Der Lübecker Prozeß

Der Prozeß ist vorbei

Nach knapp neun Monaten Verhandlungsdauer hat die Lübecker Jugendkammer Ende Juni Safwan Eid von dem Vorwurf freigesprochen, für den Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft in der Hansestadt verantwortlich zu sein. Doch trotz eines Freispruches wirft die Begründung des Urteils Fragen auf. So hat der Kammervorsitzende Rolf Wilcken seine Entscheidung "im Zweifel für den Angeklagten" getroffen, obwohl nach dem Verfahren kaum noch von Indizien gesprochen werden kann. Damit hat das Gericht genau das umgesetzt, woran die Lübecker Staatsanwaltschaft von Beginn an gearbeitet hat: Der Verdacht, die Asylbewerber und -bewerberinnen hätten ihre Unterkunft selbst angezündet, soll bleiben. Wäre da nicht die politische Initiative einiger antirassistischer Gruppen, der Verteidigung, der Internationalen Untersuchungskommission sowie einzelner Journalisten und Journalistinnen gewesen, säße Safwan Eid jetzt wahrscheinlich unschuldig hinter Gittern.

Doch gerade diese "Politisierung des Prozesses" wurde von Wilcken heftig kritisiert. Sie sei dem tragischen Ereignis nicht angemessen gewesen. Welchen Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse hat ein solcher Richter, der allen Ernstes den Mord an zehn Flüchtlingen in Deutschland im Jahre 1997 außerhalb politischer Zusammenhänge behandelt wissen will? Schließlich wurden nicht nur in Lübeck, wo zahlreiche Hinweise für einen rechtsradikalen Hintergrund des Anschlages sprechen, in den letzten Jahren Menschen Opfer rassistischer Angriffe. Ob an der deutschen Ostgrenze, in Abschiebezellen oder auf den Straßen einer beliebigen Kleinstadt, Flüchtlinge sind hier täglich mit einer deutschen Selbstherrlichkeit konfrontiert, die den Mord mit einkalkuliert. Nicht zuletzt die einseitigen Ermittlungen der Lübecker Staatsanwälte, die alle Phantasie aufbrachten, um Safwan Eid zu belasten und gleichzeitig Spuren konsequent ignorierten, die auf einen rechtsradikalen Hintergrund hindeuten, sind Ausdruck dieser von Rassismus geprägten Realität.

Wir haben versucht, im Rahmen unserer Arbeit in der alten jungen Welt und der Jungle World diese Ermittlungsarbeit aus dem Dunkel der Lübecker Juristerei an die Öffentlichkeit zu bringen, haben Fragen gestellt, die kaum jemand mehr stellen wollte und den Lübecker Brandanschlag im Kontext gesellschaftlicher Verhältnisse betrachtet. Wer dies als "Gesinnungsjournalismus" abqualifizieren will, der möge vergleichend die Berichterstattung fast aller anderen Medien heranziehen. Denn kaum etwas kann offensichtlicher verdeutlichen, daß sich quer durch verschiedene gesellschaftlichen Schichten ein nationaler Konsens konstituiert als die mediale und tatsächliche Vorverurteilung Safwan Eids. Wenn die Infragestellung dieses Konsenses eine "unangebrachte Politisierung" sein soll, werden wir auch weiterhin gerne zu einer solchen Politisierung beitragen.