»Es war die Zeit der Selbstdarstellung«

Interviews mit Hollywood-Stars wie Sharon Stone machten ihn berühmt. Als aufflog, dass die Gespräche nur Fakes waren, wurde er zur negativen Legende des Popjournalismus. Ein Gespräch mit tom kummer

Als ich Ihren Namen zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich, er sei ein Pseudonym. Meine Erfahrungen in der Schweiz haben dann ergeben, dass Kummer ein typischer Schweizer Familienname ist. In einer Reihe mit Zweifel-Kartoffelchips oder Walter Angst vom 1.-Mai-Komitee in Zürich.

Meinen Familiennamen gibt es in der Schweiz öfter.

Sie veröffentlichen jetzt Ihre Auto­biografie unter dem Titel »Blow Up«, wie der Antonioni-Film. Hat der Film etwas mit dem Buch zu tun?

Wenn man bei meinem Buch an den Film denkt, ist das richtig. »Blow Up« als Begriff hat etwas mit Vergrößerung zu tun, mit Aufblasen von Bildern und Images, mit Selbstdarstellung, es hat damit zu tun, sich größer zu machen, bis es am Ende zu einer großen Explosion kommt. Das sind auch die Gedanken, die mir bei Antonionis Film kommen.

An einer Stelle des Buchs erwähnen Sie die Lupe Ihres Vaters, mit der Sie die Zeitung lesen, und speziell die Ausgabe der Süddeutschen Zeitung, in der im Sommer 2001 die erfundenen Interviews verhandelt und als Verfehlung kritisiert werden. Warum hat die Lupe für Sie eine besondere Bedeutung?

Wie Thomas, der nach dem berühmten Modefotografen David Bailey modellierte Protagonist bei Antonioni, in seinem Atelier Fotos vergrößert, um einen mysteriösen Vorfall aufzuklären, vergrößere ich auch eine Seite aus der Zeitung mit der Lupe. Es war ein surrealer Moment, als ich selbst in der Süddeutschen Zeitung auf zwei Seiten abgehandelt wurde. Ich glaube, ich greife zur Lupe, um mir Dinge präziser begreiflich zu machen. Man kann schon mit einer Lupe die Zeitung lesen, aber ich gehe näher ran und zersetze die Worte.

Nun ist es ein Ziel von Zeitungen, im Schlamm zu wühlen, im Unbewussten zu stochern. Eine Zeitung ist ein sich selbst generienderes System. Ist die Thematisierung Ihrer Fake-Interviews ein Beispiel dafür?

Ich denke, es ist ein Prinzip der Printmedien, Geschichten phantasievoll zu präsentieren, auch Illusionen zu kreieren. Gerade die Süddeutsche Zeitung war Vorreiter eines Journalismus, der die Stars grundsätzlich mit konzeptionellen Methoden heller strahlen ließ. Ich weiß nicht, ob ich selbst gestochert habe. Allgemein ist Stochern aber eine normale Begleiterscheinung des Journalismus; die Süddeutsche Zeitung hatte das Gefühl, dass ihr Image durch meinen Fall Schaden nimmt, also hat sie gehandelt.

Sie breiten den Skandal um Ihre erfundenen Interviews erneut aus, ohne allerdings etwas Neues dazu zu sagen. Den ersten Teil von »Blow Up« finde ich interessanter, weil Sie auf Ihre Biografie ausführlicher eingehen. Da gibt es zum Beispiel den Tennis spielenden Tom Kummer, der gegen Yannick Noah verliert.

Es ist das große Leben, das ich will, da ich im kleinen aufgewachsen bin. Es war immer ein Drang von mir, Grenzen auszuloten, zu sprengen, aus ihnen herauszugehen. Dazu musste ich mich selbst darstellen und meine Identität ändern. Ich pflegte die Kunst der Selbstdarstellung. Ich glaube, die achtziger und auch die neunziger Jahre waren Jahrzehnte der Selbstdarstellung. Das war nicht einfach ein Bluff oder ein Angeben von mir. Es war ein Prozess, in dem ich Geschichten übernommen habe. Ich stellte mich auch schon als Kind selbst in ein Licht, das glänzt. Was meine Tenniskarriere betrifft, so hatte ich da letztlich Angst vorm Siegen. Wenn man siegt und auf dem Podest als Gewinner steht, ist das das Ende von etwas. Ich fand es nie spannend, wenn ich merkte, ich etabliere mich oder ich werde seriös. Das ist immer auch das Ende einer gewissen Freiheit.

Sie kennen den englischen Ausdruck flirting with disaster. Beschwören Sie die Niederlage geradezu herauf, oder faken Sie sie bloß?

