Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Die Krisen des 21. Jahrhunderts

Währungsroulette in Südostasien: Die Erfolge der Tiger-Staaten wurden mit faulen Krediten finanziert

Auf dem Börsenparkett in Manila habe fassungslose Stille geherrscht, berichteten Händler, als der philippinische Aktienindex am 28. August 1997 um knapp zehn Prozent fiel. Innerhalb von drei Stunden lösten sich fünf Milliarden Dollar in Luft auf. Das entspricht einem Anteil von sieben Prozent des philippinischen Bruttoinlandsprodukt. Einen Schwarzen Donnerstag erlebten auch Kuala Lumpur, Hongkong und Bangkok. Und am darauffolgenden Freitag ging es weiter. Selbst Tokio und Sydney blieben nicht verschont.

Was als Währungsunruhe begann und sich dann zu Börsenturbulenzen steigerte, droht mittlerweile eine ganze Wirtschaftsregion ins Unglück zu stürzen.

So geschehen im Falle Thailands. Lange Zeit galt das Königreich als leuchtendes Beispiel liberaler Entwicklung. Die Thais hatten den Exportsektor zur Hauptantriebskraft ihrer Ökonomie gemacht und Investoren dienstbare Geister sowie gewissenlose Gesetze geboten. Rund ein Jahrzehnt lang nahm die Wirtschaft jährlich um zehn Prozent zu. Das erzeugte Kapital reichlich und machte Kredite großzügig. Insbesondere wollten japanische Banken am Menam verdienen, was sie zu Hause an Immobilien- und Aktienspekulation verloren hatten. Jedenfalls berauschte sich das Land an Wachstumsraten und zufließendem Kapital. Der Mittelstand verdiente gut und kaufte dank leichter Kredite, was das Herz begehrte. So überragte der Schuldturm bald die Summe aller jährlich bezogenen Einkünfte um 198 Prozent. Dabei fiel der Zentralbank die Aufgabe zu, das finanzielle Kartenhäuschen mit hohen Zinsen und einer an den Dollar angebundenen Währung zu stützen.

Thailand avancierte zu einem Tiger - und zwar mit Malaysia, Philippinen und Indonesien zu einem der zweiten Generation. In diesen Tiger-Staaten triumphiere die Freihandelslehre, schwärmte der amerikanische Publizist Francis Fukuyama. Sie würden die Imperialismustheorie widerlegen. Sobald aber Thailands wichtigste Exportprodukte - Elektronikgüter, Computerbestandteile sowie Textilartikel - nicht mehr genügenden Absatz fanden, nahmen Fukuyama zum Trotz die ökonomischen Probleme zu. Mit den Wachstumsraten ließ der Kapitalzufluß nach, die überbewerteten Immobilien erlebten einen Preissturz, mit ihnen gesicherte Kredite begannen zu wackeln. Zwischen Thailands Wirtschaft und Währung bildeten sich Diskrepanzen, die den Spekulanten in der Wall Street nicht verborgen blieben. Sofort war der vom amerikanischen Finanzier George Soros geführte Hedge-Fund zur Stelle und begann, den Baht zu attackieren. Bangkok geriet finanzpolitisch ins Schleudern.

"Spekulanten mögen unschädlich sein als Seifenblasen auf einem steten Strom der Unternehmungslust", hatte der britische Ökonom John Maynard Keynes beschieden. "Aber die Lage wird ernsthaft, wenn die Unternehmungslust die Seifenblase auf dem Strudel der Spekulation wird." Mit seinen 1,6 Millionen unverkauften Häusern und Appartements, 58 in Not geratenen Finanzierungsgesellschaften und einem Staat, der 16 Milliarden Dollar Auslandsschulden zu gewärtigen hatte, war Thailand in diesen Strudel geraten. Aber Thailand war nicht allein. Bereits im Frühjahr dieses Jahres war Südkorea aus der Bahn geraten, als sein Kia-Konzern in Liquiditätsnöte kam und Zulieferer und Banken in den Abgrund zu ziehen drohte. Der tief im Schlamassel steckenden Bank Korea First mußte die Zentralbank schon mit 2,2 Milliarden Dollar beispringen - was nicht reichte. Eiligst schusterte Seoul noch ein Stabilisierungspaket von 550 Millionen Dollar zusammen. Und mit Hilfe eines Fonds kaufte es fleißig faule Kredite zur Wiederaufbereitung auf.

