Wiedersehen mit Fred

Der Angebetete meldet sich nicht, der Liebeskummer wird zur Qual. Zu allem Unglück taucht auch noch der Jugendfreund auf. Love Machine Teil II. von stefan wirner

Sie hatte gerade die Auffahrt überquert, als ein großer eisengrauer Wagen die Straße hochfuhr und neben ihr hielt. Die Autotür flog auf. Fred stieg aus. Er trug einen sportlichen Anzug aus feinem Wildleder und ein Hemd aus Batist. Jenny starrte unwillkürlich auf die altmodische schwarze Krawatte. Sie war ein grober Stilbruch. Zum Glück hatte Jenny sich besondere Mühe mit ihrem Aussehen gegeben. Die langen Haare fielen ihr duftig auf die Schultern. Auf den Lidern hatte sie mauve­far­be­nen Lidschatten verteilt und den mandelförmigen Schnitt ihrer Augen mit einem anthrazitfarbenem Lidstrich betont. Die Wimpern trug sie kräftig schwarz getuscht, und auf ihren Lippen glänzte rosenholzfarbener Lippenstift.

»Sag bloß, bist du das? Mensch, ich fass’ es nicht, du bist das! Wow, so eine Frau. Wunderschön«, bestätigte Fred. Jenny lächelte. Auf Freds Komplimente konnte sie sich verlassen.

»Ich habe hier auf dich gewartet«, sagte er ernst.

»Auf mich?« Jenny spürte, dass sie rot wurde.

»Wie meinst du das?« fragte sie verblüfft.

»Ich bin nicht blind. Es fällt sogar mir auf, dass Jeff sich heftig für dich interessiert. Ihr habt euch doch öfter miteinander unterhalten? Ich glaube, er hat dir ziemlich imponiert, wie? Er ist ja auch ein interessanter Mann. Ich kann mir vorstellen, dass ihn in den Augen eines schwärmerischen jungen Mädchens eine gewisse romantische Gloriole umgibt. Der große Einsame, der Idealist, der sich für die Menschheit aufopfert.«

»Das ist seine Sache«, erklärte Jenny schnippisch. Sie war sprachlos. Noch vor kurzem hätte sie Fred alles erzählt. So kannte sie Fred gar nicht. Seine Stimme war von Satz zu Satz sarkastischer geworden. Fred sah ein, dass er zu weit gegangen war.

»Entschuldige«, bat er zerknirscht. »Aber so töricht kann man sein, wenn man einen Menschen – wenn einem ein Mensch sehr viel bedeutet«, verbesserte er sich. Im letzten Moment hatte er das Wort »liebt« zurückhalten können. »Gleich sagst du mir einfach adieu. Drei Wochen allein sein, was ist das, sagst du. Und doch tut der Abschied mir weh. Das wird eine endlose Zeit.«

*

Als er neben ihr stand, griff er nach ihrem Arm und zog sie mit sich.

»Mir fehlt schon am Morgen dein Kopf auf dem Kissen. Die Art, wie du sagst: Ich bin wach. Vielleicht ist es gut, das zu spüren, wie es wäre, dich zu verlieren.«

Die Vorahnung von etwas Schrecklichem stieg plötzlich in ihr auf. Er neigte sich ein wenig näher zu ihr.

»Ich brauche dich jeden Tag.«

Er zögerte, als suchte er nach einem neutralen Wort, um ihre persönliche Verbindung zueinander zu bezeichnen. Sie blickte ihn überrascht an. Seine Augen waren anders als die von Jeff. Fred war auch nicht so geschickt, seine Gefühle zu verbergen.

»Du kamst herein und hast mich angelacht. Das hat mir Mut gemacht. Du hast mir Glück gebracht. Nun ist mein Leben nicht mehr leer. Ich wünschte, ich wäre ein Dichter, dann würden mir sicher noch nettere Sachen einfallen.«

Aus verständlichem Grund wurde sie wieder einmal rot. Sie musterte Fred von der Seite und nahm sich vor, ihre Verbindung zu ihm nicht allzu ernst zu nehmen. Nicht, dass sie überhaupt eine Affäre mit ihm eingehen wollte. Instinktiv zuckte sie zurück, weil sie glaubte, er wolle sie küssen. Sie wusste selbst nicht, warum sie zurückschreckte. Sie spürte den festen Griff seiner Hände. Seine Blicke schweiften von ihr ab und gingen über den Park. Seine Augen verschleierten sich.

