Wie man Artstar wird

Den richtigen Leuten auffallen und die wichtigen Partys besuchen. Über die Strategie der Selbstvermarktung von Künstlern in Zeiten des mentalen Kapitalismus. von diana artus

Die New Yorker Galerie Deitch Project hat es entwickelt, und James Fuentes, einer der Macher, sagt: »Wir wollen es real halten – und demokratisch.« Es geht um das Modell des Reality-Soap-Formats »Artstar«. Sollte es sich als erfolgreich erweisen, dann verläuft der Weg in den Kunstolymp demnächst vielleicht so: Eine Galerie schreibt ein Casting aus. Die Jury besteht aus bekannten Galeristen, Kuratoren, Kritikern. Als junger, kreativer und ambitionierter Mensch stellt man sich gemeinsam mit einigen hundert anderen Bewerbern vor. Um beim Massencasting Aufmerksamkeit zu erregen, bringt man nicht nur möglichst große oder formal ins Auge stechende Arbeiten mit, sondern muss auch versuchen, mit seiner äußeren Erscheinung besonders aufzufallen. Wichtig ist es, mit einem überraschenden Alleinstellungsmerkmal aufzuwarten. Mit etwas Glück schafft man damit den Sprung in die Runde der Finalisten.

Man lässt sich nun von der Galerie auf öffentlichen Events vorführen, ist hier zu allen Späßen bereit und stellt seine Partytauglichkeit unter Beweis. Man beteiligt sich an einer Grup­penausstellung mit großen, sperrigen Arbeiten, die undurchsichtige Titel tragen und einen weiten Interpretationsspielraum für die Rezen­senten zulassen. In Interviews äußert man sich höchstens in kryptischer Weise. Man nimmt, wie vom Organisator gewünscht, den Wettkampf mit den anderen Finalisten um die Position des Artstars auf und beginnt, wie wild mit allen echten und mutmaßlichen VIPs der Kunstszene zu kontakten.

Nun braucht man noch einmal Glück, vielleicht in Person eines einflussreichen Mäzens, der durch all die persönliche Öffentlichkeitsarbeit der letzten Monate Sympathien gleich welcher Art entwickelt hat. Nur einer der Finalisten wird es schaffen und am Ende der zweiten Runde zum Art­star gekürt. Es winkt die Einzelausstellung in der renommierten Galerie, gut möglich, dass sie schon vor der Eröffnung komplett verkauft ist. Das Projekt hat längst Schlagzeilen gemacht. Die Welt der Kunstkäufer ist aufmerksam geworden und ahnt einen neuen Trend.

Dann geht alles ganz schnell: Die Preise des Artstars steigen, die ersten Arbeiten sind schnell in den Auktionen, er wird in der Fachpresse besprochen, mit Portfolios und Sonder­editio­nen für Abonnenten präsentiert. Eine bekannte Marke möchte mit ihm für ein exklusives Produkt werben. Seine Arbeiten werden von der Galerie an einschlägigen Orten platziert.

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Das erste Casting zum Artstar hat im Februar 2005 in New York stattgefunden. Vor der Galerie von Jeffrey Deitch, die schon mit Größen wie Keith Haring, Jeff Koons oder Mariko Mori arbeitete und sich erfolgreich auf Messen und Märkten platziert hat, standen 400 angehende Künstler Schlange. Der Galerist meint dazu: »In den Siebzigern, als ich in der Kunstwelt begonnen habe, hätte sich kein Künstler mit Selbstachtung in eine Schlange gestellt, nur um in eine Fernsehshow zu kommen.«

Man könnte genauso gut sagen, dass in den Siebzigern kein Galerist mit einem Funken Respekt gegenüber Künstlern von ihnen verlangt hätte, an einem Fernsehcasting teilzunehmen. Seit damals haben sich die Methoden der Künst­ler als auch der Kunstvermittler, eine Öffentlichkeit zu erreichen, verändert. Man kann »Art­star« auch mit den Worten Georg Francks als anschauliches Beispiel für die fortschreitende Anpassung des Betriebssystems Kunst an die Maßstäbe eines »mentalen Kapitalismus« betrachten, der in allen Lebensbereichen an Wirkmächtigkeit gewinnt.

