Der Mann ohne Parteibücher

ich-ag der woche

Lässt man das Gerede vom »Wirtschaftswunder«, der »Sozialen Marktwirtschaft« und dem »Wohlstand für alle« einmal beiseite, war Ludwig Erhard unter den deutschen Politikern der Ära Adenauer wahrhaftig etwas Besonderes: Er war nicht »in der Partei«.

Den nachträglichen Fund eines Parteibuchs der NSDAP in einem staubigen Archiv hätte man in der CDU, wo man schließlich weiß, wie der wahre Widerstand gegen Nationalsozialismus aussah, vermutlich schulterzuckend zur Kenntnis genommen. Nicht aber die erschütternde Nachricht, die vorige Woche, kurz vor den Feierlichkeiten zum 30. Todestag des Politikers, die Runde machte: Ludwig Erhard soll Zeit seines Lebens kein Mitglied der CDU gewesen sein. Horst Friedrich Wünsche, Geschäftsführer der Bonner Ludwig-Erhard-Stiftung und Mitarbeiter des ehemaligen Kanzlers, sagte dem Stern, Erhard habe nie ein Parteibuch unterschrieben. Es existiere lediglich eine Mitgliedskarte aus dem Jahr 1968, rückdatiert auf den 1. März 1949, ohne eine einzige Beitragsmarke.

Ohne Parteibuch aber kann man nicht Parteivorsitzender werden. Wird nicht doch noch ein einschlägiges Dokument aufgetrieben, wäre Erhard in den Jahren 1966 und 1967 Parteivorsitzender der CDU gewesen, aber zugleich auch nicht. Gleiches dürfte für den Ehrenparteivorsitz bis zu seinem Tode im Jahr 1977 gelten. Auch hätte Erhard an Abstimmungen auf den Parteitagen nicht teilnehmen dürfen. Sind alle Entscheidungen jener Jahre daher ungültig? Muss neu abgestimmt werden? Wird der »Vater des Wirtschaftswunders« noch als Parteienschwindler und Nichtbeitragszahler in die Geschichte eingehen? Muss die Geschichte der jungen BRD gänzlich umgeschrieben werden?

Bislang hält man zumindest am Festakt zum Todestag Erhards am 5. Mai in München, zu dem sich Erich Huber und Theo Waigel (beide CSU) angekündigt haben, fest. Aber vielleicht werden auf der Gedenktafel, die dann enthüllt werden soll, derzeit hektisch drei Buchstaben weggekratzt.

regina stötzel