»Du willst nicht, dass ich dich küsse, Jenny?«

Sie war ganz durcheinander. Sie wusste auch nicht, was sie ihm antworten sollte. Fred hatte das Thema so abrupt eröffnet, dass Jenny sich fast verschluckte. Mit Fred wäre Sex genauso wirklich wie schmutzige Socken auf dem Badezimmerboden, Diskussionen über das nächste Urlaubsziel, Kinder, Hypotheken und ein Haus am Stadtrand.

»Nicht doch, Fred.« Fast schon routiniert begann sie abzuwiegeln.

»Bitte höre mir erst einmal zu, Jenny. Wir beide kennen uns seit einer Ewigkeit. Ich habe nie einen Hehl aus meinen Gefühlen für dich gemacht. Zerstöre den Zauber bitte nicht. Schau mich nur an und sag kein Wort. Ich will nur wissen, du bleibst heute hier. Bleib bei mir, geh nicht fort. Ich habe nur einen Wunsch an dich: dass du mich verstehst. Ich geh’ genau auf dich zu, bin total verzaubert und mein Herz, das schlägt immer lauter, und ich weiß, alles, was ich will, bist du. Ich brauche ein bisschen Glück und eine Hand voll Zeit. Dann wird der Augenblick mit dir zur Ewigkeit. Ich brauch’ ein bisschen Glück und Zärtlichkeit. Zum Himmel und zurück und dann für immer du. Einmal wird der Wind sich wieder drehen, und auch du wirst wieder tanzen gehen.«

*

Er blickte sie an. Er stand jetzt so dicht vor ihr, dass er nur die Arme auszustrecken brauchte, um sie an sich zu ziehen. Jenny hob die Schultern. Diesmal hob er die Hand, damit sie ihn nicht unterbrach.

»Ich weiß, was du jetzt sagen wirst. Aber bevor du sprichst, hör mir bitte erst mal zu. Deine blauen Augen haben mich verführt. Und dabei hast du mich nicht mal berührt. Es war ganz einfach Schicksal, dass es so passiert. Doch jetzt will ich mehr und immer mehr.«

Fred ließ ihre Hände los und lehnte sich zurück. Dann strich er mit zarter Geste über Jennys Haar, da, wo es sich über der Schulter lockte. Das hatte Jenny nicht erwartet. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie fand keine Worte.

»Deine Lippen haben meine Träume wach geküsst und mich total verzaubert über Nacht. Ich fange an zu leben, wenn du bei mir bist. Du hast mich verrückt gemacht nach dir.«

Jenny seufzte. Fred tat ihr Leid. Er sah gut aus und war sehr charmant. Ihre Wangen waren rötlich angehaucht, sogar rote Ohren hatte sie bekommen. Lässig trat er dicht vor sie, hob mit einer Hand ihr Kinn ein wenig hoch, damit sie ihn anblicken musste.

»Bitte Jenny«, sagte er, »mit mir ist es doch etwas anderes, nicht wahr? Es ist mehr als nur Freundschaft, ja?«

So viele unbeantwortete Fragen! Ihr Puls hämmerte. Wärme durchrann ihren Köper. Ihr war richtig schlecht vor innerer Anspannung.

»Du weißt, dass ich dich liebe, Jenny.«

In Jennys Kopf überschlugen sich die Gedanken. Panik wallte in ihr auf. Offensichtlich hatte sie ihm nie entschieden genug gesagt, dass sie ihn nicht liebte. Sie liebte ihn nicht. Sie liebte einen anderen.

»Ich liebe dich.« Er gestand es ernst und überzeugend. »Na ja, ich weiß nicht, ob ich schon ›uns‹ sagen kann. Vielleicht willst du mich gar nicht. Wie krieg’ ich das bloß raus? Ob ich einfach sag’: ›Hey, ich bin verknallt in dich‹. Und du sagst: ›Ich mag dich auch – als guten Freund.‹ Nee, das zieh’ ich mir nicht rein. Das läuft nicht. Du guckst mich immer so an, ich mein’, vielleicht bilde ich mir das nur ein und du guckst jeden so an, ich weiß es auch nicht. Jetzt weiß ich absolut nicht mehr, warum, weshalb, wieso. Ich hab’ dich lieb, ich hab’ dich so lieb, wenn’s auch schlauere Sprüche gibt, ich hab’ dich lieb.«

*

Beschwörend griff er nach ihrer Hand. Waren Jennys schöne blaue Augen eigentlich blind? Jenny war die Berührung unangenehm. Doch sie ahnte, dass es ihn kränken würde, wenn sie ihm jetzt die Hand entzog.

