Berti goes to Belfast

Ein fröhliches Wiedersehen für die deutsche Nationalmannschaft in Nordirland?

Als der deutsche Nationaltrainer Berti Vogts sich überlegte, an welchem trostlosen Ort des Vereinigten Königreichs er seine Jungs am effektivsten auf die Europa-Meisterschaft '96 vorbereiten könnte, besann er sich auf Nordirland. Nur dort, wußte Vogts, könnten er und seine Spieler sich richtig entspannen. Die Behörden kümmern sich um alles, damit das Team zufrieden ist. Es wird eine schier endlose Zahl an Sicherheitskräften rund um die Uhr zur Verfügung stehen, und die Einheimischen haben eh nicht so viel Erfahrung mit Touristen - fast wie bei einer Olympiade in Bejing. Es wurde dann auch die perfekte Vorbereitung: Deutschland schoß das Golden Goal und wurde Europameister.

Beim diesjährigen Spiel wird die nordirische Bevölkerung nicht so zurückhaltend sein wie bei der Vorbereitung für die EM '96. Es geht immerhin um einen Platz bei der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich. Die Nordiren können auf eine stolze Bilanz gegen die Deutschen verweisen: In den letzten achtzehn Jahren blieb das eigene Team ohne Niederlage. Das WM-Spiel wird in Windsor Park ausgetragen, dem Heimat-Stadion des erzprotestantischen FC Linfield - hier brauchen sich Katholiken gar nicht erst um einen Platz auf der Tribüne zu bewerben. Der Union Jack flattert herrlich über der Arena. Mehr als 25 000 nordirische Fans werden am kommenden Mittwoch versuchen, daß deutsche Team einzuschüchtern.

Windsor Park war schon immer ein guter Ort, um zugereiste Mannschaften und deren Anhänger massiv einzuschüchtern. So wurden bereits 1920 Fans von Belfast Celtic von Glentoran Fans angeschossen. Celtic, der katholische Rekordmeister, verließ allerdings die nordirische Liga, nachdem ihr Stürmer, Jimmy Jones, im Jahr 1949 am Ende eines Spiels von gegnerischen Fans eingekesselt wurde und einen mehrfachen Beinbruch erlitt. Der Verein löste sich daraufhin aus Protest auf.

Auch die jetzige südirische Nationalmannschaft muß die gängige sektiererische Seelenverfassung in Windsor Park überstehen - zuletzt im November 1993 beim letzten Qualifikationsspiel der WM '94. Die britische Nationalhymne wurde an diesem Abend im Stadion mit besonderer Begeisterung gesungen. Der damalige Trainer Nordirlands, Billy Bingham, verlor während des Spiels die Kontrolle, als von den Stadion-Rängen "dreckige Fenian Bastards"-Rufe ertönten (eine Anspielung auf den Vorläufer der IRA), sprang auf und ermunterte die Fans, lauter zu singen. Nach 90 Minuten war die Hetze vorbei. Zwei Jahre später nutzten die Fans, vereinigt mit Mitgliedern der englischen Nazi-Truppe Combat 18, ein Freundschaftsspiel zwischen der Republik Irland und England in Dublin, um militant zu agieren. Über 70 Zuschauer wurden verletzt. Der Hitler-Gruß wurde gezeigt, während parallel dazu "God Save The Queen" intoniert wurde. Das Spiel mußte nach 27 Minuten abgebrochen werden. Combat 18 tritt öfters als Security bei loyalistischen Demonstrationen in England in Erscheinung.

Im Gegensatz zu anderen Sportarten gab es im nordirischen Fußball von Anfang an gewalttätige Auseinandersetzungen. Katholische Vereine waren immer wieder das Ziel protestantischer Wut. Derry City sah sich, wie schon Belfast Celtic '49, wegen wiederholter Angriffe und Blockaden gezwungen, Anfang der siebziger Jahre die irische Liga zu verlassen. Der Verein spielt jetzt erfolgreich in der südirischen Liga und wurde gerade zum zweiten Mal Meister.

Der letzte gemischt-konfessionelle Verein in der nordirischen Liga mit überwiegend katholischen Fans, der FC Cliftonville, ist mit denselben Methoden konfrontiert worden, die den Ausschluß von Derry vor 25 Jahren verursachten. Beim Pokalfinale im Jahr 1979 wurden die Anhänger mit Gummigeschossen angegriffen, und in der vergangenen Saison wurden die Fans von Loyalisten attackiert, mit Steinen und Flaschen beworfen, als sie versuchten, ins Stadion des Gegners FC Glentoran zu gelangen. "Eure Tage in unserer Liga sind gezählt", riefen die Demonstranten, darunter der ehemalige Bürgermeister von Belfast, Sammy Wilson.

Reverend Ian Paisley, Fußballfan, Abgeordneter des Europa-Parlaments und Vorsitzender der demokratischen unionistischen Partei Nordirlands, der auch Sammy Wilson angehört, brachte die derzeitige Gefühlslage der Loyalisten exakt auf den Punkt, als er in einer Rede vor den "Unabhängigen" Oraniern am 12. Juli dieses Jahres dröhnte: "Der Faschismus, Kind des Romanismus, ist nicht tot ... Der Zweite Weltkrieg wird heute in Nordirland ausgetragen." Anlaß der Äußerungen des Reverends war die Absage der traditionellen Märsche der Oranier durch katholische Viertel in der Unruhe-Provinz Ulster, da die Polizei sich außerstande sah, die sichere Durchführung der Demonstrationen zu gewährleisten, und Paisley erklärte eindeutig: "Jetzt ist die Zeit für Ulsters Protestanten, mutig und ohne Entschuldigung die Prinzipien der Reformation durchzusetzen." Dabei fällt der nordirischen Fußball-Nationalmannschaft eine herausragende Rolle zu, trägt doch diese Sportart besonders stark zur Identitätsbildung innerhalb des Oranier-Staates bei. Nur im Fußball besteht die Möglichkeit, Nordirland als unabhängigen Staat auf der internationalen Bühne zu präsentieren.

Ein weiterer interessanter Aspekt des Spiels am kommenden Mittwoch ist die Tatsache, daß viele Kicker der nordirischen Nationalmanschaft vor Spielbeginn auf das Absingen der britische Nationalhymne verzichten - im Gegensatz zu den Deutschen, wo alle Spieler, wie vom DFB gefordert, wie "ein Mann" zu singen haben. Damit das Volk weiß, was es hat.