Der Traveller hat’s wirklich schwer

Während die Daheimgebliebenen mit Aktenmäppchen ins Büro federn, muss der Backpacker mit großem Gepäck die Welt umrunden. Jungle-World-Redakteur andreas hartmann schildert seinen beschwerlichen Alltag on the road

In den Urlaub fährt jeder mal. Ein Traveller ist er deswegen am Strand von Fuerteven­tura oder in irgendeinem Robinson Club noch lange nicht. Traveller, das sind vielmehr die, die niemals mit Koffer oder Trolley, sondern monatelang mit einem viel zu schweren Rucksack durch Länder ziehen, von denen sie vor ihrem »Trip« (Travellerjargon) nicht mal die Hauptstadt kannten, und die freiwillig in nur selten gemütlichen Backpackerabsteigen nächtigen, in denen die Matratzen durch­ge­legener sind als in einem Amsterdamer Puff.

Gegen echtes Traveln ist der Büroalltag daheim wie ein Komplettprogramm im Wellnessclub. Traveln ist kein Kontrast zu dem, was herkömmlich als Arbeit bezeichnet wird, sondern deren Potenzierung. Denn man sucht, während man seinen Rucksack durch die Gegend schleppt, keine Entspannung wie der gemeine Urlauber, man ist auch nicht nur ein Rei­sender wie Goethe in Italien oder der deutsche Bildungsbürger ebendort mit dem Baedeker in der Hand, sondern man ist ein aktiv und rastlos Erlebender, der sich in fremden Ländern und unter Menschen mit kuriosen Essgewohnheiten bewegt wie der Revolutionär im Volke nach den Vorstellungen Maos. Also wie der Fisch im Wasser. So glaubt es jedenfalls im Allgemeinen der Traveller.

In Wahrheit ist der Traveller kaum besser als der normale Tourist. Er verändert die soziale Infrastruktur in Drittweltländern nicht weniger als der Pauschalurlauber. Plötzlich müssen sich vorher unberührte Landstriche auf die Bedürfnisse von Wohlstandsgeplagten einrich ten, die gerade das Unberührte entdecken wollen. Und wenn in Mexiko nicht alles nach der deutschen Uhr geht, kann der Traveller schnell genauso ungemütlich werden wie der typisch deutsche hässliche Tourist, der uns von Gerhart Polt bereits näher gebracht wurde. Schnell werden dann bestimmte Gepflogenheiten der Einheimischen nicht mehr als »tranquilo«, sondern als »schrecklich langsam« empfunden. Ein Satz wie: »Schon schön, aber schockiert bin ich über den Dreck überall«, wenn nicht alles so hundertprozentig in der grünen Tonne landet wie daheim, ist zu­dem ein ganz normaler Travellersatz.

Seit gut drei Monaten gehöre ich selbst zu den Travellern. Ich habe meine Identität komplett gewandelt. Statt Stubenhocker mit mini­malem Bewegungsradius bin ich nun pausenlos unterwegs nach Irgendwo, bin also keiner mehr von euch, sondern einer von denen. Ein Traveller ist man schließlich nicht nur einfach so, wie man eine Zeit lang ein Fernsehzuschauer ist, sondern man tritt in eine Art Sekte ein, in einen Club mit eigenen Regeln, und je länger man dort dabei ist, desto stärker identifiziert man sich mit seinem neuen Dasein. Ich selbst bin also längst ein Traveller mit allem drum und dran. Drei Monate, das ist schließlich nicht schlecht, das sorgt für Achtung unter den Neueinsteigern und Respekt bei denjenigen, die vielleicht nur vier Wochen Zeit für, sagen wir mal: zwei Länder haben, weil man daheim noch einen Chef hat. Doch derartige Traveller mit arg begrenzter Zeit gehören sowieso nicht wirklich zu uns, man ist erst ungefähr ab etwa zwei Monaten anerkanntes Vereinsmitglied.