Das geschieht sicher nicht aus der Lust an Selbstzerstörung. Als ich meinen ersten Godard-Film gesehen habe, wie Schauspieler direkt in die Kamera sprechen und sich an die Zuschauer wenden, wie Godard die Handlung in Jumpcuts vorantreibt, fand ich das sehr spannend. Mich hat fasziniert, wie Godard Systeme aufbricht und neu konstruiert.

Warum haben Sie die Jugendunruhen in der Schweiz Anfang der achtziger Jahre ausgelassen und sind nach Ihrer gescheiterten Tenniskarriere direkt von Bern nach Westberlin gezogen?

Die Jugendunruhen in Bern habe ich damals sehr bewusst miterlebt. Persönlich war ich aber nicht an der Besetzung der Reithalle in Bern beteiligt. Viele meiner Freunde aber schon. Das war damals das beherrschende und polarisiende Thema in der gesamten Schweiz. Man muss weiter, immer weiter, nicht stehenbleiben, war eine der Losungen, und an die habe ich mich gehalten und bin dann sofort nach Berlin gezogen.

Westberlin in den Achtzigern wurde von Popmusik geprägt, von Figuren wie Nick Cave oder von den Genialen Dilettanten, aber auch von autonomer Politik, von Hausbesetzungen, die Frontstadt am Ende des Kalten Kriegs. All das kommt bei Ihnen nur sehr am Rande vor, obwohl Sie nach eigenem Bekunden mittendrin gelebt haben.

Ich fand es nie gut, mich auf etwas festzulegen. Von außen etwas zu betrachten, war mir wichtiger. Das hat vielleicht auch etwas mit meiner Schweizer Mentalität zu tun. Im übrigen habe ich auch keine besonderen Fähigkeiten, außer der, dass ich ein bisschen schreiben kann. Ich war nicht an der Kunsthochschule, habe auch sonst keine Ausbildung genossen. Westberlin war aber insofern ein Freiraum, der mich zu dem hat werden lassen, was ich werden wollte: Ich konnte mich dort erstmals beim Schreiben ausprobieren und dann irgendwann davon leben.

Was war der ursprüngliche Impuls, der Sie zum Schreiben und zum Journalismus gebracht hat?

Geschrieben habe ich immer. In Bern habe ich Tagebuch geführt, das war nur für mich selbst. Ich dachte aber, das ist nicht gut, was ich mache. Zunächst gab es niemanden, dem ich meine Texte zeigen konnte. Als ich dann auf die Zeitschrift Trans­atlantik gestoßen bin, erfuhr ich, dass sie eine Spezialausgabe zum Thema Sport planen. Der literarische Journalismus, der in Transatlantik betrieben wurde, hat mich damals sehr angesprochen. Dann habe ich einen Text an den Chefredakteur geschickt. Er wurde prompt publiziert, und das war ein Signal für mich, dass ich eine Fähigkeit besitze zu schreiben.

Haben Sie viel gelesen?

Ja. Von der Literatur habe ich das einzelgängerische Beobachten der Welt gelernt, das ständige Reflektieren und Nachdenken. Was etwas draußen bedeutet, und was das da drinnen für mich heißt. Die Bedeutung von Einsamkeit in der Literatur: Ich war in den Achtzigern meistens alleine, also konnte ich das sehr gut nachvollziehen.

Der spannendste Raum im Westberlin der achtziger Jahre, so schreiben Sie, sei der Copy­shop gewesen. Warum?

In Copyshops hat man immer Leute mit Bücherstapeln getroffen. Aus Büchern zu kopieren und in Büchern zu recherchieren, nahm Stunden in Anspruch. Man stand währenddessen nebeneinander an den Kopiergeräten, rauchte dazu, trank eine Cola. Es war immer jemand da, der das Gleiche gemacht hat. Der eine hat vielleicht ein Buch über Blue-Note-Jazz-Cover kopiert, die andere hat ein Buch über französische Dekonstruktivisten kopiert, und so ist man ins Gespräch gekommen und hat Ideen ausgetauscht. Der Copyshop war ein sozialer Ort des Gedankenaustauschs, wo sich auch offenbarte, was man denn eigentlich so macht. Heute kommuniziert man über die Arbeit am Computer, ist aber viel isolierter.

Sie haben den literarischen Journalismus erwähnt. Allerdings wurde in den Achtzigern in Deutschland vor allem der Musikjournalismus bedeutsam, Magazine wie Spex oder Sounds, die sich in der Copyshop-­Ästhetik ebenfalls auskannten und Texte publizierten, in die viele außermusikalische Positionen einflossen. Pop spielt für Sie aber nur eine untergeordnete Rolle, warum?

