Die Perle des Betriebs

ich-ag des jahrzehnts

Von Zeit zu Zeit, wenn man mittwochs, zum Beginn der Arbeitswoche, missmutig in die Redaktionsräume der Jungle World hastet, sitzt am Konferenztisch bereits ein unbekannter schüchterner junger Mann oder eine unbekannte schüchterne junge Frau, in die Lektüre der druckfrischen Zeitung vertieft. Denn so wird vertröstet, wer pünktlich zum Beginn des Praktikums erschienen ist.

Manchmal meinte man, Ratlosigkeit oder auch leichtes Entsetzen in den Augen der Praktikantin oder des Prak­tikanten zu erkennen, wenn es gleich auf der ersten Redak­tionssitzung hoch her ging. Denn Kolleginnen und Kollegen, die seit Jahren zusammenarbeiten, pflegen in hitzigen Debatten nicht immer die allerfeinsten Umgangsformen.

Dennoch hat kaum jemand der willigen Helferinnen und Helfer je vorzeitig das Weite gesucht. Nicht einmal, wenn es im barschem Ton hieß: »Ist das Deutsche Haus immer noch nicht fertig?« Oder: »Lass mir die Nachricht einfach da, ich schreibe sie dann später um.« Mit stoisch-freundlichen Gesichtern ertrugen sie die enervierendsten Rechercheaufträge oder besonders unangenehme Aufgaben, für die angeblich sonst niemand Zeit hatte. Noch den rappelköpfigsten Straßenkämpfer richteten wir zu einer Perle des Betriebs ab. Einer sortierte akribisch unsere Altpapiersammlung, pardon, das Archiv. Gleich eine ganze Gruppe von Neulingen wurde genötigt, sich mit dem Wegbringen von Pfandflaschen ein erbärmliches Taschengeld zu verdienen. Einen verheizten wir sogar als Versuchskaninchen eines gemeingefährlichen Zauberers. Lediglich das Abstauben von Gummibäumen blieb ihnen erspart. Aber nur, weil es dergleichen in den Redaktionsräumen nicht gibt.

Viele von ihnen avancierten zu Starautorinnen und Starautoren. Mancher blieb der Redaktion so beharrlich treu, dass er irgendwann zum Redakteur berufen wurde. Einer hat es sogar zum Chef vom Dienst geschafft.

Auch entstanden Kontakte über die Praktikumszeit hinaus, die nicht immer rein beruflicher Natur waren. Aber an dieser Stelle wollen wir lieber nicht ins Detail gehen.

regina stötzel