Natürlich sind drei Monate wiederum nichts gegen das Hochleistungstraveln derjenigen, die gleich ein ganzes Jahr unterwegs sind, oder zwei, oder noch besser: »open end«. Doch auf diese Dauertraveller, diese sagenhaften Gestalten, trifft man nur recht selten, man hört meist nur von ihnen. Jeder Traveller hat schon einen anderen getroffen, der die halbe Welt barfuß oder auf Händen durchquert hat.

Es gibt wirklich viele unterschiedliche Travellertypen. Logisch, niemand ist globaler als jemand, der sich dank seines Rucksacks auf der Schulter eine Zeit lang einbilden darf, ihm gehöre die Welt.

Man stößt – mal ganz grob geschnitzt – auf die voluntary workerin aus Wiesbaden, die an irgendeine Organisation dafür zahlt, dass sie armen Menschen im Trikont ein wenig unter die Arme greifen darf. »Voluntary working« ist nicht nur in Guatemala das neue Traveln, schreibt selbst der Lonely Planet. Die Wiesbadenerin rennt schon nach zwei Tagen komplett mit Latino-Schmuck behangen herum, konnte vorher schon Spanisch, hat auch schon mal einen Quechua-Sprachkurs besucht, um mit der indigenen Bevölkerung leichter in Kontakt treten zu können, und hatte auch in Deutschland bislang hauptsächlich was mit Latinos.

Oder man freut sich über die vielen Japaner, die unterwegs sind. Sie haben stets perfekt durchgeplante Reiserouten und ganz eigene Reisebücher auf Japanisch mit vielen Bildern, mit denen kein Mensch außerhalb Japans etwas anfangen kann, die aber bestimmt hervorragend und besser als alles sind, auf das man im Westen zurückgreifen muss.

Die Japaner können auch niemals Englisch und auch kein Spanisch – Japa­ner können einfach immer nur Japanisch und fertig. Sie tragen, und auch das zeichnet sie aus, auf keinen Fall diese schlimmen Fleece- und Thermojacken wie die handelsüblichen Traveller selbst im Nachtclub, auch im heruntergekommensten Pueblo Boliviens kommen die Japaner daher wie direkt aus einer Londoner Hipsterbar.

Und natürlich ist in den Travelgebieten alles auf Israelis eingestellt, die immer in Rudeln unterwegs sind und stets nur dort absteigen, wo auch andere Israelis nächtigen. Die Israelis haben im Normalfall gerade die schlimmste Zeit ihres Lebens beim Militär hinter sich gebracht und wollen jetzt mal ganz woanders ein wenig Party. Oder wenigstens Action. Zumindest den Irrsinn daheim hinter sich lassen. Wenn man von einem hört, der irgendwo mit dem Mountainbike tödlich verunglückt ist, ist das immer ein Israeli, und erfährt man von einer Reisegruppe, die man per Hubschrauber suchen musste, dann handelt es sich auch um Israelis, die dachten, Weg­absperrungen gälten nicht für Wanderer nach mehrjährigem Überlebenstraining. »Die denken, sie haben den Krieg überlebt, also könne ihnen nichts mehr passieren«, umschreibt ein Guide in Bolivien die Lust der Israelis auf Grenzerfahrungen.

Neben all diesen eher nationalen Eigenheiten, die natürlich immer die Tendenz zum Klischee haben, stößt man noch auf ganz andere Regeln und Muster, die den Traveller ausmachen. Beispielsweise grüßt man sich als solcher permanent. Tut man das nicht, wird man für arrogant oder »typisch deutsch« gehalten. Wür­de man demselben Menschen mit der zwei­fel­haften Frisur und dem Zopf im Haar in Berlin in der U-Bahn gegenübersitzen, würde man ihn bestimmt nicht weiter beachten und ihm nicht einmal gelangweilt zunicken. Warum auch?

Hier aber, nach irgendeiner Travelaktivität in Bolivien auf dem Weg zurück zum Bus, sagt man sich »Hello« oder besser noch »Ola«. Man macht das eben so und verdeutlicht damit auch: Alles klar, du und ich, beide krass unterwegs, beide Traveller. Weit weg von daheim, aber hier treffen wir uns: Wow! Wenn man Pech hat, gibt’s beim gemeinsamen Warten auf den Bus danach den Travellertalk, besser gesagt, es gibt ihn ganz bestimmt, denn einfach mal den Mund halten und nichts von sich geben, das geht nicht. Es ist vielmehr ein typischer Reflex des Travellers, er will stets wissen: Wie lange schon? Wie lange noch? Wo schon gewesen? Als ob das alles wirklich von Interesse wäre.