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Spätestens seit Andy Warhol oder Joseph Beuys erklärt haben, dass Künstler- oder Geniesein eine demokratische Option für jedermann sei, wollen das auch viele für sich einfordern. Sie übersehen dabei aber, dass der Kunstbetrieb schon immer elitär gewesen ist und es bleiben muss, wenn er die Sphäre der Kunst weiterhin als etwas Exklusives behaupten will. Und daraus zieht er ja einen wesentlichen Teil seiner Legitimation und seiner Macht. Natürlich hat jeder das Recht, sich um einen Platz in diesem Betrieb zu bewerben, und bekommt also seine Chance. Theoretisch. Denn wie in anderen Bereichen auch wird nicht nur nicht jede Bewerbung angenommen, sondern nicht einmal jede überhaupt gesichtet. Und Ablehnungen erfolgen meist ohne nähere Angabe von Gründen.

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Dass im Falle eines Überangebots eine Auswahl stattfindet, ist klar. Die Kriterien, nach denen das geschieht, sind allerdings nicht ganz so klar. Mit der Akademie des 19. Jahr­hunderts und ihren Salons sowie der Erweiterung des Kunstbegriffs durch Marcel Du­champ verschwanden auch die letzten allgemein verbindlichen formalen und inhaltlichen Kriterien dafür, was Kunst ausmacht. Seitdem ist es sehr einfach und zugleich sehr schwer, zum erfolgreichen und anerkannten Künstler aufzusteigen. Handwerkliches Können oder gestalterisches Talent spielen keine bestimmende Rolle mehr. Unklar bleibt, was stattdessen eine Rolle spielt – was man also unbedingt mitbringen muss, um Erfolg zu haben.

In dieser Atmosphäre der Undurchsichtigkeit ist eine neue Hochzeit für jene Kunst- und Künstlermythen angebrochen, die einzelne Avantgardebewegungen der Vergangenheit so gerne ein für alle Mal dekonstruiert hätten. Die alten Konzepte von der Autonomie der Kunst oder dem Künst­ler als antibürgerlichem, visionärem Genie bzw. als Inbegriff einer ansonsten verloren geglaubten Totalität greifen dabei immer noch genauso gut wie die ganz frischen Mythen, die erst im Zuge der Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten stark geworden sind.

Der wohl attraktivste Mythos besagt, dass jeder Mensch ein Künstler sei, dass die ganz normalen Jungs und Mädels von nebenan die Kreativstars von morgen werden können, dass sich also Erfolg und gesellschaftlicher Aufstieg bei jedem einstellt, der nur hart genug arbeitet. Dieses Vertrauen auf Machbarkeit und Chancengleichheit, gepaart mit dem Glauben an die Macht von Talent und eben Qualität, hat sicher auch einen Großteil der vor Deitchs Galerie Wartenden motiviert, sich stundenlang in die Kälte zu stellen.

Es gelte nur die künstlerische Qualität, heißt es in Ausschreibungen, Verlautbarungen oder Bewertungs­sze­na­rien. »Doch durch die Zusammensetzung können entsprechende Gremien Qualitätskriterien immer nur nach ihren eigenen Maßstäben formulieren«, schreibt Susanne Binas in ihrem Buch »Erfolgreiche Künstlerinnen«. Es handelt sich letztlich um eine Auswahl »nach persönlichen Präferenzen, weil man meist nur das verstehen und gutheißen kann, was zum eigenen kulturell-künstlerischen Verstehenssystem passt. Danach haben diejenigen die besten Chan­cen, die am ehesten dem Selbstbild des auswählenden Positionsinhabers entsprechen«, schreibt Binas.

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Wie kann der noch unbekannte Newcomer in ein System, zum Beispiel das der Kunst, ein- und in ihm aufsteigen? Ähnlich wie bei einem Kredit wird ihm zunächst Beach­tung als Vorschuss gegeben, was er als Startkapital nutzen muss. Kann er sich damit erfolgreich positionieren und kommt er beim Publikum an, profitiert auch der Investor als Entdecker des Talents von dem Renommee. Justin Hoffmann spricht in seinem Aufsatz »Machtverhältnisse im Kunstsystem« von »Labeling« und meint damit das Übertragen des Rufs eines bekannten Kritikers, Kurators oder Galeristen auf eine künstlerische Arbeit. Genauso funktioniert der »Imagetransfer« auch in der anderen Richtung: Das gezielte Schreiben über Künstler oder das Präsentieren von prominenten Künstlern erhöht die eigene Bekanntheit.