Das ist auch der Hintergrund für die malayische Malaise, dessen abgestürzte Währung Ringgit im Mittelpunkt der jüngsten Turbulenzen stand. Wie in fast allen südostasiatischen Ländern gingen in den letzten Monaten auch für Kuala Lumpur vor allem die Ausfuhren der Elektronikindustrie in den Keller. Das trug dem Land das größte Handelsdefizit seit 17 Jahren ein. Auch Malaysia ist darauf angewiesen, Kapitalzufluß und Verschuldung mit hohen Zinsen und angebundener Währung zu stützen. Und Währungsspekulanten hatten sich nicht nur auf den thailändischen Baht, den philippinischen Peso, den indonesischen Rupiah und selbst den Singapur-Dollar gestürzt, sie griffen auch Malaysias Ringgit an. Sofort sah Malaysias Ministerpräsident Mahatir Mohammed "unverantwortliche Spekulanten" und stellte die These auf, daß auf den Devisenmärkten ein "Krieg des Westens" gegen bisher doch gepriesene Volkswirtschaften geführt werde. Die Message ist alt: Unser nationaler Kapitalismus ist gut, böse ist das vaterlandslose Finanzkapital.

Anfang August war die Gefahr einer Kettenreaktion in ganz Südostasien nicht mehr auszuschließen. Deswegen lud Japan am 11. August zu einer Krisenkonferenz ein. In Tokio trafen sich betroffene Länder, Internationaler Währungsfonds, Weltbank und Asiatische Entwicklungsbank. Eine Kollekte erbrachte für Thailand 16 Milliarden Dollar und jede Menge Ratschläge, deren Befolgung auch erwartet wurde. In New York, London und Frankfurt am Main lobte man die von Japan übernommene Führungsrolle. Richtig angetan war der Westen von der Milliarde, die auch die Volksrepublik China herausgerückt hatte. Und in den Lektionen, die die IWF-Experten den bankrotten Thais mitgegeben hatten, sah man sich bestätigt. Bloß: Die gesammelten 16 Milliarden Dollar entsprachen genau der Summe, die Bangkok schon zuvor alleine ausgegeben hatte. Und diese hatte sich als zu gering erwiesen. Noch am gleichen Tage setzten sich auch 21 japanische Banken mit dem Währungsfonds zusammen. Und dort dürften die eigentlichen Größenordnungen verhandelt worden sein. Seit mehr als fünf Jahren versucht Japan nämlich, von seinen faulen Krediten herunterzukommen. Daß sich die Volksrepublik China zu einer Milliarde Dollar für das ausländische Finanzkapital durchgerungen hat, ist kein Wunder, denn mit Hongkong hat es sich eine riesige Seifenblase eingehandelt, die jeden Augenblick platzen kann. Und schließlich glichen die wirtschaftspolitischen Auflagen einer Medizin des Aderlasses. Thailand soll sparen und nochmals sparen. Das aber läßt die Quellen des Reichtums nicht stärker sprudeln. Allein die Beseitigung notleidender Kredite wird die Thais zwischen 20 und 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kosten.

Als die Tequila-Krise 1994 halb Lateinamerika erschütterte und Mexiko in einer spektakulären Aktion des Internationalen Währungsfonds saniert werden mußte, sprach sein geschäftsführender Direktor Michel Camdessus von der ersten Krise des 21. Jahrhunderts. Vielleicht spielte der Weltbankier auf den größten anzunehmenden Unfall auf den Finanzmärkten an, nämlich eine konjunkturelle Wende in den USA plus Bankenkrise in Japan plus Staatsbankrott in den Schwellenländern. Mit der export- und kreditgestützten Industrialisierung haben sich jedenfalls nicht erst die Tigerstaaten den Launen des Weltmarkts ausgeliefert: Die erste Krise gab es schon 1981, als in General Pinochets Chile das Finanzsystem kollabierte, 1994 war Mexiko an der Reihe und jetzt Thailand. Dabei hat das 21. Jahrhundert noch gar nicht begonnen.