An Fondue und ­Raclette scheiden sich die Geister

So ein Käse

Beim Geschmack des Schweizerer Käse­fondue gehen die Meinungen auseinander. Aber ist die deutsche Aneignung des Raclettes, das hierzulande in kleinen Pfännchen am Tisch zubereitet wird, wirklich die Alternative?

Es stimmt: Figugegl

Käsefondue aus der Westschweiz ist nicht nur geschmacklich interessanter, sondern auch ein schönerer gemeinsamer Zeitvertreib als das lästige Raclette.

Von Christine Pfeifer

Hirten auf den Alpen aßen schon vor langer Zeit geschmolzenen Käse. ­Heute werden deshalb in der Schweiz halbe Raclette-Käselaibe vor ein Feuer gehängt, von denen man Portionen des geschmolzenen Käses neben Kartoffeln und Gewürzgürkchen auf den Teller schabt. Daraus wurde ein traditionelles Nationalgericht konstruiert, was immer etwas Fragwürdiges hat.

Das Fondue hingegen kommt aus der länderübergreifenden Region der Westalpen, was die nationale Vereinnahmung erschwert. Auch in Savoyen in Frankreich, der italienischen Region Aosta und im österreichischen Vor­arlberg gibt es gutes Käsefondue. In der Schweiz ist es überall ganzjährig zu ­bekommen. Sogar in kleineren Berg­orten gibt es zumindest ein Fonduestübli oder Beizli, das »Moitié-Moitié« auftischt. Den spontanen Bedarf deckt ein Automat mit Käsefertigmischungen neben der Milchzentrale.

Das Fondue kommt aus der länderübergreifenden Region der Westalpen, was die nationale Vereinnahmung erschwert.

Eine klassische Mischung besteht aus zwei bis drei Käsesorten, die mit etwas Pfeffer, Muskatnuss, einem Gläschen Kirsch und der richtigen Menge Weißwein in einem mit Knoblauch eingeriebenen Gefäß, dem Caquelon, erhitzt und zu einer cremigen Köstlichkeit verrührt werden, die zum Warmhalten auf ein Flämmchen, das Rechaud, gestellt wird. Die Aromen von Gruyère und Vacherin vermischen sich mit der Weißweinreduktion und den dezenten Gewürzen zu einem Gaumenschmaus, der auf einem Stückchen Brot in den Mund geschoben wird. Es gibt zahlreiche Rezeptvarianten und eine Kombinationsvielfalt mit diversen Brotsorten. Die Schweizer behaupten sogar, das Kirschwasser im Fondue töte alle Viren. Raclette besteht aus nur einer Käse­sorte und bietet kein vergleichbares Geschmackserlebnis.

Käse gehört erst seit etwa 100 Jahren zu den Grundnahrungsmitteln, seit den Wohlstandsjahren nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es sogar Überproduktion. Deshalb wurde Käsefondue in den fünfziger Jahren durch die Aufnahme des Rezepts in das Armeekochbuch und eine Werbekampagne der Schweizerischen Käseunion populär. Mit dem Slogan »Fondue isch guet und git e gueti Luune« (Figugegl) sollte der Käseberg abgebaut werden.

In dieser Zeit schaffte es das gesellige Käsefondue glücklicherweise auch nach Deutschland und wurde ein beliebter Silvesterbrauch – bis bedauerlicherweise überall diese Pfännchenraclette-Apparate auftauchten. Mitverantwortlich mag die 1994 gestartete »Rigugegl«-Werbung eines Raclettegerät-Herstellers sein, eine phantasielose Adaption der alten Foundue-Werbekampagne. Die Deutschen nutzten das neue Gerät, um in den Pfännchen Hawaii ohne Toast zu produzieren, oder legten Salami mit Tomaten unter eine Scheibe des immer gleichen Käses.

Caquelons und Rechauds, die sich viel leichter im Küchenschrank verstauen lassen als die monströsen Raclette-Geräte, verstauben in Reihenhausverstecken. Manchmal werden sie noch hervorgekramt, damit gesellige Runden kleingeschnittenes Obst in geschmolzene Schokolade tunken können, obwohl Fleischfondue eine bessere Alternative wäre. Für Raclette-Öfen gibt es gar keine andere Nutzungsmöglichkeit. Die esskulturelle Verdrängung sorgte dafür, dass jüngere Redaktionskollegen mit uns in die Schweiz fahren mussten, um Käsefondue überhaupt erst kennenzulernen.

Wer das Brot beim Eintauchen in die Käsecreme verliert, der oder die muss einen Schnaps trinken. Das Raclette-Essen mit kleinen Pfannen ist dagegen ein exklusives Event für Individualisten. Vor einigen Jahren durfte ich nicht zu einem Silvesteressen mitkommen, weil alle Pfännchen schon vergeben waren. Im schlimmsten Fall werden Käsescheiben pro Person abgezählt. Bei einer anderen Gelegenheit endete das Abendessen frühzeitig mit einem Kurzschluss, der Ofen war aus und die Abhängigkeit vom Raclettegerät mit Heizstab wurde zum Problem.