Überhaupt besteht der Traveller­talk hauptsächlich und eigentlich immer aus Stumpfsinn. Es geht stets um dasselbe, wobei dasselbe wiederum länder- und regionenabhängig ist. In Indien etwa unterhält man sich andauernd darüber, wie man den letz­ten TucTuc-Fahrer in mühseliger Verhandlung heruntergehandelt hat. In Indien, muss man dazu wissen, ist das Herunterhandeln von TucTuc-Fahrern für Traveller eine Art Sport, mag dieser auch noch so enervierend und mühselig sein. In Latein­amerika wird eher »mein Haus, mein Boot, meine Frau« ersetzt durch »mein Hike, mein Aben­teuer, meine Einladung beim Dorf­ältesten, der mir gleich fünf seiner Töchter angeboten hat«.

Der Travellertalk hat meist etwas von Balzverhalten. Man schnuppert sich vorsichtig ab und ist bedacht, unter Travelgesichtspunkten bloß nicht uncool zu wirken. Man sollte also nicht zugeben, auch mal in teureren Hostels zu nächtigen, anstatt in Schlafsälen, die an Kasernen erinnern. Man war auch nie nur einfach mal ein paar Tage irgendwo unterwegs, sondern immer gleich auf einem »Trekk«, das klingt sofort viel besser.

Man sollte möglichst alles Erlebte unglaublich ausschmücken, Zurückhaltung bringt gar nichts. Beispielsweise zu sagen, dass man nach drei Monaten langsam die Schnauze voll habe, sich auf Berlin freue und »reisemüde » sei – merke: Ein echter Traveller sagt so etwas niemals.

Alle Traveller sind vielmehr immer großartig drauf, freuen sich auf weitere fünf Monate unterwegs und sind begeistert von der Vorstellung, sich noch durch viele weitere Busfahrten auf etwas breiteren Trampelpfaden in Bolivien quälen und in Hostelzimmern Kakerlaken zählen zu dürfen.

Im Normalfall, so scheint es, wappnet sich der Traveller für dieses Revierabstecken unter seinesgleichen schon rein äußerlich. Man scheint im Allgemeinen schon durch die Wahl seiner Klamotten deutlich machen zu wollen, dass nichts und niemand einem etwas kann, dass man sozusagen zum Traveln geboren wurde. Man trägt also praktische Klamotten – besagtes unmögliche Ther­mozeug, das wahrscheinich nur in Deutschland auch noch im Alltag getragen wird – und nicht solche, die nach etwas aussehen. Man ist trotz der High-Tech-Anziehsachen aber gleichzeitig darauf bedacht, leicht zerrissen zu wirken. Man ist schließlich schon lange unterwegs, und die letzte Dusche ist eine Weile her – lieber Cowboy als Sissi, logisch. Prinzipiell gilt: Als Traveller, der etwas unter seinen Kollegen gelten will und nicht herumrennt wie Oskar aus der Tonne, ein Goatrancer oder Wagenburgbewohner, hat man es nicht leicht.

So wird aus den Travellern eine kon­forme Masse mit konformem Auftreten. Alle sehen gleich aus und lieben es, stundenlang in den Gemeinschafts­küchen ihrer Absteigen herumzuhocken und sich gegenseitig Spaghetti mit Tomatensauce zu kochen, während draußen in den Garküchen für ein paar Pesos mehr leckeres Essen angeboten wird.

Aber nach draußen geht man heute lieber nicht mehr so gerne, jetzt, wo es hier drinnen gerade so gemütlich ist. Man muss sich erst noch gegenseitig irgendwelche Schoten erzählen, und mit den Menschen da draußen hat man, wenn man ehrlich sein soll, ja eigentlich sowieso nicht viel gemein.