Der Entdecker kann bei dem Spiel jedoch auch etwas von seiner eigenen Reputation verlieren, nämlich dann, wenn sich seine Empfehlung als Flop herausstellt, weil es dem Debütanten nicht gelingt, das Startkapital zu vermehren. Der Investor wird natürlich versuchen, dieses Risiko zu minimieren und sich also derer annehmen, die einen Zugewinn an Beachtung – auch für ihn selbst – einzuspielen versprechen. Natürlich vertraut er jemandem, den er kennt, der eine ähnliche Position vertritt oder der bereits durch Referenzen von anderer Seite bestätigt wurde, mehr als jemandem, der ein völlig unbeschriebenes Blatt zu sein scheint.

Auch in anderen Gesellschaftsbereichen wie Wirtschaft, Wissenschaft oder Politik gründen nicht wenige Karrieren auf persönlicher Förderung und Protektion. Problematisch ist dabei, dass nach außen Leistung und eben Qualität als ausschlaggebende Kriterien proklamiert werden und dass als Zielsetzung immer die »Entdeckung« noch unbekannter Talente behauptet wird, was zur Folge hat, dass denen, die nicht ausgewählt werden, automatisch Mittelmäßigkeit und ein Mangel an Begabung vorgeworfen werden kann, den sie sich nicht selten nach längerer Erfolglosigkeit selbst unterstellen, was sie in Zukunft davon abhalten kann, ihre Ideen weiter tatkräftig zu verfolgen. So bleiben nicht wenige vielversprechende Talente für immer unentdeckt.

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Es stellt sich natürlich die Frage, was einen künstlerischen Erfolg eigentlich ausmacht. Er lässt sich ähnlich schwer definieren wie die künstlerische Qualität. »Eine marktwirtschaftlich ausgerichtete Gesellschaft favorisiert vor allem solche Erfolgsdefinitionen, die mit ökonomischen Kriterien erfolgreicher Erwerbsarbeit messen«, meint Binas. In der Kunst ist kommerzieller Erfolg allerdings immer noch suspekt, wenn er nicht mit einer gleichzeitigen Wertschätzung im künstlerischen Kontext einhergeht, der Künstler also neben dem real in Geld messbarem Erfolg nicht auch einen symbolischen Erfolg im Sinne von Renommee erzielt. Er gerät dann schnell in den Verdacht, nur das große Geld machen zu wollen, ohne am künstlerischen Feld als solchem überhaupt interessiert zu sein.

Eine Karriere in der Kunst führt oft nicht direkt zu finanziellem Erfolg, son­dern geht einen Umweg über das symbolische Kapital. Indem er in der Distanz zum Massengeschmack, also zum Gefälligen, seine Werke schafft und den individuellen Ansatz gegen alle vermeintlichen Widerstände und trotz einiger Entbehrungen durchsetzt, akkumuliert der emerging artist symbolisches Kapital in Form von Respekt von Seiten der anderen Akteure des Feldes.

Dazu muss er natürlich erst einmal in den Fokus von deren Aufmerksamkeit gelangen – nicht wenige scheitern bereits hier. Wenn es gelingt, viel symbolisches Kapital einzuspielen, die Arbeit also mit dem Gütesiegel der »Qualität« belegt wird, kann daraus irgendwann auch ökonomischer Gewinn resultieren. Der schlägt sich allerdings nicht immer in Form von Verkäufen nieder. Es gibt bekannte Künstler, die auf dem Kunstmarkt als schlecht verkäuflich gelten, aber dank ihres Renommees zumindest die Möglichkeit haben, durch Lehrtätigkeiten, Museumsankäufe, Preis- und Stipendiengelder ihren Unterhalt zu sichern. »Gibt es Kunst, die interessant ist und nicht markt­fähig?« wurde Waling Boers, Leiter der Ausstellungsplattformen Büro Friedrich, Berlin /  Universal Studios, Beijing einmal gefragt. Umgekehrt funktioniert die Sache nicht ganz so gut, aber offenbar immer besser. Samm­ler und Kunstkäufer haben mitt­ler­weile durch ihre Investitionen einen enormen Einfluss darauf, welche Künstler ihre Positionen im großen Stil weiter entwickeln und präsentieren können. Und wessen Na­me lange genug auf Kunstmessen und Auktionen in aller Munde ist, an dem kommen irgendwann auch die Museen nicht mehr vorbei.