Mit Fondue wäre das alles nicht passiert. Gabeln gibt es in jedem Haushalt, sie lassen sich auch problemlos mitbringen. Weil die sättigende Wirkung von Käse unterschätzt wird, bleibt meist ein Bodensatz übrig, den die Schweizer »Großmuttr« nennen. Nur wer nicht genügend Brennmaterial für das Rechaud vorrätig hat, muss mit der Wärmequelle für das Caquelon ­experimentieren, aber nicht hungrig ins Bett gehen. Da das Fondue sowieso auf dem Küchenherd vorbereitet wird, sind Extraanschaffungen gar nicht zwingend erforderlich. Ätsch, Kapitalismus!

 

Pfännchen statt Töpfchen

Pfännchenraclette ist fortschrittlicher als Käsefondue und schweizerisches Raclette.

Von Philipp Idel

Käsefondue, das ist eine zähflüssige Plörre, die im Wesentlichen aus Käse, Weißwein und Kirschwasser besteht, nicht schmeckt und einem dem Magen verklebt. Wer will das essen? So könnte man über das bekannte schweizerische Gericht sprechen, wenn man sein Urteil über dieses Produkt der eidgenössischen Kochkunst für verallgemeinerbar hielte. Man könnte auch darauf verfallen, denjenigen, die nichts auf ihr Fondue kommen lassen, mit dem Philosophen Immanuel Kant entgegenzuhalten: »Hunger ist der beste Koch, und Leuten von gesundem Appetit schmeckt alles, was nur essbar ist; mithin beweist ein solches Wohlgefallen keine Wahl nach Geschmack.«

Pfännchenraclette zeigt einen höheren Entwicklungsgrad der europäischen Zivilisation an als Käsefondue.

Doch derselbe Kant schrieb in seiner »Kritik der Urteilskraft« auch: »In Ansehung des Angenehmen bescheidet sich ein jeder: dass sein Urteil, welches er auf ein Privatgefühl gründet, und wodurch er von einem Gegenstande sagt, daß er ihm gefalle, sich auch bloß auf seine Person einschränke. Daher ist er es gern zufrieden, dass, wenn er sagt: der Kanariensekt ist angenehm, ihm ein anderer den Ausdruck verbessere und ihn erinnere, er solle sagen: Er ist mir angenehm.« Geschmacksurteile über das Angenehme sind nicht verallgemeinerbar, und zu diesen gehören nicht nur Urteile über den Kanariensekt, einen süßen Likörwein von den kanarischen Inseln, sondern auch über Käsefondue.

Will man gegen die gelbe Plörre argumentieren, sollte man also andere Gründe finden, die gegen sie sprechen, zum Beispiel zivilisationstheoretische. Käsefondue mag dem einen oder anderen schmecken, aber das in Deutschland allseits beliebte Pfännchenraclette zeigt einen höheren Entwicklungsgrad der europäischen Zivilisation an. Es ist Produkt gelungener kultureller Aneignung des schweizerischen Raclettes, das dem Fondue nichts voraushat. Hier haben die vielen Deutschen, die vor ­allem an Weihnachten und Silvester gerne mit den handlichen Pfännchen hantieren, ausnahmsweise einmal etwas richtig gemacht.

Maßstab dieses Urteils ist die Vervielfältigung der kulinarischen Möglichkeiten, die sich dem bieten, der das Pfännchenraclette den in Rede stehenden schweizerischen Gerichten vorzieht – die Entwicklung kulinarischer Produktivkräfte, die Jahr für Jahr an Weihnachten und Silvester in vielen Wohnzimmern und Küchen der »Raclette-Republik Deutschland« (Süddeutsche Zeitung) stattfindet.

Käsefondue ist eintönig: Man sitzt um einen Topf gruppiert und rührt mit Brotstückchen in einer gelben Masse herum, manchmal gibt es Salat dazu, mehr kommt in der Regel nicht auf den Tisch. Traditionalisten kratzen den am Topfboden festgebrannten Käserest ab, wenn die darüberliegende Masse vertilgt ist. Wer das für einen Zugewinn an kulinarischer Differenziertheit hält, meint wohl auch, es mache einen wesentlichen Unterschied, ob auf einem labberigen Burger eine Tomatenscheibe liegt oder nicht.

Beim schweizerischen Raclette wird ein Käselaib erhitzt, der warme Käse wird auf Brot oder Kartoffeln geschabt, auch das ist nicht besonders aufregend. Welche kulinarischen Möglichkeiten einem dagegen das Pfännchenraclette eröffnet: Fleisch, Fisch, Gemüse, Eier – alles, was gefällt, kommt ins Pfännchen; wer Raclettekäse nicht mag, nimmt geriebenen Gouda oder Emmentaler zum Überbacken – oder er lässt den Käse einfach weg. Über den Pfännchen gibt es eine Platte, auf der man die sorgfältig ausgewählten Zutaten anbraten kann, ob für das nächste Pfännchen oder als Beilage, die nach dem Anbraten gleich auf den Teller kommt.

Beliebt ist es auch, das Pfännchenraclette zur Resteverwertung zu nutzen. Was zwischen den Jahren übrig bleibt, kommt ins Pfännchen und wird, kombiniert mit allem, wonach es einem beliebt, auf den kleinen Elektrobackofen gestellt.

Bald ist wieder Weihnachten, für viele beginnt die Zeit des Pfännchenra­clettes. Nach Käsefondue und schweizerischem Raclette werden sie sich wohl nicht sehnen. Wer wollte es ihnen verdenken?