Auf sanften Pfoten

Im Zeichen der Destruktivkraft

Das Geschäft mit der biologischen Natur des Menschen könnte das größte der Geschichte werden

Zu den neuen Mythen eines Teils der Linken gehört die Behauptung, dem Kapital gehe die Arbeit aus, seine Verwertungsbedingungen brächen zusammen. Falsch: Mit Hilfe neuer und modifizierter Techniken wie den Informations- und Kommunikationstechnologien und der Gentechnologie werden - auf unterschiedliche Weise - neue Rohstoffquellen, neue Produkte und neue Märkte geschaffen. Für die Gentechnologie machte erst die Computertechnik diesen Sprung möglich.

Ohne die Speicherkapazitäten und die Verarbeitungsgeschwindigkeit heutiger Computer hätte das menschliche Genom kaum zerlegt und kartiert werden können. Dies war die Voraussetzung für die Aneignung durch das Kapital zum Zwecke der profitablen Verwertung, wie sie z.B. in der Patentierung zum Ausdruck kommt. Menschliche Gene werden "gefunden", kartiert, hierarchisiert, sinnlose - d.h. unverstandene - als "Junk-Gene" in den Abfall geworfen. Es zählt, was rasch kommerziell verwertbar ist. Das Geschäft mit dem menschlichen Leben, mit unserer biologischen Natur, könnte das größte in der Geschichte der Menschheit werden.

Damit sich das Gentech-Kapital jedoch durchsetzen kann, entwickelt es ein Konglomerat an Manipulations-, Korruptions-, Integrations-, Befriedungs- und Repressionstechniken zur Durchsetzung der Destruktivkraft Gentechnologie wie möglicherweise keine Kapitalfraktion vor ihm (als Destruktivkraft bezeichne ich eine Produktivkraft, die unter keinen gesellschaftlichen Verhältnissen zum Nutzen von Mensch und Natur eingesetzt werden kann, die in der Bilanz grundsätzlich destruktiv, zerstörerisch ist. Eine andere Destruktivkraft ist die Atomenergie). Kritik an den Verhältnissen soll gar nicht erst entstehen. Damit sich der Gedanke von erfolgreichem Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse und vom anderen Leben nicht breit macht, wird eine Vielfalt an Durchsetzungstechniken entwickelt.

Dem hat die Linke der BRD derzeitig keine entwickelte, linke Kritik von Wissenschaft und Technologie entgegenzusetzen, wie sie nach dem NS-Faschismus erst spät entstand: am Beispiel der Kritik der Auftragsforschung an deutschen Universitäten zugunsten der US-Army im Vietnamkrieg. Es gibt einzelne Inseln der fundierten Kritik, meist kleine Aktionsgruppen, Archive, Informationsdienste, Rundbriefe, die sich mit einzelnen, abgegrenzten Themen beschäftigen.

Eine zentrale Propaganda- und Durchsetzungstechnik für die Interessen des Gentechnik-Kapitals ist die Bioethik. Mit "Bio" holt sich der Begriff das Öko-Etikett und mit "Ethik" wird alles Gute des christlichen Abendlandes herbeigerufen. Schon nach einigen Jahren der Einflußnahme beginnt die Propaganda zu wirken. Die US-amerikanische Ernst & Young-Studie stellt fest: "Eine der signifikantesten Veränderungen in Europa ist die in Deutschland festzustellende Begeisterung für die Biotechnologie." Der baden-württembergische Wissenschaftsminister Klaus von Trotha präsentierte 1995 eine Umfrage: 61 Prozent der Deutschen lehnen die Manipulation von Genen ab, aber 74 Prozent würden gentechnisch hergestellte Medikamente einnehmen.

Umfrage-Ergebnisse haben das Gentechnik-Kapital schon nach der Dioxin-Katastrophe in Seveso 1977 angeregt, die Akzeptanz der Branche, ihrer Produktion, ihrer Produkte durch die Betonung des gesundheitlichen Nutzens zu erhöhen. Man lernte auch aus der Manipulation der öffentlichen Meinung an den Beispielen Atomenergie und Golfkrieg. Ein fieses Schwein, wer da noch die Verheißung in Frage stellt, die Gentechnologie könne mehr Krankheiten heilen, als sie neu verursachen wird.

Mit einiger Verspätung hat sich in Deutschland nach dem Faschismus eine aus Fragmenten verschiedener Traditionen - der bürgerlichen Aufklärung, des Christentums und des Sozialismus - zusammengesetzte vage Art von Ethik entwickelt, mit der das Interesse der GentechnokratInnen heute (noch) kollidiert. Die Bioethik wurde erfunden, um die störende Ethik mit ihrem vagen, bürgerlichen Bild von der Würde und der individuellen Einzigartigkeit des Menschen aus dem Weg zu räumen. Sie soll in allen Bereichen der Gesellschaft abräumen, was es an humanen Resten noch gibt. Die Bioethik wird zur herrschenden Ideologie, die jeden gesellschaftlichen Bereich durchdringt. Manchmal wird offen gesagt, was die Gentechniker von Menschenrechten halten. Der Heidelberger Theologe Dietrich Ritschl, der in den USA über viele Jahre Erfahrungen mit der dortigen Schule der Bioethik sammeln konnte, schlußfolgert, daß "für unsere ethischen Überlegungen nichts Entscheidendes vom Rechtscharakter der Menschenrechte abhängt".

