft. Die Metaphorik des Atomaren wurde enorm vielfältig genutzt und zunächst durchaus nicht als Schreckensbild. In den Jahren nach dem August 1945 war der Begriff »Atomic« positiv belegt (»Energie«) und drang in die Alltagskultur ein. Geschäfte warben mit »Atomic Sales« und in den Nachtclubs konnte man »Atomic Bomb Dancers« erleben.

Elvis Presleys Las-Vegas-Debüt kündigte einen »Atomic Powered Singer« an, sein Konkurrent Gene Vincent wurde als »The Hottest Thing Since The Hydrogen Bomb« angepriesen. In der Popmusik jener Jahre kursierte die atomare Metaphorik quer durch die Genres: Country, Blues, Rockabilly, Rock’n’Roll, Calypso oder Polka-Songs erzählten von »When They Drop The Atom Bomb«, vom »Crawl Out Through The Fall­out«, man spielte den »Bomb Bop« oder mixte den »Atomic Cocktail«.

Arthur »Big Boy« Crudup sang 1951 »I’m Gonna Dig Myself A Hole«, und Sheldon Allman flehte 1960 die »Radioactive Mama« an: »Radioactive Mama, Treat Me Right / Radioactive Mama, We Reach Critical Mass Tonight.« Und Bill Haley & The Comets nutzten 1954 die »H-Bomb« für die ultimative Männerphantasie: »Last Night I Was Drea­min’ / Dreamed About The H-Bomb / Well The Bomb-a Went Off And I Was Caught / I Was The Only Man On The Ground / There Was A-Thirteen Women And Only One Man In Town / The One And Only Man In Town Was Me«.

Doch nicht nur der simplen Fortpflanzung widmet sich die atomare Metaphorik. The Buchanan Brothers ahnten bereits 1947: »There’s A Power Greater Than Atomic«, und wenige Jahre später sprachen es Musiker wie The Pilgrim Travelers offen aus: »Jesus Hits Like A Atom Bomb«. Und die Swan’s Silver­tone Singers ergänzen: »Jesus Is God’s Atomic Bomb«.

Als auch die Sowjetunion 1949 zur Atommacht wurde, erweiterte sich der popkulturelle »Atomic«-Diskurs um die Momente der Paranoia, der Invasionsfurcht, der Angst vor Subversion und der antikommunistischen Hexenjagd – auch in den Popsongs jener Jahre. So sang ein gewisser Mike Russo 1963 schwer enttäuscht über seine große Liebe Agnes: »’Cause Today I Was Informed By The FBI / You’re Nothing But A Teenage Russian Spy / Agnes, Oh Agnes / Just What Have You Done? / Agnes, My Agnes / For The Soviet Union« (»Agnes, The Teenage Russian Spy«).

Wie bereits der in den frühen acht­ziger Jahren sehr beliebte, satirische Kompilationsfilm »The Atomic Cafe« erlaubt die Sammlung »Atomic Platters« einen Blick auf die Alltagskultur im Zeichen der Atombombe. Auch »The Atomic Cafe« lebte vom (unfreiwilligen) Humor. Der naive Umgang mit der Apokalypse evoziert Heiterkeit beim heutigen Zuschauer.

1983 schrieb Harun Farocki für die Filmkritik über »The Atomic Cafe«: »Die Filmausschnitte rufen viel Lachen hervor. Es wird viel gelacht über die Verblödung, die mit der Verharmlosung der Bombe getrieben wird. Aber die Verharmlosung und die Beängstigung hängen zusammen. Als die USA einsahen, dass sie nicht das Monopol und nur ein relatives Übergewicht in der Nuklearrüstung erringen konnten, wurde der Atomkrieg wieder weniger harmlos dargestellt.« Das ist gut beobachtet: Die atemraubende Fantasie, individuelle Vorteile noch aus der kollektiven Vernichtung zu ziehen, ist spätestens im Laufe der sechziger Jahre verschwunden.

Filme wie Kubricks »Dr. Strangelove« (1963) oder Peter Watkins’ »The War Game« (1966) zeigten die Realität der atomaren Bedrohung derart drastisch, dass sie vorerst, bis zu den achtziger Jahren das Genre der Doomsday-Filme – mit wenigen Ausnahmen, etwa Richard Lesters »The Bed Sitting Room« (1968) – beendeten.

Nicht auszudenken, hätte Alexandre Aja zusätzlich noch einige der Songs von »Atomic Platters« in den Soundtrack zu seinem Film aufgenommen! Doch wo in den fünfziger Jahren noch auf eine »befreiende«, lustvolle und verstörende Trivialität gesetzt wurde, regiert heutzutage eine political correctness, die nachträglich etwa die Twin Towers aus Filmen retuschiert. Natürlich durfte man nach Tschernobyl auch nicht mehr »In The Air Tonight« von Phil Collins im Radio spielen. In »The Hills Have Eyes« hören wir lediglich »California Dreamin’«, aber eben nicht den Atombomben-Song »Crawl Out Through The Fallout« in der grandiosen Version von Sheldon Allman.

Atomic Platters. Cold War Music From The Golden Age Of Homeland Security. Fünf CDs und eine DVD (Bear Family Records)