»Und dass ich dich nicht liebe, stört dich nicht?«

»Nee, so mit dem Kopf voll Adrenalin geh’ ich bestimmt nicht ins Bett. Ich werd’ noch durch die Kneipen hier zieh’n, wenn ich dich jetzt nur bei mir hätt’. Ach, wie glücklich ich bin, ich könnte dir einen Kuss geben; ich hätte nicht gedacht, dass ich noch solche Freude haben könnte.«

Sie kannte Fred mittlerweile gut genug, um zu erkennen, dass seine Zeit gekommen war. Sein Mund streifte ihre Lippen. Ein wenig erschrocken wurde ihr Puls schneller. Sie wollte ihr Gesicht wegdrehen, um seinem Blick auszuweichen, der so fasziniert ihren Mund betrachtete. Doch Fred ließ sich nicht abweisen. Seine Hand hielt jetzt ihr Kinn fest und machte jede ihrer Bewegungen unmöglich.

»Das ist irgendwie alles nicht mehr normal. Du hast mir den Kopf verdreht. Um 180 Grad geschraubt, du hast mir mein Herz geklaut. Doch jetzt wird mir der Pfad zu schmal. Irgendwie, äh, man muss schon aufpassen, auf was man sagt – oder?«

»Fred!« Sie befeuchtete aufgeregt ihre Lippen mit der Zunge. Freds Blicke waren herzlich und verführerisch. Diesen Lippen ein einziger Kuss!

Ihr Kopf lag in seiner Armbeuge. Sein Mund war nur Zentimeter von ihrem entfernt. Er spürte, dass ihre Lippen bebten, was gar nicht zu ihren resoluten Worten passen wollte.

»Und ich höre Waldesrauschen, und ich seh’ ein flatternd Band – Aug in Auge Blicke tauschen, und ein Kuss auf deine Hand.«

*

Hatte sie denn wirklich den Verstand verloren? Bildete sie sich das hier bloß ein? Aber selbst wenn es so wäre, änderte es nichts an diesem Augenblick. Ihre Lippen bebten vor Verlangen. Dann küsste sie ihn.

Ihre Lippen strichen über sein Kinn, seinen Hals und seinen Oberkörper. Zwei Mal versuchte er, sie zu berühren, erst ihre Brüste, dann ihre Hüften, doch beide Mal ergriff sie seine Hände.

»Sag mir, was dir gefällt.« Das heisere Flüstern klang erregend männlich und sehr sinnlich. »Du hast einen fantastischen Hals. Einfach wunderschön. Ich will alles von dir sehen, dich unter den Sternen lieben.«

Ihr Körper vibrierte förmlich vor Verlangen – einem Verlangen, das sie schon lange unterdrückt hatte. Sie fühlte sich seltsam willenlos, wie benommen von diesem erotischen Flüstern und der süßlich schweren Luft.

»Spreiz deine Beine«, befahl er zärtlich. Jennys Knie gingen automatisch auseinander. Offenbar hatte sich ihr Verstand endgültig verabschiedet, und stattdessen übernahm ihr Bauch das Kommando. Ein leichter Windzug fuhr unter ihren Rock und strich sanft über ihre Beine. Er kühlte angenehm ihre heiße, feuchte Haut.

»Weißt du, wo ich dich jetzt berühren möchte? Ich werde dafür sorgen, dass du vor Entzücken schreist.«

*

Sie stand zitternd da, ihr ganzer Körper vibrierte vor Erregung, aber auch Scham, und sie versuchte, ruhiger zu atmen. Sie kämpfte mit sich und suchte nach den richtigen Worten, um ihn nicht zu vergrämen. Die Aufregung vertiefte Jennys frische Farben, die halboffenen Lippen glühten dunkelrot.

»Du bist so feucht«, flüsterte Fred zärtlich. »Bist du bereit für mich?«

»Nein, Fred! Das kann ich nicht!« Kläglich blickte sie ihn an. Sie fürchtete, in etwas Nichtwiedergutzumachendes hineinzugeraten.

