Die Slutwalks sind eine mediale Inszenierung

Alles Nabelschau

Der Verein Doña Carmen setzt sich für die sozialen und politischen Rechte von Frauen ein, die in der Prostitution arbeiten. Die Gruppe aus Frankfurt a.M. kritisiert die Slutwalk-Bewegung dafür, dass sie Frauen auf den Status potentieller Opfer sexua­lisierter Gewalt reduziert. Doña Carmen nahm nicht am Slutwalk teil.

Befürworter und Befürworterinnen des Slutwalk gingen auf die Straße, um den Mythos zurückzuweisen, Opfer sexualisierter Gewalt hätten diese selbst zu verantworten. Mag sein, dass einige unbelehrbare Zeitgenossen solchen Vorstellungen anhängen. Gleichwohl scheint es uns zweifelhaft, dass ausgerechnet dieser Mythos derart alltagswirksam und ursächlich für sexuelle Übergriffe ist.
Problematisch ist auch, dass sich die Organisatorinnen und Organisatoren des Slutwalk selbst eines Mythos bedienten, nämlich, dass Frauen hierzulande einer Kultur permanent drohender Vergewaltigung, einer weitverbreiteten »sexualisierten Gewalt« ausgesetzt seien. Wenn es in Auftragsarbeiten für das Bundesfamilienministerium bereits als sexueller Übergriff eingestuft wird, einer Frau hinterherzupfeifen, so konstruiert man Opfer mittels eines ausgesprochen weit ­gefassten Begriffs von »sexualisierter Gewalt«. Statt sich kritisch mit diesem Begriff zu befassen, verblieb man bei der Artikulation von Befindlichkeiten, die kaum über eine politisch naive Nabelschau hinauskam.
Beim Slutwalk kokettierte man mit dem Status eines potentiellen Opfers und inszenierte sich medial. Die Gefahr einer missbräuchlichen Ins­trumentalisierung sah man offenbar nicht. ­Unter dem Label des Kampfs gegen sexualisierte Gewalt hat in den USA längst ein konservatives Bündnis religiöser und pseudofeministischer Grüppchen zusammengefunden, die eine zweifelhafte neue Prüderie propagieren. Es ist heute kein großer Schritt von der Stilisierung als potenzielles Opfer zur Verfestigung des klassischen Stereotyps der »schutzbedürftigen Frau« und zur strafrechtlichen Regulierung sexueller Beziehungen aller Art inklusive einschlägiger Mechanismen sozialer Kontrolle und Überwachung. Eine Aus­einandersetzung mit diesen Aspekten fand im Rahmen der Slutwalk-Kampagne nicht statt.
Bezeichnenderweise wird trotz der freizügigen Selbstinszenierung nach dem vermeintlich emanzipatorischen Motto »Schrill und bunt gleich selbstbewusst« Sexualität auffällig negativ konnotiert. »›Nein‹ heißt ›Nein‹«, lautete das vorherrschende Leitmotiv. Warum denn nicht: »Nur ›Ja‹ heißt ›Ja‹«?
Als Organisation, die sich seit vielen Jahren für soziale und politische Rechte von Prostituierten einsetzt, erscheint uns das Kokettieren mit dem Status eines potentiellen Opfers sexualisierter Gewalt unreflektiert. Frauen, die in der Prostitution tätig sind, werden seit Jahrzehnten als »Opfer« von Gewalt, Armut, Zuhältern, Menschenhändlern und Freiern dargestellt, und dadurch werden sie als nicht selbstbestimmungsfähige »Randgruppe« stigmatisiert und entmündigt. Vor diesem Hintergrund scheint uns die unkritische Bezugnahme auf einen potentiellen Opferstatus bei der Slutwalk-Bewegung kontraproduktiv.

In dieser Bewegung spielen konkrete Forderungen für die Rechte von Prostituierten bisher keine Rolle – obwohl doch der Begriff »Schlampe« seit Jahrhunderten sexuell selbstbestimmte und durch Promiskuität oder Kleidung aus der Rolle fallende Frauen in die Nähe der stigmatisierten Prostituierten rücken soll. Konkrete Anliegen von Frauen in der Prostitution – etwa Forderungen nach Beendigung der permanenten Polizeirazzien, nach Legalisierung von Migrantinnen aus Nicht-EU-Staaten oder nach rechtlicher Gleichbehandlung mit anderen Berufen – wurden nicht auf­gegriffen. Die Slutwalk-Bewegung zieht es vor, statt für konkrete soziale und politische Verbesserungen lieber gegen nebulöse Mythen zu Felde zu ziehen. Das tut auch niemandem wirklich weh. Wenn die Slutwalks mehr sein wollten als ein einmaliges Medien-Event, hätten sie sich auch einiger handfesterer Probleme von Frauen annehmen müssen. Beispielsweise der Probleme von rund vier Millionen Alleinerziehenden hierzulande, die erst vor kurzem durch einen skandalösen Richterspruch des Bundesgerichtshofs, ­wonach sie einen Vollzeitjob anzunehmen haben, sobald ihre Kinder drei Jahre alt sind, ökonomisch diskriminiert wurden. Ein Thema, das es verdient hätte, mit scharfen Protestaktionen aufgegriffen zu werden. Die Chance wurde vertan. Wer sich stattdessen auf Fragen der Kleiderordnung von Frauen und darauf bezogene Vergewaltigungsmythen beschränkt, verdeutlicht nur, dass es sich dabei um vergleichsweise luxuriöse Anliegen einer bauchnabelfixierten Mittelschichtsbewegung handelt.

Die Autorin ist Sprecherin von Doña Carmen und Herausgeberin der Prostituiertenzeitung »La Muchacha«.