Das Individuum ist für sein genetisches Potential selbst verantwortlich, es wird auf sich selbst zurückgeworfen, zur Entlastung des Sozialstaats, unter Aushebelung solidarischer Regelungen. Ziel muß es sein, Mitglied der richtigen Klasse im richtigen Teil der Welt zu werden, "Leistungsträger", verantwortlich für die Produktion von nicht behinderten, leistungsfähigen Nachkommen, bis dem Menschen auch die Fortpflanzung enteignet ist.

Einige Elemente der stofflichen Veränderung zeichnen sich bereits ab: Die weitaus meisten Menschen, die dann als sozial überflüssig gälten, könnten in einen Zustand geworfen sein, der weit unter dem der ausgebeuteten, entfremdeten Lohnabhängigen läge. Sie wären nicht einmal in der materiellen Situation eines Sklaven, dem sein Eigentümer wenigstens als wertschaffender Sache die Arbeitskraft zu erhalten bemüht sein muß. Die Menschenkörper mit ihren Organen und biologischen Funktionen werden zu Rohstofflagern. Wer wird sie wie abbauen? Wie wird ihre Verteilung organisiert sein? Wie werden Gesellschaften aussehen, in denen dies geschieht?

Menschliche Stoffwechselvorgänge werden patentiert. Die Gene spezifischer aussterbender Bevölkerungsgruppen werden schon jetzt - gegen deren erklärten Widerstand - in Genbanken gesammelt und zum Patent angemeldet. Der Mensch wird zum Rohstofflager für innere Organe, für Gewebe, Haut, Knochen und Nerven, für Blut und Blutbestandteile, Eizellen, Sperma, für embryonale und fetale Organe. Um möglichst frische menschliche Körperteile zu gewinnen, wurde inzwischen selbst der Tod umdefiniert vom Zusammenbruch des Herz- und Kreislaufsystems zum Hirntod. Schon hat die Diskussion über eine neue Definition von Tod begonnen: den Teilhirntod.

Je früher der Zeitpunkt eintritt, da das Gehirn für tot gilt, desto früher kann über den Körper, dieses profitable Rohstofflager, verfügt werden. Wenn aus der künstlichen Hirntod-Definition, die man vor rund zwanzig Jahren erfand, als mehr frische Organe für Transplantationen gebraucht wurden, eine Teilhirntod-Definition wird, hilft das, Mord noch näher am Beginn des Sterbens zu legalisieren.

Nicht nur die Organe des Menschen werden gebraucht, sein ganzer Körper wird zur biologischen Fabrik. Ein Patent zu besitzen, bedeutet, das Recht auf private, kommerzielle Verfügung über eine Erfindung zu haben. Nun werden gentechnische Manipulationen von Säugetieren zum Patent angemeldet, die schon die Voranmeldung für das Säugetier Mensch enthalten.

Beim Europäischen Patentamt in München liegt ein Antrag aus den USA, der die Möglichkeit beinhaltet, die Brustdrüsen von Frauen gentechnisch so zu manipulieren, daß sie einen teuren pharmakologischen Wirkstoff produzieren - Menschen als wandelnde Fabriken. Diese menschlichen, "dezentralen" und "biologischen" Produktionstätten werden vermutlich keine Mittelschicht-Frauen aus den kapitalistischen Zentren Europa und USA sein, sondern Frauen aus dem Trikont oder aus Osteuropa. Ich kann mir die Propaganda schon vorstellen: Ist es nicht viel "ethischer", ein deutscher oder US-amerikanischer oder schweizerischer Gentechnik-Konzern versorgt die "armen Frauen" als Gegenleistung mit Geld, gesunder Nahrung und vielleicht ein bißchen einfacher Schulbildung für die Kinder?

Als Rohstofflieferant muß ein Mensch nicht unbedingt leben. Er kann auch noch im vorpersonalen Stadium sein, Embryo oder Fötus. Selbst tot taugt die Frau als Lieferantin von Eizellen für die reproduktionstechnische Abteilung der Gentechnik. Die Grenzen, die wir heute noch für unauflösbar halten, könnten morgen durch die Entwicklung schon niedergetrampelt sein. Der Menschenzüchtung könnte schon bald kein Widerstand mehr entgegenstehen.

Wer die Gentechnologie noch verharmlost, in ihrer Dimension nicht begreift, möge zur Kenntnis nehmen, wie in GentechnologInnen-Kreisen heute über den Menschen diskutiert wird. Es führt eine direkte Linie von den RassenhygienikerInnen des deutschen Faschismus über die Nobelpreisträger auf der 1962er Ciba-Konferenz zur Mentalität der GentechnikerInnen der Gegenwart:

"Nach unserer Auffassung scheint es ganz natürlich, zu sagen, daß die Organe lebendiger Personen lebenswichtige Gesundheitsressourcen sind, die wie alle anderen Iebenswichtigen Ressourcen gerecht verteilt werden müssen. Wir könnten uns daher gezwungen sehen, darauf zu bestehen, daß alte Menschen getötet werden, damit ihre Organe an jüngere, kritisch kranke Personen umverteilt werden können, die ohne diese Organe bald sterben müßten. Schließlich benutzen die alten Menschen lebenswichtige Ressourcen auf Kosten von bedürftigen jüngeren Menschen."