»Ich habe gesagt, ich mag dich gern. Das ist alles, Fred. Ich liebe dich nicht.«

Sie schlug die Beine übereinander und strich ihr Kleid glatt. Was war eben mit ihr passiert? Litt sie dermaßen unter Entzugserscheinungen? Wo war ihre Selbstbeherrschung, auf die sie sich sonst so viel einbildete? Im Moment war sie lediglich eine frustrierte Frau, sexuell vollkommen ausgehungert. Sie atmete tief durch und beschloss, den Vorfall zu vergessen.

»Du liegst mir im Blut, du liegst mir im Sinn, du liegst mir im Herzen, drei Klafter tief drin. Wir kennen uns schon so lange, uns verbindet Freundschaft und Vertrauen. Ist das nicht eine perfekte Grundlage für eine Ehe?«

»Dein Antrag schmeichelt mir sehr, Fred. Aber ich bin ganz verwirrt. Gib mir bitte noch etwas Zeit, um darüber nachzudenken. Bitte.«

»Gib uns nicht auf, nicht jetzt, nicht hier. Zuviel Theater, zu viel Drumrum, kannst du mich nicht verstehen, zu oft alleine, das bringt mich um.«

Fast flehentlich ließ sie ihre Augen auf ihm ruhen. Es drängte sie, sich ihm anzuvertrauen. Doch gerade noch rechtzeitig überlegte sie es sich anders.

»Also gut, eine Woche und nicht mehr«, sagte er. Fred hauchte ihr einen Kuss auf die Hand. Jenny musste sich zwingen, nicht zusammenzuzucken.

»Eine Woche«, bestätigte sie dumpf. Reichte die Zeit aus, um irgendetwas an ihrer Situation zu verbessern? Sie wusste es nicht.

*

»Ich werde deine Brustknospen mit der Zunge liebkosen, und dann sehe ich zu, wie sie sich aufrichten und der Wind sie trocken fächelt. Gefällt dir das?«

Hatte sie gerade zustimmend genickt? Es wäre besser, wenn sie gleich aufbräche. Vorsichtig richtete sie sich etwas auf. Sie seufzte und lag im nächsten Moment in seinen Armen.

Ihm war heiß vor Leidenschaft, und er war bereit für die Liebe. Das Haar fiel ihm in die Stirn. Wie es wohl wäre, wenn man es berührte? Es sah aus wie dunkle Seide. Bestimmt fühlte es sich auch so an. Sie stellte sich vor, wie sie es ihm zurückstrich, wie er sie mit diesen unglaublichen Augen ansah. In dem kaum erträglichen Gefühlschaos wurde ihr auf einmal klar, wie sehr er auf sie reagierte.

Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als er ihr durchs Haar fuhr und dann mit der Zunge ihren Mund erforschte. Seine Hitze brachte sie in Wallung. Ihre Zunge umspielte nun seine, und auch er stöhnte auf und presste seine Lippen noch stärker auf ihre. Er war so heiß, so stark. Sie schloss ihn in ihre Arme, streichelte immer wieder seinen Rücken. Wie gut sich das anfühlte, seine weiche Haut, seine harten Muskeln. Sie musste auf einmal daran denken, wie er damals bei den Nachbarn den Schuppen gebaut hatte, an das Spiel seiner Muskeln. Er umfasste ihre Brüste, alles in ihm spannte sich an.

»Bitte, Fred, sei vernünftig.«

»Jenny!« Er nahm noch einmal ihr Kinn in seine Hand, blickte sie ernst und überzeugend an. Sie wehrte sich freundlich, aber bestimmt. Er konnte nur mühsam seine Erschütterung verbergen über die Veränderung, die mit Jenny vor sich gegangen war. Ihr mädchenhaftes Gesicht schien seine Unbefangenheit und Fröhlichkeit verloren zu haben, ein Hauch von Reife und Ernst zeichnete die Züge.

»Nein, Fred, ich will mich gar nicht überzeugen lassen.« Dann blickte sie auf die Uhr. »Ich glaube, es wird Zeit, dass wir nach Hause gehen.«

»Du solltest nicht fortgehen, Jenny«, sagte er weich. »Wenn du mich heiratest, dann brauchst du keinen Beruf! Keine Nacht ist endlos, und das Licht eines jungen Tages hält am Abend, was es dir verspricht.«

Irgendwo entfernt wurde ein Auto gestartet und jagte mit aufheulendem Motor davon. In der Ferne bellte ein Hund.