Pop bedeutet mir viel, ich bin großer Musikfan, aber er ist eben auch ein Expertenbereich, und wenn ich früher irgendwas im Zusammenhang mit Musik erwähnt habe, kam es oft zu Missverständnissen. Ich will meinen Musikgeschmack nicht unnötig raushängen lassen.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Deutschland? Das geht aus »Blow Up« nicht ganz hervor.

Ich habe den Spiegel von klein auf gelesen, mich immer für deutsche Geschichte interessiert. Vorurteile gegen Deutschland sind in der Schweiz weit verbreitet, man fühlt sich gegenüber dem mächtigen Nachbarn klein, hat Schwierigkeiten, sich hochdeutsch zu artikulieren. Politisch und kulturell fand ich Deutschland aber sehr spannend. All das Kontroverse an Deutschland hat mich eher angezogen. Es war gar keine Frage für mich, dass ich genau dorthin wollte.

Was ist die Essenz aus Ihrer Zeit bei Tempo?

Man konnte in der Redaktion machen, was man wollte. Es gab grandiose Bedingungen für Journalisten, auch finanziell gesehen. Ich wurde losgeschickt in ferne Länder. Die Texte mussten Farbe haben, sollten aber mit korrekten Fakten belegt sein. Rein inhaltlich war alles offen, so lange es unterhaltsam zu lesen war und spannend geschrieben. Solche Bedingungen wird man nie wieder bei einer Zeitschrift dieser Größenordnung erleben.

Ich bin auch eher durch Zufall bei Tempo reingeraten, habe einen Text angeboten und bin damit auf Gegenliebe gestoßen. Ein Risiko einzugehen, war bei Tempo wichtig. Wenn man gezeigt hat, dass man über die Story hinaus noch tiefer ins Thema vordringen kann, abstrakte und persönliche und subjektive Gedanken einbauen kann, war das gerade gut.

Im letzten Teil von »Blow Up« stellen Sie die Zeitungslandschaft am Ende der neunziger Jahre als bipolare Welt dar: einerseits »die Popfraktion«, zu der Sie sich gezählt haben, auf der anderen Seite der Investigativjournalismus.Gibt es wirklich nur diese beiden Fraktionen?

Das sind die beiden Positionen, die in meinem Fall für Reibung sorgten. Ich glaube schon, dass es noch mehr Positionen gibt. Es gibt diesen New Journalism, Leute, die das Wahrheitsmonopol in den Medien durchlöchern wollen, aber eben mit ehrlichen Mitteln. Dann gibt’s natürlich auch den Qualitätsjournalisten, der aus den Siebzigern kommt, solide, aber auch langweilig schreibt, und es gibt meine Sorte von Journalisten, die gar keine Moral kennen und gar keine Grenzen einhalten, um eine Wahrheit zu finden. Eine Wahrheit zu finden, die genauso wichtig ist wie die so genannte Wahrheit, die der Qualitätsjournalismus produziert.

Haben Sie eigentlich nie gedacht, dass Sie auffliegen könnten?

Der Journalismus hatte sich zum Zeitpunkt, als ich aufflog, grundsätzlich verändert. Durch finanzielle Engpässe und Entlassungswellen war die Bereitschaft zum Experiment gesunken. Nur war mir diese Tatsache in Kalifornien gar nicht bewusst. Ich glaube, Anfang der Neunziger hätte man um mich nicht so viel Bohei gemacht. Der Skan­dal um meine Person war eine Zeiterscheinung.

Dennoch war es seltsam, dass Ihre gefaketen Interviews nicht eher aufgeflogen sind. Dass die Zitate, die Sie den Stars als Antworten in den Mund gelegt haben, niemandem bekannt vorkamen.

Ich glaube, der Stoff war zu gut, sie wollten es nicht so genau wissen, sie wurden zu süchtig nach meinem Stoff.

Was haben Sie eigentlich gegen Interviews?

Eigentlich nichts, sie interessieren mich nicht. Ich habe überhaupt gar keine Interviews mehr geführt, seit ich an meinem Buch geschrieben habe.

interview: julian weber

Tom Kummer arbeitet nach eigenen Angaben als Trainer für Paddle-Tennis in Los Angeles. Bei dieser Variante der Sportart ist der Schläger kleiner. Das Spielfeld ist nur etwa ein Drittel so groß wie ein gewöhnlicher Tennisplatz. Das Netz hängt sehr niedrig. Die Bälle werden überwiegend aus der Hüfte geschlagen.