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Aus dem symbolischen Kapital speist sich die Hoffnung vieler Künstler, ihre Arbeit und deren Qualität werde am Ende doch noch gebührend honoriert: »Nach Jahren der Armut und ›des Geheimtipp-Status‹ kann es passieren, dass KünstlerInnen, gerade wegen des Durchhaltevermögens und der Unbeirrbarkeit, doch noch mit Titeln und Preisen überhäuft werden«, mein Justin Hoffmann. Das kann passieren – muss aber nicht. Ein solches Durchhaltevermögen muss man nämlich auch finanzieren können. Ein großer Teil der Künstler, die sich jahrelang im unteren Aufmerksamkeitsbereich des Kunstbetriebs bewegen, können die Dreiteilung des künstlerischen Arbeitsalltags – Kunst machen, arbeiten gehen, sich selbst vermarkten – auf Dauer nicht konsequent durchhalten. Meistens bleibt irgendwann nur das Arbeiten übrig, denn Kunst zu machen, kostet Geld.

Zudem ist ein neuer Mythos entstanden: der des jungen Künstlers. Wie der Popstar muss auch der Artstar jung sein. Dem älteren Herren unter den Finalisten des Artstar-Castings hatte man daher von vorneherein wohl eher die Rolle des Exoten oder des Quotensenioren zugedacht. Vor 100 Jahren konnten mit­tel­lose Künstler wenigstens im hohen Alter oder posthum Berühmtheit erlangen. Heute heißt es, dass man den Einstieg in die Erfolgsspirale bis spätestens Ende 30 geschafft haben muss: »Andernfalls droht womöglich lebenslanges Vorsichhinwursteln oder das ›Gespenst der Nutzlosigkeit‹, das vorzeitige Ausscheiden aus dem Beruf bei voller Leistungsfähigkeit«, schreibt Claudia Wahjudi in der zitty.

Effizienz, eigentlich ein ökonomischer Begriff, ist auch in der künstlerischen Werkentwicklung mittlerweile gefragt. Zum Ausprobieren bleibt da nicht viel Zeit. Der einmal erfolgreiche Stil wird gerne immer wieder reproduziert, bis er irgendwann nur noch langweilig und vorhersehbar ist. Viele Künst­ler merken nicht, so Bogomir Ecker in seinem Vortrag »Jung sterben – der Kunst­betrieb«, »dass ihre kurzzeitige Hochzeit letztendlich ihre Beerdigung war, die dann allerdings nicht schlecht bezahlt wird. Gute Beerdigungen sind zwar ergreifend, das Problem ist nur, dass danach nichts mehr kommt.«

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Wer es in einem irrational funktionierenden System von Anerkennung und Bedeutungszuschreibung wie dem der Kunst wunderbarerweise schafft, zu reüssieren, dem wird heute schon allein deshalb Respekt entgegengebracht. Was er eigentlich anzubieten hat, wird dabei selten infragestellt. In dem Moment, in dem der bedeutende Künstler von höchster Instanz als solcher bestätigt wird, wird oft aufgehört zu prüfen, ob er die seiner Arbeit einmal zugeschriebene »Qualität« auch in Zukunft aufrechterhält oder ob die Bedeutungen, die man in die Werke hi­nein­liest, auch tatsächlich drinstecken. Egal, was er von nun an macht – es ist automatisch Kunst. Mit welchen Mitteln dieser Erfolg auch zustande kam, fest steht: Der Auserwählte hat den Mitbewerbern offenbar etwas voraus, das diesen fehlt, was sie aber auch gerne hätten. Das bestätigt ihn und steigert seine Attraktivität. Er wird so zum Teil des »sexy Mythos« Kunst, der undurchsichtig bleiben muss, wenn er auch in Zukunft sexy machen soll.

Sexy Mythos

Vom 9. November bis zum 9. Dezember 2006 zeigt die Galerie der Hochschule für Grafik und Buchkunst die Ausstellung »Sexy Mythos – Selbst- und Fremdbilder von KünstlerInnen«.

Leipzig ist nach Berlin (NGBK) und Graz die

letzte Sta­tion der Aus­stellung.